Ich erinnere mich noch gut an die Anfänge von Tocotronic; die Band war schrammelig, ja, geradezu punkig. Ich sah die Band einmal live, es war im alten »Substage« in Karlsruhe, und ich fand das Konzert gut. Klar, ein studentisches Publikum, bei dem nur gedämpfte Stimmung aufkam, aber eine gut aufgeräumte Band auf der Bühne, die sichtlich Spaß bei ihrem Geschrammel hatte.
Das ist lange her. Das wird einem klar, wenn ich nach einiger Zeit die Platte »Das rote Album« anhöre; na ja, eigentlich hat die Platte keinen Titel, aber sie ist halt rot, und deshalb hat sich dieser Begriff eingebürgert. Sie kam 2015 heraus, und ich kaufte sie mir als Doppel-LP, weil das einfach schöner ausseht und ich das Auflegen einer Platte nach wie vor schätze.
Die vier LP-Seiten sind großzügig bestückt; kein Wunder, bei nur insgesamt zwölf Stücken. Aber das störte mich nicht, für mich ist so eine Klappcover-Geschichte auch ein Gesamtkunstwerk, für das einfach andere Regeln gelten als für gewöhnliche Tonträger.
Musikalisch ist das weit weg vom Schrammel-Sound früherer Jahrzehnte. Die Band schwelgt in einem Pop, der schon fast Breitwandcharakter hat – ohne dass das Ganze aber überinszeniert wirkt. Man bleibt bei den Gitarren, das wird nur selten durch andere Geräusche unterstützt, aber es ist glatt gespielt, es wirkt geradezu schwelgerisch. Die Melodien sind gelungen, der Sänger hat eine klare Stimme, und das lässt einen recht schnell mitschwingen und mitsummen.
Bei den Texten ist man gewohnt verkopft. »Sie lesen jede Zeile / in der Wüste der Langeweile« – auf solche Sätze muss man erst einmal kommen. Die Texte sind eher persönlich, sie gehen nicht auf politische Inhalte ein oder erzählen klare Geschichten. Sie laden eher zu Interpretationen ein, sie sind vielschichtig – das ist dann Popmusik für Menschen, die sich auch mal gern mit den Texten beschäftigen.
Dazu zähle ich ja gar nicht. Für mich ist »Das rote Album« schlicht gute Popmusik mit deutschen Texten. Das kann ich mich immer mal wieder anhören, ich brauche allerdings die Stimmung dazu.
1 Kommentar:
Man kann von Tocotronic sehr viele Stücke im Netz finden. Hier ist »Ich öffne mich« aus dem roten Album, das ich hier besprochen habe, auf YouTube:
https://www.youtube.com/watch?v=wdAv-7unsS8
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