24 Juni 2006

Fahnenmeer und Hupkonzert

Ich war gerade eben noch in der Karlsruher Innenstadt: Hunderte von Autos kreisen, Tausende von Fahnen wehen, es herrscht ein unbeschreiblicher Lärm aus Grölen und Hupen. Zahlreiche Lautsprecher-Boxen spucken schlechte Fußballieder in die Luft – man könnte meinen, Deutschland sei jetzt schon Weltmeister.

Das Spiel war toll, keine Frage, und die deutsche Mannschaft hat verdient gewonnen. Nur: Was machen die Leute, wenn »wir« das Finale erreichen? Endgültig hohldrehen?

Ein Land im enthusiastischen Dauerrausch – auch eine interessante Vorstellung.

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Klaus,

ich bin's noch mal mit einer kleinen Ergaenzung zum Thema: "Fussballpatriotismus". Ich poste Dir mal den Link zu der Meinung eines "linken Sektierers", die ich "zum Brechen" finde:


>"Eine Nation, die man nicht will, kann man nicht führen"(G. Gysi)


Gruss, curry

Kongo-Otto hat gesagt…

Hi Klaus,

so ganz habe ich deine Position zu dem ganzen noch nicht verstanden. Nervt dich der schwarz-rot-goldene Trubel nun oder findest du ihn eigentlich mal ganz interessant und lustig?
Ich persönlich hoffe nun auf Argentinien und dass der Spuk mit dem Viertelfinale zu Ende ist.
Wie sich die Leute dann verhalten, DAS finde ich interessant...

Auch wenn ich diesen "neuen Patriotismus" tatsächlich als etwas "Neues" empfinde (insbesondere im Hinblick auf die migrantischen Einwohner, die das alles begeistert mitmachen) und noch nicht so recht weiß, wie ich angemessen damit umgehen soll.

Liebe Grüße

Andi.

Anonym hat gesagt…

@curry
Ich finde Gysi hat schon recht. Die Jungen können mit manchem Weltbild von Älteren einfach nix anfangen, wollen es auch gar nicht, die wollen nur Party machen, wissen vielleicht gar nicht was das Wort Patriotismus überhaupt bedeutet. Vielen wird es auch schlicht egal sein. Während irgendwelche "alte" Leute eine Debatte über die Nationalhymne und was weis ich alles anzetteln, wo ich nur noch den Kopf schütteln kann!

@Klaus
Ich verstehe deinen Standpunkt auch nicht so genau, magst du den Trubel jetzt oder nicht? Oder sind dir einfach die "Fahnenträger" zuwider?

Kongo-Otto hat gesagt…

Interessante Artikel zum Thema Patriotismus gibt' s in der aktuellen JUNGLE WORLD.

In seiner differenzierten Herangehensweise gefällt mir am besten der Artikel von Deniz Yücel:

http://jungle-world.com/seiten/2006/25/7957.php

Ein Beispiel für fast schon bewundernswerte antideutsche Paranoia ist der Artikel von Alex Feuerherdt. Auch der aktuelle „nationale Taumel“ richte sich natürlich in allererster Linie gegen die USA und Israel, und die deutsche Bevölkerung (der vom Autor ein einheitlicher Wille unterstellt wird) werde immer formierter. So einen undifferenzierten Quatsch zu lesen, ärgert mich immer wieder aufs Neue. Früher dachte ich ja, so was sei Provokation und als solche okay. Leider musste ich jedoch feststellen, dass diese Leute das durchaus ernst meinen.

Antworten auf Fragen, die ich mir stelle, hat dieser Artikel leider überhaupt nicht.

Dennoch hier der Link:

http://jungle-world.com/seiten/2006/25/7959.php

Grüße

Andi.

Wohlgemuth hat gesagt…

Salut curry + @ll,

nou, sektiererisch finde ich Gysis Meinung erst einmal nicht. Es ist eine politische und vor allen Dingen gesellschaftliche Position, die er einnimmt, die mittlerweile nicht mehr nur von einer "sektiererischen Minderheit" getragen wird, sondern einen Großteil einer - zumeist - jüngeren Bevölkerungsgruppe betrifft.
Da ist dann in Jonas Kommentar ein kleiner wahrer Ansatz verborgen: Jüngere können mit dem Weltbild Älterer nichts oder nicht mehr viel anfangen.
Begriffe wie Patriotismus oder Nation sind noch immer stark geprägt von den Konnotationen der 68er Generation. Diese Konnotationen gab es aus gutem Grund und sie waren richtig. Nur, und das ist etwas, was viele nicht begreifen oder verstehen wollen bzw. können, ist mittlerweile eine andere Generation herangewachsen, die die aus den 68er Gedanken herausgebildeten Positionen als "veraltet" betrachtet. In der Tat findet wieder ein Generationswechsel statt, nur nicht so spektakulär wie 68ff.
Heute sind die "bösen" Begriffe und Kontextualisierungen von Patriotismus und Nation für eine hauptsächlich in den 80ern sozialisierte Generation bei weitem nichts mehr so Böses. Ich kenne keine Untersuchungen darüber und kann also meine Meinung nur aus meiner persönlichen Erfahrung direkt oder durch mediale Übermittlung bilden. Ich habe den Eindruck, dass nationale Symbole - auf den konkreten Sachverhalt der WM bezogen - viel mehr benutzt werden wie eine Star Trek Uniform der Trekkies: Ich zeige eine Zugehörigkeit, ich zeige, wovon ich Fan bin.
So wie ich es bisher aus den Medien vernommen habe, sind deutschnationalistische Auschreitungen während dieser WM überraschend unterrepräsentiert. In einem Bericht darüber wurde von dem Fremdbild über Deutsche gesagt: "Statt 'Wir sind wieder wer!' heißt es plötzlich "Wir sind ja überraschend nett!'" In dem nationalgepeitschen Deutschland gibt es ein friedliches interkulturelles Miteinander. Das finde ich zunächst einmal bemerkenswert, im wörtlichen Sinne! Und das gibt es trotz der Fahnenmeere. Womöglich findet diesbezüglich tatsächlich eine Veränderung in den Köpfen der Menschen statt, oder sie hat schon stattgefunden. In der Tat, wie Kongo-Otto gesagt hat, wäre ich interessiert, wie sich das Fahnenmeer nach dem Ausscheiden Deutschlands verhält. Ich räume - und da darf man mich gerne Idealist oder Optimist nennen, oder auch Träumer - den Menschen ein, dass sie das Schwenken einer schwarzrotgoldenen Fahne nicht mit der Wiedererichtung einer nationalistischen Gesinnung gleichsetzen.
Ich möchte keine "Deutschlaaand, Deutschlaaaand!-Rufe" hören und kein "Steht auf, wenn ihr Deutsche seid". Das sind für mich in der Tat störende nationalistische Parolen. Das permanante Gehupe ist ein störendes Rumoren, einfach nur nervender Lärm!
Aber ich kann bisher nichts nationalistisch Störendes an der schwarzrotgoldenen Wange meines Nachbarn sehen, mit dem ich ein Bier trinke, ebensowenig, wie an dem Espana T-Shirt des spanischen Kochs unseres Stammlokals.

lg
Ten.

Enpunkt hat gesagt…

Puha. Sehr viel auf einmal.

Das Fahnenmeer finde ich lustig und irritierend zugleich. 1990 war das noch harmlos, aber ich erinnere mich düster daran, daß ein Haufen punkig orientierter Leute vom Jugendzentrum zum Marktplatz zog, um sich dort zu amüsieren. 2006 ist es eine Nummer härter: so viele Fahnen, so viele Deutschland-Fans. Solange es so bleibt, ist es zwar irritierend, aber nicht schlimmer als beispielsweise in Frankreich, England oder Italien.

Das Gysi-Interview habe ich gelesen; der Mann ist schlau. Der Hintergrund ist eigentlich auch 1990 zu suchen: Im Jubel der Wiedervereinigung hat "unsereins" im eifrigen "Nie-wieder-Deutschland"-Schreien den Patriotismus komplett den Nazis überlassen. Der Versuch, ein "neues" oder ein "besseres" Deutschland aufzubauen, schlug ja auch gründlich fehl ...

Wobei es auch nicht mein persönliches Ziel ist, irgendwie an Deutschland mitzubauen. Aber wenn die Mehrheit der deutschen Bevölkerung mal nicht mehr zwischen "keiner hat uns lieb, heul" und "wir sind die tollsten" schwanken würde, wäre wohl viel geholfen.

Dem patriotischen Taumel (national ist er m.E. noch nicht, dafür machen auch zu viele Migranten mit) eine Einheitlichkeit zu attestieren, halte ich für falsch. Ebenso zu behaupten, er richte sich gegen die USA (okay, beim Ghana-Spiel ja schon ...) oder gar gegen Israel (wieso das denn?), dazu gehört schon eine tüchtige Portion Verschwörungstheorie und "antideutscher" Denke. Aber das ist wieder ein anderes Thema.

Kongo-Otto hat gesagt…

Auch wenn' s ein anderes Thema ist, kurz am Rande: Die "Naturfreundejugend Berlin", mit der "Vorrundenaus 2006"-Kampagne sehr sympathisch aufgetreten, schoss neulich den Vogel ab, als sie einen Diskussionsabend zum Thema "Wie Deutsch ist Deutschpunk?" anbot.
Ich bin aber nicht hingegangen, denn das hätte ich echt nicht ausgehalten...