Bis vor einem halben Jahr war ich weitestgehend guter Dinge: Die meisten Menschen in diesem Land schienen ein positives Verhältnis zu »Ausländern« im Allgemeinen und Flüchtlingen im Besonderen gewonnen zu haben. Es wurde reichlich gespendet, die Sympathiewelle war relativ groß.
Kein Vergleich zu der Situation vor über zwanzig Jahren, als die Massenmedien hetzten, der Mob randalierte, brandschatzte und dutzendfach tötete – alles »unpolitische Einzeltäter« damals; noch heute mein Kopfschütteln über die unfassbare Justiz –, während die Regierung stillschweigend die Mordbrenner tolerierte. Ich war guter Dinge und hatte das Gefühl, es hätte sich einiges gebessert.
Allerdings: Damals gab es noch kein Internet, zumindest nicht für jedermann zugänglich. Es gab vor allem kein Facebook. Das hat viele Leute davon abgehalten, ihre Meinungen zu veröffentlichen und sich im Netz zusammenzurotten.
Was sich aber in diesen Tagen und Wochen abspielt, macht mich sprachlos. Äußert sich eine halbwegs prominente Person öffentlich zur aktuellen Flüchtlings-Thematik, wird sie öffentlich angegriffen, im Netz gedisst, im wirklichen Leben attackiert.
Der Mob macht sich breit, er weitet seine Aktivitäten aus. Eine widerwärtige Suada aus Menschenhass und erbärmlicher Minder-Intelligenz lässt sich in Teilen des Internets bewundern – es macht mich fassungslos. Lügen werden verbreitet, Gerüchte bauscht man auf, es wird gedroht und bedroht und öffentlich gehasst.
Polizei und Staat wirken hilflos, manchmal hat man sogar das Gefühl, dass es gern gesehen wird – dann haben die Flüchtlinge weniger Gründe, in das Land zu kommen. Wer früher auch nur als Sympathisant der Linksterroristen galt, wanderte für Jahre ins Gefängnis. Wer heute als rechtsradikaler Gewalttäter ein Haus abfackelt oder Leute halbtot prügelt, kommt mit geringen Strafen davon.
Es ist widerwärtig. Im Sommer 2015 macht es keinen Spaß, die Nachrichten zu gucken oder zu lesen. Das Internet kommt einem vor, als sei es mit Nazis und gutmeinenden Bürgern voller Hass und Angst durchseucht.
Gibt es eigentlich ein Land, in dem ich Asyl finden könnte, wenn mich die Nazis hierzulande so frustrieren? Derzeit schäme ich mich täglich dafür, ein Deutscher zu sein. Nicht wegen früher – sondern wegen heute.
5 Kommentare:
Wenn ich könnte, würde ich dir 300%ig zustimmen. So ist es sinnvoller, dies auf 3 Gelegenheiten à 100 % zu verteilen.
Ich habe schon lange ein Problem mit diesem Land bzw. besser: mit einem Großteil seiner Menschen. Langsam wird das schmerzhaft akut. Und was es noch am schmerzhaftesten macht, ist die Gewissheit, dass ich nicht wirklich etwas daran ändern kann.
My.
Ein sehr guter, treffender Text. Deine Zustimmung vorausgesetzt werde ich den in meinem eigenen Blog zitieren, denn besser kriege ich das auch nicht hin.
Zustimmung erteilt, lieber Kollege!
Yum tuv, Klaus.
Die Biederleute als Brandstifter sind eine alte Krux des menschlichen Soziallebens; stets willigst den eigenen Frust & angebildete Minderwertigkeit an sich bietenden Gruppen abzuladen. Angefangen bei den eigenen Kindern bis hin aktuellen "Feindbildern". Vor Jahrhunderten, in Jahrhunderten stets ein geistiges Armutszeugnis.
Im Net sind Horden von Maulhelden unterwegs, die überall mitmischen wenn es nach Mob aussieht.
bonté
Wie sagt Pispers so schön "Schade, dass es kein Land gibt, das 40 Millionen Intelligenzflüchtlinge aufnimmt". Dann wären wir viele Idioten wieder los.
Der Mob ist immer laut. Aber zum Glück nicht die Mehrheit. Am Wochenende war ich auf dem Highfield-Festival und es war schön zu sehen, dass sich sehr viele deutsche Bands gegen Schwachsinn wie Pegida und deren Ableger, Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Faschismus ausgesprochen haben. Das gab mir ein gutes Gefühl und das nehme ich mit in diese Woche.
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