29 Februar 2024

Ich stilisierte mich in Texten

Gegen Ende des Jahres 1983 rieb ich mich in verschiedenen Tätigkeiten auf: Morgens ging ich in die Schule, mittags arbeitete ich an der Tankstelle oder im Lager des Supermarktes, abends war ich für die örtliche Tageszeitung tätig, und an den Wochenenden machte ich mit meinem Fanzine »Sagittarius« weiter. Unterm Strich war das ein strammes Programm.

Mein Problem bei alledem war: In keinem dieser Bereich hatte ich einen Anschluss an die Themen, die mich interessierten. Weder in der Schule noch in der Familie oder an einem der Arbeitsplätze teilte jemand meine Interessen für Science Fiction, krachige Musik und seltsame Comics. Ich hatte ein großes soziales Umfeld und fühlte mich trotzdem oft allein.

In dieser Phase schrieb ich Texte – ich nannte sie »Gedichte«, weil ich die schnodderige Art mochte, mit der sogenannte Underground-Autoren schrieben. Und so entstand am 22. Dezember 1983 der Text »Mal wieder«, in dem ich mich ganz schön stilisierte ... als ob ich damals Ahnung von Cognac gehabt oder viele Frauengeschichten hinter mich gebracht hätte. Der Text wurde nie veröffentlicht, was gut so ist – heute habe ich Lust dazu. 

Mal wieder 

Ich hockte an meinem Schreibtisch,
ne Flasche Cognac neben mir
(fast leer, nicht gerade schlecht),
seit Wochen keine Ideen mehr,
keine Ideen, keine Frauen, kein Geld,
der Cognac war der Rest.

Im Radio lief Jethro Tull,
»Locomotive Breath«, eine knalligere Version,
und ich fühlte mich elend,
weit weg von der Menschheit,
vielleicht irgendwo am Rand,
einfach nicht beim Durchschnitt.

Noch ein Schluck,
in der Flasche gurgelte es verdächtig leer,
und ich warf meine Schreibmaschine
mit Wucht in die Ecke,
holte Schmierpapier und einen Füller,
und dann schrieb ich wieder etwas,
Gedichte, einfach Gedichte.

28 Februar 2024

Dreizehn starke Erzählungen

Die kanadische Schriftstellerin Alice Munro schätze ich, seit ich vor Jahren einen Sammelband ihrer Erzählungen gelesen habe. Nun endlich kam ich dazu, »Was ich dir immer schon sagen wollte« durchzuschmökern, einen weiteren Sammelband, der insgesamt 13 Texte enthält. Im englischsprachigen Original wurde das Buch bereits 1974 veröffentlicht, hierzulande liegt es seit 2012 vor.

Die Geschichten spielen oft in ländlichen Regionen Kanadas, zeitlich sind sie häufig in den fünfziger Jahren angesiedelt. Gelegentlich wird der Zweite Weltkrieg erwähnt, der noch nicht so lange vorüber ist. Oft sind die Figuren »einfache Leute«, deren Leben sich verändert und das die Autorin mit viel Sympathie für sie schildert. Zentral sind stets die Frauen, auf die sie ihre Aufmerksamkeit richtet. Und oft enden die Geschichten offen – man kann sich als Leser also den weiteren Verlauf selbst ausdenken.

Alice Munro erzählt beispielsweise von einer Frau, die sich in einen Schriftsteller verliebt hat – die Erzählung ist streckenweise eine scharfe Satire – und die mittlerweile seinen Erfolg aus der Ferne bewundert. Sie schildert zwei Mädchen, die drei Jungs dazu anspornen, ein altes Boot zu reparieren, um mit ihnen auf Reisen zu gehen. Sie zeigt zwei Schwestern, die gemeinsam alt werden, ohne dass sich an ihren grundsätzlichen Konflikten etwas ändert.

Es sind alltäglich wirkende Geschichten, in denen sich die Entwicklung von Figuren und ihrer Gesellschaft widerspiegelt. Wer nur Genres wie Science Fiction, Fantasy oder Krimi mag, wird hier vielleicht enttäuscht. Ich empfand die Texte als Bereicherung.

Jede Geschichte wird in einem Tonfall präsentiert, der auf unnötige Experimente verzichtet. Die Autorin lässt die Geschehnisse vor den Augen ihrer Leser abrollen, eine persönliche Wertung vermeidet sie, denn das ist Aufgabe der Figuren. Sie selbst hält sich zurück – damit bekommt man einen tiefen Einblick in das Innere der jeweiligen »Heldin«.

»Was ich dir immer schon sagen wollte« ist durchgehend gelungen. Man kann das Buch nicht am Stück lesen, denn jede Erzählung wirkt in einem nach – aber es sind 13 Texte, die man immer wieder lesen kann. Toll!

27 Februar 2024

Ungewöhnlicher Blick auf das Universum der Schlümpfe

Seit vor Jahrzehnten die ersten Geschichten mit den »Schlümpfen« erschienen, damals erfunden und gezeichnet von Peyo, ist die Optik der kleinen blauen Zwerge wie festgezimmert. Sie sehen praktisch gleich aus, sie verhalten sich auch ähnlich. Mit der Reihe »Schlümpfe Spezial« soll diese klassische Linie bewusst verlassen werden. Bei Toonfish ist mit »Der Schlumpf, der vom Himmel fiel« der erste Band dieser neuen Reihe erschienen, und ich bin noch nicht ganz sicher, ob ich davon ein Fan werde oder ob ich diese Optik ablehnen soll.

Die Geschichte beginnt konventionell: Auf einmal ist ein neuer Schlumpf im Dorf. Er fällt vom Baum, wobei er sein Gedächtnis verliert, und wird dann als Amnesieschlumpf bezeichnet. Beim Versuch, seine Herkunft herauszufinden, erreicht eine Expedition mutiger Schlümpfe auch das Gebiet der Menschen, wo unter anderem der tapfere Ritter Johann auftaucht – dabei handelt es sich ebenfalls um eine Figur, die vor Jahrzehnten von Peyo erfunden worden ist und aus dessen Geschichten die Schlümpfe erst entstanden sind.

Soweit klingt die Geschichte fast gewöhnlich. Viele Witze machen aber schon klar, dass die Zielgruppe nicht die Kinder sind, die sonst »Schlumpf«-Geschichten mögen. Sie zielen auf erwachsene Comic-Leser, die entsprechende Anspielungen verstehen können.

Noch stärker fällt das bei der Grafik auf. Mir war der Comic-Künstler Tebo bisher nicht bekannt. Wie er aber die einzelnen Schlümpfe neu definiert, das ist mutig und riskant zugleich. »Das sind nicht mehr meine Schlümpfe!«, dürften manche Leser bei der Lektüre dieses Comic-Bandes nicht nur einmal ausrufen.

Tebos Schlümpfe sehen skurril aus, sie haben verschieden geformte Körper, und manche von ihnen wirken wie Zerrbilder. Das ausgesprochen nette und kindgerechte Universum der Schlümpfe sieht bei ihm sehr andersartig aus – aber nicht schlecht.

Um es klar zu sagen: Der Stil ist gut, die Geschichte ist sehr witzig – aber klar, das sind nicht mehr die »Schlümpfe«-Geschichten, die man von früher her kennt. Aber wer die kleinen blauen Gesellen mag, kann sich an dieser popkulturellen Version vielleicht ebenfalls erfreuen. Checkt unbedingt die Leseprobe!

25 Februar 2024

Israelisch in Frankfurt

Das Restaurant ist klein, und es liegt in einem Gebiet von Frankfurt, in dem Wohnhäuser das Bild bestimmen: Dieser Tage war ich zum ersten Mal im »Jaffa Market«, einem israelischen Restaurant im Westend der Main-Metropole. Ich fand das Essen lecker, und ich kann das Lokal empfehlen.

Wobei ich nichts zur Weinkarte und dergleichen sagen kann: Es war am Mittag, und da verzichte ich meist auf Alkohol. Aber das Essen schmeckte: Wir gönnten uns je eine Suppe und je ein Hauptgericht; dazu gab's Wasser, Saft oder alkoholfreies Bier. Und einen Nachtisch gab's ebenfalls. 

Wie die Gerichte hießen, merkte ich mir nicht unbedingt; wer mag, kann sich ja die Speisekarte anschauen. Wir probierten gegenseitig, und ich fand alles lecker. (Wie Fleischgerichte sind, weiß ich logischerweise nicht.)

Die Räumlichkeiten sind schlicht, hier wird nicht geprotzt. Das kann man in Frankfurt ja auch anders haben; in der Stadt trumpfen manche Lokale rein optisch unglaublich auf. Das »Jaffa Market« bietet halt Tische und Stühle, im Sommer kann man draußen sitzen, und durch die große Scheibe kann man das überschaubare Treiben einer Wohnstraße betrachten.

Eine Unisex-Toilette entspricht sicher nicht dem Geschmack aller Leute, als Musik lief irgendwas aus dem Radio. Die Preise selbst sind – für Frankfurt sicher normal – nicht im Niedrigpreis-Sektor.

Ich würde einen Besuch im sympathischen »Jaffa Market« jederzeit wiederholen. Vielleicht steuere ich das Lokal im Rahmen der nächsten Buchmesse an; es ist eine echte Alternative. (Eine Viertelstunde zu Fuß ...)

22 Februar 2024

Chefredakteure und andere Chefs

»Als ich im Verlagswesen anfing«, erzählte ich in lockerer Runde im kleinen Kollegenkreis, »hatte ich eine klare Vorstellung davon, wie ein Chefredakteur auszusehen hatte. Wer Chefredakteur war, trug immer Krawatte, idealerweise hatte er zudem immer einen Anzug an und lief nur selten locker durch den Flur. Und er hatte eine Assistentin, die ihm den Kaffee brachte.«

»Davon träumst du doch noch heute.« Die Kollegin lachte.

»Ich bewunderte wirklich einen der Chefredakteure«, behauptete ich. »Der hat sich nicht seinen Kaffee selbst geholt, der hatte alles klar geregelt: Punkt zehn Uhr stand auf seinem Schreibtisch eine Tasse Kaffee – natürlich an einer exakt definierten Stelle rechts von seinem Ellbogen –, die auch das für ihn ideale Maß an Zucker und Milch enthielt. Daran wurde nicht gezweifelt, und das behielt er bis zur Rente bei.«

Als mich alle ansahen, als erzählte ich eine Schauergeschichte, grinste ich. »Echt jetzt!«, fügte ich hinzu. »So war das früher, und zwar in unterschiedlichen Abstufungen.«

»Ich hab auch eine Geschichte, die sich genau so ereignet hat«, sagte auf einmal eine Kollegin, die sonst eher schweigsam war. »Es war Mitte der 90er-Jahre, als gewisse Chefredakteure von heute noch mit zerrissenen Hosen und bunten Haaren ins Büro gekommen sind.«

Nachdem alle gelacht hatten, erzählte sie weiter. »Ich arbeitete damals für den Buchvertrieb, und die einzelnen Vertriebsleute hatten einen gewissen Standesdünkel. Eines Tages rief mich eine Vertriebsdame an, die für einen Außendienstbezirk zuständig war und nur einen Tag in der Woche im Verlag arbeitete. Sie brauche mich dringend. Ich eilte zu ihr ins Büro, wo sie hinter ihrem Schreibtisch saß. Sie sagte mir, ich solle zu dem Schrank gehen, der rechts von ihr stand. Dort liege eine Mappe im mittleren Fach auf der rechten Seite. Ich fand diese Mappe gleich, hatte sie dann in der Hand und wartete ab, was ich damit tun sollte. Üblicherweise musste man irgendwelche Unterlagen kopieren, die dann an andere Leute verteilt werden sollten.«

Es fiel mir nicht zum ersten Mal auf: Die Kollegin verstand etwas davon, die Spannung zu schüren. Sie lehnte sich zurück, nahm einen Schluck aus ihrer Teetasse und schloss für einen Moment die Augen, als müsste sie sich erinnern. Wir anderen am Tisch hielten den Atem an.

»So stand ich neben der Vertriebsdame, die Mappe in der Hand«, erzählte sie weiter und setzte ihre Tasse ab. »Ich wartete auf weitere Anweisungen. Doch die Vertriebsdame klopfte mit der flachen Hand auf ihren Tisch, links von sich selbst und sagte, ›legen Sie es einfach da hin‹, und das tat ich und war danach wieder auf dem Flur.«

»Das heißt«, fragte ich gedehnt, »die hat dich also durch den halben Verlag laufen lassen, um etwas aus einem Schrank zu holen, der zwei Meter von ihrem Stuhl entfernt war?«

»Ja. Mehr war’s nicht.«

»Hammer.« Ich guckte ins Leere. »Das werde ich nie schaffen.« Mir wurde klar: Bei den Führungskräfte-Seminaren in den Nuller-Jahren hatte ich offenbar versagt. »Bis zur Rente schaffe ich das nicht mehr.«

21 Februar 2024

Wortkarger Hamburg-Krimi

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts: In Hamburg hat sich eine rumänische Familie, die unter der Fuchtel eines ominösen Cousins in den Karpaten steht, einen gewissen Ruf erarbeitet. Die Männer sind in der Immobilienbranche tätig, verkaufen Gebrauchtwagen nach Afrika oder betreiben Diskotheken. Sie sind in ein Netzwerk eingewoben, zu dem ein bekannter Journalist, ein Abgeordneter der SPD und ein einflussreicher Rechtsanwalt zählen. Der Filz funktioniert hervorragend – doch als auf einmal ein 16 Jahre alter Jugendlicher an einer Überdosis stirbt, verändert sich sehr schnell sehr viel.

So lässt sich der figurenreiche und zugleich schmale Roman »Die Stadt, das Geld und der Tod« gut zusammenfassen. Verfasst wurde er von Frank Göhre, von dem ich vor Jahren schon einmal einen sehr guten Krimi gelesen hatte. Göhre schrieb zahlreiche Romane, wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet und war als Drehbuchautor erfolgreich.

Dieser Roman ist in einem Stil geschrieben, den ich als »karg« bezeichnen würde. Die Sprache ist extrem reduziert, die Beschreibungen sind superknapp, die Dialoge kommen auf den Punkt, hier ist kein Wort zu viel. Es treten viele Personen auf, die sich alle kennen – als Leser muss man der Handlung konzentriert folgen.

Gleichzeitig entfaltet diese Sprache, die mich oft an Kurzgeschichten erinnert, einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Die Figuren sind klar charakterisiert, ihre Rollen im Beziehungsgeflecht werden eindeutig geschildert, und manche Handlungen führen zu unausweichlichen Konsequenzen.

Eine lohnenswerte Lektüre! Nicht nur für Leute, die Hamburg kennen, nicht nur für Leute, die Krimis mögen. 

Erschienen ist der Roman bereits 2021 im Culturebooks-Verlag; er ist vergleichsweise dünn, was ich als positiv empfinde, und ein wenig hochpreisig, was ich auf die mutmaßlich geringe Auflage zurückführe. Aber er lohnt sich für einen kritischen und ohne unnötiges Wort auskommenden Blick auf die Hansestadt Hamburg.

20 Februar 2024

Stress in der Virchow

Langsam biege ich mit meinem Wagen in die Virchowstraße ein, wie ich das fast jeden Morgen mache. Die Straße ist schmal: Auf der einen Seite stehen parkende Autos, auf der anderen Seite kommt ein Gehsteig. Zudem ist sie gewölbt und voller Schlaglöcher, was bedeutet, dass ich sie immer sehr langsam befahre.

Eine Person kommt mir auf dem Rad entgegen. Für ein Auto und ein Fahrrad ist die Straße zu schmal, also ziehe ich nach rechts und stelle mich soweit in die Einfahrt eines Hofes, dass sich genügend Platz zwischen meinem Auto und dem Gehsteig ergibt. Das mache ich nicht nur aus Gründen der Höflichkeit und Verkehrssicherheit – ich halte mich schlicht an die Verkehrsregeln. Als sich die Person nähert, erkenne ich, dass es sich um eine grauhaarige Frau handelt.

Von hinten rollt ein anderes Auto heran. Der Fahrer kann nicht an mir vorbei; dazu müsste er auf den Gehsteig, der an dieser Stelle recht hoch ist. Ich sehe im Rückspiegel, dass er fuchtelt; dann haut er mir die Lichthupe rein. Einmal, zweimal, dreimal flackert es hinter mir auf. Ich reagiere nicht.

Langsam fährt die Frau mit dem Rad auf mich zu; sie wirkt ein wenig unsicher. Als sie auf meiner Höhe ist, hebt sie grüßend die Hand. Ich grüße zurück, blicke in den Rückspiegel, warte die drei Sekunden, bis sie vorbei ist, und fahre dann weiter.

Während ich langsam die Straße weiterfahre, blicke ich erneut in den Rückspiegel. Die Frau hält nun mit dem Rad mitten auf der Straße an, sie kann nicht weiterfahren. Der Autofahrer steht ihr gegenüber und gibt ihr die Lichthupe. Einmal, zweimal.

Wie es weitergeht, erkenne ich nicht. Ich erreiche das Ende der Straße und biege rechts ab. »Zu viel Stress am frühen Morgen«, murmle ich.

19 Februar 2024

Endlich einmal Schwarzwaldbahn

Als ich noch ein Kind war, erzählte mir mein Vater nicht nur einmal von der Schwarzwaldbahn. Er schwärmte von den technischen Leistungen, die von den Ingenieuren und Arbeitern erbracht worden waren, von den Brücken und den Tunnels, und er sagte mir oft, dass wir einmal diese Bahnstrecke fahren sollten. Vor allem zwischen Triberg und St. Georgen lohne sich das, aber eigentlich sei es schon ab Offenburg schön und bleibe bis Villingen spannend.

Wir reisten nie mit dieser Bahn. Sie lag gewissermaßen quer zu unseren Fahrten durch den Schwarzwald, und so bot sich mir nie die Möglichkeit, meine Heimat auf diese Weise wahrzunehmen. Ich musste sechzig Jahre alt werden, um die Strecke zu nutzen.

Ich fuhr sie komplett: In Karlsruhe stieg ich ein, am Bodensee verließ ich den Zug. Die Fahrt dauerte gut drei Stunden, der Komfort war angemessen. Ich hatte ein Buch dabei, das ich lesen wollte, aber ich guckte die meiste Zeit zum Fenster hinaus, staunend wie ein kleines Kind.

Die Strecke war mir im Prinzip bekannt. In den langen Jahren, die ich in Karlsruhe wohne, ergab es sich einige Male, dass ich mit dem Auto quer durch den Schwarzwald fuhr, auf Strecken, die ich seit meiner Kindheit kannte. Aber nun fuhr ich mit der Bahn durch kleine Städte bis nach Offenburg, um von dort aus zum Schwarzwald aufzusteigen.

Und tatsächlich war es wunderbar, zwischen Hausach und Villingen »quer durchs Gebirge« zu rollen, gemütlich im Sessel, mit einem ungehinderten Blick auf Berge und Täler, auf Bäume und Wiesen, auf kleine Häuser und große Höfe. Ich genoss die Reise sowohl bei der Hin- als auch bei der Rückfahrt.

Nun endlich verstand ich, was mein Vater mir damals erzählte … Gerne mal wieder!

09 Februar 2024

Verlagsarbeit in den 80er-Jahren

Da ich nicht so richtig weiß, wie die Leser des Fanzines OX im Jahr 2024 aussehen, schreibe ich meinen Fortsetzungsroman »Der gute Geist des Rock’n’Roll« ein wenig ins Blaue hinein. Ich könnte mir vorstellen, dass die meisten Leser männlich sind und sich in einem Altersspektrum bewegen, das im Durchschnitt etwas jünger ist als ich – aber nicht zu sehr. Daher glaube ich, dass die meisten sehr gut nachvollziehen können, was im Kopf meines Ich-Erzählers abgeht, wenn ich ihn von seinen Abenteuern in der Mitte der 90er-Jahre berichten lasse.

Die aktuelle Folge 47 erschien dieser Tage in der OX-Ausgabe 172, wie immer war sie eineinhalb Seiten lang. Die Szene spielt vor allem im Innern des Verlags, für den Peter Meißner im Sommer 1996 arbeitet. Unter anderem gibt es kurze Einblicke in die interne Kommunikation, dann beginnt ein Besuch im Archiv.

(Ich arbeitete in den 80er-Jahren zuerst bei einer Tages- und später bei einer Wochenzeitung. Die Archive dort sahen natürlich völlig anders aus als diejenigen, die ich in dieser Geschichte beschreibe.)

TikTok und anderes für Nazis

Seit vielen Jahren lese ich das »Antifaschistische Infoblatt« aus Berlin; jede Ausgabe bietet viele Informationen, die man aus der allgemeinen Presse nicht erfährt. Die Zeitschrift ist staats- und gesellschaftskritisch, wie der Titel schon nahelegt, und nimmt eine sehr klare Position ein. In der Ausgabe 141 zeigen verschiedene Autorinnen und Autoren, wie der »Informationskrieg« in diesen Zeiten funktioniert und sich Rechtsradikale im Internet immer stärker breitmachen.

Das ist nicht unbedingt neu. Bekanntlich waren Rechtsradikale mit dem »Thule-Netzwerk« schon aktiv, als in Deutschland die meisten Leute noch nicht einmal ahnten, dass das Internet auf sie zukommen würde. Es liegt nahe, dass sie auch versuchen, in neuen Netzwerken auf sich und ihre Ziele aufmerksam zu machen. Neu ist allerdings, wie aktiv sie sind und um wieviel erfolgreicher sie vorgehen als die demokratischen Parteien.

Mit Interesse las ich, wie sich die verschiedenen Gruppierungen und Einzelpersonen auf Plattformen wie TikTok oder Instagram präsentieren. Gezeigt wird darüber hinaus, wie sich die türkischen Rechtsradikalen vernetzen oder wie ChatGPT rechtsradikale Muster verstärken kann. Wenn man das alles so liest, wird einem schwindlig – da wird noch deutlicher klar, dass es nicht genügt, einmal im Jahr zu einer bürgerlichen Demonstration auf die Straße zu gehen.

Natürlich bietet das Heft auf den 68 Seiten im A4-Format wieder haufenweise anderer Themen. Es gibt kleinere Artikel etwa zu Elon Musk und seinen antisemitischen Äußerungen oder Hintergründe zum sogenannten Budapest-Komplex (in Ungarn stehen Antifas vor Gericht; gleichzeitig werden in Europa mit Steckbriefen weitere Antifas gesucht, die Nazis angegriffen haben sollen). Man wirft immer mal wieder einen Blick aufs Ausland, in diesem Fall auf die Schweiz, Österreich oder Schweden.

Wie immer ist das Heft lesens- und lohnenswert. Ich schaffe es selten, eine Ausgabe komplett zu lesen, weil mir ja bei meinen Lektürewünschen immer mal wieder das Leben oder die Arbeit dazwischen kommen … Aber diese Ausgabe 141 las ich komplett – jeden Text! –, und das spricht irgendwie für sich.

08 Februar 2024

Kurze Haare in Köln

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«


Als ich im Frühsommer 1993 zum ColoniaCon nach Köln fuhr, war ich mit meiner Rolle als – immer noch – frischgebackener PERRY RHODAN-Redakteur nicht sehr vertraut. Die meisten Besucher kannte ich aus gemeinsam Fan-Zeiten; ich ging seit Jahren auf die Cons in Köln, ich hatte jahrelang meinen Fanzine-Tisch auf dieser Veranstaltung, und ich war dort unter anderem durch eifrigen Konsum von Alkoholika aufgefallen.

Und nun sollte ich die Science-Fiction-Serie vertreten, für die ich seit einem halben Jahr tätig war? Erschwerend kam hinzu, dass auch Journalisten vor Ort waren. Unter anderem war ein Fernsehteam anwesend, das über unsere Serie berichten wollte und mich deshalb für Hintergrundgespräche benötigte. Vor allem aber wollte man einige Fans vorstellen.

Das Bild zeigt mich, wie ich mit einem Fernsehjournalisten spreche. Da ich nicht einmal mehr weiß, wie der Mann hieß, habe ich den Bildausschnitt so gewählt, dass er wegfällt – damit sieht man bloß mich, und ich denke, dass man mir das Unwohlsein ansieht. Mit dem »FreuCon«-T-Shirt zeigte ich den anwesenden Con-Besuchern meine immer noch vorhandene Beziehung zur Fan-Szene. Aber man sieht mir an, dass ich mit der neuen Rolle noch ein wenig fremdelte …

(Die Aufnahme stammt wohl von Peter Fleissner. Leider kann ich das nicht mehr nachvollziehen.)

Ich liebte die Ramones

Ein Blick auf Punkrock-Klassiker – Teil vier

Ich sah die Ramones nie live: Als sie frisch und modern waren, hörte ich sie im Radio – ausgerechnet im Deutschlandfunk und im Radio Beromünster wurden sie oft gespielt –, aber für Konzerte war ich damals schlicht zu jung. Als ich alt genug war, auf Konzerte zu fahren, trat die Band nur noch in großen Hallen auf, und ich hatte keine Lust auf das Publikum, das ich bei solchen Veranstaltungen vermutete.

Aber in meiner ersten musikalischen Punkrock-Sozialisation war die Band ein Kracher. Ab 1977 wurde die Musik im Radio gespielt, an der schrägen Decke in meinem Zimmer hing ein Ramones-Poster, das ich aus einer »Bravo« hatte.

Als ich »Roket To Russia« kaufen wollte, scheiterte ich, weil die herumlungernden Jugendlichen im Plattenladen meinten, ich solle »vernünftige Musik« hören. Lange Geschichte … Meine erste Vinylscheibe der Ban müsste dann 1979 oder 1980 die Doppel-Live-LP gewesen sein.

Heute wirkt das alles ein wenig schrammelig und harmlos, damals fegte es mich komplett um. Und »Sheena Is A Punkrocker« ist nach wie vor ein Klassiker. Die rohe Energie des Stücks und der schmissige Sound ist immer noch klasse!

07 Februar 2024

Ein ganz schön trauriger Anblick

Den Pendragon-Verlag schätze ich seit vielen Jahren. Dort veröffentlicht man nicht nur die schöne Ausgabe der Krimis von Robert B. Parker, hier werden auch Autoren wie James Lee Burke präsentiert. Zudem leistet man sich neben den Krimis ein literarisches Programm, in dem es viel zu entdecken gibt.

Doch bei »Raues Wetter«, einem Roman von Robert B. Parker, fragt man sich, was bei dessen Produktion eigentlich schief gegangen ist. Die Seiten wirken, als habe man eine alte Übersetzung genommen, nachlässig eingescannt, nicht bearbeitet und dann mithilfe der »Suche-Ersetze«-Funktion einige charakteristische neue Fehler eingebaut. Es kann sein, dass man das bei späteren Ausgaben berichtigt hat (die Leseprobe bei Amazon sieht wesentlich besser aus), aber mein Buch ist eine unfassbare Ansammlung von Rechtschreib-, Redigier- und Scan-Fehlern.

Sieht man davon ab, bleibt ein spannender Roman übrig. Er beginnt mit einer Hochzeit, auf die ein Attentat verübt wird. Der Detektiv Spenser, der als Leibwache angestellt worden ist, weiß auch gleich, wer für die Tat verantwortlich ist: der sogenannte Graue Mann, ein Killer, mit dem er schon gelegentlich zu tun hatte. Es gibt noch eine Entführung, und dann fängt Spenser an, zu schnüffeln und zu bohren – bei all diesen Verbrechen scheint nämlich einiges nicht zu stimmen.

Letztlich läuft die Geschichte auf ein spannendes Fernduell hinaus. Spenser und der Graue Mann können sich nicht leiden, sie hassen sich aber auch nicht. Beide folgen ihren »Regeln«, an die sich halten. Und so ist das Spannende an diesem Roman vor allem, wie sich Spenser und sein Gegner belauern, wie sich auf ihre Weise kommunizieren und wie sie zu einem Finale kommen wollen. Das wiederum ist nicht unbedingt typisch für einen Krimi und macht wieder einmal klar, warum Robert B. Parker mich fasziniert, selbst wenn der Roman unglaublich schludrig aufbereitet worden ist.

Der Roman lebt natürlich auch davon, dass Spenser mit seinem Freund Hawk zusammenarbeitet und seine Freundin Susan immer wieder mitmischt. Das ergibt fast automatisch Dialoge, die bei der Lektüre viel Freude bereiten: trocken und trotzdem oft witzig, manchmal philosophisch, manchmal sarkastisch.

Allein dafür lohnt es sich, Parker-Romane zu lesen! Und ich schaffe es sogar, peinliche Verlagsfehler zu ignorieren …

06 Februar 2024

Originelle Science-Fiction-Parallelwelt

Es ist schon eine Weile her, seit ich über den ersten Band des Comic-Dreiteilers »Die drei Geister von Tesla« geschrieben habe. Mittlerweile habe ich alle drei Bände gelesen, und das ist ein Grund für mich, noch einmal auf die Trilogie hinzuweisen. Wer originelle Science Fiction mit einem faszinierenden Stil mag, sollte auf jeden Fall einen Blick riskieren!

Die Geschichte spielt in den vierziger Jahren, während des Zweiten Weltkriegs also, und in den USA. Doch es ist nicht der Zweite Weltkrieg, wie wir ihn aus den Geschichtsbüchern kennen: In dieser parallelen Welt spielen riesenhafte Roboter ebenso eine Rolle wie beeindruckende Erfindungen und trickreiche Geheimagenten.

In den drei Bänden entwickelt sich eine rasante Geschichte, in der ein Erfinder namens Nikola Tesla ebenso auftaucht wie einige andere Personen, die man aus »unserer« Geschichte kennt. Die jungen Helden entdecken allerlei Geheimnisse, es gibt Verfolgungsjagden und einen packenden Showdown mitten in New York.

Erzählt wird das alles von Richard Marazano, der seine Figuren geschickt durch den Dreiteiler führt. Der Autor entwickelt eine wunderbare Parallelwelten-Science-Fiction mit zahlreichen gelungenen Ideen, in die sich die Figuren hervorragend einfügen.

Ohne die großartige Optik wäre das aber alles nichts. Guilhem Bec liefert ein paralles New York, das durchgehend in Sepiafarben erscheint. Die Bilder sind realistisch, man glaubt fast dieser Welt mit ihren Robotern und Soldaten, mit spionierenden Jungs und verzweifelten Wissenschaftlern – so stark ist das gezeichnet.

»Die drei Geister von Tesla« ist eine gelungene Science-Fiction-Geschichte, die inhaltlich und optisch überzeugt. Wer’s nicht glaubt, schaue sich die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlags an.

05 Februar 2024

Fünfzig Euro?

Die Sonne strahlte, Kinder schrien, es roch nach Sonnenöl und Bratwurst: Ich hielt mich in einem Freibad auf, bei dem ich nicht einmal hätte sagen können, in welcher Stadt oder Region es lag. Es sah aus wie jedes Schwimmbad, schien mir, nichts fiel irgendwie auf.

Zusammen mit meiner Begleiterin suchte ich nach einer Möglichkeit, ein halbwegs ruhiges Plätzchen zu finden, an dem ich genügend Schatten hätte und sie sich trotzdem zwischendurch in die Sonne legen konnte. Wir bewegten uns am Rand des Geländes entlang, wo es mehr Büsche und Bäume und damit auch mehr Schatten gab.

Nach einigem Suchen hatten wir einen Platz gewählt. Wir legten die große Decke auf den Boden, stellten unseren Picknickkorb dazu und zogen die Überkleidung aus. Wir trugen die Badeklamotten unter den kurzen Hosen und T-Shirts; das ersparte einmal Umziehen. In den Umkleidekabinen öffentlicher Schwimmbäder fühlten wir uns beide nicht wohl.

Zwei Kinder gingen vorbei, vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Jedes von ihnen hatte ein Eis in der Hand und schien es zu genießen. Auf einmal hatte ich Lust auf etwas Süßes.

»Magst du auch ein Eis?«, fragte ich meine Begleiterin.

Sie überlegte, nickte dann. »Hast du genügend Geld dabei?«, fragte sie.

Ich fischte den Geldbeutel aus dem Picknickkorb heraus, den ich nach dem Bezahlen des Eintrittsgeldes dort einfach hineingelegt hatte. Ich öffnete ihn und sah ihn eines der Fächer hinein.

»Seltsam«, sagte ich dann. »Ob ich mit dem Geld etwas anfangen kann?«

Neugierig kam sie zu mir und blickte ebenfalls in das Fach. »Seltsam«, wiederholte sie.

Ich zog eine Münze hervor, die in der Sonne silbern glänzte. »Ein Fünfzig-Euro-Stück«, sagte ich andächtig. »Wieviel Eis wir dafür wohl bekommen?«

»Es wird reichen«, meinte sie und lachte.

In diesem Augenblick wachte ich auf.

02 Februar 2024

Breck und die Enzyklopädie

Meine Mutter und ich saßen in Brecks behaglichem Wohnzimmer auf dem Sofa, wir versackten fast in den Polstern, und wenn ich mich zu sehr bewegte, knarrte das Leder in einer Art und Weise, die mir unangenehm war. Also versuchte ich, so still wie möglich zu sitzen, um verwirrende Geräusche zu verhindern.

»Magst du wirklich keinen Cognac?«, fragte Breck meine Mutter und hob eine Flasche hoch, in der eine braune Flüssigkeit schimmerte.

Sie wehrte ab. »Nein, nein« sagt sie in dem breiten Schwäbisch, das bei uns auf dem Dorf üblich war. »Ich muss heute abend ja noch kochen.«

Breck war ein netter Typ, der in der Firma arbeitete, für die meine Mutter als Putzfrau für saubere Büros sorgte. Seine lockigen Haare fielen ihm in den Nacken, seine gepflegten Hände waren ununterbrochen in Bewegung, und wenn er sprach, klang sein Deutsch geradezu fein im Gegensatz zu unserem groben Dialekt. Nichts deutete darauf hin, dass er aus Jugoslawien kam.

»Magst du noch etwas?«, fragte er mich. Mir hatte er ein Glas mit Apfelsaft angeboten, und daran nippte ich immer mal wieder.

Auch ich winkte ab. Es war mein erster Besuch bei Breck, und ich fühlte mich unsicher. Hinter ihm erhob sich ein weißer Schrank, dessen Regale von oben bis unten mit dicken Büchern vollgestellt waren. Für mich, der am liebsten in der Dorfbücherei stöberte, sah das sehr aufregend aus. Was waren das wohl für Bücher, was stand in ihnen drin?

Eigentlich hätte ich Hausaufgaben für die Schule machen müssen. Nach dem Mittagsunterricht war ich zu der Firma gegangen, wo meine Mutter putzte. Dort war ich herumgesessen, hatte gelesen und darauf gewartet, dass sie Feierabend machte. Meist holte uns dann mein Vater gemeinsam ab, nachdem er aus der Fabrik gekommen war. An diesem späten Nachmittag hatte uns Breck mitgenommen und zu seiner Wohnung gebracht, die am Rand der Stadt lag – dort sollte uns nun mein Vater einsammeln.

Breck erkannte wohl meinen Blick. »Magst du Bücher?«, fragte er.

Ich nickte. Meine Mutter sekundierte: »Der Junge liest ein Buch nach dem anderen. Ich weiß auch nicht, wo er das her hat.«

Breck nickte zu dem Regal hinüber. »Du kannst dich gerne umschauen.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ohne mich um den Blick meiner Mutter zu kümmern, die mein Verhalten vielleicht aufdringlich fand, stand ich auf und eilte um den Tisch herum. Dann stand ich vor dem Regal, staunte über die dicken Bücher und fuhr mit den Fingern an ihrem Rücken entlang. Es waren schöne Hardcover-Bände, teilweise in Leder gebunden, und jedes von ihnen zeigte, dass es teuer war.

»Die sind besser aus als die bei uns in der Dorfbücherei«, sagte ich andächtig.

Auf einmal stand Breck neben mir. »Das sind sie auch«, bestätigte er. »Guck mal hier. Ich habe die Encyclopaedia Britannica abonniert, da kommt jetzt immer wieder ein neues Buch heraus – und das wird eine wertvolle Sammlung von Lexika.« Er zog ein dickleibiges Werk aus dem Regal und reichte es mir.

Die Seiten waren mit einem Goldrand versehen und klebten noch zusammen. Andächtig blätterte ich das Buch durch, löst vorsichtig die Seiten voneinander. Ich war eindeutig der erste Mensch, der es aufblätterte. Es war ein Lexikon, die Einträge waren in englischer Sprache, wofür mein Schulenglisch nicht ausreichte.

»Liest du das?«, fragte meine Mutter, die sitzen geblieben war.

Breck schüttelte den Kopf. »Das ist ja ein Nachschlagewerk. Da gucke ich nach, wenn ich etwas wissen möchte. Es ist das beste Lexikon der Welt, besser als der Brockhaus.«

»Wenn du es nicht liest, ist es doch Geldverschwendung, so etwas zu kaufen«, wollte ich sagen, verkniff es mir aber. Langsam stellte ich das Buch zurück.

Ich blätterte weiter durch die Hardcover-Bände, die das weiße Regal füllten. Dabei stieß ich auf eine Reihe mit historischen Sachbüchern, auch diese in einem eleganten Layout, sehr teuer gestaltet und garantiert noch nie aufgeblättert. Während ich damit begann, eine Seite zu lesen, vergaß ich die Welt um mich.

»Wenn du willst, kannst du dir davon eines ausleihen«, schlug Breck vor.

Ich nickte begeistert. Meine Mutter erhob noch Einwände; ihr war das Buch sichtlich zu teuer, und sie hatte wohl Angst, dass ich es beschädigen könnte. Breck drückte mir das Sachbuch in die Hand, in dem es um die Eroberung Nordamerikas durch englische und französische Kolonisten ging, und ließ sich von meiner Mutter in ein Gespräch über Kollegen verwickeln.

Wie im Traum setzte ich mich in den Sessel und las. Irgendwann klingelte es an der Tür, und mein Vater holte uns ab. Bei der Heimfahrt war meine Mutter auffallend ruhig. Sie schimpfte nicht einmal mit mir, obwohl ich das erwartet hatte – es gehörte sich für einen Jungen ja nicht, sich in den Vordergrund zu spielen –, und ich saß auf dem Rücksitz und las andächtig.

Wann immer ich in den folgenden Monaten zu Breck kam, blätterte ich in einem Band der Encyclopaedia Britannica, wobei ich jedes Mal aufs Neue begeistert war, lieh mir aber dann lieber eines der historischen Bücher aus. Ich hatte kein schlechtes Gewissen dabei: Bereits bei dieser ersten Begegnung hatte ich verstanden, dass Breck die Bücher nicht las; ihm genügte es, sie im Regal stehen zu haben.

Aber ich war gefangen …

01 Februar 2024

Es ist ja nicht mein Punkrock

Das Schöne bei einem Wort wie »punk« ist, dass man es über all die Jahrzehnte hinweg immer wieder anders definieren kann. In den 70er-Jahren war es noch eine Beleidigung, dann wurde es zum Begriff für eine Jugendkultur und vor allem für eine Musikrichtung. Dabei blieb es für einige Zeit, mit allen möglichen modischen Abwandlungen und Ergänzungen.

Mittlerweile wird alles mit dem Begriff »punk« zusammengepackt, was nicht rechtzeitig auf den Baum kommt. So darf man Literatur, die man früher als »hippie-mäßig« bezeichnet hat, mit einem strahlenden Lächeln als »Hopepunk« bezeichnen. Wer mag, darf zu irgendwelchen Zukunftsromanen »Solarpunk« schreiben, sicher gibt es auch schon »Kuschelpunk« und »TikTok-Punk«. Das hat dann alles nichts mit Punk zu tun, wie ich es verstehe, aber das ist in Ordnung so.

Skurril wird es, wenn sich Zeitschriften nach diesem Begriff benennen. So habe ich bis heute nicht verstanden, wieso ein Magazin für jungliberale Geschäftsleute seit 2009 den Titel »Business-Punk« trägt.

Die Ergänzung kommt demnächst: Im April soll mit »AnlagePunk« ein neues Wirtschaftsmagazin an den Start gehen, in dem es – wie soll es bei dem Titel auch anders sein? – um Geldanlagen geht. Ich bin mir schon jetzt sicher, dass ich dafür nicht die Zielgruppe bin ...