15 Juni 2006

Bin ich jetzt ein Fußballpatriot?

Noch toben die Fans auf der Straße, noch höre ich das Hupkonzert: Es ist kurz vor ein Uhr nachts. Schon interessant, daß im Jahr 2006 ein Vorrundensieg so bejubelt wird wie anno 1990 der Finalsieg.

Allerdings war es ein tolles Spiel: Die Polen haben erbittert gekämpft, die deutsche Mannschaft rannte und rackerte und ballerte ständig aufs Tor der Polen – der Sieg war verdient. Es hätte auch fünf zu null ausgehen können.

Im »V« fühlte ich mich wohl beim Fußballgucken. Nicht so viel Deutschlandgebrüll, keine Fahnen, dafür nette und kompetente Bierversorgung und eine schöne Leinwand. Was will ich mehr?

Ich bin vielleicht Fußballpatriot, aber das ganze Fahnenschwenken und »Deutschland! Deutschland!«-Gebrülle ist nicht meine Baustelle. Nach wie vor nicht. Ich bin kein Anti-Deutscher, finde die Aussagen dieser Linkssektierer meist zum Brechen – aber Patriotismus in laut geäußerter Form ist einfach nicht meins.

Haben die vielen Antifa-Demos und Aktionen doch was in meinem Hirn bewirkt ...

8 Kommentare:

Kongo-Otto hat gesagt…

Hi Klaus, ich war von Beginn der WM an nicht verbiestert gegen das deutsche Team. Ich dachte mir: wenn sie gut spielen, dann sollen sie eben so weit kommen, wie sie eben kommen.
Nach dem gestrigen Spiel und äußerst glücklichen Sieg (auch wenn nicht unverdient) hat sich meine Meinung aber geändert.
Ich bekomme einfach Brechreiz, wenn ich diese schwarz-rot-goldenen Fahnenmeere sehe, und hoffe nun, der Spuk ist bald vorbei.

Liebe Grüße

Andi.

Enpunkt hat gesagt…

Mit den schwarz-rot-goldenen Fahrenmeeren habe ich ebenfalls mein Problem, ebenfalls mit dem "Deutschland!"-Gebrüll mancher Leute - aber ich habe mich gestern trotzdem gefreut, als das entscheidende Tor fiel, und hüpfte auf und ab.

Wohlgemuth hat gesagt…

Mich hat es ein wenig genervt, weil sich doch ein paar Jungs, oder waren es schon Männer? - man kann das nie so ganz unterscheiden, wo der Junge aufhört und der Mann beginnt - vors dePrins verirrt hatten und Fahnen schwenkten und von hinten auf Bierkästen stehend (das ist praktisch, nächstes Mal mopse ich mir auch welche, dann seh ich mehr (Wir waren zu spät da, alle Sitzplätze waren bereits weg und wir mussten in der Menge stehen, aber das war nicht übel, vor uns war in der Tat ein Mitgucker, der sich öfters umwandte und frug, ob wir genügend sehen könnten, er stünde ja genau vor uns..)) "Steht auf, wenn ihr Deutsche seid" gröhlten - zur Melodie von "Go West" der Pet Shop Boys. Es ist ja fast schon wieder witzig: huschige Discomusik vereint sich mit fußballnationalem Gegröhle. Aber sie waren auch bei den anderen nicht gern gehört.
Doch oha! Der gemäßigte von ihnen tippte den exakten Endstand: In der Verlängerung schießt Neuville das 1:0 Tor. Da hatte er war auf dem Kasten, und zwar nicht nur seinen Körper.
Doch gejubelt haben wir dann schließlich alle

Anonym hat gesagt…

Wir sind schon Papst.
Wir werden Weltmeister.
GOTT MIT UNS

www.patridiot.de

Anonym hat gesagt…

Soll doch jeder machen wie er will, die einen freuen sich laut, die anderen leise, die einen beten laut, die anderen leise....
Ich seh kein Problem darin sich laut zu seinem Heimatland zu äußern. Ich hab gestern auch "Sverige, Sverige..." gerufen als endlich das 1:0 für Schweden fiel. Fahnen rumschleppen ist zwar auch nicht mein Ding, aber eher aus praktischen Gründen als aus patiotischen, ich bin eher ein Fan von Schals und Trikots. Aber solange keiner mit seiner Fahne vor meiner Nase rumwedelt ist es für mich okay. Ich war gestern in KL und hab mir die Spiele auf der Großleinwand angesehen, das war schon gut gewesen, nette Stimmung, überwiegend fröhliche Leute, tolles Wetter usw.

Enpunkt hat gesagt…

Hm. Untenstehender Text kam am gestrigen Freitag bei mir an:

»Am Freitag, den 9. Juni kam es während einer Live-Übertragung des
Fußball-Länderspiels in Weinheim zu einem Übergriff von Nazis auf linke Jugendliche. Dabei wurde einem Antifaschisten zuerst eine Bierflasche auf dem Kopf zertrümmert, einem anderen wurde die abgebrochene Flasche dann in den Hals gestochen. Nur durch Glück überlebte der Antifaschist!

Beim nächsten Deutschlandspiel bekamen Weinheimer "linke und alternative Jugendliche" schon
vorab Stadtverbote.

Am Abend fand, unabhängig vom Fußballländerspiel, eine Informationsveranstaltung über Nazi-Strukturen im Café Central statt. Die Polizei kam mit 40 BeamtInnen zum Café und umstellte das Gebäude.

Nachdem ihnen untersagt wurde hereinzukommen, stürmten sie das Gebäude, kontrollierten und durchsuchten die anwesenden BesucherInnen und erteilten
Stadtverbote für die Innenstadt.«

Soweit der Text, der mir über einen korrekten Info-Verteiler zugeschickt wurde, den ich aber nicht auf journalistische Exaktheit überprüft habe. Das ist selbstverständlich nicht das, was ich in dezenter Eigenironie als »Fußball-Patriotismus« bezeichne.

Anonym hat gesagt…

ich will nicht wirklich wissen von wo du deine Pressetexte beziehst. Ehrlich nicht. Was ich jetzt aber verstehe ist, warum die Cheerleader aus Weinheim in Kaiserslautern im Programm stehen, sie sind AFAIK schon deutsche Meister gewesen, aber nach KL kommen sie scheinbar weil Baden einfach ein schreckliches Pflaster sind, WALDHOF sei dank ;)

Anonym hat gesagt…

Hallo Klaus,

ich wollte Dir eigentlich schon laengst mal schreiben, schliesslich
haben wir uns eine ganze Weile nicht mehr gesehen und auch nichts mehr
voneinander gehoert. Und schliesslich besuche ich in mehr oder weniger
regelmaessigen Abstaenden Deinen Blog, weil ich mich Deine Meinung
schon immer interessiert hat und ich mich freue, Deine Meinung zu
aktuellen Themen immernoch erfahren zu koennen. Auch auf die Gefahr
hin, Dich vielleicht mit einigen Bemerkungen zum Thema
"Fussballpatriotismus" "zum Brechen" zu bringen, fasse ich mir heute
mal ein Herz und schreibe Dir einen Kommentar zu Deinem letzten Blog-
EIntrag "Bin ich jetzt ein Fußballpatriot?". Vorweg moechte ich aber
betonen, dass meine (zugegeben: linkslastige) Sekte nur ein Mitglied
besitzt, naehmlich mich (Guru und Juenger in einem).



Mir ist in Deinem letzten Blog-Eintrag ein Begriff aufgefallen und es
waere nur hoeflich von mir, Dich erstmal zu fragen, was Du ueberhaupt
mit "Fussballpatriotismus" meinst, bevor ich Dir dazu einen Kommentar
schreibe. Ich hoffe, Du verzeihst mir meine Rast- und Ruhelosigkeit,
aber ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen, und dass, obwohl das
Gehupe durch das offene Fenster recht weit entfernt und somit noch
recht ertraeglich war. Was mich allerdings ziemlich am Einschlafen
gehindert hat, waren ein paar halbgrosse Kinder, die gegen Mitternacht
noch laut "Deutschland" rufend die Strasse vor meinem Fenster entlang
gezogen sind. Es waren ja wirklich nicht die paar Teenager, die mir den
Schlaf geraubt haben, sondern die Gewissheit, dass (und ich glaube, ich
uebertreibe nicht) letzte Nacht ein paar Millionen laut "Deutschland"
rufend durch die Strassen gezogen sind. Allein hier in Konstanz sind
gestern Abend hunderte zu den Public View Areas gezogen. Als ich gegen
halb neun vor der Kasse einer solchen Veranstaltung stand, hat die
Security schon niemanden mehr reingelassen.


Der Begriff "Fussballpatriotismus" begegnet mir dieser Tage immer
wieder in der Form, dass Freunde, Mitbewohner, Arbeitskollegen mir
wohlmeinend auf die Schulter klopfen und beschwichtigend: "Lieber
Markus, jetzt reg' Dich mal nicht so auf, es ist ja nur Fussball."
hinzufuegen. Wenn es nur Fussball waere, entgegne ich dann, koennte man
die Fahnen ja wieder einrollen, sich die Farbe vom Gesicht waschen und
sich einfach ein paar schoene Fussballspiele anschauen. Ich gebe es
offen zu: ich bin ja auch Fussballfan (allerdings von keiner
Mannschaft) und schaue mir leidenschaftlich gerne ein gutes Fussball-
spiel an. Heute Vormittag gab mir mein Mitbewohner, der mir eher
skeptisch als wohlmeinend gesonnen ist, seine Definition von
"Fussballpatriotismus". Er klopfte mir dabei nicht auf die Schulter,
sondern meinte, dass er es "arm" faende, wenn man in Deutschland
geboren ist und nicht Fan der deutschen Nationalmannschaft ist.


Meine erste Erfahrung mit Fussball- oder besser gesagt: mit
Lokalpatriotismus, war eine Tracht Pruegel, die ich als Kind in Bremen
bezogen habe, weil ich mit den Kindern vor dem Wohnblock, in dem meine
Oma wohnte, Fussball spielen wollte, aber nicht daran gedacht hatte,
meine VfB-Schweissbaender besser in der Wohnung zu lassen. Als die
Ferien vorbei waren, habe ich dann abermals als fisch-gelaeuterter
Werder-Fan eine Tracht Pruegel von meinen Freudenstaedter Mitschuelern
bezogen. Ob lokal oder national, ob mit Worten oder mit Gewalt,
das Prinzip ist doch immer das gleiche: Wenn du nicht mit uns bist,
bist du gegen uns. Und neuerdings werde ich von meinen Mitmenschen
schon schraeg angeschaut, wenn ich sage, dass ich kein Patriot bin.


Ein anderer Begriff, der mir dieser Tage die Ruhe raubt, ist der sog.
"positive" oder "weltoffene" Patriotismus. Meiner Meinung nach gibt es
keinen positiven Patriotismus, weil die Aufteilung der Menschen in
einzelne Nationen und Voelker, die Menschen eher trennt als vereint,
eher Krieg als Frieden bringt. Auslaendische WM-Besucher werden sich
bestimmt, solange sie Geld ins Land bringen, ueber die deutsche Gast-
freundlichkeit und Weltoffenheit freuen, aber als "weltoffen" moechte
ich dieses Land trotzdem nicht bezeichnen. Vor allem, wenn ich an die
Probleme denke, die Auslaender haben, die kein Geld ins Land bringen
und sich dann auch noch entschliessen, in Deutschland zu bleiben.
Oder wenn ich daran denke, wie deutsche Grenzpolizisten mit Menschen
ohne gueltige Aufenthaltsgenehmigung tagtaeglich verfahren. Mit der
Toleranz ist es hierzulande schnell vorbei, wenn es um eine Wohnung,
den Arbeitsplatz oder um die eigene Tochter geht. Das ist dann der
alltaegliche "Negative Patriotismus", von dem nur selten berichtet
wird.


Gestern beim Deutschlandspiel in der Halbzeitpause, antworteten zwei
junge Frauen vor laufender Kamera auf die Frage, warum sie sich als
modebewusste Damen, gerade einen schwarzrotgoldenen Schal gekauft
haben, treffsicher: "Weil es eben gerade Mode ist." Darueber konnte
ich durchaus noch schmunzeln, obwohl sich hier auf anschauliche Art
und Weise Mitlaeufertum und Patriotismus die Haende reichen. Das Lachen
ist mir waehrend der nachsten Frage allerdings im Halse stecken
geblieben, als ein junger Mann auf die Frage, was er an der derzeitigen
Stimmung in Deutschland gut finde, antwortete: "... weil man wieder
stolz sein darf, ein Deutscher zu sein." War das nicht vor einiger Zeit
noch eine typische Neonazi-Parole? Ist das jetzt schon Allgemeingut
geworden? Hier mischen sich auf unselige Art und Weise der alte
Patriotismus und die Pop-Kultur. Die Amerikaner haben uns gezeigt, auf
welch erfolgreiche Art und Weise man Patriotismus und Angst vermischen
kann, waehrend ich den Iran als gutes Beispiel fuer die Vermischung von
Patriotismus und Religion und (Berlusconi-)Italien als Paradebeispiel
fuer die Vermischung von Patriotismus und Kapitalismus bezeichnen
wuerde.


So wie ich das sehe, wird die WM vorbeigehen, die Fahnen werden wieder
eingerollt und die schwarzrotgelbe Schminke wird wieder abgewaschen
werden, aber der Patriotismus in den Koepfen wird nach wie vor bleiben.
Und leider in einigen Koepfen mehr als noch vor ein paar Wochen. Es
erschreckt mich, wie offen, wie berauscht der Patriotismus sich in
diesen Tagen zeigt. Und wie attraktiv er, gerade fuer junge Menschen,
ist. Bis vor einigen Jahren waren eigentlich nur die Neonazis "mutig"
genug, ihren Patriotismus offen zur Schau zu stellen.


Fast ist es mir peinlich, Dir soviel zu diesem Thema geschrieben zu
haben. Aber Deine Frage: "Bin ich jetzt ein Fußballpatriot?" hat mich
provoziert. Jedenfalls wollte ich mich nicht als linker Sektierer
aufspielen, Jetzt, da ich ein paar Stunden an dieser langen mail
gesessen bin, waere es mir fast lieber, ich haette mehr ueber mich
geschrieben als ueber Deutschland, und ich haette Dich zwischendurch
mal gefragt, wie es Dir so geht, was Du so machst. Wenn Du willst,
koennen wir das ja noch nachholen. Bis dahin, wuensche ich uns ein
paar gute und spannende Fussballspiele.


Curry