31 August 2023

Erste Ideen zu Peter Pank

Im Sommer 1994 wohnte ich in Bischweier, einem Dorf in der »badischen Pampa«, wo es mir nicht sonderlich gefiel. Ich pendelte zur Arbeit nach Rastatt und abends zum Biertrinken nach Karlsruhe – auf die Dauer konnte das nicht gutgehen. Und ich schrieb regelmäßig Beiträge für das »ZAP«, das von Moses Arndt veröffentlichte Fanzine für Hardcore, Punkrock und allerlei artverwandte Gebiete. Das Heft kam wöchentlich heraus, und in der damaligen Zeit war es das wohl wichtigste Heft in Sachen Punk und Hardcore

Im Juli 2004 skizzierte ich eine Idee, die ich unter den schlichten Titel »Vielen Dank, Peter Pank!« stellte. Meine Idee war so einfach wie verständlich: »Die Leute, die das wöchentliche ZAP lesen, brauchen Lesefutter, mit dessen Hilfe sie bei der Stange bleiben.«

»Ein Fortsetzungsroman ist dafür nicht das dümmste, jede Zeitschrift hat Fortsetzungsgeschichten, und die wissen alle, warum«, fügte ich hinzu. »Jede Woche in jedem ZAP eine Fortsetzungsgeschichte, maximal zwei Seiten lang.« Den detaillierten Umfang müsse man noch diskutieren; ich ging ohnehin davon aus, immer vier oder fünf Folgen im voraus zu liefern, um irgendwelche Engpässe zu vermeiden.

Eine Idee, die wir nie umsetzten, weil wir das rein zeitlich auch nicht geschafft hätten, die aber richtig gut war: »Für jede Folge wird ein anderer Zeichner zur Illustration gesucht (ein Bild pro Folge); aufgrund meiner Kontakte zu Zeichnern ist das kein Problem.« Schnell sollte sich herausstellen, dass für so etwas bei der rasanten Erscheinungsweise kein Kopf frei war.

Und dass aus dem Konzept etwas entstehen würde, das ich mittlerweile seit bald dreißig Jahren betreibe, war ebensowenig zu erwarten wie die Tatsache, dass es mittlerweile drei Buchausgaben dieser Geschichte gibt. Da sieht man, was aus einer eher harmlosen Idee werden kann …

Sieben äußerst gelungene Erzählungen

Er ist einer der bekanntesten Schriftsteller im deutschsprachigen Raum, und ich hatte bislang noch nie ein Buch von ihm gelesen. Das änderte ich während eines kurzen Urlaubs, den ich zuletzt vor allem daheim verbrachte. Ich schmökerte mich durch »Liebesfluchten« von Bernhard Schlink, war davon sehr angetan, mochte jede der darin enthaltenen Erzählungen sehr und nahm mir nach der Lektüre vor, künftig mehr von diesem Autor zu lesen – hier gibt es noch einiges zu entdecken für mich.

Die Geschichten spielen gern mit der deutschen Geschichte. So geht es in »Der Seitensprung« um einen Mann aus Berlin, der während der DDR-Zeit eine Beziehung zu einer verheirateten Frau in der DDR anfängt. In »Die Beschneidung« wird ein deutscher Student, der in den USA mit einer jüdischen Frau liiert ist, ständig mit der deutschen Vergangenheit konfrontiert. Zwar greift ihn niemand an, aber es kommt häufig zu Diskussionen.

Andere Geschichten wiederum erzählen »einfach nur« von menschlichen Themen und Abgründen. In »Die Frau an der Tankstelle« beispielsweise hat ein Mann immer mehr Probleme mit sich, seinem Leben und seiner Ehefrau, während er nachts von wildem Sex träumt … das kann ja nicht gutgehen.

Die Geschichten sind vielseitig, und sie werden in einem unaufgeregten Ton erzählt. Der Autor versucht nicht, mit stilistischen Effekten zu punkten, um sich als Hochliterat zu zeigen. Es gibt auch keine Action; die Sprache ist zurückhaltend, die Handlung besteht aus erzählenden Sequenzen und Dialogen. Trotzdem ist das alles nicht langweilig, sondern höchst unterhaltsam. Man nimmt als Leser teil am Leben der Figuren und möchte gern wissen, wie es mit ihnen weitergeht.

Schlink versteht seine Figuren, er stellt sie mit ihren Schwächen sehr glaubhaft dar und liefert trotzdem gelegentlich einen augenzwinkernden Blick auf sie. Das hat mich bei allen Erzählungen überzeugt.

Am Stück lesen kann man das Buch kaum, das ist aber auch nicht sinnvoll. Liest man sie im Abstand von Wochen, wirkt jede der Erzählungen eigenständig und sehr stark.

30 August 2023

Herr Glausner ist zu Besuch

Die Sonne schien, es war ein warmer Tag im Frühsommer. Meine Mutter und ich saßen in der Küche, am Esstisch hatte sich mit uns Herr Glausner niedergelassen. Die Erwachsenen unterhielten sich, und ich durfte dabeisitzen. Die Regel dabei war, dass ich den Mund zu halten hatte.

Womit Herr Glausner genau sein Geld verdiente, wusste ich nicht. Ich mochte seinen Namen, weil er so ähnlich wie der meine klang, was zu vielen kindlichen Späßen einlud, und ich fand ihn immer nett, wenn er zu Besuch kam. Er war nicht verwandt, sondern gehörte zum »sozialen Umfeld« meiner Eltern, das sich aus alten Kriegskameradschaften, ehemaligen Arbeitskollegen und kirchlichem Umfeld speiste.

Ich fand ihn nett, das reichte, und ein bisschen geheimnisvoll. Von den Gesprächen zwischen ihm und meiner Mutter bekam ich nicht viel mit. Herr Glausner kam viel herum, wie ich immerhin erfuhr, während meine Mutter die nähere Umgebung des Nordschwarzwalds kaum verlassen hatte.

»Man muss halt aufpassen«, sagte Herr Glausner. Es sei nicht ohne Risiko, auf der Straße unterwegs zu sein. »Die heutigen Zeiten sind gefährlich.«

»Haben Sie dann eine Pistole dabei?«, platzte ich heraus. Ich war sechs Jahre alt, kam bald in die erste Klasse und wusste aus Erzählungen, dass es Schusswaffen gab. Im Fernsehen hatte ich auch schon gelernt, wie so eine Waffe aussah.

Herr Glausner grinste. Er schob sein Jackett zur Seite, das er anhatte, und zeigte, dass er eine Art Tasche unter der Schulter hatte. Diese war normalerweise durch das Jackett verborgen. Er öffnete die Tasche, und einmal hielt er eine Schusswaffe in der Hand. Ob es ein Revolver oder eine Pistole war, erkannte ich nicht.

Ich starrte auf das Metall, auf die Waffe, auf die Hand unseres Besuchers. Langsam griff er nach der Waffe und zog sie aus der Tasche, dann hielt er sie in der Hand, locker nur, aber eindeutig zu erkennen, keinen Meter von meinem Gesicht entfernt.

Entsetzt schrieb ich auf, sprang von meinem Platz auf, rief etwas, das niemand verstand und ich sofort vergaß, und rannte aus der Küche. Ich rannte durch den Flur, hinein in das Kinderzimmer, in dem meine Schwester und ich sonst schliefen, öffnete dort das Fenster, kletterte hinaus und versteckte mich im Garten zwischen den Sträuchern, die dort wuchsen. Vor lauter Angst war ich wie besinnungslos.

Es dauerte vielleicht zwei Minuten, dann stand meine Mutter am Fenster. »Klaus, komm rein«, sagte sie, »dir passiert schon nichts.«

Ich blieb in meinem Versteck, ich rührte mich nicht. Sie konnte mich sehen, so groß waren die Sträucher ja nicht, aber ich ließ mich nicht dazu bewegen, wieder ins Haus zu kommen. Dort blieb ich, zitternd vor Angst und völlig verschreckt.

Erst als etwa eine Viertelstunde ein Auto vom Hof fuhr, war das für mich das Zeichen, aus dem Versteck zu kommen. Ich mochte Herrn Glausner weiterhin, aber ich hielt nach diesem Tag immer den größtmöglichen Abstand zu ihm ein.

Wenn das Schlumppelinsche kommt ...

Mit den »Asterix«-Ausgaben in den verschiedensten Dialekten hat der Ehapa-Verlag in den vergangenen Jahrzehnten viele Menschen dazu gebracht, Comics zu kaufen und zu lesen, die das vielleicht sonst nie getan haben. Bei Toonfish gibt es seit einiger Zeit auch die »Schlümpfe«-Comics in einzelnen Dialekt-Ausgaben; vier Bände liegen vor. Zuletzt las ich »Die Schlümpp uff Hessisch«, wobei man noch hinzufügen müsste »... unn des Schlumppelinsche uff pfälzisch«.

Die klassische Geschichte von Schlumpfinchen dürfte allen Leuten bekannt sein, die die Schlümpfe und ihre Abenteuer kennen. Das Mädchen – ebenso alterslos wie die Schlümpfe selbst – entsteht aus einem bösen Plan des Zauberers Gargamel und wird ins Schlumpfdorf geschickt. Es soll die kleinen blauen Wichte verwirren, und das geht natürlich sehr gut: Die Jungs kennen keine Mädels und führen sich auf wie die letzten Honks.

Liest man das Ganze in französischer und deutscher Sprache, bietet die Geschichte durchaus Raum zur Interpretation. Ist es eine Auseinandersetzung mit weiblichen und männlichen Rollenbildern? Werden Klischees überspitzt aufs Korn genommen oder eins zu eins transportiert?

Wird das alles aber ins Südhessische und Pfälzische übersetzt, wird es sofort absurd. Ich stellte mir, während ich die Geschichte las, genau vor, wer sie sprechen würde, hatte also bei den jeweiligen Sätzen im Dialekt also immer eine Stimme im Ohr. Und das machte die Abenteuer vom »Schlumppelinsche« noch witziger und pointierter, als sie es ohnehin schon sind.

Ich bin übrigens kein Experte für diese beiden Dialekte und hatte durchaus meine Schwierigkeiten beim Lesen mancher Sprechblase. Als Schwabe benutze ich andere Laute, um es höflich anzudeuten. Die Übersetzungen fand ich trotzdem sehr gut, die Geschichte bekommt damit eine andere Note.

Ein großartiges Comic-Album, echt! Nicht nur für Leute, die in Hessen wohnen oder diesen Dialekt verstehen ...

29 August 2023

Die Schlosslichtspiele 2023

Im vergangenen Jahr schaute ich mir die Schlosslichtspiele in Karlsruhe nicht an; wegen der Pandemielage hatte ich immer noch keine Lust darauf, mich unter zu viele Menschen zu begeben. In diesem Jahr war das anders – ich hatte bereits Corona hinter mich gebracht, also juckte mich die Pandemie nicht mehr so sehr.

Seit es die Schlosslichtspiele gibt, liebe ich diese Veranstaltung. 2015 startete sie, weil der Stadtgeburtstag zu feiern war, und seither wurden sie immer wiederholt – während der Pandemiezeiten auch mal digital. In diesem Jahr ging ich bereitwillig wieder hin.

Es war einer der warmen Tage der vergangenen Woche. Die Stadt brodelte wieder einmal, überall waren Menschen unterwegs. Vor dem Schloss hatten sich Tausende versammelt, manche durchaus professionell mit Klappstühlen und Decken, andere – so wie wir – einfach so und ohne Hilfsmittel. Überall saßen, lagen und standen Leute.

Welche Präsentation genau lief, war mir fast schon egal. Ich fand es auch in diesem Jahr wieder spannend, wie Videokünstler es schaffen, die Fassade des Schlosses aufzugreifen und in bewegte Bilder zu versetzen. Die Fassade wird zerknäult und zersplittert, sie wird zur Leinwand und scheint sich zu bewegen – ein faszinierender Anblick.

Szenen-Applaus gab es, als bei einer Präsentation ein riesiges Schwarzweißbild von Peter Weibel eingeblendet wurde, dem langjährigen Leiter des ZKM in Karlsruhe, der letztlich die Schlosslichtspiele ins Leben gerufen hatte. Und nach jeder Präsentation gab es zusätzlichen Applaus, das fand ich schön.

Nicht alles gefiel mir gleichermaßen – die Faszination für die Vermengung von Schloss, Licht und Musik fand ich aber in diesem Jahr wieder großartig.

28 August 2023

Künstlerisches Basislager

Die derzeit spannendste Ausstellung, die man sich im ZKM in Karlsruhe anschauen kann, spricht vor allem mich als Science-Fiction-Fan an. Sie trägt den Titel »Renaissance 3.0«, hat einige sehr beeindruckende Elemente und überzeugte mich: Ich war buchstäblich stundenlang damit beschäftigt, mich mit all den gebotenen Kunstwerken zu beschäftigen.

Zu einem »Zentrum für Kunst und Medien« passt eine solche Ausstellung, die den Untertitel »Ein Basislager für neue Allianzen von Kunst und Wissenschaft im 21. Jahrhundert« trägt, tatsächlich sehr gut. Was mir, der ich von moderner Kunst ja keinerlei Ahnung habe, besonders entgegen kam: Fast alles war irgendwie verständlich; man konnte sich die Sachen anschauen, man konnte aber auch mit ihnen arbeiten.

So ist »fluidum Z« eine Art riesiger Videoschirm, auf dem sich Farbenspiele abwechseln. Ich stellte mich vor dieses riesige Ding und sorgte mit meinen Bewegungen dafür, dass sich Wellen bildeten, dass ich quasi durch die Installation schwamm. Klar ist das eine Spielerei; dabei entstanden aber faszinierende Farben und Bilder.

Das »Metabolica Camp« zeigte Versuche, mit künstlerischen Mitteln neues Leben herzustellen oder neue Werkstoffe zu erzeugen. Der Raum kam mir vor wie die Kulisse eines klassischen Science-Fiction-Films: brodelnde Glasbehälter, seltsame Dinge an der Wand, merkwürdige Geräusche und Gerüche ...

Eindrucksvoll fand ich auch »Algo-r(h)i(y)thmus«, was sich als eine Art riesiges Zelt entpuppte, in dessen Innerem lauter Fäden gespannt waren. An diesen konnte man zupfen, was eine Art Musik erzeugte. Und wenn man sich Mühe gab, konnte man zwar nicht gerade eine Melodie erschaffen, aber einen immer schneller werdenden Sound, der entfernt an Techno erinnerte.

Und so geht es weiter. Die Infomationsseite des ZKM liefert zumindest einige Bilder, die einen Einblick in die Ausstellung geben. Ich fand's klasse!

25 August 2023

Christian von Zittwitz wird fehlen

Ich lernte ihn nie persönlich kennen, ich las aber über Jahrzehnte hinweg die Zeitschrift »BuchMarkt«. In dieser Woche ist der Herausgeber und Journalist Christian von Zittwitz gestorben. In der Buch- und Literatur-Branche wird er eine Lücke hinterlassen.

Seine Zeitschrift hielt ich zum ersten Mal in den 80er-Jahren in den Händen, seit den 90er-Jahren lese ich sie regelmäßig. Der »BuchMarkt« brachte und bringt, wie der Titel nahelegt, Artikel über das Geschäft mit Büchern und Literatur. Dazu gehören Interviews mit Verlagsleuten, Einblicke in die Abläufe im Handel, durchaus witzige Kolumnen, haufenweise News und auch kurze Rezensionen. Nicht alles interessierte mich – ist der Schwerpunkt eines Heftes beispielsweise »Esoterik«, blättere ich schnell –, aber das ist ja auch in Ordnung.

Den Herausgeber lernte ich nie persönlich kennen. Als Facebook noch »jung« war, schickte er mir eine Freundschaftsanfrage, worüber ich mich damals sehr freute. Und ab und zu ging er in all der Zeit auf einen Beitrag auf meiner Faceook-Seite ein, worüber ich mich ebenfalls immer freute.

In seinen eigenen Texten war Christian von Zittwitz immer ein wenig ironisch, aber von hoher fachlicher Kompetenz. Da merkte man die Liebe zur Literatur. Sein Magazin ist in guten Händen, denke ich, sein Lebenswerk wird weiterleben. Aber er wird einfach fehlen.

24 August 2023

Performance und Videokunst

Das ZKM in Karlsruhe ist ein Museum mit einem Ruf, der weit über die Grenzen von Deutschland hinaus reicht. Viele Ausstellungen sind international angelegt, und die Besucher kommen aus vielen Ländern. Ich wohne keine zwei Kilometer von diesem Zentrum für Kunst und Medien entfernt, besuche es viel zu wenig und nutzte einen der schwülen Tage dieses Sommers, in den gekühlten Räumen des Museums einige Stunden zu verbringen.

Eine der zwei Ausstellungen, die ich mir anschaute, hieß »Ulrike Rosenbach. heute ist morgen« – das hörte sich ein wenig nach Science Fiction an, und das finde ich ja immer spannend. Wie ich aus den Informationen entnahm, ist sie eine sogenannte Medienkünstlerin und wurde unlängst 80 Jahre alt; ich hatte es also mit einer Werkschau zu tun.

Es gab Videos zu sehen, auf denen Performances der Künstlerin aus verschiedenen Jahrzehnten gezeigt wurden. Dazu kamen Installationen, die einen weiteren Einblick in ihre Arbeit gaben. Manchmal wurden Videos mit Bildern und einem Ausstellungskasten ergänzt. Dabei drehen sich die Arbeiten häufig um die Rolle von Frauen in der Gesellschaft oder um Feminismus im Allgemeinen; sie arbeitet sich an Männlichkeitsbildern ab oder dekonstruiert die Darstellung der Venus.

Ich gestehe: Vieles verstand ich nicht. Ich guckte mir alles an, ging aber auch oft kopfschüttelnd weiter. Diese Performance-Aufführungen sahen für mich manchmal chaotisch aus, willkürlich geradezu, und ich erkannte nicht ihren künstlerischen Wert. Nachvollziehbarer war für mich etwa das Amazonen-Motiv: Die Künstlerin schießt mit Pfeilen auf eine Amazonen-Darstellung – und natürlich war auch die Waffe ausgestellt.

Wer genau wissen will, um was es bei dieser Ausstellung geht, darf nicht mich fragen. Ich konnte damit nicht viel anfangen. Auf der Internet-Seite des ZKM gibt es weitere und tiefergehende Informationen. Interessant war es allemal – wir diskutierten nicht nur einmal über die Ausstellung und die verschiedenen Eindrücke, die wir gewonnen hatten ... Aber es muss ja auch nicht jedem alles gefallen.

23 August 2023

Schöner See eigentlich

Über meine Verblüffung, in der Waldstadt von Karlsruhe auf einen kleinen See zu stoßen, schrieb ich vor einiger Zeit schon einmal. Dieser Tage schaffte ich es erneut, den See anzusteuern, und war erneut überrascht. Man erwartet ihn an dieser Stelle einfach nicht.

Die Nachbarschaft wird von Wohnblocks beherrscht, zeitweise richtig ausgedehnt. Doch dazwischen wartet der See auf einen Besucher. Er wird sogar von Anglern genutzt, wie es scheint. In der Abenddämmerung wirkt er fast romantisch: Er wird von Strauchwerk gesäumt, und kleine Wege führen überall hindurch.

Leider wird das Areal offenbar auch als Hundeklo benutzt, wenn man den Blick ein wenig kritisch auf den Boden richtet. Der See an sich und seine Umgebung sind schön; allein die irrsinnige Menge an Stechmücken und anderen Insekten in der Luft trieb mich schnell in die Flucht. Und Romantik liegt wie immer im Auge des Betrachters, wie das Foto belegt ...

Einige Worte zu Armin Hofmann

Ich lernte Armin Hofmann in den 80er-Jahren kennen. Er wohnte in Nagold, ich wohnte in Freudenstadt – die beiden Kleinstädte im Schwarzwald liegen rund zwanzig Kilometer auseinander.

Er spielte bei den Skeezicks mit, die ich mehrere Male sah und deren roher Hardcore-Punk für die damalige Zeit unglaublich frisch und neu klang. Er betrieb das Label X-Mist Records, und ich kaufte im Verlauf der Jahre wohl Hunderte von Platten bei ihm. Er veröffentlichte Bands wie die Spermbirds, Walter Elf, L'Attentat, Nations On Fire, So Much Hate und unzählige mehr. Und er organisierte Konzerte, bei denen im kleinen Jugendzentrum in Nagold die Größen der internationalen Hardcore-Szene aufspielten.

(Wenn ich jetzt immer von »Er« schreibe, soll das nicht den Eindruck vermitteln, er habe das alles allein gemacht. Seine Frau Ute war bei all diesen Aktivitäten ebenso dabei wie ein Haufen engagierter Leute. Dieser Text fokussiert natürlich eher auf ihn.) 

Wir haben uns im Verlauf der 80er-Jahre ständig gesehen, ich übernachtete auch einmal bei Ute und Armin – weil ich zu betrunken war, um noch heimzufahren, wenn ich mich recht erinnere –, im Verlauf der 90er-Jahre ließ das deutlich nach. Unser Kontakt beschränkte sich auf sehr seltene Mails und noch seltenere Käufe von Schallplatten bei seinem Versand. 

Er gehört zu meiner musikalischen Biografie dazu, hat sie durch seine Vorschläge und Veröffentlichungen bereichert. Wenn er früher im »Trust« oder sonstwo schrieb, diese oder jene Platte müsse man unbedingt haben, folgte ich seinem Rat – und wurde praktisch nie enttäuscht.

Heute morgen erst erfuhr ich, dass Armin schon in der vergangenen Woche verstorben ist. Die Nachricht hat mich geradezu schockiert. Sehr traurig.

22 August 2023

Apostelei am Mittag

Ansatzlos begann der Nachbar zu schreien. Er stand auf dem Weg, keine zwanzig Meter von uns entfernt und brüllte meine Mutter an: »Du Drecks-Apostel! Geh zurück in dein verschissenes Haus und lass dich nicht auf der Straße blicken.« Er benutzte den Dialekt unserer Gegend, der bei Beleidigungen noch grober und bäuerlicher wirkte, als er es ohnehin schon tat.

Meine Mutter stand da wie erstarrt. Ich war acht oder neun Jahre alt und blieb neben ihr stehen, sah zu dem Mann hinüber und verstand nicht, woher der Wutausbruch kam.

Der Mann gab keine Begründung, er brüllte einfach nur weiter. »Du Sau-Apostel! Du Drecksau! Du mit deiner Apostelei!«

Wir waren neuapostolisch, gehörten damit zu einer kleinen Religionsgemeinschaft in unserem Dorf. Im täglichen Umgang spielte es normalerweise keine Rolle, ob jemand evangelisch oder katholisch war, zur Neuapostolischen Kirche gehörte oder zur Hahnischen Gemeinde, zum Württembergischen Brüderbund oder zu den Methodisten. Sonntags traf man sich häufig auf dem Weg zur Kirche oder zurück; die Menschen trugen ihre Sonntagskleidung und grüßten sich höflich. Und über die Unterschiede zwischen den Religionsgemeinschaften wurde nicht gesprochen, zumindest nicht vor den Kindern.

Welches Problem der Nachbar auf einmal hatte, war mir unklar. Ich verstand es nicht. Er brüllte und tobte, schüttelte die Faust und drohte mit »Vergasen«, was ich gleich zweimal nicht verstand.

Endlich löste sich meine Mutter aus der Erstarrung. »Wir gehen jetzt nicht einkaufen«, sagte sie. Eigentlich hatte sie zur Metzgerei gehen wollen, um dort frische Wurst und Speck zu kaufen. »Das müssen wir uns nicht antun.«

Sie nahm mich bei der Hand, und ich ließ es geschehen, obwohl ich diese Geste schon lange nicht mehr mochte. Gemeinsam gingen wir ins Haus zurück; meine Mutter schloss die Tür hinter sich ab. Danach ließ sie mich mit dem Einkaufskorb im Flur stehen, ging in die Toilette und machte dort ebenfalls die Tür zu.

Ich ging zur Küche und spähte so zum Fenster hinaus, dass man mich sicher nicht erkennen konnte. Der Nachbar stand mitten auf der Straße und starrte zu unserem Haus herüber. Er sagte kein Wort, er drohte nicht mehr, aber sein Gesicht war knallrot. Als ob er gleich platzt, dachte ich. Dann drehte er sich um und stapfte zu seinem Gartentor, wo er schnell hinter den Büschen verschwand.

21 August 2023

Rien ne va plus in der Fabrik

Die Orgelfabrik ist ein altes Gebäude in Durlach, dem ehrwürdigen Stadtteil von Karlsruhe, dessen Straßen manchmal wirklich so aussehen, als sei die Zeit stehengeblieben. In der Orgelfabrik erlebte ich im Verlauf der Jahre immer mal wieder Kabarettisten, die auf der Bühne vor einem kleinen Publikum spielten – diesmal aber sah ich mir ein Theaterstück an.

»Rien ne va plus« basiert auf »Der Spieler«, einem schon klassischen Roman von Fjodor M. Dostojewski, den ich allerdings nie gelesen habe. Ich kann also nicht sagen, inwiefern die Personen auf der Bühne den Stoff umgesetzt haben. Letztlich wurde ja auch nicht das Original auf der Bühne aufgeführt, sondern eine bearbeitete Version.

Die Geschichte der russischen Spieler, die in einer nicht näher benannten Stadt in Westeuropa gestrandet sind und dort ihr letztes Geld im Roulette verplempern, wurde in der Orgelfabrik für meine Begriffe sehr gelungen gezeigt. Das Bühnenbild ist einfach – einige Tische und Sitzgelegenheiten –, die Räumlichkeiten sind sehr schlicht, aber auf ihre Art genial: eine alte Industrieoptik eben, mit allen Schrammen, die es in den Wänden und an der Decke gibt.

Gelungen fand ich zudem die Tatsache, dass Dostojewski selbst als Rolle in dem Stück vertreten ist. Der Schriftsteller muss seinen Roman in kurzer Zeit zu Ende bringen, er schreibt »auf dem letzten Drücker«, und er kämpft ebenso mit seiner Spielsucht und dem Druck, der auf ihm lastet. Das war zeitweise durchaus amüsant, am Ende aber doch sehr tragisch.

»Rien ne va plus« ist kein lustiges Theaterstück, sondern eine Tragikomödie, die ich sehr unterhaltsam fand und über die man hinterher noch ein wenig diskutieren konnte. Die Orgelfabrik als Kulisse bot sich dafür wunderbar an – ich nahm mir vor, wieder öfter zu Veranstaltungen nach Durlach zu fahren.

11 August 2023

Achtet auf Karen Pirie!

Derzeit kann man sich in der Mediathek des ZDF einen Krimi-Dreiteiler anschauen, der es in sich hat und den ich unbedingt empfehlen möchte. Die Rede ist von »Karen Pirie«, was hierzulande von einem Untertitel ergänzt wird und somit »Karen Pirie – Echo einer Mordnacht« heißt. (Normalerweise lästere ich über so etwas ja gern. Hier hat’s einen Sinn, weil es sich um eine Romanverfilmung handelt.)

Die Serie besteht aus drei Teilen, jeder mit rund eineinhalb Stunden. Man kann die drei Teile mit Pausen dazwischen anschauen; ich fand sie aber so spannend, dass ich mich nach einem Teil immer zwingen musste, nicht gleich den nächsten anzuklicken. Dabei handelt es sich um einen »normalen« Fall und einen »normalen« Polizeikrimi, aber so erzählt, dass ich es mitreißend fand.

Karen Pirie ist eine junge Polizistin, die in Schottland Karriere machen will. Sie bekommt einen alten Fall zugeteilt, der ein Vierteljahrhundert zurückliegt. Damals wurde eine junge Frau ermordet, ein Täter konnte nie gefunden werden. Doch jetzt gibt es einen Podcast, und dessen Moderatorin greift den alten Fall auf. Die »oberste Etage« der Polizei fühlt sich von dem Podcast herausgefordert, also setzt man eine junge und unerfahrene Ermittlerin auf das Thema an, damit zumindest der Anschein vermittelt wird, man tue etwas …

Über den Inhalt muss ich nicht mehr erzählen; die Serie spricht für sich. Die Polizeiarbeit wird glaubhaft ermittelt. Die Beamten wälzen Akten, sie befragen Leute, sie wühlen in uralten Unterlagen. Und je tiefer sie graben, desto klarer wird, dass man vor 25 Jahren nicht sauber gearbeitet hat. Die junge Polizistin und ihr noch jüngerer Assistent kämpfen sich in die Untiefen des Falls, und das machen sie so zäh und energisch, dass es eine wahre Freude ist, ihnen dabei zuzuschauen.

Ernsthaft: Wer klassische Krimi-Unterhaltung mit Niveau mag, sollte »Karen Pirie« nicht verpassen!

10 August 2023

Irgendwas mit schweren Gitarren

Nach langer Zeit radelte ich am Samstag, 5. August 2023, mal wieder in die Oststadt von Karlsruhe, wo ich de »Alte Hackerei« ansteuerte. Die gepflegte Punkrock-Bar war an diesem Abend angenehm gefüllt, an die 200 Leute hatten sich eingefunden, die sich aber nicht alle im Konzertraum aufhielten, sondern ebenso den Biergarten oder die Bar bevölkerten. Viele Leute waren mir unbekannt, was an der Stilrichtung des Abends lag, aber je später der Abend wurde, desto mehr Leute stolperten mir für die Füße, mit denen ich mich unterhalten konnte.

Als ich in den Konzertraum kam, stand die erste Band bereits auf der Bühne. Drei Männer und eine Frau machten eine Musik, bei der schwere Gitarren dominierten, die sich aber einer klaren Zuordnung verweigerte. Die Band nannte sich Tyles, die Frau hatte eine hervorragende Stimme, und die Musik war im weitesten Sinn halt Rock-Musik: trocken gespielte Gitarrenläufe, knalliges Bassgewummer, ein tackendes Schlagzeug, dazu die Stimme – das war ein hervorragendes Gebräu, das man vor vierzig Jahren vielleicht als Punk bezeichnet hätte, das aber nicht so richtig in die Kategorie passte.

Weil die Band aus Karlsruhe kam, war der Konzertraum gut gefüllt, der Vorband-Malus fiel weg. Es wurde eifrig gejubelt und geklatscht, einige Leute tanzten auch, und die bestens aufgelegten Musiker auf der Bühne standen in augenzwinkerndem Kontakt zum Publikum. Sehr sympathischer Auftritt! (Tyles ist auf Bandcamp vertreten, wo sie ihr Demo-Tape in digitaler Form eingestellt hat. Das lohnt sich.)

Danach betraten 24/7 Diva Heaven die Bühne, drei Frauen aus Berlin. Was die drei entfesselten, war eine wütende Wand aus knalligem Lärm: Das Schlagzeug war wuchtig, die Gitarre und der Bass klangen ebenfalls knackig; dazu die laute und eigenständige Stimme der Sängerin. Punkrock war das keiner, Metal auch nicht, als normaler Hardrock ging das ebenfalls nicht durch. Im Gespräch mit einem Bekannten sagte ich irgendwann »das ist halt irgendwas mit schweren Gitarren«. Aber es war eigenständig und machte großen Spaß.

Die Band zog offensichtlich eine Schar von echten Fans. Vor allem in den vorderen Reihen herrschte viel Bewegung, ich sah haufenweise grinsende Gesichter; viele Frauen hüpften durch den fröhlichen Mob. Angesichts der tropischen Temperaturen – außerhalb des Konzertorts ging ein warmer Regen nieder – kamen alle gut ins Schwitzen, und irgendwann schien sich der ganze Saal zu bewegen. Großartige Stimmung!

Ich verließ irgendwann die »Alte Hackerei«, ich war gut verschwitzt, aber noch guter Dinge. Weil der Regen gerade wieder pausierte, fuhr ich mit meinem Rad durch die Stadt und steuerte nach einigen SMS die »Heilige Sophie« an, wo ich mit einigen Leuten noch ein schönes Gute-Nacht-Bier trinken konnte. Ein guter Abschluss eines rundum gelungenen Abends!

Phantastische Geschichten für Kinder

Der Toonfish-Verlag ist ein Imprint des Splitter-Verlags, sprich, er gehört zu diesem, bietet aber ein Programm, das sich klar unterscheidet. Bei Toonfish erscheinen vor allem Comics, die sich an ein kindliches oder jugendliches Publikum richten, an denen Erwachsene aber ebenfalls große Freude haben können. Das hier ist ein besonders gelungenes Beispiel dafür …

Bei »Unter den Bäumen« handelt es sich nicht um einen Band, der eine in sich abgeschlossene Geschichte enthält, sondern um einen Schuber, in dem sich vier Kinder-Comics befinden. Sie alle spielen im Wald, sie setzen stets Tiere ins Zentrum, und diese Tiere sind vermenschlicht – wie man es von den klassischen Fabeln her kennt und wie es in klassischen Büchern wie »Der Wind in den Weiden« immer wieder aufgegriffen wird.

Jeder der vier Bände stellt eine Jahreszeit vor, und in jeder Geschichte ist ein Tier die Hauptperson. Das ist mit viel Liebe erzählt und noch mit viel mehr Details gezeichnet. Die Geschichten richten sich an Kinder, die warmherzigen Darstellungen bezaubern aber auch Erwachsene.

»Der erste Frühling« erzählt von einer Bache, also einem weiblichen Wildschwein, und ihrem Kind, also einem Frischling, die gemeinsam den ersten Frühling genießen wollen. Dummerweise muss das Kleine immer niesen, wenn ihm Blütenstaub in die Nase fliegt, was die Freude auf der Wiese schnell reduziert.

»Ein cooler Sommer« zeigt drei Mäusekinder, die in einem Teich laut mit einem Ball spielen. Das ärgert nicht nur den Uhu, der direkt darüber sein Haus hat, sondern auch den Kröterich gegenüber – aber ein Ball und ein Spiel verändern die kleine Welt dieser Tiere ins Positive.

»Herr Grumpf im Herbst« erzählt von einem Dachs, der sich über herumfliegende Blätter ärgert, den die kleinen Eichhörnchen und Igel aus der Nachbarschaft aufwirbeln, der aber in seinem Wesenskern kein mürrischer Typ, sondern ein Tier mit großem Herz ist.

»Ein Kribbeln im Winter« zeigt einen Fuchs, der friert und sich deshalb mit einem langen roten Schal bekleidet. Als er eine attraktive Fuchsdame ansprechen will, wird der Schal zur peinlichen Falle – aber am Ende wendet sich alles doch zum Guten.

Die Details verblüffen und begeistern. Jeder Baum ist mit einem kleinen Haus ausgestattet, in dem offensichtlich Tiere leben. Türen und Treppen, Geländer und Fenster – das bürgerliche Leben der Menschen wird in diesen Bildern auf die Tiere und ihr Leben übertragen, ohne dass dies zu albern aussehen würde. Das ist beeindruckend gemacht, erinnert mit der Kleidung und dem menschlichen Gebare an klassische Tierfabeln und wird sicher von Erwachsenen wie Kindern gleichermaßen gemocht.

Mit den vier schmalen Bänden von »Unter den Bäumen« hat es der Zeichner Dav geschafft, in mir mein kindliches Gemüt zu wecken. Die Bücher im Querformat, die in einem schönen Schuber verkauft werden, vermenschlichen Tiere in einer gelungenen Art. Wer mag, kann das in die Fantasy-Ecke stecken. Die Verwandtschaft zu Klassikern wie »Reineke Fuchs« oder »Der Wind in den Weiden« lässt sich auf keinen Fall verbergen.

Ich empfehle, die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlages anzuschauen – sie gibt einen wunderbaren Einblick. Große Comic-Unterhaltung für Kinder und Kindgebliebene!

(Diese Rezension wurde bereits im Juni auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie veröffentlicht. Hier wird sie aus Gründen der Dokumentation wiederholt.)

09 August 2023

Der Steampunk-Klassiker

Ich weiß nicht, wie lange der Roman »Die Differenz-Maschine« bei mir daheim schon herumlag. Immer wieder versackte er in einem anderen Stapel ungelesener Bücher – dabei handelt es sich um einen Klassiker des Steampunk, um einen der phantastischen Romane also, die man unbedingt gelesen haben sollte. An einem verlängerten Wochenende, an dem ich eh nicht viel machen konnte, nahm ich mir das Gemeinschaftswerk von William Gibson und Bruce Sterling vor und schmökerte es mit wachsender Freude durch.

Die Geschichte spielt 1855 und in London. Die Welt hat sich völlig anders entwickelt, als wir sie kennen. Mithilfe von einfachen Computern kann man schon allerlei berechnen, Lochkarten beherrschen offensichtlich die Welt, Informationen werden auf neuartige Weise gespeichert und verbreitet. Dazu kommen politische Spannungen und allerlei Querelen in den Straßen von London.

Mir gefiel die Darstellung der pseudohistorischen Welt. Die Figuren bewegen sich in einem London, das sich in vielem so »anfühlt« wie das London aus den Charles-Dickens-Romanen: dreckig, voller Nebel und durchaus anstrengend. Dazu kommen aber die technischen Neuerungen, die glaubhaft eingesetzt werden, was dazu fühlt, dass sich die geschilderte Welt sehr phantastisch anfühlt.

Und klar: Das ist kein kompletter Weltenbau.

Die Handlung konzentriert sich auf London, sie spiegelt ein wenig die Ereignisse in der restlichen »weißen Welt«. Andere Kontinente oder Völker anderer Hautfarbe spielen keine Rolle. Das liest sich heute vielleicht seltsam, passt aber zur Zeit, in der die Briten mit ihrem Weltreich die halbe Erde beherrschten. (Ob und wie sich das in so einem Parallelwelt hätte anders widerspiegeln müssen, ist dabei eine spannende Frage.)

Manche Anspielung habe ich sicher nicht verstanden. Weder bin ich ein Experte für die früheste Entwicklung mechanischer Maschinen, noch kenne ich mich mit britischer Geschichte richtig gut aus. Das störte mich aber nur am Rand; sicher wäre das Vergnügen bei der Lektüre größer gewesen, hätte ich solche Details richtig einordnen können. Aber man kann ja nicht alles haben …

Es gibt reichlich Action, es gibt viele Geheimnisse, die zugeordnet werden müssen, Banditen ziehen plündernd durch London, Computer werden mächtiger, und tapfere Männer kämpfen sich durch Schlick und Dreck voran. Überhaupt wird in dem Roman der Gestank in den Straßen der Metropole häufig thematisiert – das ist sicher nicht nicht jedermanns Geschmack.

Ernsthaft: Mir hat »Die Differenzmaschine« große Freude bereitet. Ob das nun ein großer Klassiker des Steampunk ist oder nicht, bleibt dabei ziemlich gleichgültig. Ein spannender Roman in einer phantastischen Welt, die ihresgleichen sucht, ist er allemal.

08 August 2023

Flughafenhotel mit Waldblick

Wer vom Flughafen Düsseldorf aus in die weite Welt fliegen möchte und das Pech hat, dass die Reise schon in aller Herrgottsfrühe anfängt, kann sich verschiedene Optionen aussuchen. Die eine davon wählte eine Reisegruppe aus Süddeutschland, die ich lauthals klagen hörte: »Wir sind schon seit Mitternacht am Flughafen und warten immer noch« – sie mussten also die Stunden im Gebäude verbringen und saßen neben ihren Koffern, die sie noch nicht hatten aufgeben können, auf dem Fußboden herum.

Die andere Möglichkeit wählten wir: Wir fuhren in aller Ruhe am Vortag nach Düsseldorf und nahmen uns ein Zimmer im Hotel direkt am Flughafen. Es stehen mehrere zur Wahl, wir entschieden uns für das Sheraton, über das wir nicht viel wussten. Aber die Lage war sensationell: Wir fuhren mit der S-Bahn zum Hotel, und von dort aus hatten wir nur einen Spaziergang durch eine Garage, um in den Flughafen zu kommen.

Das Hotel befindet sich auf nur einer Etage, die Zimmer sind in einem riesigen Halbkreis angeordnet. Von den Fenstern aus sieht man entweder auf den Flughafen oder auf dessen Ränder; Romantik ist etwas anderes. Aber das war mir ja egal.

Interessant war das Restaurant. Das hat den hübschen Namen »Otto«, das Essen dort ist sehr ordentlich, und man genießt einen schönen Blick. Dieser fällt nicht auf den Flughafen, sondern richtet sich in die Ferne: bewaldete Hügel, vereinzelte Häuser. Dass man sich in der Nähe der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen aufhält, fällt einem da kaum auf.

Ich werde sicher nie ein Fan des Sheraton-Hotels werden. Für einen Aufenthalt am Flughafen von Düsseldorf fand ich es großartig.

Comic-Saga vom finalen Krieg um die Erde

Es ist ein ambitioniertes Projekt, das seinesgleichen sucht: 31 Kreative aus der Comic-Branche setzen 15 Kurzgeschichten des chinesischen Science-Fiction-Schriftstellers Cixin Liu in Comics um. Das ist teilweise brillant, manchmal aber auch schlapp. Zuletzt las ich »Der Verschlinger«, der mich inhaltlich nicht überzeugen konnte.

Die Geschichte klingt einigermaßen komplex: Der sogenannte Verschlinger nähert sich der Erde. Dabei handelt es sich um ein monströses Gebilde, eine technische Einrichtung, die von großen Echsenwesen bewohnt wird. Ziel des Verschlingers ist, der Erde alle Ressourcen zu rauben und einen leblosen Steinbrocken zurückzulassen – so etwas hat er im Lauf seiner Geschichte in zahlreichen Fällen getan. Tote Welten säumen seinen Weg.

Doch die Menschen geben nicht auf. Sie schmieden eine militärische Allianz; immerhin dauert es einige Zeit, bis das riesige Gebilde wirklich bei der Erde ankommt. Mit dem Mut der Verzweiflung stellen sie sich der Bedrohung aus dem All; dabei erfahren sie auch einiges über die Geschichte der Menschheit …

Jean David Morvan machte aus der Kurzgeschichte von Cixin Liu einen Comic-Text. Ich kann nicht beurteilen, wie gut seine Arbeit wirklich ist, weil ich den Originaltext nicht kenne. Die Geschichte selbst ist recht schlicht und eindimensional; wenn es um die Vergangenheit der Erde und die Evolution geht, finde ich sie zudem arg unwissenschaftlich. Als knackige Space-Opera mit einem großen Konflikt zwischen Aliens und Menschen ist sie okay.

Die Bilder stammen von Yang Weilin; sie sind sehr ordentlich und realitätsnah, wenngleich nicht genial. Er macht seine Arbeit sicher gut, und man kann diesen Comic mit Vergnügen lesen.

Unterm Strich ist »Der Verschlinger« nicht schlecht, aber weit davon entfernt, wirklich gut zu sein. Als Science-Fiction-Unterhaltung ist das schon in Ordnung, so richtig gepackt hat mich die Story nicht.

07 August 2023

Spotten über Glatzen

Wenn ich an meinen Fortsetzungsgeschichten für »Der gute Geist des Rock’n’Roll« schreibe, versuche ich oft, aus der Sicht von heute auf vergangene Jahre zu blicken und das dann umzusetzen. Das sieht man ganz gut an der aktuellen Folge 44, die in der Ausgabe 169 des OX-Fanzines erschienen ist. Mein Ich-Erzähler, der in der Folge zuvor einige ordentliche Hiebe abbekommen hat, sitzt in der Wohnung eines »Antifa-Skinkeads«, trinkt mit diesem Bier und unterhält sich mit ihm.

Ich konnte mich da nicht einbremsen und musste einige der Spötteleien einbauen, die ich in der Mitte der 90er-Jahre gern zum sogenannten Skinhead-Kult äußerte. Damit meine und meinte ich ausdrücklich nicht die rechtsradikalen Skinheads, für die sich damals schon langsam der Begriff Boneheads einbürgerte, sondern eher die Glatzen, die sich auf die Wurzen von 1969 bezogen und sich ebenso klar gegen Nazis positionierten. Das fand ich teilweise gut – na logisch! –, teilweise aber fand ich es auch merkwürdig.

Anders gesagt: Die aktuelle Folge von »Der gute Geist des Rock’n’Roll« besteht aus Gesprächen über Musik und Kultur. Ich mag so etwas ja, aber spannend ist das nicht unbedingt. Da muss ich beim nächsten Mal wohl mehr Action auf die Pfanne legen …

04 August 2023

Der Pfähler als Hörspiel

Bereits 2005 erschien das Hörspiel »Der Pfähler« als zweiter Teil der »John Sinclair Sonderedition«, in der umfangreichere Geschichten aus der Welt des Geisterjägers vertont wurden – ich habe dieses Hörspiel dieser Tage endlich angehört. Wenn ich es richtig kapiert habe, wurden für das Hörspiel drei klassische Heftromane genommen, die die sogenannte Vampir-Trilogie bilden. Letztlich ist mir das aber egal – ich bin kein Fan dieser Serie und konsumiere einfach die Hörspiele.

Die Handlung spielt an zwei unterschiedlichen Schauplätzen: einmal in der Innenstadt von London, wo sich neuerdings Vamire einnisten, und einmal in den Karpaten, also in Rumänien, wo ein alter Vampirjäger, den alle nur als den »Pfähler« betrachten, zu seinem letzten Kampf aufbricht, um den Herrn der Vampire zu treffen. John Sinclair, der Geisterjäger, wird von Träumen geplagt, aus denen er herausliest, dass das geheimnisvolle Kreuz, das er besitzt, ursprünglich aus Rumänien stammt; so kommt die Beziehung zwischen dem Pfähler und dem Geisterjäger zustande.

Ich versuche nicht, die Handlung nachzuerzählen. Wichtig ist letztlich, dass es irgendwann zu einem großen Showdown auf einem alten Friedhof bei London kommt. Ein Heer von Vampiren gegen Sinclair und seine Freunde – es kracht und scheppert, es gibt viele Tote, und am Ende siegen die Helden natürlich, wobei sowohl das Kreuz als auch ein uralter Holzpfahl eingesetzt werden.

Das alles wird mit ordentlich Wumms erzählt. Als Hörer fragt man sich nicht, wie sich eigentlich John Sinclair und einfache Leute aus Rumänien verständigen können. Als Hörer zuckt man vielleicht mal zusammen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie kompliziert die Pläne der Vampire sind – das ginge doch alles viel einfacher –, aber dann folgt man doch mit Interesse der Story. Es ist klar, dass die wichtigen Figuren nicht sterben können; dennoch gibt es eine Reihe von Randfiguren, um die man bangen kann.

Und so ist »Der Pfähler« eine knallige, nicht unbedingt psychologisch ausgefeilte, aber auf Effekte setzende Vampir-Geschichte, in der viel Blut fließt und haufenweise Untote endgültig umgebracht werden müssen. Wer darauf Lust hat – und ich habe das ab und zu ja –, kommt hier voll und ganz auf seine oder ihre Kosten!

03 August 2023

Mein Blick auf den Niger

Ende 1987 überquerte ich die Grenze zwischen Algerien und Niger, und danach hielt ich mich in Niger auf. Ich war einige Tage in Arlit, dann fuhr ich über Agadez und das weite Land dazwischen bis nach Niamey, wo ich mich einige Tage lang aufhielt. Ich bewegte mich zu Fuß und mit meinem klapprigen Fahrrad durch die Stadt, lernte so die einzelnen Viertel kennen, redete mit Einheimischen und Entwicklungshelfern, mit Journalisten und »einfachen Leuten«, die am Straßenrand Getränke oder Essen verkauften.

Die meisten Menschen in Niger waren arm, die sozialen Gegensätze traten offensichtlich zutage. Polizei und Militär waren oft zu sehen, und niemand schien sie als positive Kräfte wahrzunehmen. Trotzdem war die Situation in dem Land nicht so angespannt wie in Burkina Faso, wohin ich Mitte Januar 1988 weiterreiste; dort hatte kurz zuvor ein Militärputsch stattgefunden.

Ich erinnere mich oft an diese Tage und Wochen, wenn ich derzeit die Nachrichten verfolge und aus der Ferne mitbekomme, wie sich die Situation in Westafrika wieder verändert. Nachdem es einige Zeit lang so aussah, als würden die Länder stabil werden und die Demokratie zu einer Aufbruchstimmung führen, rückt in mehreren Ländern wieder das Militär an die Macht; zuletzt in Niger.

Es gibt genügend Gründe, warum die Menschen in Westafrika sich von den »westlichen« Nationen abwenden und vor allem von Frankreich enttäuscht sind. Dazu gibt es viele schlaue Bücher, dazu brauche ich nicht viel zu sagen – ich bin kein politischer Experte für diese Weltregion. Aber sehe ich die aktuelle Entwicklung, finde ich sie sehr traurig.

Ich habe damals viel mit den Leuten geredet. Sie wollten Demokratie und Wohlstand – klar wollten sie beides –, sie wollten eine Zukunft für sich und ihre Familien, sie träumten von einem besseren Leben. Das werden sie von den neuen Militärherrschern wohl kaum erhalten …

02 August 2023

Packender Roman nach zähem Einstieg

Ein Roman über Paranoia und Genialität. Ein Roman, der in den Zeiten springt und der einen unzuverlässigen Helden ins Zentrum stellt. Ein Roman, bei dem man eine Weile braucht, um hineinzukommen, der einen dann aber nicht mehr loslässt. Ein Roman, der eigentlich auch für Science-Fiction-Fans interessant sein dürfte, weil es um Wissenschaft und Forschung geht, um seltsame Leute und phantastische Visionen.

Die Rede ist von »Der Passagier«, der im Oktober 2022 veröffentlicht wurde. Autor war Cormac McCarthy, der vor einigen Monaten erst gestorben ist. Man kennt ihn durch »Die Straße«, der in einer nicht zu weit entfernten Zukunft spielt. Und »Der Passagier« ist ein Werk, das mit »Stella Maris« eine Einheit bildet – beide Romane kann man getrennt voneinander lesen, aber sie hängen zusammen, weil in ihnen teilweise die gleichen Ereignisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln geschildert werden.

Der Roman spielt 1980, die Hauptperson auf der wesentlichen Handlungsebene ist ein junger Mann. Er arbeitet als Bergungstaucher, ist in Wirklichkeit aber ein ziemliches Genie und wird in eine Kette absonderlicher Vorgänge verwickelt. Während er sich mit allerlei Taugenichtsen und Arbeitern unterhält – die Dialoge sind ausschweifend und stecken zeitweise voller Vulgaritäten –, erfährt man etwas über seine Vergangenheit und seine Familie. Unter anderem scheint seine Schwester seine große Liebe gewesen zu sein, und sie nahm ein tragisches Ende.

Die Schwester ist zugleich das Thema der parallelen Handlung. (Und wer mag, kann den Roman »Stella Maris« als den dritten Aspekt des ganzen Geschehens betrachten, in dem es nur um die Schwester und ihren Blick auf die Welt geht.) Erzählt wird, wie sie in der Klinik, in die sie sich selbst hat einliefern lassen, Besuch von phantastischen Wesen bekommt. Sie diskutiert mit diesen, sie nimmt sie komplett ernst, obwohl ihr klar ist, dass es alles nur Fiktionen ihres eigenen Kopfes sind.

Der Roman ist intensiv und spannend. Am Anfang brauchte ich ein bisschen Anlauf, bis ich es schaffte, in die Geschichte zu kommen – was machen die Figuren da eigentlich? –, dann aber packte es mich immer mehr. »Der Passagier« liest sich teilweise wie ein Thriller, dann wieder wie ein Aussteigerroman; alles in allem ist er eine fesselnde Lektüre, die man nicht so schnell vergisst. Das fand ich stark!

(Erschienen ist der Roman bei Rowohlt. Ich habe die Hardcover-Version gelesen, es gibt aber auch ein E-Book. Und ein Taschenbuch kommt sicher auch bald heraus.)

01 August 2023

Drei Zucchini Sistaz

Als wir am Samstagabend, 29. Juli 2023, mit den Rädern in die Oststadt aufbrachen, gönnte sich das Wetter eine Pause. Es war trocken, die Sonne schien. Im Tollhaus, einem Veranstaltungsort in Karlsruhe, fand in diesem Jahr wieder das Zeltival statt, ein Festival, für das man den Veranstaltungsraum mit einem Zelt erweiterte. Gleichzeitig wurde der Hof in einen Garten verwandelt, in dem man Cocktails, Wein und Bier sowie allerlei zu essen bekommen konnte.

Wie viele Leute sich zum Konzert mit den Zucchini Sistaz einfanden, bekam ich nicht heraus. Ich schätzte die Zahl auf »irgendwo zwischen 500 und 1000« Besucher, und ich verstand nicht, warum man so ein Konzert bestuhlte. Aber gut … vielleicht wusste man selbst nicht, auf was man sich einließ.

Die Zucchini Sistaz sind drei Frauen aus Münster, die eine Mixtur aus Swing-Musik und allerlei Show-Einlagen macht, so dass es sich zeitweise wie Musik-Kabarett anfühlt. Klassiker dieser Musikrichtung wurden mit deutschen Texten präsentiert, dazu kamen witzige Ansagen und eigene Stücke – sofern ich das beurteilen kann, denn mit dieser Musik kenne ich mich ja wirklich kaum aus.

Die Ansagen der drei Frauen waren ausgesprochen witzig, die Musik wurde schmissig präsentiert, und ging ich nach dem Gezappel der Leute auf ihren Stühlen, hätten viele gern ein wenig getanzt. So wurde es halt ein eifriges Sitz-Tanzen, was auch schon wieder lustig aussah.

Mit donnerndem Applaus wurden die drei Frauen verabschiedet, gaben noch eine Zugabe und tänzelten dann zu ihrem Merchandise-Stand. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon tüchtig angetrunken; ich hatte vom vielen Bier bereits ein wenig Schlagseite. Das schönste Produkt am Stand war ein Zucchini-Kochbuch, von dem wir leider kein Exemplar mehr ergattern konnte – dafür bekamen wir einen Kochlöffel der Zucchini Sistaz geschenkt. Auch gut.

Alles in allem ein super-unterhaltsames Konzert, bei dem ich mich bestens amüsierte. Dummerweise regnete es, als das Konzert vorüber war. Also blieben wir zum anschließenden »Tanzab«, also zu einer – wie der Name schon nahelegt – Tanzveranstaltung. Mit der Musik hatte ich anfangs meine Probleme, nach einiger Zeit brachte der technisch etwas schwächelnde DJ aber eine Mixtur aus alten Anne-Clark-Stücken, Asiandubfoundation, Faithless, 90er-Techno-Geboller und allerlei anderem Kram. Sogar ich schaffte es, mich dazu zu bewegen, was allerdings häufig in Hüpfen ausartete.

Als wir heimfuhren, schüttete es aus den Wolken wie blöd, dazu gewitterte es. Mit dem vielen Bier im Kopf machte das dann auch nichts. Unterm Strich war der Abend also sehr gelungen, und daheim warteten ja trockene Klamotten auf uns …