28 Februar 2023

Einmal auf dem Kopf

Mir war innerhalb kurzer Zeit ein wenig schwindlig, fast übel, und damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hielt mich in der Installation »Das Haus steht Kopf« auf, dachte anfangs, das sei ja nur etwas für Kinder, und war verblüfft, welche Wirkung das Ganze auf meinen Organismus hatte.

Das Gebäude steht am Ufer des Bostalsees, eines künstlichen Gewässers im nördlichen Saarland. Man spaziert ein wenig durch den Wald, dann erreicht man das Haus. In der Nähe befinden sich ein Hotel und ein Center Park, normalerweise herrscht hier also touristischer Hochbetrieb. Als ich mich dort aufhielt, war das Wetter eher nass und kalt; außer uns war niemand in dem Gebäude.

Es ist eigentlich ganz einfach. Man hat 2022 dieses Haus an den See gestellt; es steht nicht nur auf dem Kopf, sondern auch noch schief in der Landschaft. Und schon auf der Treppe, die man im Innern des Hauses hochsteigt – eigntlich geht es ja hinunter ins Erdgeschoss –, geht einem die Kontrolle verloren.

Ich stand in einem Wohnzimmer, bei dem die Möbel halt an der Decke hingen und ich quasi die Welt auf dem Kopf sah. Das war nicht das Problem – ich stand auf einer schiefen Ebene, und rings um mich herum war alles verdreht. Beim Blick durch die Fenster war selbst die im Nebel liegende Hügellandschaft schräg gestellt.

Vor allem Familien mit Kindern dürften in dem Haus viel Freude haben. Man kann sich quasi kopfüber in einer Waschmaschine fotografieren lassen – hinterher einfach das Foto umdrehen, und fertig ist der Witz –, man kann an einer Kletterwand tätig werden, und man ist mit allem sehr schnell fertig.

Mir war auch hinterher noch in einem Maß schwindlig, das mich selbst verwunderte. Ich brauchte einige Minuten, um auf »festem Boden« wieder völlig klarzukommen. Das empfand ich als eine verwirrende Selbsterkenntnis ...

Turbulent nach Mexiko

Es gibt durchaus Gründe, die Comic-Serie »Ekhö Spiegelwelt« zu kritisieren: Sie ist ein wenig oberflächlich, sie lebt von Klischees, und sie ist – wenn man auch nur ein bisschen drüber nachdenkt – alles andere als logisch. Aber das ist mir egal: Ich finde die Serie super und bejuble jedes neue Album.

Zuletzt las ich den elften Band der Serie, der den Titel »Hot Tabaaasco!« trägt und die zwei Helden nach Mexiko führt. Mexiko ist in dieser Spiegelwelt nicht so weit von unserem Universum entfernt, wie man vermuten könnte. Sitten und Gebräuche entsprechen den Klischees, die unsereins zu Mexiko im Kopf hat; es wird scharf gegessen und knallig gefeiert, es gibt Schießereien und skurrile Umzüge.

Gleichzeitig aber werden Flugdrachen als Flugzeuge eingesetzt, die putzigen Preshauns kontrollieren die ganze Welt, und es gibt höchst obskure Geheimnisse. Eine Comic-Handlung voller Chaos, Action und Turbulenzen ist da zu erwarten, und genau das bekomme ich als Leser serviert.

Christophe Arleston schreibt die Geschichte, die von den witzigen Charakteren und den schnellen Dialogen lebt. Die Bilder stammen von Alessandro Barbucci, der gern mal viel nackte Haut zeigt, vor allem aber sichtlich Freude daran hat, die schräge Spiegelwelt mit all ihren Begleiterscheinungen optisch auszugestalten. Wunderbar, wieder einmal!

Ich habe mich beim elften Band der Serie genauso amüsiert wie bei den früheren Bänden. Leichte Comic-Unterhaltung mit allerlei Klischees und ohne politische Korrektheit – ab und zu muss so etwas sein.

27 Februar 2023

Der FreuCon III vor vierzig Jahren

Hätte mich Hermann Ritter dieser Tage nicht daran erinnert, wäre mir das Jubiläum durchgerutscht: Heute vor genau vierzig Jahren ging der FreuCon III zu Ende. Der dritte Con, den ich in Freudenstadt organisierte, fand in meiner ehemaligen Schule statt, dem Kepler-Gymnasium, und es ist tatsächlich wahr, dass die Schule kurz nach dem Con abgerissen wurde – allerdings waren wir nicht schuld.

Vom 25. zum 27. Februar 1983 nutzte wir den obersten Stock der ehemaligen Schule das offizielle Con-Gebäude. Uns standen mehrere Klassenzimmer zur Verfügung, eines davon hatte ich selbst genutzt, dazu der Flur und die Aula, in der früher der Musik-Unterricht stattgefunden hatte. Wie viele Besucher sich einfanden, ist nicht mehr ganz klar: irgendwas zwischen 100 und 200 Leuten. Es wurden nicht so viele, wie ich erhofft hatte, aber es waren auch nicht so wenige wie bei vorherigen Cons in Freudenstadt.

Bei den Vorbereitungen hatte mich Udo Popp stark unterstützt. Er hatte die Infoblätter gestaltet und wollte aktiv am Programm mitwirken. Leider starb er wenige Wochen zuvor ganz plötzlich. Das schockierte mich damals sehr.

An seiner Stelle platzierte sich ein junger Fan aus Darmstadt in der Organisation: Hermann Ritter kümmerte sich nicht nur darum, dass Stühle transportiert wurden – ein Schwank, den er seitdem Jahr für Jahr erzählte –, sondern war auch für die Kasse verantwortlich.

Je länger ich über den FreuCon III nachdenke, desto mehr fällt mir ein. Unglaublich, dass diese Ereignisse schon vierzig Jahre her sein sollen!

18 Februar 2023

Super-unterhaltsame SF-Serie

Ich kenne mich mit Fernsehserien nicht aus und habe die wichtigsten Serien der vergangenen Jahrzehnte allesamt nicht gesehen. Das hat unterschiedliche Gründe, die ich an dieser Stelle nicht darlegen will. Ich bin ein Gelegenheitsgucker, und das muss genügen.

Bei »Peripherie« – so heißt die Serie »The Peripheral« in deutscher Sprache – war ich aber von Anfang an dabei und sah sie mir auch komplett an. Nicht gleich zu Beginn, sondern deutlich später, aber immerhin. Die Serie ist bei Prime zu sehen, was heißt, dass sie nicht jeder Mensch mitbekommen kann.

Es geht, um es ganz grob zu sagen, um eine Gruppe von jungen Menschen, die im Jahr 2032 in den USA leben – nach einem Bürgerkrieg in Texas, wie es aussieht – und in Verbindung zum London des beginnenden 22. Jahrhunderts gebracht werden. Das geschieht nicht unbedingt mithilfe einer klassischen Zeitreise, sondern mithilfe eines technischen Geräts und Klonen in der Zukunft.

Die Details muss ich an dieser Stelle nicht wiedergeben, die kann man sich ja auch bei der Wikipedia oder sonstwo durchlesen. Basis für die Story ist ein Roman von William Gibson, von dem ich Verlauf der Jahrzehnte den einen oder anderen Science-Fiction-Roman lesen konnte.

Alles in allem fand ich die Story sehr spannend; die Schauspieler sind überzeugend, die Action ist knallig, die Figuren handelnl klar und nachvollziehbar, und es gibt wenige Charaktere, die »sauber« sind. Viele handeln aus Not und Zwängen, und nur der weiblichen Hauptfigur nimmt man ab, dass sie altruistische Motive hat. Toll gemacht!

17 Februar 2023

Im Haus des Schreckens

Bekanntlich sind in London die Mieten so gut wie unbezahlbar. Da freut es eine junge Studentin, wenn sie in einem schicken Viertel ein Zimmer bekommt, das unglaublich preiswert ist. Natürlich gibt es eine Klausel: Der Dachboden darf auf gar keinen Fall betreten werden.

Was aber passiert, wenn die Studentin trotzdem die Stufen hinaufsteigt? Na logo: Sie trifft auf schwarze Kerzen und ein Monster.

Das ist dann der Punkt, an dem aus einer Geschichte, die ebenso ins Genre der Popliteratur hineinspielen könnte, ruckzuck ein Horror-Stoff wird. Ideal für John Sinclair, den tapferen Geisterjäger! Aus der Reihe »Sinclair Classics« hörte ich zuletzt die Folge »Im Haus des Schreckens«, die Folge 48 dieser Reihe.

In der Produktion von Dennis Ehrhardt und seinem Team wird wieder einmal aus einem alten Heftroman ein vergleichsweise spannendes Hörspiel: Man weiß, dass Sinclair selbst überlebt, hofft aber darauf, dass auch die Nebenfiguren die rasante Handlung überleben.

Knallige Dialoge und teilweise krasse Geräusche tragen dazu bei, dass die Geschichte spannend bleibt. (Schöner Effekt, wenn Sinclair und seine Kollegin sich mithilfe von Mikros unterhalten; die Stimmen werden je nach Erzählperspektive unterschiedlich eingeblendet.)

Es gibt einige eklige Geräusche, die echten Grusel-Fans sicher gefallen werden, und einen packenden Showdown. Das ist echt gut gemacht und gefiel mir wieder einmal sehr gut.

16 Februar 2023

SNFU waren 1986 super

Ich habe die kanadische Band SNFU dreimal gesehen: zweimal in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren in irgendwelchen Jugendhäusern in Süddeutschland – Herrenberg! – und in den Zehner-Jahren in der »Alten Hackerei« in Karlsruhe. Während die Kanadier früher mit einer beeindruckenden Show mit wilden Sprüngen überzeugten, fand ich sie beim Konzert in Karlsruhe eher lahm. Der Sänger ist mittlerweile auch schon gestorben.

Da hilft es, die Erinnerungen dadurch aufzufrischen, dass man eine der alten Platten neu anhört. In diesem Fall fischte ich die »If You Swear, You'll Catch No Fish« aus dem Regal, die 1986 als zweite Platte der Band veröffentlicht wurde; ich vermute mal, dass der kryptische Plattentitel etwas von diesem typisch-kanadischen Humor ausstrahlt. (Fische ziehen sich übrigens durch die ganze Plattengestaltung.)

Was man da auf die Ohren kriegt, ist melodischer, schneller und immer augenzwinkernder Hardcore-Punk, wie man ihn um diese Zeit spielte. Es sind nicht unbedingt die Hits mit Ohrwurm-Charakter, die man gleich mitsingen kann, aber es sind Stücke, die dank der charakteristischen Stimme des Sängers gut ins Ohr gehen und mir auch heute noch gefallen.

Zwischendurch wird mal die Geschwindigkeit gewechselt, wird auch mal hemmungslos drauflos geprügelt, meist schrammelt man aber in durchschnittlichen Tempo durch die Stücke. Und textlich bleibt man auf der sicheren Seite: keine Polit-Parolen, eher Blicke in ein skurril anmutendes Leben. Coole Sache, das – das kann man sich immer noch mit viel Genuss anhören.

15 Februar 2023

Der Wattpad-Star aus Frankreich

Ich bin immer wieder verblüfft, wenn ich mitbekomme, wie wenig »Menschen »über dreißig« von Wattpad bislang gehört haben. Dabei hat diese Plattform, auf der sich Hunderttausende, ja, sogar Millionen von schreibenden und lesenden Menschen tummeln, einen riesigen Aufschwung hingelegt und fasziniert immer mehr Leute.

Wie das gehen kann, beweist die Autorin Sarah Rivens. Sie hat sich innerhalb kürzester mit ihrer Serie »Captive« richtig viele Fans »erschrieben«. Dabei handelt es sich um eine »Dark Romance« in französischer Sprache, die irgendwie im Mafia-Milieu spielt und über die ich inhaltlich nicht mehr weiß als das, was man sich im Internet angucken kann. Ich bin definitiv nicht die Zielgruppe, würde ich sagen.

Fakt ist: Den vielen Leserinnen und Lesern auf Wattpad folgten irgendwann die »seriösen« Verlage. Anfang 2022 kam bei Hachette in Frankreich ein »E-Only« heraus, also ein Roman, den es nur als E-Book gab, im Sommer folgte die gedruckte Version – weil die Nachfrage so groß war –, und im November erschien ein neuer Roman, der sich innerhalb kürzester Zeit 200.000mal verkaufte.

Mit dem neuesten Buch – die Autorin schreibt offenbar mit einem ungeheuren Tempo – hat sich Sarah Rivns dann gleich mal auf den ersten Platz der französischen Bestsellerliste gesetzt. Und nun? Es lohnt sich offenbar, bei Wattpad nach neuen Autorinnen und Autoren Ausschau zu halten ...

Band null der »Maigret«-Reihe

Es gibt Bücher, bei denen ist der Hintergrund fast spannender als der eigentliche Inhalt. Ich lese gerne die Nachworte und weitergehenden Informationen zu einem Buch – und bei »Maigret im Haus der Unruhe« fand ich das absolut notwendig. Bei diesem Werk handelt es sich um den »nullten« Band der erfolgreichen »Maigret«-Serie, und ich las ihn dieser Tage endlich einmal.

Bisher glaubte ich – wie viele andere Fans des klassischen Kommissars –, dass die Reihe mit dem ersten Band der offiziellen Gesamtausgabe begonnen hatte: »Maigret und Pietr der Lette« gilt als ebendieser Band eins. Georges Simenon hat das auch jahrelang selbst erzählt. Wie sich aber herausstellte, sind viele der Geschichten, die der Autor über die Anfänge seines größten literarischen Erfolgs erzählte, schlicht erfunden und falsch.

Ich will nicht zu sehr in die Details gehen. Wer mehr über diese Hintergründe wissen will, kann sich ja einfach das Nachwort des genannten Romans lesen oder sich in die Wikipedia vertiefen, die dazu einiges zu sagen hat. Der eigentliche Roman steht ohnehin für sich und ist – wenn man bedenkt, dass es sich um ein Frühwerk des Autors handelt – sehr unterhaltsam.

Eine junge Frau taucht in der Nacht im Kommissariat auf, gesteht einen Mord und verschwindet dann wieder spurlos. Was sich zuerst wie ein Rätsel anhört, wird schnell klarer, als ein Mord in einem Vorort von Paris gemeldet wird.

Maigret nimmt an, dass die beiden Ereignisse zusammenhängen, auch wenn er nicht gleich erkennen kann, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Er beginnt mit seinen Nachforschungen in einem Mehrfamilienhaus, in dem es familiäre Konflikte und nicht klare Beziehungen gibt …

Simenon schildert in diesem Roman schon sehr klar, wie Maigret ermittelt und was er tut. Es ist ein typischer Maigret-Roman, auch wenn er einige Zeit vor dem offiziellen ersten Roman verfasst wurde. Der Autor liefert nebenbei eine Milieu-Studie über kleinbürgerliche Familien in der Zwischenkriegszeit. Das ist noch nicht so meisterhaft wie in späteren Werken, aber schon richtig gelungen.

Der Roman ist eine Pflichtlektüre für alle Fans der Maigret-Reihe. Aber auch darüber hinaus finde ich ihn lesenswert.

14 Februar 2023

Der Kaiser von Karlsruhe

Auch wenn Menschen, die in echten Großstädten wohnen, vielleicht darüber schmunzeln, wenn ich Karlsruhe als eine große Stadt bezeichne, finde ich den Begriff schon zutreffend: einige hunderttausend Leute auf recht engem Raum – das sind alle Definitionen einer Großstadt. Und manchmal, wenn ich am späten Abend oder in der Nacht mit dem Rad durch die Straßen rolle, habe ich sogar das Gefühl, in einer fremden Stadt zu sein, die immer wieder neue Seiten zeigt.

Immer aber ist der Kaiser präsent. Zeitweise musste er der Baustelle weichen, seit einiger Zeit wird er nun wieder auf seinem Ross gezeigt. Er steht auf dem Kaiserplatz – wo auch sonst –, der gewissermaßen die Grenze von der Innen- zur Weststadt markiert. Es vergeht praktisch kein Tag, an dem ich nicht an ihm vorbeikomme: zu Fuß, mit dem Auto oder mit dem Rad, gelegentlich sogar mit der Straßenbahn.

Meist nehme ich ihn nicht wahr: ein altes Standbild halt, ein trutziges Gebilde, das vor allem an die Niederschlagung einer Revolution erinnert. Manchmal aber bietet der Kaiser einen geradezu schönen Anblick ...

Spannender Thriller aus der nächsten Zukunft

Bereits zu Beginn des Jahres 2022 veröffentlichte Andreas Brandhorst seinen aktuellen Thriller, der in der nahen Zukunft spielt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine war damals nur eine theoretische Überlegung, was zu einigen bereits überholten Aussagen führt – so spielt beispielsweise Wladimir Putin in diesem Roman eine kleine Nebenrolle, woraus man ablesen kann, wie viele Jahre er in der Zukunft angesiedelt ist.

Doch der Reihe nach: Brandhorst setzt in »Das Bitcoin-Komplott« – so der durchaus plakative Titel – eine Gruppe von schwerreichen Investoren in Szene. Ihr Ziel ist, die Weltwirtschaft zu attackieren, um weltweite Krisen auszulösen. Am Ende der Krisen, so hoffen sie, könnte mit dem Bitcoin eine neue Leitwährung entstehen. Die hätte den Vorteil, dass sie nicht von den Entscheidungen der Notenbank abhängig ist. Der Bitcoin nämlich, so die Logik der Investoren, sei eine unabhängige und freie Währung, die das Weltwirtschaftssystem besser stabilisieren könnte als Staaten, die ständig neue Schulden anhäufen.

Von der abstrakten auf die persönliche Ebene: Ein Journalist recherchiert den Hinterlassenschaften seines Vaters hinterher. Dieser hat ebenfalls mit Bitcoins gehandelt und ist damit reich geworden. Viel weiß er nicht über ihn, doch andere Menschen scheinen ihn als wichtig einzustufen – und setzen sich auf die Spur des Journalisten.

Ohne dass er kapiert, wie alles so schnell geschieht, ist der Journalist in einem tödlichen Wirrwarr gefangen. Man glaubt, er verfüge seinerseits über Kenntnisse, mit denen man die Weltwirtschaft verändern kann. Und während der Journalist versucht, am Leben zu bleiben und weitere Informationen zu erlangen, erfährt er immer mehr über das Netz, das die Investoren über die ganze Welt gespannt haben …

Geschickt gelingt es dem Autor, der zu dem Thema gründlich recherchiert hat, die Geschichte und die Hintergründe zu den Bitcoins und anderen Kryptowährungen in einen spannenden Thriller zu packen. Eine persönliche Wertung lässt er im Verlauf des Romans weg, diese fügt er erst im Nachwort hinzu. So kann der Leser sich eine eigene Meinung bilden oder – wenn er oder sie möchte – sich schlichtweg von der Verfolgungsjagd faszinieren lassen.

Brandhorst schafft es, seine Leser über die gesamte Länge des Romans zu packen. Man folgt bereitwillig den Intrigen und der Action, man nimmt interessiert die Erläuterungen zur Kenntnis, und man ist am Ende natürlich froh über den Ausgang. Ganz nebenbei hat man noch etwas über Kryptowährungen gelernt.

Wer sich für spekulative Ausblicke in eine ganz nahe und durchaus mögliche Zukunft interessiert, für den ist »Das Bitcoin-Komplott« eine spannende Lektüre: ein moderner Thriller, der ein vorhandenes Konzept in eine nahe Zukunft weiter entwickelt und mit einer mitreißenden Handlung verbindet. Grundkenntnisse im Finanzwesen benötigt man für die Lektüre übrigens keine.

(Die Rezension erschien bereits Ende Januar auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie. Ich teile sie aus Gründen der Dokumentation.)

13 Februar 2023

Sie trommelten für irgendwas

Die Leute, die am Samstagmittag unter wuchtigem Trommelwirbel durch die Innenstadt von Karlsruhe zogen, waren ein echt bunt gemischter Haufen: weiße, mittelalte Bürger, die meisten eher normal aussehend, einige Ökos, einige Rechtskonservative. Vorne weg liefen Leute mit einem Transparenz, auf für Frieden geworben wurde, dazwischen kam die Trommlertruppe, die ich schon von mehreren Umzügen der Coronaleugner her kannte.

Eigentlich waren die Slogans eindeutig: »Frieden schaffen – ohne Waffen!« wurde skandiert. Unter diesem Slogan war auch ich in den frühen 80er-Jahren auf die Straße gegangen; damals gegen die Aufrüstung durch Atomraketen. Doch mit den Demonstranten von damals hatte diese Demonstration nichts zu tun.

»Frieden mit Russland« wurde gefordert, die Freiheit für den inhaftierten Coronaleugner Michael Ballweg ebenfalls. Die meisten Leute trugen keine Transparente, einige kamen mir von den Umzügen der Coronaleugner und des »Widerstands« Karlsruhe bekannt vor.

Die Kundgebung sah ich mir nicht an, mir genügte der Zug der 400 Leute – so schätzte ich –, der sich über die Kaiserstraße bewegte. Konkrete Aussagen bekam ich auch also keine mit. Aber ich vermutete schwer, dass mich der übliche Mix aus Unsinn und Verschwörungstheorien nicht weiter schockiert hätte ...

Punkrock zwischen Sarkasmus und Melancholie

Moloch
sind eine Band aus Berlin, die seit Anfang der Zehnerjahre zusammenspielt. Mit ihrer Platte »Nur Motten nennen es Licht« legte sie Ende 2022 einen Tonträger vor, der mir von Mal zu Mal besser gefällt. Wer mag, kann für die Band diverse Schubladen finden; für mich ist es Deutschpunk, wie man ihn zu Beginn der 80er-Jahre erfunden hat, natürlich moderner gespielt und mit den Inhalten von heute.

Die Bandmitglieder haben in ihrer Laufbahn sicher viel EA 80 gehört; die Einflüsse dieser Band kann man feststellen. Die Musik ist intensiv, und das ist nichts, was gleich ins Ohr geht oder wozu man fröhlichen Pogo tanzen kann. Der Sound ist punkig genug, aber nicht rasend schnell; die Instrumentierung ist klassisch und geht keine Kompromisse ein. Wer sich stärker auf die Musik konzentriert, merkt schnell, dass die Stücke viel Abwechslung bieten, mal flotter, mal zäher sind, aber insgesamt einen treibenden Sound vermitteln.

Textlich muss man sich eh ein wenig stärker einlassen. Die Zeilen sind kurz, die Reime manchmal nur angerissen. Es geht um die persönliche Sicht auf die Dinge, es gibt keine politischen Parolen – aber man ist politisch schon klar unterwegs.

Auf Gejammer wird ebenfalls verzichtet, eine tüchtige Emo-Kante kann man der Band dennoch nicht absprechen. Das ist mal sarkastisch, mal eher melancholisch, manchmal klingt es fast depressiv.

Manche Texte sind kryptisch, dafür bräuchte man sicher eine Erklärung, sie zeigen aber, dass es sich die Band nicht leicht macht: »Der Schmerz setzt ein, lang bevor’s passiert / ich bleib allein, da es auch dich nicht interessiert / dieser Käfig nicht aus Gold« heißt es im Stück »Käfighaltung«, das am Ende mit der lakonischen Aussage »jeder verliert, verliert, verliert« endet.

Moloch ist weit entfernt vom klassischen Schunkelpunk. Wer nachdenkliche Texte mag, die krachig vermittelt werden, ist hier richtig. (Ich habe die Vinylscheibe, die ist bei Elfernart erschienen; es gibt aber auch digitale Versionen.)

10 Februar 2023

Stimmungsvolle Mond-Science-Fiction

Der Mond ist ein seltsamer Lebensraum. Menschen reiten über seine Oberfläche, eigentümliche Lebewesen bewegen sich durch seine Krater. Sie schimmern in einem seltsamen Weiß, sie wirken auf ihre Art ätherisch, sie springen und schweben, sie laufen und rennen, und immer wieder erinnern sie in ihrem Aussehen an Wesen, die man von der Erde her kennt.

Mit seinem Comic »Selenie« ist Fabrice Lebeault eine ungewöhnliche Science-Fiction-Geschichte gelungen. Der Zeichner und Autor präsentiert einen Mond, wie man ihn noch nie gesehen hat. Zwar leben die Menschen unter einer Kuppel, die sie offenbar mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff versorgt, aber sie können sich jederzeit auf der Oberfläche bewegen. Wie das alles zusammenhängt, versteht der Leser erst am Ende – dann kapiert er auch, wie die erzählerische Klammer des Comics funktioniert.

(Um es vorwegzunehmen: Die Auflösung der Rahmenhandlung fand ich ein wenig enttäuschend. Die Szenen auf dem Mond allerdings mochte ich sehr, sie sind originell und eigenständig, eine Science Fiction ohne jeglichen ernsthaften »Science«-Hintergrund, mehr Träumerei als ernsthafter Versuch, wissenschaftlich fundiert zu beschreiben.)

Lebeault erzählt seine Geschichte mit großer Freude am Detail. In der Kuppelstadt der Menschen scheint es Konflikte zwischen einzelnen Machtgruppen zu geben. Man wartet auf Kontakte zur Erde, und man unterhält seltsame Beziehungen zu Mondbewohnern, die auch als Hilfskräfte für die Menschen arbeiten. Ein fremdartig wirkender Roboter spielt eine sehr merkwürdige Rolle.

Das alles verdichtet sich zu einem Gewirr unterschiedlichster Themen und Probleme, bei denen der Leser lange im Unklaren darüber bleibt, was eigentlich gespielt wird.

Der Autor zeichnet auch die Bildwelten seines Comics, für die gelungene Farbgebung ist dann Greg Lofé zuständig. Die Zeichnungen sind eher realistisch, sogar die Lebewesen auf dem Mond wirken nicht wie in einem »Funny«. Trotzdem orientieren sich die einzelnen Bilder eher am klassischen Stil der Ligne Claire und nicht an einem frankobelgischen Abenteuer-Comic.

Die sanfte Farbgebung lässt sogar eine Erinnerung an Comic-Klassiker wie »Tim & Struppi« zu. Sie scheint kaum zum Charakter eines Science-Fiction-Abenteuers zu passen.

»Selenie« ist ein ungewöhnlicher Comic, der vor allem durch seine Bildwelten fasziniert, bei dem die Geschichte aber ebenfalls fesselt. Erschienen ist er als 72 Seiten starker Hardcover-Band im Splitter-Verlag, er kostet 18,00 Euro.

(Erschienen ist diese Rezension noch im Januar 2023 auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie. Hier nur zur Dokumentation noch einmal geteilt.)

Von der Orientierung zu den Treibhausgasen

Ein spannendes Wissenschaftsmagazin, das ich immer von vorne bis hinten durchlese – und zwar jede Seite –, wird von der Max-Planck-Gesellschaft herausgegeben. Die Themen sind vielseitig, die Texte sind sehr gut geschrieben, und so ist das Magazin »Max Planck Forschung« eine gelungene Ergänzung zu »bild der wissenschaft«. Die für mich aktuelle Ausgabe 4/2022 belegt das sehr gut.

Ein Schwerpunkt sind Sinneswahrnehmungen. Staunend las ich von den neuen technischen Möglichkeiten, Hörhilfen mithilfe von Licht zu verbessern. Interessant fand ich, wie bei unterschiedlichen Kulturen Musik wahrgenommen wird. Und auch nach der Lektüre bin ich von den Fähigkeiten der Graumulle verblüfft, einen Magnetsinn einzusetzen.

Ich fand vor allem zwei Beiträge spannend, die sich beide mit dem Thema Energie beschäftigen. Sie liefern wissenschaftliche Grundlagen, die ich für sinnvoll halte.

Der eine kommt von der Chemie: Kohlendioxid wird in der aktuellen Diskussion wegen der drohenden Klimakatastrophe vor allem als Problem wahrgenommen. Wie wäre es aber, wenn man das Molekül stärker als Rohstoff nutzen würde, als Ausgangsstoff für weitere chemische Prozesse? Spannend, an was da derzeit geforscht wird!

Der andere kommt von der Physik: Wie weit ist derzeit die Entwicklung der Kernfusion? Und welche Hürden sind noch zu nehmen, bis diese Technik wirklich sinnvoll zu nutzen ist und sie nicht nur als theoretisches Konstrukt von ahnungslosen Politikern in die Diskussion geschoben wird?

Das 76 Seiten starke Heft lohnt sich auf jeden Fall. Zumindest für Leute, die sich für Wissenschaft im weitesten Sinn interessieren. Zu beziehen ist es bei der Max-Planck-Gesellschaft. Wo sonst?

09 Februar 2023

Ein Preis für die fünfte Klasse

Es war ein unheimlicher Besuch für mich: Im Sommer 1975 stand ich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Buchhandlung. Meine Mutter begleitete mich, die an diesem Tag sicher auh zum ersten Mal in einer Buchhandlung war. Der Grund war: Ich hatte einen Preis gewonnen, weil ich – irgendwie – in der fünften Klasse ein guter Schüler gewesen war. Also gab es einen Gutschen über zwanzig Mark, der sinnvollerweise in ein Buch investiert werden sollte.

Ich war schlichtweg überfordert. Zwar kannte ich schon die örtliche Bibliothek in Dietersweiler, die ich so gut wie komplet durchgelesen hatte, aber ein Laden, in dem man Bücher kaufen konnte, war etwas anderes. Ich war lange Zeit damit beschäftigt, einfach zu stöbern. Meine Mutter und die Buchhändlerin waren gleichermaßen überfordert, weil mich alles interessierte und ich mich nicht entscheiden konnte.

(Noch heute habe ich das Bild in den Augen, wie wir im hinteren Teil der Buchhandlung waren. Meine Mutter saß auf einem Stuhl, ich stand zwischen den Kinderbüchern und den Jugendromanen. Ich weiß auch noch, wo diese Buchhandlung stand, kann aber nicht mehr sagen, ob es wirklich die »Kurbuchhandlung« war.)

Nach vielem Hin und Her entschied ich mich für »Todeskommando« von Christopher S. Hagen, einen Western also. Entscheidend war, dass der Umschlag des Buches auch noch ein Poster war, das man aufhängen konnte. Damit entschied sich der Jungschwabe in mir für ein Buch, das sich doppelt nutzen ließ. Dazu kam ein Handbuch über Katzen, womit ich knapp über die zwanzig Euro kam.

Und jetzt überlege ich mir, ob ich das Buch noch einmal lesen soll. Bei jedem Umzug schleppte ich es mit mir. Zwischen 1975 und 1980 las ich es mehrfach, seither nicht mehr. Soll ich ...?

Neunschwänzige Katze aus Augsburg

Augsburg war in den späten 80er-Jahren eine Szene-Hochburg; aus der Stadt und ihrer Umgebung kamen diverse Hardcore-Bands. Eine davon waren die Cat-O-Nine-Tails, die streng genommen aus Schrobenhausen stammten. Die vier langhaarigen Männer spielten Ende der 80er Jahre bis Anfang der 90er-Jahre ihren HC-Punk; dieser Tage hörte ich mir ihre Langspielplatte »Survive« aus dem Jahr 1991 mal wieder an.

Den elf Stücken merkt man auch heute noch an, wie stark die Band von aktuellen Bands aus den USA beeinflusst war; in manche Stücke mischt sich darüber hinaus eine Metal-Kante, die ich damals nicht mochte. Damit meine ich das immer wieder aufflackernde vertrackte Gitarrenspiel sowie die Breaks in den Stücken. Heutzutage fällt das kaum noch auf ...

Die »Survive« ist teilweise schön melodisch, die Platte kann man sich nach wie vor anhören; manchmal sind die Stücke sehr hibbelig, dann wieder strahlen sie eine gewisse Lässigkeit aus. Es ist die zweite und meines Wissens letzte Langspielplatte, die die Band veröffenlichte, dazu kam eine Split-EP mit Human Error, die ebenfalls aus der Region Augsburg kamen.

Für die damalige Zeit war das sehr typisch, und offenbar ist diese Art von Hardcore-Punk ausgestorben. Irgendwie schade.

08 Februar 2023

Eine Lektorin ermittelt unfreiwillig

In den vergangenen Jahren hat sich Anthony Horowitz für mich zu einem Autor entwickelt, von dem ich praktisch alle neuen Romane kaufe und lese. Er hat einen ausgesprochen angenehmen Stil: Auf Experimente wird verzichtet, es herrscht eine klare Erzählweise vor, die mit sauber getakteten Dialogen und klaren Beschreibungen, mit toll gezeichneten Charakteren und sehr wenig Action zu überzeugen weiß.

Das zeigt sich auch bei dem Roman, den ich zuletzt las: »Der Tote aus Zimmer 12«, der bereits im Frühjahr 2022 als Hardcover bei Suhrkamp erschienen ist.

Wer mag, kann das Werk als Literatur-Krimi bezeichnen. Die Hauptfigur ist nämlich eine Lektorin, und zur Aufklärung des Mordes bedarf es der Lektüre eines Krimis, der den Mittelteil von »Der Tote aus Zimmer 12« bildet. Man bekommt also quasi gleich zwei Krimis, und wer mag, kann bei beiden Fällen miträtseln und mitermitteln. (Ich bekam die Fälle übrigens nicht gelöst, obwohl die Hinweise eigentlich vorlagen.)

Die Lektorin arbeitet nicht mehr in ihrem bisherigen Beruf, sondern hat mit ihrem Lebenspartner ein kleines Hotel in Griechenland übernommen. Das bringt durchaus Probleme mit sich, und eigentlich sind die beiden pleite. Da kommt ihr der Auftrag eines reichen Ehepaars gerade recht: Die beiden informieren die Lektorin darüber, dass ihre Tochter verschwunden sei. Offensichtlich die Hinweise auf das Verbrechen in einem Roman zu finden seien, den die Lektorin vor einigen Jahren veröffentlicht hat.

Es ist der zweite Band, den Horowitz über diese Lektorin geschrieben hat, und es ist hilfreich, den ersten Roman zu kennen. Man versteht »Der Tote aus Zimmer 12« allerdings auch ohne diese Vorkenntnisse; die Geschichte trägt sich selbst.

Horowitz versteht es, Sympathien für seine Heldin zu erzeugen, die eigentlich keine Ermittlerin sein soll, sicher aber unvermittelt als Detektivin wiederfindet. Sie muss diversen Spuren folgen, sie bekommt Einblicke in fremde Familien, und sie muss nebenbei versuchen, ihr Verhältnis zu ihrer Schwester zu kitten und ihre bröckelnde Beziehung zu retten. Genug zu tun also …

Das Ganze ist spannend erzählt, läuft mit den üblichen Wendungen ab, liefert hervorragende Dialoge und kurz gehaltene Beschreibungen. Horowitz kann‘s einfach – wer hier stilistische oder inhaltliche Experimente erwartet, ist allerdings falsch beraten. Wer einen guten Krimi der klassischen Art mag, dürfte diesen Roman lieben.

07 Februar 2023

Schöne Anthologie zum Sumpfmonster

Die »Swamp Thing«-Comics gingen immer ein wenig an mir vorüber. Ich kenne ganz frühe Ausgaben der klassischen Bernie-Wrightson-Geschichten, und ich habe die moderne Fernsehserie gesehen; ansonsten habe ich von der Serie nur seine ehr geringe Ahnung. Umso schöner, dass es mit »Swamp Thing – Geschichten aus dem Sumpf« eine Anthologie gibt, die verschiedene Geschichten zum Sumpfmonster zusammenfasst.

Zahlreiche bekannte Comic-Autoren und -Zeichner sind an diesem dickleibigen Buch beteiligt, die Übersetzung ist gut, und die Lektüre macht Spaß. Vor allem künstlerisch gefällt mir das alles: Die unterschiedlichen Künstler zeigen die Palette aktueller amerikanischer Superhelden-Zeichnungen, die erstaunlich realitätsnah wirken und mich optisch überzeugen. Nicht nur das feinfühlige Monster aus dem Sumpf wird stark gezeichnet, auch Menschen, Tiere, Pflanzen und technische Gegenstände sind toll umgesetzt.

Mit den Geschichten hatte ich meine Schwierigkeiten. Das liegt nicht unbedingt an den Textern, sondern eher an der Zusammenstellung und an mir: Ich kenne mich im »Swamp Thing«-Universum schlichtweg nicht aus. Mir ist also bei manchen Figuren, die auftauchen, einfach nicht klar, wer sie sind und in welchem Zusammenhang sie stehen. Namen werden ohne jegliche Erklärung in den Raum geworfen, Beziehungen existieren bereits in vielfältiger Weise.

Immerhin erkenne ich bei der Lektüre, dass auch »Swamp Thing« mehr ist als nur eine Ansammlung mehr oder weniger guter Horror-Geschichten. Es geht um parallele Welten, es gibt moralische Grundsätze, man diskutiert über Gut und Böse – und immer wieder wird krachige Action gezeigt. Da spritzen die Pflanzenreste nur so durch die Gegend, so heftig wird da gekämpft.

Die Dynamik wurde vermittelt, die Geschichten machten mir unterm Strich sehr viel Spaß. Dass ich nicht alles verstehen konnte, ärgert mich ein wenig – aber ich kann es nicht ändern. So ist diese »Swamp Thing«-Ausgabe unterm Strich trotzdem eine gelungene Comic-Lektüre, und ich werde den Band sicher auch mal wieder zur Hand nehmen.

06 Februar 2023

Schubsen in der Innenstadt

Gelegentlich werde ich von Leuten gefragt, wieviel denn »wahr« sei in meinen »Peter Pank«-Geschichten. Dazu kann ich nur sagen: Es handelt sich um Romane, da ist praktisch alles erfunden. Es gibt Erinnerungen, die ich in den Texten verarbeite, aber trotzdem ist letztlich alles eine schriftstellerische Fiktion.

Das zeigt sich auch an der Folge 41, die dieser Tage in der Ausgabe 166 des OX-Fanzines erschienen ist. Der Ich-Erzähler wird in dieser Folge gleich zweimal in körperliche Konflikte verwickelt. Im einen Fall wird ein wenig geschubst, im anderen Fall läuft man vor prügelgeilen Idioten weg.

Beides ist nicht ganz aus dem Ärmel gezogen. In den 90er-Jahren wurde ich einige Male in Schubsereien verwickelt. Damit meine ich: Es fiel am Ende vielleicht jemand um, aber es wurde nicht geprügelt oder getreten, es blieb höchstens bei einer körperlichen Ermahnung.

Auf der anderen Seite weiß ich von mehr als einem Fall, wo Leute angegriffen wurden, weil sie an einer bestimmten Kneipe vorbeigingen: Die Tür öffnete sich, ein Mob sprang herauf und schlug sie ohne Umschweife zusammen.

In der aktuellen Folge von »Der gute Geist des Rock'n'Roll« habe ich solche Ereignisse verarbeitet. Das wird mir hoffentlich niemand als Gewaltverherrlichung auslegen ...

05 Februar 2023

Der Alltag erwartet mich

Leider konnte Uwe Anton an diesem Wochenende nicht dabei sein. Der Autor, mit dem ich seit vielen Jahren zusammenarbeite, hätte unserem Seminar in Wolfenbüttel sicher eine Reihe von weiteren Ideen und Aspektn hinzufügen können. Aber weil seine Gesundheit ein wenig angegriffen war, behalfen sich Olaf Kutzmutz als Leiter des Bereichs Literatur an der Bundesakademie und ich als Dozent damit, das Seminar zu zweit zu leiten.

Heute ging es zu Ende, am Freitag begann es. Wir legten den Fokus an diesen Tagen auf den Alltag und brachten diesen literarisch in Kontakt zur phantastischen Literatur. Was macht ein Hausmeister auf einem fremden Planeten, wenn es an der Tür klopft? Wie verhalten sich Menschen, die gewissermaßen in eine Kakerlake verwandelt werden? Und wie kann man aus einer alltäglichen Szene in der Innenstadt eine Science-Fiction-, Fantasy- oder Horror-Geschichte entwickeln.

Mit diesen so unterschiedlichen Szenarien beschäftigten sich sechs Autorinnen und sechs Autoren in diesen Tagen. Wir schrieben, wir diskutierten, wir saßen nach dem offiziellen Ende des Programms noch lang beim Bier zusammen – und wenn so ein Seminar dann vorüber ist, fühle ich mich erschöpft und auch ein wenig traurig. Die Gruppe wuchs in diesen Tagen zusammen, und so etwas wirkt auch bei mir sehr positiv nach ...

02 Februar 2023

Ich war Programme Participiant

Meinen ersten Science-Fiction-WordCon besuchte ich im Sommer 1990. Er fand ihn Den Haag statt, also in den Niederlanden, und ich nahm tatsächlich an zwei, drei Programmpunkten teil. Aus diesem Grund erhielt ich einen gelben »Bändel«, den ich mir mithilfe einer Sicherheitsnadel ans Jackett heften konnte.

Ich kam mir zeitweise vor, als sei ich jemand, der bei einer Armee gedient und als Auszeichnung einen Orden erhalten hatte. Und wie mir schien, gab es haufenweise Con-Besucher, die diese Empfindung teilten und sich besonders wichtig vorkamen – je mehr »Bändel« an der Brust, desto wichtiger schien man zu sein.

Es gäbe über diesen Con viel zu berichten; ich machte danach ein Egozine, aber das muss ich an dieser Stelle nicht wiederholen. Als eine der vielen Erinnerungen bleibt der »Bändel«, und heute bin ich sogar stolz darauf …

Ein Meisterwerk von Gossip

Als die amerikanische Band Gossip im Jahr 2006 ihre Platte »Standing In The Way Of Control« veröffentlichte, war sie schon recht bekannt. Sogar ich hatte von der Band gehört, die sich im Grenzbereich zwischen Punkrock und »Indie« bewegte und die eine Musik machte, die man gelegentlich sogar als Dance-Punk bezeichnete, weil niemand so richtig wusste, wie man das nennen sollte.

Höre ich mir die Langspielplatte heute an, nach all diesen Jahren, und betrachte ich sie mit ihrer wirklich schicken Gestaltung, kann ich immer noch nachvollziehen, dass die Band nach diesem Tonträger richtig populär wurde, auch außerhalb einer kleinen Szene von Musikbegeisterten.

Die zehn Stücke auf dieser Platte sind allesamt abwechslungsreich. Es ist ein teilweise sehr wuchtiger Beat, der sie nach vorne treibt, die Stimme der Sängerin ist in allen Variationen stets sensationell, und die Stücke haben teilweise echte Hitqualitäten. Da möchte man durch das Arbeitszimmer tanzen und hüpfen – und wüsste doch, dass man es nicht mit der Energie hinbekäme, die die Sängerin bei den verschiedenen Videos zeigte.

Bei den Texten und bei der Gestaltung der Platte (ich habe mir die Vinylversion gekauft, der ein Poster mit Textblatt beiliegt) kann man die Punkrock-Anklänge der Band gut nachvollziehen. Das ist rotzig und nicht angepasst, und bei manchen Stücken – wenn der Bass wummert und die Stimme der Sängerin geradezu explodiert – kann ich so etwas wie einen »Punk-Spirit« nachvollziehen.

Immer noch eine großartige Platte! Nicht nur wegen des starken Titelstücks …

01 Februar 2023

Enke und die Cops

»Und dann haben mir die Arschgeigen mein Pfeifchen ausgeklopft und ausgekratzt, um auch wirklich jedes Milligramm zu erwischen, was ich bei mir haben könnte.« Enke redete sich in Rage. Sein Gesicht war gerötet, und das lag nicht nur am Bier, das er schon reichlich genossen hatte.

»So sind sie halt, unsere Freunde und Helfer«, gab ich spöttisch zurück. »Ihr Job ist nun mal, die Drogenkriminalität in unserer Stadt zu bekämpfen, und da bist du ihnen echt blöd gekommen.«

»Ja ja«, maulte Enke. Er wollte sich nicht beruhigen. »Verdammte Cops! Die sollen mich ab und zu in Ruhe einen quarzen lassen, und alles ist in bester Ordnung.«

Wir hielten uns in meiner Wohnung auf, die sich in der Nähe des Marktplatzes von Freudenstadt befand. Zwischen uns stand ein Kasten mit Alpirsbacher Klosterbräu. Einige Besucher saßen auf dem Fußboden, andere hatten sich auf Stühlen bequem gemacht. Enke balancierte auf einem Stapel von ungelesenen Fanzines, den er so gegen die Wand geschoben hatte, dass er darauf sitzen konnte.

Die anderen hatten ebenfalls einige Geschichten beizutragen. Ich erzählte von Kontrollen im Park – »keine hundert Meter von meiner Wohnung entfernt behandeln die mich wie einen Schwerverbrecher« –, Michel schilderte ebenfalls eine Drogen-Razzia. »Dabei kiffe ich gar nicht«, empörte er sich, »aber weil ich lange Haare habe, musste ich mich auf der Wache komplett ausziehen.«

Am Ende einer Empörungswelle, an der wir uns alle beteiligt hatten, saßen wir da, jeder sein Bier in der Hand, und sahen uns wütend vor. Enke hatte die Idee der Stunde: »Das können wir uns nicht gefallen lassen. Wir nehmen Rache an der Polizei.«

»Genau.« Für Ideen solcher Art war ich immer zu haben, vor allem dann, wenn ich zu viel getrunken hatte. »Wir ziehen vor die Wache und schmeißen ihnen die Fenster ein. Bis die aus der Tür raus sind, haben wir uns längst verzogen. Die kriegen uns nie.«

Enke strahlte. »Du hast doch sicher noch Böller.«

»Ja, ich bewahre ja immer einige auf«, gestand ich. »So einen China-Kracher kann man auch im Sommer schön einsetzen.«

»Genau! Wir schießen die Scheiben kaputt, dann schleudern wir die Böller in die Wache.« Er lachte auf. »Was meinst du, was die Bullen da für einen Schreck bekommen werden?«

»Super!«, rief Michel. »Wenn wir das alle gleichzeitig machen, gibt es einen ordentlichen Kracher.«

Wir berauschten uns an der Idee und schmiedeten eine Reihe von Plänen. Wir überlegten uns, wer sich an welches Fenster stellen würde, wer von woher Steine und wer dann die Böller zu schleudern hatte. Wir legten die Gruppen fest: Einige sollten vom Parkplatz aus werfen, die anderen von der Straße her – ein Angriff von zwei Seiten würde die Polizisten völlig verwirren.

Ich steigerte mich in die Ideen hinein. Endlich einmal konnten wir es der Polizei zeigen, endlich einmal würden die jungen Leute unserer kleinen Stadt zeigen, dass sie sich nicht unterkriegen ließen.

Bis ich zum entscheidenden Punkt kam: »Wie hauen wir eigentlich ab? Ich meine: Wir schmeißen denen die Scheiben kaputt, wir werfen ihnen Kracher in die Bude. Und dann?«

Enke war verwirrt. »Wir laufen natürlich hierher und verstecken uns in deiner Wohnung.«

Während die anderen in der Runde beifällig nickten, kam bei mir ein Rest von Intelligenz zurück. »Das blicken die doch. Ich meine … da rennt eine Gruppe von Leuten von der Polizei weg, nachdem es bei denen gekracht hat, und rennt lautstark in das Haus hier. Das merken sogar die Cops, dass wir das waren.«

»Was sollen die schon merken?« Michel winkte ab. »Die Cops sind blöde, das wissen wir alle, das blicken die nie.«

»Na ja.« Ich wiegte den Kopf. »Und wenn doch? Dann haben sie uns in der Falle. Und jeder wird sich gleich denken können, dass ich was damit zu tun habe.«

Alle starrten mich an. Einige Sekunden lang herrschte eisiges Schweigen. Dann unterdrückte Enke einen Rülpser, was zu einem seltsamen Pfeifen führte, und alle lachten los.

»Du bist echt feige«, sagte er dann langsam. »Ich hätte gedacht, dass du mehr drauf hast.«

Noch einmal versuchte ich es zu erklären. »Wir können das alles tun, aber wir kommen nicht von den Cops weg, ohne dass die kapieren, wohin wir rennen. Die sind schnell hinter uns her, und dann stürmen sie die Bude. Und dann?«

Alle redeten durcheinander. Der Tenor war eindeutig: Sie wollten sofort losziehen und Rache nehmen, und ich war ein feiger Hund, der den Schwanz einzog. Verzweifelt wagte ich es, ernsthafte Argumente anzubringen, aber das brachte nichts.

»Ich mach da nicht mit«, sagte ich dann. »Das ist zu riskant. Und je länger ich drüber nachdenke, desto blöder finde ich die Idee.

»Mann, Mann, Mann …« Enke schüttelte den Kopf. »Echt, das ist schlapp. So wird das nichts mit der Revolution.«

Keine unbedingt aktuelle, aber interessante Streitschrift

Wenn sich ein Politwissenschaftler und ein Autor zusammentun und dabei ein Sachbuch herauskommt, das den Titel »Nach dem Verfassungsschutz« trägt, ist klar, dass es um ein Thema geht, das durchaus heftig diskutiert wird. Claus Leggewie und Horst Meier verfassten das Werk, das 2012 erstmals veröffentlicht wurde und seit 2019 in einer bearbeiteten Neuauflage im Handel ist. Ich habe es dieser Tage endlich gelesen.

Grundlage für das Sachbuch war eigentlich der Skandal um den NSU; die Terror-Gruppierung zog eine Spur von Blut quer durch die Republik, und der Verfassungsschutz konnte das nicht feststellen – obwohl er eine Unzahl von Spitzeln in der rechtsradikalen Szene hatte. Wenn aber solche Dinge nicht verhindert werden können, stellt sich die Frage, wofür man diesen Geheimdienst eigentlich braucht.

Die beiden Autoren plädieren dafür, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Eine funktionierende Demokratie müsse mit abweichenden Meinungen klarkommen. Und wenn Menschen, die sich politisch radikalisieren, zu einer Gefahr für andere Menschen werden, seien sie schlicht eine Aufgabe für die Polizei. Ein Amt, das Menschen nur deshalb beobachtet, weil sie eine missliebige Meinung haben, sei falsch platziert.

Das Buch zeigt einige Skandale des seltsamen Geheimdienstes auf, zeichnet seine Geschichte nach und entwirft eine Alternative. Letztlich fordern die Autoren dazu auf, die Gesinnungsschnüffelei abzuschaffen, das Amt also zu schließen

Man muss den beiden Autoren nicht in jeder Argumentation folgen. Manchmal klingt es ein wenig überspitzt, insgesamt haben sie meiner Ansicht nach allerdings recht. Als Streitschrift ist »Nach dem Verfassungsschutz« teilweise ein bisschen veraltet, insgesamt bleibt es aber eine Lektüre, die empfehlenswert ist – für Leute, die sich politisch engagieren natürlich.

(Veröffentlicht wurde das Buch als Hardcover im Hirnkost-Verlag; es ist rund 200 Seiten stark. Natürlich gibt es auch eine E-Book-Version.)