06 August 2025

Beeindruckender Klassiker, starke Graphic Novel

Er gilt einer der großen Klassiker der englischsprachigen Literatur, gehört eindeutig zur Weltliteratur, wurde verfilmt und seit Erscheinen in unzähligen Büchern, Filmen und Comics zitiert und kopiert: Der Roman »Herr der Fliegen« von William Golding ist eine pessimistische Vision vom Zusammenleben der Menschen. Die Comic-Künstlerin Aimée de Jongh machte daraus eine starke Graphic Novel.

Die Handlung von »Herr der Fliegen« dürfte bekannt sein: Eine Gruppe von Kindern, allesamt Jungs, strandet nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel. Weil keine Hoffnung besteht, dass sie schnell gerettet werden, bauen die Jungs eine Art Zivilisation auf. Sie wählen sich einen Anführer, sie entfachen ein Signalfeuer, und sie geben sich Regeln. Doch schnell gerät einiges außer Kontrolle, und am Ende regieren das nackte Chaos und rohe Gewalt …

Die düstere Vision des Romans hat vielleicht nichts mit der Realität zu tun, wird aber dramatisch erzählt. Und diese dramatische Erzählung fasst die Comic-Künstlerin in ihrer dickleibigen Graphic Novel eindrucksvoll zusammen.

Aimée de Jongh ist im Programm des Splitter-Verlags schon mit einigen Titeln vertreten, die mir bisher alle gefallen haben. Die Künstlerin ist Jahrgang 1988, wohnt in Rotterdam und hat offenbar keine große Lust, sich auf Genre-Konventionen einzulassen. Ihre Graphic Novels sind erzählerisch wie grafisch von hohem Niveau, und jedes Album unterscheidet sich stark von den bisherigen.

Das ist bei »Herr der Fliegen« nicht anders. Der Comic ist in einem kleineren Format erschienen, vergleichbar den amerikanischen Bänden. Die realistisch anmutenden Darstellungen der Insel, auf der die Kinder stranden, wird durch Gesichter kombiniert, die einen leichten »Funny«-Charakter haben, ohne allerdings lustig zu wirken. Angesichts der Geschichte wäre das auch alles andere als geschickt …

Die Künstlerin schafft es, die unterschiedlichen Kinder optisch klar zu trennen und sie in ihrer Entwicklung zu zeigen. Sie verändern sich während ihres Aufenthalts sowohl optisch als auch charakterlich; sie werden gewissermaßen zu Wilden, die sich von dem ernähren, was sie finden. Die Insel wirkt bedrohlich und phantastisch zugleich; die Angst vor Monstern und Dämonen, die sich im Wald verbergen könnten, bringt die Künstlerin oft zum Ausdruck. (Es lohnt sich, die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlags anzuschauen.)

Keine Frage: Schon das Original, also der Roman, ist in seiner Art umwerfend. Die Art und Weise, wie daraus ein Comic wird, finde ich ebenfalls großartig. Mit 352 Seiten ist der Hardcover-Band recht umfangreich ausgefallen; der Preis von 35,00 Euro ist dafür absolut angemessen.

»Herr der Fliegen« in der Version von Aimée de Jongh gibt es überall im Buch- sowie im Comicfachhandel. Die ISBN 978-3-98721-429-5 kann bei einer Bestellung hilfreich sein.

(Diese Rezension veröffentlichte ich im Juli auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN. Hier teile ich sie aus dokumentarischen Gründen.)

05 August 2025

Cross Cult wird ein Penguin

Man kann sagen, dass ich dem Verlag Cross Cult Entertainment seit vielen Jahren verbunden bin. Ich kenne seinen Gründer und Chef seit Jahrzehnten, ich kenne auch einige andere Leute aus diesem Verlag, ich habe Comics und Romane aus dem Verlagsprogramm gelesen und rezensiert, und ich habe auch auf beruflicher Ebene mit Cross Cult zusammengearbeitet.

Umso verblüffter war ich von der Nachricht, dass der Verlag nun ein »Teil der Penguin Random House Verlagsgruppe« wird, wie es so schön in der Pressemitteilung heißt. Das Kartellamt muss noch seinen Segen zu dieser Übernahme geben, schon klar, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier einen Widerspruch gibt. Da hätte es in früheren Jahren andere Möglichkeiten gegeben, der Konzentration im Verlagswesen einen Riegel vorzuschieben.

Nun verschwindet also ein weiterer Verlag mit eigenständigem Science-Fiction- und Fantasy-Programm in einem größeren Konglomerat. Ich mag nicht spekulieren, was das bedeutet; wir werden es ja sehen. Ich hoffe, dass Andreas Mergenthaler gut für sich und sein Team verhandelt hat. Und ich würde mir wünschen, dass der Verlag mit seinem Profil nicht so schnell versuppt …

Historisches Sport-Ereignis als Comic

1904 wurden zum dritten Mal die Olympischen Spiele veranstaltet; Schauplatz des Ereignisses war die amerikanische Stadt St. Louis, wo zeitgleich auch die Weltausstellung lief. Ein Höhepunkt der Spiele war der Marathonlauf, bei dem vieles schief ging und der Sieger extrem unter Drogen stand. Davon erzählt der Comic »Das Rennen des Jahrhunderts«.

Bei diesem Marathonlauf traten Männer an, die noch nie über eine so lange Strecke gerannt waren. Die Strecke führte zudem durch teilweise unwegsames Gelände und war schlecht ausgeschildert. Läufer brachen mit inneren Blutungen zusammen, es wurde getrickst und geschummelt. Und es gab eine Reihe von skurrilen Details.

Das alles schildert Kid Toussant, der die Texte für dieses Album schrieb, mit viel Liebe zum Detail und augenzwinkerndem Humor. Mir ist der Autor durch die Serie »Holy Ann« (spiele in New Orleans, hat phantastische Themen) und das großartige Album »Elle(s)« ein Begriff; er kann sehr gut erzählen, und er schafft es, sogar einem Sport-Thema viele lesenswerte Facetten zu entlocken.

Ebenfalls ein Comic-Profi, den ich sehr schätze, ist José-Luis Munuera, der sich als Zeichner sowohl auf den ernsthaften als auch auf den spaßigen Stil versteht. Seine Darstellung des Marathonlaufs arbeitet mit den Mitteln der Karikatur; die Figuren und die Gebäude entnimmt er den historischen Darstellungen, verfremdet sie aber ein bisschen.

Durch die Zusammenarbeit der zwei Comic-Kreativen entstand eine Graphic Novel, die sowohl erzählerisch als auch künstlerisch überzeugt. Sie erzählt augenzwinkernd und mit einer Spur Humor, aber historisch exakt von einem wichtigen Rennen.

Ein sportliches Thema im Comic also – sehr schön!

04 August 2025

Mein erster Superheld

Ich dachte lange Zeit, dass ich mit der Lektüre von Superhelden-Comics in den 80er-Jahren angefangen hätte. Damals konnte ich nicht so viel damit anfangen, bis ich auf Serien wie »Watchmen« oder die neueren »Batman«-Geschichten stieß. Tatsächlich aber hieß der erste Comic-Superheld, dessen Geschichten ich gern las, schlichtweg Wastl.

Diese Figur hatte ich völlig verdrängt. Dieser Tage las ich in einer etwas älteren Ausgabe der immer empfehlenswerten Zeitschrift »Die Sprachblase« – es war die Ausgabe 249, die im August 2024 veröffentlicht wurde – einen Artikel über die Figur des Jerom, die der Zeichner Willy Vandersteen bereits in den fünfziger Jahren entwickelte.

Und während ich diesen Artikel las und die Bilder anguckte, fiel mir auf: Ich kannte diese Figur, ich erinnerte mich an meine Kindheit und an die Lektüre der »Wastl«-Geschichten. So hieß Jerome schließlich in der deutschen Übersetzung.

Irgendwelche Details kamen mir nicht in den Sinn. Die »Wastl«-Hefte waren in einem tiefen Winkel meines Hirns versteckt gewesen. Ich nehme an, dass ich sie in den frühen 70er-Jahren in die Finger bekam; einige Klassenkameraden durften Comic-Hefte besitzen, ich lange Zeit nicht. Und so lasen wir in der Schule unter anderem Hefte wie »Felix«, den ich ebenfalls verdrängt hatte, und »Wastl«.

Ich gestehe, dass ich nach der Lektüre recherchierte. Wenn ich wollte, könnte ich mir über Ebay einen Packen alter »Wastl«-Hefte besorgen und schauen, warum sie mir vor fünfzig Jahren gefallen hatten. Aber ich entschied mich dagegen: Es gibt sicher einen Grund, warum ich diese Hefte so erfolgreich verdrängt hatte. Fast wäre also »Die Sprechblase« schuld daran gewesen, dass ich mir neues Papier in die Wohnung gepackt hätte ...

01 August 2025

Jubiläum mit Nummer acht

Mangelndes Selbstbewusstsein hatten die Fans der Science Fiction Gruppe Achim & Lüneburg – so nannte man sich damals – wirklich nicht. Sie nannten ihr Fanzine, in dem sie über aktuelle Entwicklungen in der Science Fiction und der Fan-Szene informierten, schlichtweg »Fanzine«. Warum die Ausgabe 8, die im Juni 1973 veröffentlicht wurde, aber als »Jubiläumsnummer« gewertet wurde, verstand ich nie.

Das acht Seiten umfassende Fanzine wurde im Umdruck-Verfahren hergestellt und im Zweispaltensatz getippt. Gedruckt wurden 150 Exemplare; viel mehr konnte man aus den Matrizen auch nicht herausholen.

Das Fanzine enthält extrem viele kleinteilige Meldungen: Wer trifft sich mit wem, wer hat mit wem Kontakt, wer hat wo welchen Text veröffentlicht? Es geht um Fanzines, Clubs und Einzelpersonen; eine Fülle von Namen und Adressen wird genannt. Wenn man das heute liest, kommt man sich wie ein Archäologe vor: Bei vielen Details kann man nur ahnen, was damals eigentlich wirklich gemeint war.

Die Herausgeber verschwanden übrigens bald aus der Fan-Szene. Als ich ab 1979 damit anfing, mich für Fanzines zu interessieren, waren die allesamt weg. Einige der Personen, die genannt werden – etwa Uwe Anton oder Hans-Joachim Alpers – wurden später zu professionellen Autoren, Herausgebern und Übersetzern. Andere wie Kurt S. Denkena blieben der Szene erhalten und publizieren auch heute noch Fanzines.