23 Dezember 2021

Frenetischer Abend

Ich würde nie wieder das Gasthaus in Schramberg finden, in das ich im Februar 1992 fuhr. Ich kam von Freudenstadt her, es war Winter, und ich musste nach rechts über den Bach hinüber. Dort kam das schon betagte Haus, in dem sich eine Musik-Kneipe befand. Und dort fanden immer mal wieder Punk-Konzerte statt, wie das in den späten 80er- und frühen 90er-Jahre oft der Fall war: Konzerte in abgelegenen Orten, die von vielleicht fünfzig Leuten besucht wurden.

An diesem Abend spielten die Lost Lyrics aus dem nördlichen Hessen und die amerikanische Band 9 Pound Hammer. Das Bild zeigt 9 Pound Hammer – und im Hintergrund das von Schwitzwasser bedeckte Fenster. Wie viele Leute auf dem Konzert waren, weiß ich nicht mehr. Viel mehr als einige Dutzend konnten es nicht sein, denn mehr Platz bot die Kneipe nicht. Einige Punks, einige Hardcore-Leute, einige örtliche Musikfreunde, einige Rocker, keine ungewöhnliche Mischung für jene Zeit.

Ich erinnere mich an eine frenetische Stimmung, an ein ausgelassenes und ausrastendes Publikum, an zwei Bands, die sich auf der Bühne ablösten und zuerst mit melodischem Deutschpunk und dann mit knalligem Rock'n'Roll – oder was auch immer das genau war – echt einheizten. Am Ende war ich klatschnass geschwitzt, mein Grinsen ging bis hinter die Ohren, und ich freute mich noch Tage danach über den Abend.

(In Zeiten der Pandemie erinnere ich mich wohl besonders gern an diese Tage vor dreißig Jahren, als buchstäblich an jedem Tag irgendwo in der badischen oder schwäbischen Provinz ein Punkrock- oder Hardcore-Konzert zu besuchen war, immer verbunden mit Fahrerei und allerlei skurrilen Abenteuern.)

Hit, verschwenderisch präsentiert

Das Sensational Skydrunk Heartbeat Orchestra kam aus Bayern, ich sah es nie live, und das ärgert mich schon. In den Nuller-Jahren brachte die mehrköpfige Band eine Reihe von Tonträgern heraus und spielte an verschiedenen Stellen der Republik auf – das hätte ich mir anschauen sollen. Immerhin habe ich diverse Tonträger der Band.

Dieser Tage hörte ich mir wieder einmal einige Male hintereinander die CD »They Hardly Touch The Ground« an, die streng genommen schon ein wenig verschwenderisch ist. Das Titelstück ist ein sehr cooles Stück, das sich einer klaren Zuordnung verweigert: Ist es einfach nur toll gemachte Popmusik mit vielen Bläsersätzen, oder geht das schon in die Ska-Richtung?

Einfacher zuzuordnen sind die zwei Coverversionen des Klassikers »The final countdown«, die von der Band in furiosem Ska-Sound dargeboten werden: schmissig und schnell mit treibenden Bläsersätzen und einem übersteuert klingenden Sänger. Da kann man nicht stillsitzen, da muss man einfach zappeln.

Die CD enthält echt nur drei Stücke – und ich finde sie trotzdem cool.

22 Dezember 2021

Kaffeediebe

Es war eines dieser Familientreffen, die ich als Kind schon langweilig fand. Noch war nicht der Zeitpunkt gekommen, an dem wir Kinder ins Zimmer meiner Cousine gehen konnten, wo wir miteinander spielen durften.

Wir saßen mit den Erwachsenen am Tisch, auf dem das »feine Geschirr« im künstlichen Licht glitzerte. Wir hatten uns zu benehmen, also verhielten wir uns still und sittsam, sprachen nur, wenn wir dazu aufgefordert wurden, und futterten ansonsten den Kuchen. Es gab Apfelkuchen mit Sahne, einige Himbeerschnitten, dazu Kaffee und Tee.

»Ein schöner Kaffee ist etwas Feines«, sagte mein Onkel und hob die Tasse an. In seinem Schnauzbart glitzerten die Kristalle, die der Puderzucker eines »süßen Stückles« hinterlassen hatte. Er hatte auch schon die ersten zwei »Schnäpsle« intus, was dazu führte, dass er allerlei Späße machte.

Ich wusste bereits, dass es kritisch wurde, wenn er weiter trank; dann wurde er irgendwann laut und prahlerisch, später noch lauter und streitsüchtiger. Aber seine Frau und meine Mutter, die rechts und links von ihm saßen, würden ihn rechtzeitig unter Kontrolle bringen; auch das kannte ich von anderen Gelegenheiten her. Als Kind lernte ich schnell, wie sich Erwachsene unter dem Einfluss von zu viel Alkohol verhielten.

Der andere Onkel am anderen Tischende hob ebenfalls seine Tasse. »Weißt du noch, wie wir damals den Franzosen immer den Kaffee gestohlen haben?« Er lachte.

Die beiden Männer amüsierten sich prächtig. Eine Tante am Tisch verzog das Gesicht, meine Mutter verdrehte die Augen. Und der neue Mann der jungen Tante, die sich immer kräftig schminkte, stellte die Frage, auf die wohl alle warteten: »Ihr habt den Franzosen den Kaffee gestohlen? Wie war denn das?« Er kam aus Norddeutschland, und ich mochte ihn nicht, weil er die Wörter alle so korrekt und damit hart aussprach.

Mein Onkel trank einen Schluck, dann lehnte er sich zurück. Er wies mit dem rechten Arm auf die Bahnstrecke, die unweit des Hauses vorbeiführte, und auf die Wiese dahinter. »Die Franzosen hatten da ihr Lager«, erzählte er. »Die Offiziere hatten sie in den wenigen Häusern einquartiert, die noch standen, und die einfachen Soldaten schliefen in ihren Zelten. Und bei denen gab es natürlich ständig Kaffee.« Genießerisch verzog er das Gesicht.

»Und dann sind wir los«, erzählte der andere Onkel weiter, »und haben uns abends, wenn es schon langsam dunkel wurde, in ihr Lager geschlichen.«

»Ihr seid da echt rein?«, fragte der norddeutsche Mann.

»Eigentlich nicht. Die Franzosen hatten so einen Graben an der einen Seite ihres Lagers. Dort haben sie ihren Müll reingeworfen. Darunter war Kaffee in diesem Kaffeefilterpapier. Und dann sind wir in den Graben gekrochen und haben die Papierfilter mit dem nassen Kaffee rausgefischt.« Er schüttelte sich. »Das war manchmal ganz schön gefährlich.«

»Wegen der Franzosen?«

»Eigentlich wegen der Ratten. Die haben sich zwar nicht für den Kaffee interessiert, aber für die anderen Dinge im Grabe.« Er lachte und biss in sein »süßes Stückle«. Mit seinem runden Gesicht und den roten Bäckchen wirkte er wie der Inbegriff der Gemütlichkeit. »Vor den Ratten hatten wir mehr Angst als vor den Franzosen.«

»Ihr wart ja auch kleine Buben«, wandte meine Mutter ein. »Und wir hatten alle Angst um euch.«

»Aber den Kaffee habt ihr dann alle getrunken, wenn wir den Satz aus den Filtern zusammengeschmissen und neu aufgekocht haben.«

»Na klar.«

Alle Erwachsenen aus unserer Familie, die am Tisch saßen, nahmen ihre Kaffeetassen hoch und tranken daraus. Es sah aus, als erinnerten sie sich gemeinsam an etwas. Danach wurde das Thema gewechselt und niemand sprach mehr über jugendliche Kaffeediebe.

Einer der besten Weihnachtsromane überhaupt

Es ist eine vergleichsweise einfache Geschichte, nicht gerade umfangreich, eher eine Erzählung oder eine Novelle, aber sie hat eine solche Qualität, dass man sie eigentlich jedes Jahr lesen kann: Ich meine »Weihnachten bei den Maigrets«, verfasst von Georges Simenon und seit einiger Zeit in einer schönen Neuauflage im Kampa-Verlag vorliegend.

Die Geschichte beginnt harmlos: Sie erzählt vom Ehepaar Maigret, das kinderlos zusammenlebt, das eigentlich glücklich ist, bei dem aber offensichtlich ein verschwiegener Kinderwunsch in der Luft hängt. Als im Haus gegenüber etwas Seltsames geschieht, in das ein Kind verwickelt ist, erweckt dies nicht nur die kriminalistischen Sinne des erfahrenen Ermittlers. Auch seine Frau interessiert sich mehr für den Fall, als sie das sonst tut.

Angeblich hat sich ein Weihnachtsmann im Zimmer des Kindes zu schaffen gemacht, ein unbekannter Mann, der danach aber verschwunden ist. Maigret wird von einer tratschenden Nachbarin überhaupt erst auf das Thema aufmerksam gemacht und kümmert sich darum, merkt schnell, dass einiges an der Geschichte nicht stimmt, und beginnt zu ermitteln – um dann festzustellen, dass er auf die Spur eines Kriminalfalls in direkter Nachbarschaft kommt.

Der kurze Roman wurde 1950 geschrieben und atmet den Duft dieser Zeit. Der Krieg ist vorüber, die starren Moralvorstellungen bestimmen immer noch das Leben der Menschen. Wer sich dagegen auflehnt, bekommt Probleme, und deshalb versuchen vor allem die Frauen, ihre Fehltritte so gut wie möglich zu tarnen. Gleichzeitig bestehen die kleinbürgerlichen Träume – man möchte halt gern ein Kind haben – fort wie ehedem.

Und so ist »Weihnachten bei den Maigrets« nicht nur eine schöne Weihnachtsgeschichte, sondern auch ein Krimi, in dem es um einen lange zurück liegenden Mord geht, und vor allem eine Geschichte über kleinbürgerliche Träume und Hoffnungen. In seinem Nachwort hebt der israelische Krimi-Schriftsteller Dror Mishani ebenfalls die sozialen Aspekte dieses Romans hervor. (Die Nachworte hat der Kampa-Verlag bei seiner Simenon-Gesamtausgabe eingeführt, und ich finde sie wirklich toll.)

Sehr lohnenswert, nicht nur an Weihnachten!

21 Dezember 2021

Weihnachtsgeschichte für junge Comic-Leser

Ich weiß, ich weiß, es ist eigentlich zu knapp vor den Feiertagen, um noch einen Weihnachts-Comic zu empfehlen. Aber ich habe »Scrooge« erst dieser Tage gelesen, und der Comic ist ja auch erst vor einigen Wochen erschienen. Das haben die Kolleginnen und Kollegen bei Toonfish zumindest für mich nicht optimal platziert. Aber gut – den Comic kann man im nächsten Jahr ja ebenfalls kaufen.

Also: »Scrooge« ist eine recht freie Interpreation von Charles Dickens' klassischer Weihnachtsgeschichte. Sie greift bekannte Elemente auf, variiert diese allerdings stark. Dabei entsteht ein Comic, der meiner Ansicht nach sowohl von der Geschichte als auch von den Bildern her kindgerecht rüberkommen dürfte.

Der Autor Rodolphe hat die klassische Dickens-Geschichte genommen und in der Vergangenheit gelassen, sie aber stark gerafft. Es ist ja lang her, seit ich sie gelesen habe, aber ich erinnere mich an die vier Geister, die dem geizigen Scrooge in der Weihnachtsnacht erscheinen – die sind hier auf einen Geist reduziert, der Scrooge aber an verschiedene Schauplätze führt. Die Läuterung findet also trotzdem statt, wenngleich in einer anderen Art als in der ursprünglichen Geschichte.

Damit wird sie komprimierter und vielleicht auch kindgerechter. Erschienen ist der Comic bei Toonfish, dem Kinderverlags-Imprint, das sich der Splitter-Verlag zugelegt hat. Da passt der Comic hin.

Von Estelle Meyrand stammen die Zeichnungen, die mehr an die gemalten Bilder eines Kinderbuches als an einen konventionellen Comic erinnern. Sie zeigen viel Schnee, in ihnen werden Scrooge und seine negative Weltsicht schön den feiernden Menschen gegenüber gestellt.

Alles in allem ist dieser »Scrooge«-Comic eine gelungene Geschichte für Kinder und Menschen, die gerne Kindern etwas schenken wollen. Wer sie als etwas zu konventionell empfindet, was die Bilder und die Erzählung angeht, dem kann ich nicht widersprechen. Aber unsereins ist wohl kaum die Zielgruppe ...

Die Känguru-Chroniken als Film

Nur eine kurze Erwähnung: »Die Känguru-Chroniken« habe ich schon live gesehen – in einem Studenten-Café in Heidelberg, lang, lang ist’s her – und vor allem sehr gern gelesen. Den Film verpasste ich, als er ins Kino kam, weil er mich nicht reizte.

Demnächst läuft er offiziell im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, also »für umme«. Und man kann ihn bereit in der Mediathek des ZDF angucken, was ich getan habe. Das war überraschend unterhaltsam, wenngleich die anarchistische Genialität des ersten Buches und seiner knappen Texte natürlich nicht übernommen werden kann.

Das Känguru ist erstaunlich lustig, viele Pointen sitzen, und vor allem die blöden Szenen haben mich zum Lachen gebracht. Intellektuell ist anders – aber wer mal eine nette Komödie sehen möchte, in der ein Kleinkünstler und ein Känguru sich nicht nur mit einer rechtsradikalen Schlägertruppe sondern auch mit einem Immobilienhau anlegen, ist hier ganz gut beraten.

20 Dezember 2021

Zahnarztgespräch

Seit Jahren gehe ich zur selben Zahnärztin, einmal im Jahr lasse ich mich kontrollieren und ein wenig belehren und fahre dann wieder heim. Weil sie kaum »echte« Arbeit hat, geraten wir immer ins Plaudern: Normalerweise reden wir über die Bücher, die wir gerade lesen, vielleicht auch einmal über einen Kinofilm, nie über Politik. Die Assistentin, die stets mit dabei ist, redet ebenfalls mit. Eine kleine Tratschrunde halt.

Diesmal war es anders. Corona stand im Raum und wurde unser Dauerthema. Wer in unserem sozialen Umfeld war krank geworden, wie hatten sich die Krankheiten entwickelt, wer hat seit wann mit den Folgen von Long Covid zu kämpfen? Wie geht man selbst mit den ständig neuartigen Bedingungen um, wie hat einen selbst die Pandemie eigentlich verändert?

Wir redeten über Impfkampagnen und Krankheiten, über Tod und Hoffnung, nicht über Impfgegner und Politik. Ich kam mir dennoch vor wie in einem psychologischen Gesprächskreis, bei dem sich Erwachsene über Sorgen und Nöte austauschen.

Als ich wieder auf die Straße trat, hallten die Gespräche in meinem Kopf nach. Schon seltsam, wie sich in Zeiten der Pandemie auch die harmlosesten Dinge verändern, dachte ich, während ich mein Fahrrad aufschloss. Und mir fiel auf, dass wir kein Wort über aktuelle Bücher oder sonstige Themen verloren hatten.

Perfekter Sommer-Sound aus Venezuela

Wahrscheinlich haben Experten für die Musik, die Desorden Publico machen, einen speziellen Fachausdruck, vielleicht läuft es unter »Mestizo«, möglicherweise unter »Latin-Ska«. Tatsache ist, das die Platte »Estrellas del Chaos«, die ich derzeit sehr oft höre, nicht nur an warmen Tagen, weit entfernt ist von dem Skapunk, den die Band vor allem in den 90er-Jahren zelebrierte.

Da erklingen mal Steeldrums, da laufen Rhythmen, die ich während meiner Karibik-Reise vor vielen Jahren oft gehört habe, da vernehme ich sogar Sequenzen, die für mich fernöstlich klingen. Alle möglichen südamerikanischen Rhythmen werden mit Ska und Reggae, Punk und einem Schuss Hardcore vermengt.

Es kann bei dieser Platte durchaus mal passieren, dass ein Stück ganz harmlos anfängt, irgendwelche Calypso-Rhythmen aus der Karibik plätschern so dahin, und dann bollert auf einmal – als käme es von unten hoch – ein Punkrock-Schlagzeuger dazwischen, die Gitarre sägt alles Gemütliche zusammen, und das Stück endet in einem furiosen Pogowirbel.

Meist aber bleiben die Stücke melodisch und ruhig; sie sind abwechslungsreich und machen Spaß. Die eintönige Art mancher Ska-Melodien, in denen sich manchmal Zirkusmusik mit Hochgeschwindigkeitsschlager mischen, vermeidet die Band. In diesem Sommer werde ich diese CD wohl öfter hören – dann werden auch hitzige Autofahrten weniger langweilig.

Veröffentlicht wurde die Platte als CD im Jahr 2006. Man kann sie nach wie vor kaufen, in Europa wurde sie von Leech Records lizenziert. Leider habe ich die Band nie live gesehen, und ich fürchte, das wird sich auch nicht mehr ändern. Also höre ich sie halt gern an ...

19 Dezember 2021

Die erste Staffel von Deadly Tropics

Ich mochte die englisch-französische Fernsehserie »Death In Paradise« und freute mich deshalb, als ich in der Mediathek des ZDF die Serie »Deadly Tropics« fand. Die erste Staffel wurde 2019 gedreht, lief 2020 bei SAT 1 und steht in diesem Winter dann auch im ZDF zur Verfügung. Die zweite Staffel kann man sich übrigens schon bei einem anderen Streamingsender in deutscher Sprache anschauen; derzeit wird bereits eine dritte Staffel gedreht. Ich warte in aller Ruhe darauf, bis das alles übersetzt zu sehen sein wird.

Im Prinzip ist es eine klassische Krimi-Geschichte, die auf das Prinzip setzt, dass sich die Helden eigentlich nicht leiden können. In diesem Fall handelt es sich um zwei Ermittlerinnen: Mélissa kommt aus Paris und wurde im Prinzip in die Provinz verbannt; sie versucht mit ihren Kindern ein vernünftiges Familienleben. Gaëlle wiederum kommt von Martinique, hat keine Lust auf feste Beziehungen und neigt dazu, Autoritäten grundsätzlich in Frage zu stellen.

Tatsächlich lebt die Serie vor allem von den Konflikten des ungleichen Duos. Im Zweifelsfall arbeiten die Frauen natürlich zusammen, die meiste Zeit streiten sie sich allerdings. Die Fälle, die sie zu leben haben, sind nicht besonders trickreich, allerdings geht es durchaus um heikle Themen: sexueller Missbrauch am Arbeitsplatz, Schwule in einer Macho-Gesellschaft, Gewalt in Beziehungen. Die Morde haben oft einen Hintergrund, der »mehr« ist als die übliche Eifersüchtelei oder Geldgier.

Die Landschaft der Insel Martinique und die Charaktere der zwei Hauptpersonen sind super, die eigentlichen Fälle verblassen etwas. Für eine Fernseh-Unterhaltung ist die Serie aber sehr gelungen – wer einen Krimi vor schöner Kulisse mag, sollte an dieser Serie seine Freude haben.

18 Dezember 2021

Über Punk in den 80er-Jahren

Derzeit lese ich mit wachsender Begeisterung das Sachbuch »High Energy«, das von Jens Balzer verfasst worden ist. Den Autor kenne ich seit den frühen 80er-Jahren, als wir beide Science-Fiction-Fanzines gemacht haben; sein Wissen über die Popkultur ist unfassbar groß.

Nachdem er in »Das entfesselte Jahrzehnt« über die 70er-Jahre geschrieben hat, geht es in »High Energy« um die 80er-Jahre. Ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass ich darin auch zitiert werde. Der Autor hat eine Bemerkung von mir aufgegriffen, die ich in den 90er-Jahren einmal in einem Artikel für die »tageszeitung« aus Berlin formuliert habe – darin ging es um Punk und Chaostage und um eine gewisse Berechenbarkeit bei den jeweiligen Auseinandersetzungen.

(Das passt. Immerhin haben sich der Autor und ich auch schon auf einem Punk-Konzert getroffen, nicht nur auf Buchmessen oder früher bei Science-Fiction-Cons ...)

Im Verlauf der Jahrzehnte habe ich einiges über Punkrock und Comics, über Science Fiction und Fantasy, über Rollenspiele und Reisen geschrieben. Dass ich jetzt mit einem schönen Zitat in einem Buch über die 80er-Jahre verewigt werde, das ich jederzeit zur Lektüre empfehlen möchte – Rezension folgt noch –, finde ich großartig.

17 Dezember 2021

Das Januar-Seminar fällt aus

Traurig, aber wahr: Wegen der anhaltenden Corona-Pandemie und den unklaren Voraussagen für die nächsten Woche haben wir uns entschieden, das nächste Seminar an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel abzusagen. Der zuständige Leiter des Programmbereichs Literatur, Dr. Olaf Kutzmutz, telefonierte mit uns Dozenten, und wir waren uns dann rasch einig: Wir machen das Seminar nicht.

Vom 21. bis 23. Januar 2022 wären der Autor Uwe Anton und ich als Dozenten nach Wolfenbüttel gefahren. Wir hätten mit Autorinnen und Autoren unter dem Titel »Was wäre wenn …« eine »Werkstatt phantastische Kurzgeschichte« veranstaltet. Im Prinzip hatten wir das schon für das Jahr 2021 geplant, wo es wegen der zweiten Corona-Welle nicht stattfinden konnte.

Das Seminar wurde diesmal nicht komplett abgesagt, vielleicht kann man es verschieben und zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr 2022 nachholen. Wenn es nicht anders geht, muss man es eben ins Jahr 2023 schieben … Die Sicherheit geht vor, und angesichts der aktuellen Corona-Lage kann man so ein Seminar auch unter strengsten Regeln kaum ohne Risiko veranstalten.

Lucky Luke als Magazin-Thema

Die Comic-Figur des Cowboys Lucky Luke feiert 2021 ihren 75. Geburtstag, und das ist ein wichtiges Thema in der aktuellen Ausgabe 245 der Zeitschrift »Die Sprechblase«. Die lese ich – mit Unterbrechungen – seit den frühesten 80er-Jahren. Früher konzentrierte sich das Heft sehr stark auf die deutschsprachigen Comic-Klassiker, mittlerweile hat sich das Spektrum ausgeweitet. Das hat dem Heft gut getan, das seine »fannische« Begeisterung aber nicht verleugnen kann.

Die Ausgabe 245, erschienen im Herbst des Jahres, zeigt unter anderem zu Lucky Luke die zumeist unbekannten Werbe-Comics. Der Cowboy hatte im Verlauf seiner Karriere den einen oder anderen Auftritt in der Produktwerbung; das liest sich heute wirklich witzig, unter anderem deshalb, weil die Texte ins Deutsche übersetzt und mit Erläuterungen versehen wurden.

Natürlich widmet sich das Magazin wieder den Klassikern. Die ollen »Winnetou«-Comics werden neu aufgelegt, es gibt ein Sachbuch über »Nick«, und der Zeichner von »Shayawaya« taucht aus der Versenkung auf – das sind alles Themen, die in den fünfziger oder siebziger Jahren relevant waren. Heute sprechen sie vor allem ältere Comic-Fans an. Wer sich für die Anfänge der Szene interessiert, ist damit bestens versorgt.

Der Artikel über die angebliche »Zensur in Entenhausen« greift ein Thema auf, das derzeit immer wieder die Comic-Fans entsetzt oder zu Diskussionen zwingt. Klassische Übersetzungen, die Dr. Erika Fuchs zu Carl-Barks-Geschichten anfertigte, werden heute teilweise entschärft: Was man 1955 witzig fand, nimmt man heute manchmal als rassistisch wahr. Manche Leute scheinen bei solchen Entschärfungen aber bereits eine Zensur zu wittern.

Mit 84 Seiten ist die aktuelle »Sprechblase« ein beeindruckendes Magazin; die Abbildungen sind allesamt bunt, und es gibt sie in allen Größen. Wer sich für Comics interessiert, vor allem für die klassischeren unter ihnen, ist mit diesem Magazin nach wie vor bestens beraten. Schön!

16 Dezember 2021

Frühstück in den Nirwana Gardens

Ich genoss meinen Aufenthalt auf der Insel Bintan und am Nirwana Beach sehr. Der Strand bestand aus feinem Sand, das Meer war ziemlich sauber, der Himmel immer blau. Ich bewohnte ein kleines Haus unweit des Strandes, und ich verbrachte die Tage mit Lesen, Schreiben und Spazierengehen. Der Februar 2007 hatte seine Höhepunkte, und das war einer davon.

Zum Frühstücken ging ich einige hundert Meter zu dem eigentlichen Hotelkomplex, der sich noch eher zurückhaltend an den Strand schmiegte. Dort saß ich dan in der Indra Maya Villa unter Bäumen, auf einer Holzbank und an einem Holztisch und genoss in aller Ruhe ein leichtes Frühstück mit viel Kaffee. Ich war zumeist allein; es waren nicht viele Touristen an diesem Strand und zu dieser Zeit unterwegs.

An die Qualität des Frühstücks erinnere ich mich gar nicht mehr, aber sehr an die Stimmung, in der ich mich befand: Sie war gelöst und sommerlich, einfach positiv. Und deshalb bewahrte ich den Breakfast Coupon über all die Jahre hinweg auf ...

Cream 8 mit düsterem Wave

Warum ich mir eine EP der Band Cream 8 zulegte, ist heute nicht mehr nachvollziehbar – sie ist sogar signiert. Die Band habe ich meines Wissens nie gesehen, obwohl ich zu jener Zeit viele Konzerte in umnachtetem Zustand mitbekam. Die vier Stücke passen allerdings heute auch nicht mehr, wenngleich ich ihre düstere Wave-Stimmung durchaus nachvollziehen kann.

1992 fing Boris Brosowski mit der Band an; anfangs nur ein Projekt, das er allein betrieb. 1993 brachte er im Alleingang die EP »The Crimson Dance« heraus, die durchaus melodisch ist, aber in einer depressiv wirkenden, sehr zurückhaltenden Stimmung. Die dunkle Stimme des Sängers, die schleppende Musik – das ist halt Gruftie-Sound, wie man ihn zu Beginn der 90er-Jahre durchaus gern hörte.

Ich allerdings nicht; zu der Zeit stand ich immer noch auf Hardcore-Punk. Wenn man sich die Platte mit dem Abstand von Jahrzehnten anhört, wirkt sie so, als sei sie schon damals aus der Zeit gefallen. Ein seltsames Zeitdokument also …

(Später wurde ja eine richtige Band aus Cream 8, die mehrere Tonträger veröffentlichte und auf Tour ging. Diese EP aber ist ein Solo-Werk, und das ist ja eigentlich bemerkenswert.)

15 Dezember 2021

Cons auf Sicht

Seit ich mich in der Science-Fiction- und Fantasy-Szene bewege, besuche ich gerne Cons. Bei diesen Fan-Veranstaltungen trifft man auf Autorinnen und Autoren, andere Fans und sonstige Kreative. Das ist unterhaltsam und informativ, manchmal auch lustig, selten sehr dramatisch. Viele Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, habe ich auf Cons kennengelernt.

Das Problem in den vergangenen zwei Jahren: Die Cons fielen wegen Corona aus. Veranstaltungen dieser Art ließe sich nicht ohne Risiko umsetzen und wurden deshalb überall abgeblasen. Für 2022 und 2023 rüsten aber die ersten Veranstalter ...

Der ColoniaCon in Köln soll beispielsweise am 14. und 15. Mai 2022 über die Bühne gehen. Wenn wir Glück haben, ist bis dorthin die aktuelle Corona-Welle erst einmal wieder vorüber. Wie es danach im Jahr 2022 weitergeht, muss man sehen. Wenn ich es einrichten kann, werde ich nach Köln fahren – immerhin war das in den ganz frühen 80er-Jahren einer der ersten Cons, die ich besuchte.

Weitere Cons stehen dann 2023 ins Haus. In Garching wird ein großes Treffen stattfinden, in Berlin rüstet der MetropolCon, der sich in der Unterzeile als »A multimedia Event for Science-Fiction, Fantasy and Horror« bezeichnet. 

Das finde ich lustig, weil wir 1990 den FreuCon zum Multimedia-Con ausriefen. Dreißig Jahre, nachdem in einer kleinen Schwarzwaldstadt dieser Begriff erstmals benutzt wurde, taucht er nun in der Weltmetropole Berlin auf. Schauen wir mal, wie das wird ...

(Nur um es noch mal klarzustellen: Es heißt natürlich »der« Con und nicht »die« Con. Ein Con hat nichts mit einer Konvention zu tun, auch wenn das viele Leute zu glauben scheinen, sondern mit einem Konvent oder gar einem Kongress.)

70er-Jahre-Krimi, noch mal gelesen

Der Autor John Sladek wurde mir in den 80er-Jahren durch seine »Roderick«-Romane bekannt, in denen er von einem Roboter erzählte, der bei einer menschlichen Familie aufwächst und glaubt, selbst ein Mensch zu sein. Weil mir das so gut gefiel, kaufte ich mir in der Mitte der 80er-Jahre den Roman »Unsichtbares Grün«, den ich damals sehr mochte. Dieser Tage fischte ich ihn aus dem Regal und las ihn nach all den Jahrzehnten wieder.

Das Werk hat einen angenehmen Umfang, es sind keine 200 Seiten – okay, heute würde man es auf 320 Seiten mindestens aufblähen –, und es liest sich nach wie vor sehr gut. Die Übersetzung von Thomas Schlück, der den 1974 verfassten Roman ins Deutsche übertragen hatte, trägt sicher dazu bei, dass ich bei der neuen Lektüre viel Freude hatte.

Hauptperson des Romans ist ein spleeniger Detektiv namens Thackeray Phin, ein Amerikaner, der in England ermittelt und unter anderem durch seine schrille Kleidung auffällt. Er tritt in Kontakt zu den Angehörigen eines Krimi-Klubs, die sich selbst als die »Spürnasen« bezeichnen – genau in der Zeit kommt es nacheinander zu mehreren Morden.

Schon klar: Der Täter kann nur einer aus dem Kreis der potenziellen Opfer sein. Aber wie können die Morde geschehen? Entweder sterben die Opfer in einem verschlossenen Raum, oder jeder der anderen hat ein sicheres Alibi. Ein verwickelter Fall mit amüsanten Verwicklungen läuft so vor dem staunenden Auge der Leser ab …

John Sladek liefert einen Roman mit vielen Komplikationen, in dem ein skurriler Detektiv auf seine Weise ermittelt. Die Fälle sind trickreich und trotzdem in sich logisch, die Handlung verläuft in Windungen und ist stets unterhaltsam. Mir machte die erneute Lektüre richtig viel Spaß. Ein gelungener Roman, ein Krimi für Leute, die auch mal gern bei der Lektüre schmunzeln.

Nur schade, dass John Sladek heutzutage offensichtlich ganz schön in Vergessenheit geraten ist. Ich bin sicher, dass es da noch einiges zu entdecken gäbe …

14 Dezember 2021

Wir haben eine U-Bahn

Ich fuhr mit dem Rad aus der Innenstadt in Richtung Weststadt, ich hatte ordentlich Tempo drauf, weil ich am Kaiserplatz schnell über die Kreuzung wollte; die Ampel war auf Grün geschaltet. Auf der mittleren Bahn kam mir eine Straßenbahn entgegen, kein ungewohnter Anblick.

Dann aber fuhr sie nicht geradeaus weiter, sondern verschwand in einem Loch. Erst in dem Moment wurde mir klar: Karlsruhe hat ja jetzt eine U-Bahn. Sie ist nicht groß, sie umfasst nur wenige Stationen, aber auf einmal ist die badische Metropole mit etwas ausgestattet, das man ansonsten von Weltstädten wie Paris und London, Moskau und New York kennt, mit einer Bahn, die auch unter der Erde verfährt.

Ich erinnerte mich noch gut an den Tag vor sechs Jahren, als wir staunend zusahen, wie sich die Tunnelmaschine an genau der Stelle aus der Erde bohrte. Ich erinnerte mich an die zwei Abstimmungen, bei denen ich jeweils gegen den Tunnel gestimmt hatte – ich war und bin der Ansicht, dass man eine Milliarde Euro auch in andere Dinge hätte stecken können, anstatt sie unter der Erde zu verbuddeln.

Aber jetzt hat Karlsruhe eine U-Bahn. Ich fahre innerhalb der Innenstadt alles mit dem Rad und werde sie so schnell nicht benutzen. Aber wenn sich die Leute jetzt darüber freuen, soll's mir recht sein ...

Comic-Künstler in Zeichen von Corona

Seit den 80er-Jahren wird das Comic-Fanzine »Zebra« veröffentlicht, seit damals lese ich es. In unregelmäßigen Abständen bringt die »Zebra«-Redaktion ihre Sonderbände heraus. Ganz aktuell wurde »In der Tusche liegt die Wahrheit« veröffentlicht, der vor allem aus Cartoons und einseitigen Geschichten besteht, also keine Geschichte erzählt. In weiten Teilen handelt es sich um eine Darstellung der Corona-Pandemie aus Sicht von Comic-Künstlern.

Offiziell besteht die »Zebra«-Redaktion aus vier Männern, die seit vielen Jahren die Geschichten texten und zeichnen. Die Künstler gibt es – soweit ich das nach all der Zeit verstehe – eigentlich gar nicht, bei ihnen handelt es sich zumeist um Pseudonyme. Allein schon deshalb wird mit Rudolph Perez nur ein Herausgeber genannt. (Wer das jetzt nicht versteht, möge sich nicht grämen. Fürs Verständnis der Comics ist das auch nicht wichtig.)

Die Cartoons und Comic-Einseiter erzählen aus dem Leben der vier Künstler, von ihren Arbeiten, von ihren Problemen mit Corona und ihren Versuchen, mit der Pandemie im Alltag und im künstlerischen Leben irgendwie umzugehen. Der Alltag in der Redaktion ist fiktiv, spiegelt aber trotzdem einiges von dem wider, was viele Menschen in der andauernden Pandemie-Zeit betrifft: Man versucht mit allen Problemen irgendwie klarzukommen und sich den Humor nicht komplett nehmen zu lassen.

Viele Gags beschäftigen sich mit der Comic-Szene. Es geht um Signierstunden auf Messen, um Reaktionen von Lesern und Verlagsleuten. Manche Anspielung kann man nur verstehen, wenn man sich ein wenig in der Comic-Szene auskennt.

Den Stil mochte ich schon immer: Es ist ein »Funny«-Stil, also Stichmännchen mit großen Nasen, nicht unbedingt in der frankobelgischen Art, eher vielleicht am Stil amerikanischer Underground-Comics orientiert und doch sehr eigenständig. Zu den kurzen Geschichten und ihren teilweise sehr trockenen Pointen passt das auf jeden Fall hervorragend.

»In der Tusche liegt die Wahrheit« ist als »Zebra-Sonderband« 25 erschienen, umfasst 96 Seiten im Softcover und kostet neun Euro. Beziehen kann man die originelle Sammlung von Cartoons und kurzen Comics überall im Comic-Fachhandel; Versender wie der Independent-Comic-Shop führen das schöne Buch ebenfalls.

13 Dezember 2021

Alcala in aller Ruhe

Ging ich vom Hotel in aller Gemütsruhe am Strand entlang, kam ich nach wenigen hundert Metern nach Alcala, einem etwas größeren Dorf, das an seiner Durchgangsstraße von einem unglaublichen Verkehr und von den zahlreichen »Segnungen« des Tourismus beglückt wurde. Hielt ich mich aber von der Hauptstraße einerseits und der Uferpromenade andererseits fern, kam ich zu einem kleinen Dorfplatz.

An einigen Tagen wartete dort ein Markt, der nicht nur von den Einheimischen benutzt wurde, auf sein Publikum. Es gab einen Stand mit Klamotten sowie einige andere Stände; unter den großen Bäumen des Platzes konnte man es dabei gut aushalten. Ich bekam nicht heraus, zu welchen Zeiten der Markt aufgebaut wurde, aber so sehr interessierte es mich nicht.

Wenn mir der Trubel in dem Hotel zu stark wurde, spazierte ich die paar hundert Meter hinüber nach Alcala und setzte mich an einen der Tische vor der Carlos-Bar. Das Essen sah nicht so vertrauenserweckend aus, vor allem Tapas mit extrem viel Öl wurden angeboten. Aber ich bestellte mir schlichtweg einen Kaffee, ein starkes Getränk, das ich ungesüßt schlürfte und das einem den Schweiß aus den Poren trieb. Dann saß ich da, trank einen Kaffee oder auch zwei, danach eine Limonade, und sah dem gemütlichen Treiben unter den Bäumen und am Rand des Platzes zu.

Jeden Tag nahm ich mir vor, auch mal abends zu der Bar zu gehen und einen Wein oder ein Bier zu trinken. Aber letztlich tat ich dann doch das, was die anderen Touristen auch taten: Nach dem Abendessen ging ich höchstens noch vollgefressen an die Hotelbar.

Alcala auf der Insel Teneriffa ist sicher kein Ort, den man kennen muss und an den man zu reisen hat, wenn man irgendwie mitreden möchte. Die kleinen Bars empfand ich auch nicht als wirklich wichtig. Aber gelegentlich denke ich sehnsüchtig an einen Kaffee an der Bar in Alcala.

Eine Vision für 2020

Ich mag Anti-Flag, seit ich ihre ersten Stücke gehört habe. Die amerikanische Band hat sich von ihren durchaus rumpeligen Anfängen weit entfernt, und ich finde sie immer noch gut. Das belegt die Platte »2020 Vision«, die im Jahr 2020 bereits herauskam, die ich mir aber immer wieder aufs Neue anhöre. Die elf Stücke gehen hervorragend in die Beine und ins Ohr.

Sagen wir so: Wer mit einem Zitat von Donald Trump anfängt, sagt auch gleich, in welche Richtung es geht. Die Band äußert sich auf dieser Platte wieder klar gegen Rassismus, christliche Nationalisten und eine bescheuerte Politik sowie für den Widerstand, den man als Punkrocker dagegen aufbringt. Mit dieser Art von Revolutionsmusik macht die Band natürlich ihr Geld, was immer ein wenig seltsam wirkt – aber für mich wirkt es nach wie vor authentisch.

Die Musik ist immer ein hymnischer Punkrock, der streckenweise überproduziert worden ist, aber immer dynamisch rüberkommt. Mache Stücke beginnen ruhig, mit Gitarrengeklimper und bravem Gesinge, bevor sie in schmissige Melodien wechseln. Bei anderen Stücken ist die Band schon in Richtung Hardcore unterwegs, da wird auch mal gebrüllt, während der Sound sehr aggressiv wird. Aber mehrheitlich herrschen Melodien vor, bei denen ich unweigerlich damit anfange, mich zu bewegen.

Anti-Flag machen mit »2020 Vision« auf jeden Fall ihre Art von Punkrock für ein neues Jahrzehnt. Das kann nicht jedem gefallen – und manche werden diese Musik als Kommerz-Punk betrachten –, aber ich finde die Platte stark.

12 Dezember 2021

Ich war ein Verschickungskind

Immer wieder ist in jüngster Zeit das Thema der sogenannten Verschickungskinder in der Diskussion. Millionen von Kindern wurden in den Jahrzehnten nach dem Krieg auf einen Kuraufenthalt geschickt – viele wurden bei diesen Kuren misshandelt, und es lief vieles sehr schief.

Dass ich auch eines dieser Kinder war, hatte ich schon fast vergessen. Es gibt keine schriftlichen Unterlagen in meinem Besitz dazu, aber je mehr ich daran denke, desto mehr fällt mir ein.

Ich habe keine Erinnerungen an irgendwelche Misshandlungen oder dergleichen, aber wenn man als Erwachsener versucht, sich an seine Kindheit zurückzuerinnern, wird einiges seltsam. Die Pädagogik war zumindest grenzwertig. Wobei ich ja einer der »Großen« war … viele Kinder waren jünger als ich Jugendlicher mit meinen 13 Jahren.

Es muss Anfang 1977 gewesen sein; es lag zeitweise viel Schnee. Später kann es nicht gewesen sein, weil ich ab dem Sommer 1977 zum beinharten Fan einer Raketenheftchenserie aus Rastatt wurde. Früher kann es auch nicht gewesen sein, weil ich mich noch erinnere, dass ich in diesem Kinderheim im Radio zum ersten Mal »die neue Musik aus England« zu hören bekam, also Punkrock. Und ich verliebte mich ein wenig, das kann auch kaum früher gewesen sein.

Untergebracht war ich in einem christlichen Kindererholungsheim namens St. Hubertus in der Gemeinde Scheidegg im Allgäu. Von meinem Zimmer aus hatte ich einen tollen Blick in die Ferne, auf hohe Berge voller Wald, hinter denen irgendwo Österreich kam.

Ich bin sicher, dass ich dazu noch eine Reihe von Geschichten aus dem Hirn quetschen kann. Für einen schockierenden Enthüllungsroman wird es kaum reichen …

10 Dezember 2021

Wenn der Neffe sich meldet

Es scheint sich auch in der Verwandtschaft herumgesprochen haben, was ich beruflich so alles mache: Zu meinem Geburtstag bekam ich nicht nur das eine oder andere Paket mit Geschenken – Weihnachtsgebäck nehme ich zu jeder Zeit an, das esse ich immer gern –, sondern auch ein Bild. Mein kleiner Neffe, der seit diesem Jahr in die erste Klasse einer Grundschule geht, malt gern Bilder, und eines davon schickte er mir.

Der Junge findet schon jetzt Raumschiffe und Außerirdische gut. Er mag vor allem kleine pelzige Außerirdische, die einen Nagezahn zeigen, aber er empfindet eine Faszination für Raketen und Sterne. Das Kunstwerk hat vielleicht noch die eine oder andere handwerkliche Schwäche – aber ich habe mich trotzdem sehr gefreut ...

Die neue Chefin und ihr erstes Heft

Bei den »Andromeda Nachrichten«, die über viele Jahre von Michael Haitel geprägt wurden, fand ein Wechsel an der Spitze statt. Das altehrwürdige Fanzine, das zuletzt sehr professionell auftrat, wird nun von Sylvana Freyberg geleitet. Sie ist die neue Chefredakteurin, und die erste Ausgabe, die sie betreute, trägt die Nummer 275. Ich las sie dieser Tage endlich durch.

Rein optisch sieht das 120 Seiten starke Heft im DIN A 4-Format aus wie die Hefte in der Haitel-Ära. Klar, der scheidende Chefredakteur hat der neuen Chefin geholfen, so dass der Übergang so reibungslos wie möglich verlief. Wie Sylvana Freyberg das Heft künftig optisch gestalten wird, muss man sicher abwarten.

Die aktuelle Ausgabe ist inhaltlich völlig in Ordnung. Zahlreiche Romane aus allen möglichen Bereichen der phantastischen Literatur werden vorgestellt, dazu Filme und Computerspiele, und es gibt Berichte zu Veranstaltungen und allerlei Informationen. Thomas LeBlanc erhält die Ehrenmitgliedschaft des Science-Fiction-Clubs Deutschland, worüber selbstverständlich berichtet wird.

Ich finde den Start in die neue Ära erst einmal gelungen. Die neue Chefin führt eine Tradition fort, das ist in dieser Phase sinnvoll und gut. Sie wird sicher neue Akzente setzen und das Heft in ihre Richtung entwickeln. Die folgenden Ausgaben könnten also spannender werden.

(Der Bezug des Fanzines ist im Mitgliedsbeitrag des Vereins enthalten. Weitere Informationen zum Verkauf an Nichtmitglieder findet man auf der Internet-Seite des Vereins. Dort kann man sie auch herunterladen.)

09 Dezember 2021

Zum Meckes fahren

Was ich nicht auf dem Schirm hatte, aber aus der Zeitung erfahren habe: Im Dezember 2021 wurde McDonald’s sage und schreibe fünfzig Jahre alt. Sagen wir es konkreter: McDonald’s in Deutschland konnte dieses Jubiläum feiern. Bei aller Kritik an der Kette – das ist schon ein Erfolg.

Für mich ist die Kette mit vielen Ereignissen und Erinnerungen verbunden. Eine davon bezieht sich auf die späten 80er-Jahre. In Freudenstadt gab es noch keinen McDonald’s, aber in Städten wie Baden-Baden und Böblingen lockten die Schnell-Restaurants.

Und so entwickelte sich unter einigen Jugendlichen der Kleinstadt, in der ich lebte, ein echtes »Meckes-Rennen«. Man traf sich auf dem Marktplatz, dann fanden sich zwei kleine Gruppen zusammen.

Jede startete mit einem Auto: Die eine Gruppe fuhr nach Böblingen, die andere nach Baden-Baden. Beide rasten über die Landstraßen, die einen durch den Schwarzwald, die andere durch das Gäu.

Das Ziel war, bei McDonald’s einzukaufen und zurück nach Freudenstadt zu fahren. Wer zuerst da war, hatte gewonnen. Danach wurde das mittlerweile erkaltete Essen gemeinsam auf dem Marktplatz verspeist.

So war das in den 80er-Jahren. Ich verstand das »Meckes-Rennen« übrigens schon damals nicht …

Karmacopter und California

Durchaus kryptisch kommt die dreiköpfige Band Karmacopter daher. Wer sich Titel ausdenkt, die »FFF« oder »VDMNLAM« heißen, sorgt bei schlichteren Gemütern wie mir für völlige Verwirrung. Dabei ist das, was die Band aus Mannheim treibt, vor allem Hardcore-Punk mit einem eigenwilligen Sound und originellen Texten.

Die EP »California« wurde 2010 veröffentlicht, enthält sieben Stücke, die häufig – was das Bassgewummer und das schnelle Geschrabbe angeht – an die ollen No Means No erinnern, dann aber auch wieder nach rotzigem Deutschpunk klingen. Die Stücke werden schnell rausgebolzt, die Musik ist rasant und wird bei jedem Anhören interessanter: Die Band spielt abwechslungsreich, da wird mal aufs Gaspedal gedrückt und auch mal absichtlich verlangsamt.

Bei den sarkastischen Texten braucht man entweder das Textblatt, oder man hört genau hin; der Sänger hat eine keifende Art, die Texte rauszuhauen: »California – du und ich im Sonnenschein«, heißt es im Titelstück, das die Platte sinnigerweise abschließt, »California – Alkohol und glücklich sein«.

Mit diesen Texten und dieser unfassbar abgeklärten und zugleich aufmüpfigen Art ist die Band auf jeden Fall Punk. Sie ist mehr Punk als manches von dem, was sich als harte Politpunk-Band gebärdet und eigentlich nur Phrasen liefert. Cool.

08 Dezember 2021

Ein neues Fandom?

Ich traf mich mit einem Mann, der in früheren Jahrzehnten in der Science-Fiction-Szene aktiv gewesen war – deutlich vor meiner Zeit –, sich dann aber aus unterschiedlichen Gründen zurückgezogen hatte. Er fragte mich diverse Sachen, unter anderem, ob es den Science-Fiction-Club Deutschland noch gäbe.

»Ja«, gab ich zurück. »Den gibt es nach wie vor. Ich bin aber sicher, wäre ich in diesem Verein Mitglied, würde ich zu den Jungmitgliedern zählen.«

Er lachte und fragte, ob es denn überhaupt noch ein Fandom gäbe, also eine Szene von Science-Fiction-Fans. Das bejahte ich und erzählte von den Fan-Vereinigungen, mit denen ich zu tun hatte, von Fanzines und Cons. Aber das seien wohl eher die älteren Fans, folgerte er aus meinen Aussagen.

»Die Jungen treffen sich heute auf andere Weise«, erläuterte ich. Dann erzählte ich von Wattpad als eine recht neue Plattform, auf der man halt nicht nur schreiben, sondern auch lesen und über Texte diskutieren könnte. Wer mit Wattpad sozialisiert werde, der brauche keine Fanzines mehr.

Das gleiche gelte für Veranstaltungen wie das LiteraturCamp in Heidelberg. Ich erzählte von der Art der Veranstaltung, von der Struktur eines BarCamps und wie anders das sei gegenüber einem Con. »Wer mit BarCamps vertraut ist, wird einen Con eher langweilig finden, fürchte ich«, argumentierte ich.

Mein Fazit: Es gibt vielleicht kein Fandom mehr, wie es im deutschsprachigen Raum ab 1955 entstanden ist und in dem ich vor allem in den 80er-Jahren viel mitgewirkt habe. Aber es gibt genügend Leute, die sich für Science Fiction und Fantasy begeistern und sich in diesen Bereichen kreativ und kritisch austoben – halt nicht unbedingt da, wo sich unsereins tummelt …

Sein Fazit: »Dann muss ich mir wohl um die Zukunft keine Sorgen machen« – gemeint war nicht die Zukunft der Welt, sondern die der phantastischen Literatur.

Wie 1953 die amerikanische Literatur erklärt wurde …

Am 25. Januar 1954 schickte das »Office oft he U.S. High Commissioner für Austria«, genauer gesagt, die »Public Affairs Division« und innerhalb dieser das »Book Translation Program« ein Schreiben hinaus, das offenbar an österreichische Verlage ging. Das Schreiben wurde mit »Sehr geehrte Herren« eingeleitet, weil man offenbar davon ausging, dass keine Frauen im Verlagswesen in führender Position anzutreffen waren.

Und mitgeschickt wurde das kleine Taschenbuch »Der amerikanische Roman 1850 - 1951«, das von Guy A. Cardwell verfasst worden war. Das Ziel der Aussendung war – so das Schreiben –, »die deutschsprachige Leserwelt mit einer Auswahl aus dem Prosaschrifttum Amerikas der letzten hundert Jahre bekannt zu machen«. Woher ich das kleine Buch habe, tut nichts zur Sache; ich habe es auf jeden Fall mit sehr großem Interesse gelesen.

Es werden Dutzende von Autorinnen und Autoren vorgestellt, immer mit kurzen Artikeln, in denen auch ihre wichtigsten Werke genannt werden. Auf 64 Taschenbuchseiten kann man nicht so viel unterbringen, trotzdem ist die Faktendichte enorm – und ich lernte einige Namen, die für mich neu waren.

James Fenimore Cooper, Mark Twain oder Jack London aus dem 19. Jahrhunderten sind mir bekannt, von ihnen habe ich einiges gelesen. Bei den moderneren Autoren sind mir natürlich William Faulkner, Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald ein Begriff, andere Schriftsteller wie John Hersey oder William Saroyan habe ich noch nie gelesen. Interessant ist, in welcher Art und Weise die jeweiligen Autoren und ihre Werke gewertet werden.

Genre-Literatur aus den Bereichen Science Fiction und Fantasy fehlt völlig, immerhin gibt es ein wenig Krimi und ansonsten eine ordentliche Ladung an historischen Romanen. Die Utopie »Looking Backward« von Edward Bellamy erfreute mich immerhin: Das Buch wurde 1888 geschrieben und spielt im Jahr 2000. James Branch Cabell mit »Jurgen« zählt für mich ebenfalls zur phantastischen Literatur.

Ich las »Der amerikanische Roman 1850 - 1951« tatsächlich komplett, weil ich die Urteile zu manchen Autoren recht amüsant fand. Guy A. Cardwell schreckte vor Kritik nicht zurück – und aus der heutigen Zeit liest sich eine Kritik aus den frühen fünfziger Jahren eben seltsam. Jack Londons Romane beispielsweise seien »hastig niedergeschrieben« und voller »Gewalttätigkeiten«.

Unterm Strich eine eindrucksvolle und auch spannende Lektüre. Dieses Sachbuch bleibt in meinem Bücherschrank – als Quelle für Literaturklassiker-Tipps!

07 Dezember 2021

Wie eine Art Revanche

Von meinem Platz am Fenster aus hatte ich einen guten Blick auf die Überlandstraße. Es herrschte ordentlich Verkehr. Schwere Lastwagen fuhren vorbei, überladene Minibusse, einige Autos, dazwischen Mopeds und Radfahrer. Auf den Gehwegen tummelten sich die Fußgänger. Über Nkhotakota brach gerade die Nacht herein, viele Leute waren offensichtlich auf dem Heimweg.

Ich saß an einem schlichten Holztisch, an dem ich mein Abendessen zu mir genommen hatte. Der Teller war so gut wie leer, ich tunkte noch den Rest Soße mit einem Stück Weißbrot auf. Meine Bierflasche hatte ich erst zur Hälfte geleert. Ich hatte vor, nach dem Essen ein wenig sitzenzubleiben und auf die Straße zu schauen, bevor ich mich wieder ins Getümmel stürzte. Bezahlt hatte ich schon, man hatte mich gleich abkassiert.

»Entschuldigen Sie«, sprach mich auf einmal ein Mann an, der am Tisch neben mir saß. Seine Kopfbedeckung und seine eher arabisch anmutende Kleidung wies darauf hin, dass er Muslim war. Wer sich in Malawi zum Islam bekannte, trug gern Kleidung, die eher nach Nord- und weniger nach Ostafrika oder gar Europa aussah. »Ich sah, dass Sie mit dem Essen fertig sind, und …« Er lächelte freundlich.

Ich lächelte zurück. »Bitte. Gern.« Ich mochte es, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, wenn ich schon durch ein Land reiste, das ich als fremd empfand.

Jeder von uns blieb an seinem Tisch, jeder mit seinem leeren Teller und einem Getränk vor sich. Der Mann hatte ein Glas Wasser, ich eine Flasche Bier. Wie im Klischee, dachte ich.

Er fragte mich, woher ich komme, und ich erzählte in wenigen Sätzen von meiner Herkunft und von meiner Reise durch Malawi. Als er mich fragte, wie es mir gefalle, gab ich eine ehrliche und sehr positive Antwort. Ich musste mich dafür nicht verbiegen, den Aufenthalt in Malawi fand ich bislang sehr abwechslungsreich und angenehm.

Auch ich fragte ihn nach seiner Arbeit. Er sei Helfer in der örtlichen muslimischen Gemeinde, erzählte er. Wenn ich ihn richtig verstand, war er kein Imam, auch wenn er gelegentlich ein Gebet anleitete, sondern unterstützte den örtlichen Imam bei all seinen Tätigkeiten.

»Es gibt viel Armut in unserem Land«, sagte der Mann zurückhaltend.

Mir war nicht klar, welche Reaktion er von mir erwartete. »Das stimmt«, gab ich zu. »Viele Leute sind arm.«

Ich wusste, dass Malawi erst kürzlich eine Hungersnot in den nördlichen Landesteilen bewältigt hatte. Viele Menschen waren unter anderem deshalb gestorben, weil die Regierung – so sagte man – im Jahr davor auf Druck der ausländischen Partner einen Teil der Ernte ins Ausland verkauft hatte, um Staatsschulden zu bezahlen, und damit war nicht genug für die eigene Bevölkerung geblieben. Gleichzeitig grassierte Aids, in manchen Dörfern starb die halbe Erwachsenenbevölkerung weg.

Der Mann erzählte mir, wie sie in der Gemeinde versuchten, den Armen zu helfen. Es gab wohl eine Art Armenspeisung, die offensichtlich von Spendern aus dem Ausland finanziert wurden. Womöglich waren es die gleichen Spender, die dafür sorgten, dass überall im Land neue Moscheen gebaut wurden.

»Man muss den armen Menschen helfen, damit sie aus der Armut herauskommen«, sagte der Mann.

Ich pflichtete ihm bei. Glücklicherweise sei Malawi zwar ein armes Land, aber es gäbe keinen Krieg, alles sei friedlich. Kein Vergleich zu manch anderem Land.

»Viele Leute hier machen Europa und Amerika für unsere Probleme verantwortlich«, sagte er. »Und sie sagen, dass wir im Krieg sind. Europa und Amerika führen Krieg gegen uns.«

Vorsicht!, dachte ich. Ich muss echt aufpassen!

Es war nicht die erste Diskussion bei einer meiner Reisen nach Afrika, in der ich auf einmal in die Rolle gezwungen wurde, die Politik des sogenannten Westens zu verteidigen. Daheim hatte ich kein Problem damit, unsere politischen Führungen zu kritisieren; in Afrika tat ich mich damit schwer.

»Das kann man so nicht sagen«, widersprach ich höflich. »Es gibt Probleme, aber die Europäische Union und auch Deutschland unterstützen doch viele Entwicklungsprojekte.«

»Das schon. Aber sie festigen damit nur unser Abhängigkeit von euch. Und das mögen die Leute immer weniger, das wird sich rächen.« Er klang besorgt, nicht aggressiv, als ginge es ihm um die Probleme des reichen Westens. »Sehen Sie die Türme in New York, das war eine Folge Ihrer Politik. Also nicht die von Ihnen als Person, sondern die von Europa und Amerika.«

Er benötigte einige Sätze, um mir seine Weltsicht zu erläutern. Ich blieb still und unterbrach ihn nicht, vor allem aber deshalb, weil er durchgehend ruhig und höflich blieb. Meine Sicht auf den 11. September, auf den Terroranschlag in New York war offensichtlich völlig anders als der seine.

»Sie müssen das so sehen«, argumentierte er, »für viele Leute war das Attentat eine Revanche, eine Rache für die jahrzehntelange Politik, die der Westen in aller Welt betreibt. Jeden Tag sterben Menschen, weil Ihre Politiker das so wollen, und diesmal haben einige zurückgeschlagen.« Er hielt inne, dann wiederholte er es. »Es ist wie eine Art Revanche.«

Es war das erste Mal, dass ich diesen Standpunkt hörte. Der Tag, den die Amerikaner schlicht als »Nine Eleven« bezeichnete, lag nur einige Wochen zurück. Ich hatte nicht damit gerechnet, im November 2001 auf den September 2001 angesprochen zu werden.

»Aber es war doch Mord«, wandte ich ein. »Mord und Terror, und es starben Tausende von Menschen.«

»Das stimmt. Aber war es wirklich so viel anders als das, was das reiche Europa mit seiner Politik in Afrika und sonstwo anrichtet?«

Wir wurden keine Freunde an diesem Abend, aber wir stritten uns auch nicht. Wir diskutierten das Thema ebensowenig zu Ende. Er musste bald zu seiner Gemeinde zurück, wie er mir sagte, und wir trennten uns mit einem Handschlag und einer kurzen Verneigung.

Ich blieb an meinem Tisch stehen und betrachtete mein Essen. Seine Sicht der Dinge war nicht die meine, aber er hatte sie klar vermittelt. Ich konnte ihm nicht böse sein. Er hatte den Terroranschlag nicht verteidigt, mir aber gezeigt, warum ihn manche Leute nicht ablehnten.

In Gedanken ging ich zur Kasse, wo ich mir eine weitere Flasche Bier kaufte. »Alles in Ordnung?«, fragte der Jugendliche mit Baseballkappe, der hinter dem Tresen stand, nachdem ich bezahlt hatte.

Ich nickte. »Alles in Ordnung.«

Er wünschte mir einen schönen Abend, und ich ging. Mein Bier trank ich unweit des kleinen Restaurants. Ich saß auf einem großen Stein, betrachtete den Verkehr auf der Straße und nahm immer wieder einen Schluck. In meinem Kopf hallte ein Halbsatz. »Wie eine Art Revanche.«