12 Juli 2009

Wahrnehmungsverschiebung

Wir gingen die Straße zur Straßenbahnhaltestelle hoch; gemütlich und Hand in Hand. An der Straßenecke sitzen normalerweise immer einige Wohnsitzlose, die in der Nähe auch ihr Winterquartier haben; sie trinken Bier, unterhalten sich und kümmern sich ansonsten nicht um die Passanten.

Diesmal saßen zwei Mädchen dabei; Teenager irgendwie: lange Haare, schwarze Klamotten, Typ »Metallerin«. Wie ich aus den Augenwinkeln sah, tranken sie auch irgend etwas, während der eine Obdachlose an der Ecke einen großen Abstand zu ihnen hielt.

Ich ignorierte sie; meinetwegen können Jugendliche saufen, das habe ich in dem Alter auch getan. Und Erziehungsberechtigter bin ich nicht, von niemandem.

Wir waren an den Mädchen vorbei, als ich den Ruf hörte. Er war eindeutig auf uns gemünzt, aber noch ein wenig zu verschüchtert, um richtig zu provozieren: »Spießer!«

Ich widerstand dem Impuls, mich umzudrehen, und grinste. Hatte ich es endlich geschafft! Noch vor elf Jahren hatten mir Bürger in der Karlsruher Innenstadt Arbeitslager und Gaskammern auf den Hals gewünscht (im Rahmen von APPD-Aktionen), und jetzt wurde ich von Jugendlichen als Spießer betrachtet.

So schnell kann's gehen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Das kann ich mir jetzt so richtig schön vorstellen. Schön. *g*
Daran muss ich leider noch arbeiten (aber vermutlich hilft ja schon Haare abschneiden), bis ich endlich mal als Spießer angepöbelt werde.
Das war jetzt ein richtig schöner Lacher zum Wochenendabschluss. Herzlichen Dank.