29 April 2022

Das Comic-Jahrbuch für 2021

Der Interessenverband Comic e.V. – kurz ICOM – gründete sich in den ganz frühen 80er-Jahren. Ich war jahrelang ein passives Mitglied, war kurzfristig auch ein wenig aktiver und verlor dann den Kontakt. Seither beäuge ich mit großer Sympathie, was der Verband heute so macht. Mit großer Verspätung las ich endlich das »Comic! Jahrbuch« für das Jahr 2021, das Ende 2021 erschienen ist.

Wobei der Begriff »Buch« nicht ganz optimal ist … Faktisch handelt es sich um ein Heft mit 52 Seiten Umfang, professionell gestaltet und auf dickem Papier gedruckt, so dass die Bilder richtig gut zur Geltung kommen. Früher hatte das Jahrbuch den Anspruch, ein ganzes Jahr so weit wie möglich abzubilden – aber das haben mittlerweile Magazine wie das »Alfonz« übernommen.

Mir gefällt das kondensierte Jahrbuch trotzdem. Ein echter Schwerpunkt sind der Independent-Comic-Preis 2020 – in den 90er-Jahren war ich da auch zweimal in der Jury – und die Preisträger. Reich bebilderte Beiträge beschäftigen sich dann in Form von Interviews mit aktuellen Comics wie »Björn Eichenwicht und der immergrüne Wald« und »Prinz Gigahertz«. Ich stelle bei der Lektüre fest, dass die Independent-Szene sich weit entwickelt hat und nicht mehr viel mit den Anfängen in den 80er- und 90er-Jahren zu tun hat.

Die Mixtur aus Artikeln und Interviews sowie zahlreichen Bildern ist gut gelungen und macht viel Vergnügen. Obwohl ich es aus Zeitgründen nicht vorhatte, las ich das Jahrbuch komplett. Ein lesenswerter Einblick in das aktuelle Comic-Geschehen in Deutschland – empfehlenswert!

28 April 2022

Der fünfte Enpunkt

Im Mai 1987 hatte mein Fanzine ENPUNKT noch nicht so richtig seine Form gefunden, was mir egal war. Es bestand aus sehr persönlichen Dingen, und ich verteilte es kostenlos im Freundes- und Bekanntenkreis. Kopiert wurde es während der Arbeitszeit am Firmenkopierer, zusammengelegt und getackert wurde es bei einer Auflage von einigen Dutzend Exemplaren daheim.

Das Titelbild war eher ein Comic von Rudi F. Kanov aus Wien, mit dem ich damals in einem regen Austausch stand. Wir hörten beide gern Musik, wir mochten Science Fiction und Comics, also gab es genügend Themen, über die man sich austauschen konnte. Ein ähnliches Durcheinander herrschte im Heft.

Ich schrieb über Partys, die ich besucht hatte, über die Arbeit im Büro, über Konzerte mit Bands wie den Ärzten, den Spermbirds, den Skeezicks oder Heresy – eine sehr bunte Mischung also. Rezensionen von Fanzines aus allen Bereichen wechselten sich mit Leserbriefen und Briefen an die Leser ab. Kleine Con-Berichte und haufenweise persönlicher Kram, dessen Anspielungen mir teilweise heute nichts mehr sagen, füllen das Heft.

Ich weiß nicht, wie ich es heute finden würde, bekäme ich es in die Hände. Im Abstand von sage und schreibe 35 Jahren finde ich das, was ich damals schrieb, teilweise peinlich, teilweise klasse. Aus dem einen oder anderen Textlein könnte ich sicher heute noch einiges machen; mit dem Abstand von bald drei Dutzend Jahren werden viele Erlebnisse von früher fast zum literarischen Steinbruch. Aber halt auch nur fast …

Commerzpunk aus Berlin

Die Band Fluchtweg aus Berlin spielte in den 90er-Jahren einige Male in Karlsruhe, zweimal übernachteten die Bandmitglieder bei mir. Ich mochte die Musik sehr, die die Jungs spielten, stellte aber irgendwann einmal fest, dass ich die Platten seit Jahren nicht mehr angehört hatte. Deshalb legte ich dieser Tage die »Commerzpunk« auf, nicht nur einmal, und bemerkte, dass mir die Stücke immer noch gefallen.

Die Band machte Deutschpunk, den aber mit viel Melodie und einigen ausgefallenen Effekten. Da darf auch mal die Orgel dazwischenquieken oder gleich das Stück beherrschen; da wird munter mit Offbeat-Elementen gespielt und auch mal langsam gespielt – ohne dass es »unpunkig« wäre. Die Bandmitglieder wussten definitiv, was sie taten, und bei der »Commerzpunk« waren sie ziemlich fit an ihren Instrumenten.

Man lässt es trotzdem mal rumpeln, und die Aufnahmequalität ist natürlich nicht auf dem höchsten technischen Niveau – es ist Deutschpunk, und der sollte sich nicht verleugnen lassen. So richtige Hits sind auf dieser Platte nicht enthalten, mit »Arbeitslose Ostler« oder dem »Tequilamond« hatte die Band in den 90er-Jahren für Deutschpunk-Hits gesorgt, die auf vielen Partys gesungen wurden.

Wobei man textlich durchaus clever zu Werke geht. Man verzichtet nicht auf Einspieler – Bela B. von den Ärzten spielt eine witzige Rolle – und verbindet diese mit Stücken. Ein Stück wie »Happy Holiday« könnte vom Text und der Machart her auch von der Terrorgruppe stammen, »Punkrock unser Leben« klingt wie der Abgesang auf ein Lebensgefühl.

Bei manchen Texten sind die Bezüge heute für jüngere Leute kaum noch nachvollziehbar – weiß jemand, der heute 17 Jahre alt ist, beispielsweise noch, welche Rolle die Sängerin Blümchen in den 90er-Jahren spielte?

»Commerzpunk« ist ein flottes Zeitdokument zu den 90er-Jahren. Veröffentlicht wurde die Platte schon 1998; in den Nullerjahren gab es sogar eine Nachpressung. Seit den Nullerjahren habe ich von der Band leider nichts mehr gehört. Da macht es mir umso mehr Spaß, sie in den zwanziger Jahren erneut anzuhören. (Wer sie auf dem Flohmarkt oder findet, als CD oder Vinylscheibe, sollte sie unbedingt kaufen.)

27 April 2022

Ein Krimi um Bauarbeiten, Betrug und Mord

Wer sich schon einmal ein wenig mit der Mafia in Italien beschäftigt hat, weiß einigermaßen Bescheid darüber, wie das organisierte Verbrechen dort seine Gelder eintreibt. Längst sind Bauarbeiten ein beliebtes Mittel, um beispielsweise EU-Subventionen in schwarze Kanäle umzuleiten. Zerrüttete Wohnhäuser und schlampig gebaute Straßen sind einige der Folgen davon.

Um andere Folgen geht es in dem Roman »Das Bild der Pyramide«, den ich zuletzt gelesen habe. Der Roman erschien bereits vor gut zwei Jahren als Hardcover-Version – das ist die, die ich besitze – und liegt seit dem März 2022 auch in Form eines Taschenbuches vor. Es handelt sich dabei um den 22. Fall des Commissario Montalbano, der wohl populärsten Figur, die der sizilianische Schriftsteller Andrea Camilleri erfunden hat.

Es geht mit schlechtem Wetter los; ein unaufhörlicher Regen verwandelt Teile von Sizilien in eine Landschaft aus Schlamm. Dadurch werden Bauarbeiten an Straßen und Leitungen unterbrochen, und auf einmal liegt in einer Baustelle eine Leiche. Der Mann ist nur halb bekleidet; es sieht aus, als habe er versucht, mit einem Fahrrad zu fliehen. Doch wie hängt das mit der Baustelle zusammen? Montalbano und seine Kollegen beginnen mit ihren Ermittlungen …

Wie immer handelt es sich bei diesem Krimi um einen abgeschlossenen Fall. Man benötigt keinerlei Vorkenntnisse, um die teilweise recht vertrackte Geschichte zu verstehen. Es ist natürlich amüsant, wenn man die verschiedenen Figuren bereits kennt und weiß, in welcher Verbindung sie jeweils stehen. Wer noch keinen Montalbano-Roman gelesen hat, dürfte aber keinerlei Probleme damit haben, der Handlung zu folgen.

Wieder taucht der Autor tief ein in die sizilianische Welt, die von Mafia-Bündnissen beherrscht wird und in der eine überforderte Polizei versucht, immer wieder dagegenzuhalten. Das eine oder andere Klischee bleibt nicht aus; in diesem Fall ist es etwa eine junge deutsche Frau – natürlich blond! –, die es mit der ehelichen Treue nicht so ernst nimmt …

Das ist flott erzählt, das macht bei der Lektüre viel Spaß, obwohl es um die Mafia geht und zum wiederholten Mal klarwird, wie kaltblütig und hartherzig sie vorgeht. Die 270 Seiten lesen sich wie im Rutsch - das ist als Zwischendurch-Lektüre großartig.

26 April 2022

Kids am Dom

»Was machen die da eigentlich?« Ich wies auf die Kinder, die sich auf der Wiese tummelten. »Das ist ein Spiel, schon klar, aber ich kapier’s nicht.«

Sie waren vielleicht zehn, zwölf Jahre alt, höchstens, und einige sogar jünger. Ein Mädchen stand unter dem großen Baum, die anderen hatten sich ihm gegenüber gruppiert. Die Kinder riefen etwas, das ich auf die Entfernung nicht verstehen konnte, das Mädchen drehte sich um und zählte. In der Zeit bewegten sich die Kinder vorwärts. Dann stand das Mädchen wieder so da, dass es ihnen entgegengucken konnte, und alle Kinder erstarrten.

»Wie viele Schritte gibst du mir – so heißt das Spiel«, gab Bobbele zur Antwort. »Kennst du das nicht?«

»Zumindest kommt es mir nicht bekannt vor.« Ich setzte die Dose an und nahm einen kräftigen Schluck Bier. »Erklär’s mir!«

»Klasse.« Er verzog das Gesicht. »Jetzt bin ich nicht nur Fremdenführer, sondern werde auch noch Spieleerklärer.«

Es war ein warmer Spätsommertag. Ich war beim Versuch, per Anhalter aus dem Schwarzwald nach Köln zu kommen, von einem übereifrigen Autofahrer an einer unglücklichen Stelle an der Autobahn rausgelassen worden. Und weil der nächste Fahrer, der mich aufsammelte, nach Worms hineinfuhr, hatte ich beschlossen, mir die alte Kaiserstadt einmal anzusehen. Ich war gut in der Zeit, und in Köln wartete kein Stress auf mich.

Von den Nibelungen und anderen Sagengestalten hatte ich in der Stadt praktisch nichts gesehen, vor allem eine karge Fußgängerzone wahrgenommen. In der Nähe des Doms war ich auf Bobbele gestoßen. Er war ein wenig älter als ich und hatte vor allem schon einiges mehr in seinem Leben getrunken. Die bunten Haare hingen herab, seine Lederjacke war zerschlissen und roch leicht streng.

Er erwies sich als ein freundlicher Zeitgenosse. Ich gab ihm ein Bier aus, er gab mir ein Bier aus, und dann saßen wir nebeneinander auf einer Parkbank beim Dom, der wirklich sehr eindrucksvoll aussah, redeten ein wenig, genossen die Sonne und sahen den Leuten zu. Zwischendurch kaufte ich in einem nahegelegenen Supermarkt, in dem er Hausverbot hatte, neues Bier. So konnte man es aushalten, so konnte ich die triste Realität des Jahres 1984 – zwischen Abitur und Bundeswehr – ganz gut vergessen.

»Also – was ist jetzt?«, fragte ich. »Was machen die Kinder hier?«

»Wieviel Schritte gibst du mir … Also: Ein Kind ist quasi die Mutter oder der Kaiser, je nach Spielart. Es steht vor den anderen. Eines von denen ruft. ›Wieviel Schritte darf ich gehen?‹ Das Mutterkind ruft dann zurück, wieviel es erlaubt. Einen Schritt, zwei Schritte, irgendsowas. Das nehmen die anderen Kinder auf, das Mutterkind dreht sich um, und die anderen bewegen sich. Es zählt und …«

»Wie?«, unterbrach ich. »Das eine Kind befiehlt quasi, wie die anderen sich zu verhalten haben? Und die müssen dann stehenbleiben, wenn es möchte, und können sich bewegen, wenn sie die Erlaubnis haben?«

»Genau.« Bobbele nahm einen Schluck Bier. »Die Kinder versuchen alle nach vorne zu kommen, auch wenn sie nicht dürfen. Wer einen Fehler macht, wird an die Startlinie zurückgeschickt. Also versuchen alle, zu tricksen und zu täuschen. Sie tarnen sich beispielsweise, indem sie hinter den größeren Kindern stehenbleiben. Und am Ende rennen alle, wenn sie die Chance dazu haben. Ich guck‘ da öfter zu, und es gibt unterschiedliche Arten, das Spiel auszulegen.«

»Ein seltsames Spiel. Und völlig willkürlich, wenn ich das richtig kapiert habe.«

»Wie das wirkliche Leben.« Bobbele rülpste leise. »Man kämpft sich voran, aber wenn man so richtig Erfolg haben will, muss man tricksen und täuschen. Wenn man sich ordentlich verhält, kann man aber auch zurückgeschickt werden und muss von vorne anfangen.«

»Ein Sinnbild für die moderne Gesellschaft.« Ich seufzte. »Wir sind echt zwei Philosophen.« Ich nickte zum Dom hinüber. »Vielleicht ist es aber christlich zu verstehen.«

»Übertreib’s mal nicht!«

»Doch, echt! Man bemüht sich im Werk Gottes, man kämpft sich nach vorne, man ist immer vorsichtig und will nichts falsch machen. Am Ende winkt einem theoretisch das Himmelreich, praktisch aber wird man immer wieder zurückgeschleudert und fängt in der gleichen Scheiße erneut an.«

»Mann!« Bobbele wirkte begeistert. »Du hast es ja echt drauf. Du solltest studieren und Pfarrer werden.«

Wir lachten beide und stießen die Bierflaschen gegeneinander. Das konnte ja noch ein heiterer Nachmittag werden im Schatten des Doms von Worms …

 

Ein depressiver Erpel ermittelt

Die »Canardo«-Comics kann ich nicht jeden Tag lesen, manchmal sind sie mir zu negativ und zu depressiv. Doch ich mag sie, seit ich in den 80er-Jahren die ersten Geschichten der Serie in den Händen hielt. Dieser Tage knöpfte ich mir den dritten Teil der Gesamtausgabe vor, die schon seit einigen Jahren im Handel zu haben ist, und las die drei Geschichten darin zum wiederholten Mal.

In der Gesamtausgabe sind sie in einem kleineren Format abgedruckt, was ihren Charakter ein wenig verändert. Die Zeichnungen wirken nicht so plakativ, die Dialoge werden auf einmal noch wichtiger als zuvor. Das Format ändert nicht die Geschichten, aber die Betrachtungsweise ist meiner Ansicht nach anders.

»Insel ohne Zukunft« liest sich wie eine Parabel auf die Welt im Klimawandel: Eine Insel versinkt langsam im Ozean. Die wenigen Bewohner und Touristen warten saufend auf den Untergang. Unter ihnen der Detektiv Canardo. Als auf einmal ein Mord geschieht, wird er noch einmal wach.

In »Kein leichter Fall« wird Canardo in einem Krankenhaus behandelt, in dem seltsame Dinge geschehen. Ohne es zu wollen, wird der Detektiv in einen Fall hineingezogen und muss sich über den schlichten Polizisten Garenni ärgern.

Dieser Polizist ermittelt auch in der dritten Geschichte, die den schönen Titel »Mord im Milieu« trägt. Prostituierte, Säufer, Boxer – das ist das Ensemble, mit dem sich Canardo herumzuschlagen hat, und dazwischen gibt es eine Tochter aus guter Familie, die es offenbar in das Milieu verschlagen hat.

In allen Geschichten spielen Tiere die Hauptrollen. Canardo ist eine Ente, Garenni ein Hase, dazu kommen allerlei andere Tiere, die sich in menschliche Kleidung hüllen und sich auch eher menschlich verhalten. In den Geschichten werden in origineller Weise die menschlichen und tierischen Verhaltensweisen vermengt und karikiert.

Entstanden sind die Geschichten im Original in der ersten Hälfte der 90er-Jahre. Benoît Sokal hatte sicher einen ersten Höhepunkt seiner Schaffenskraft erreicht: Die Zeichnungen sind stark, die Geschichten in ihrer schrägen Art meist großartig, die Dialoge stets pointiert.

Ich habe nicht bereut, diesen Comic-Band gelesen zu haben, und werde das in absehbarer Zeit bald wiederholen.

25 April 2022

Der ernsthafte Kabarettist

Es mangele nicht an Humor im Fernsehen. Ständig werde gelacht. Da müsse er ja nicht auch noch Witze von der Bühne herunter erzählen. Deshalb bleibe er ernsthaft und sorge dafür, dass unsere Laune ein wenig schlechter werde.

So in etwa – natürlich nicht wörtlich – leitete Hagen Rether am Sonntag, 24. April 2022, sein Programm im »Tollhaus« in Karlsruhe ein.

Im Verlauf der Jahrzehnte hatte ich manchen Kabarett-Abend mit Hagen Rether verbracht. Der Mann sitzt entspannt an Klavier, spielt ab und zu ein wenig, isst Bananen und erzählt ansonsten. Dabei ist er wirklich sehr oft sehr ernsthaft – es geht auch um ernsthafte Themen. Dass man zwischendurch schallend lachen kann, finde ich erholsam. (Ich trug die Maske, wie etwa 80 Prozent des Publikums auch. Damit fühle ich mich in einem solch vollbesetzten Raum recht sicher.)

Rether spielte über zwei Stunden lang, es gab keine Pause. In seinem Programm beschäftigte er sich mit dem Ukrainekrieg und mit Corona, mit der FDP und Angela Merkel, mit kaputten Schulen und zerrütteter Infrastruktur, mit der Ungleichheit zwischen Mann und Frau und vielen anderen Themen. Im Prinzip lieferte er einen raschen und streckenweise sehr deprimierenden Überblick zum Stand unserer Gesellschaft, in der man zu wenig dazulernt und zu viel zerstört.

Das ist und war nicht immer lustig. Aber es war wieder einmal ein großartiger Kabarett-Abend.

Option Weg und die Frage nach dem Hass

Eine der vielen Deutschpunk-Bands, die aus politischen Zusammenhängen stammen und ihre politischen Inhalte in durchaus witzigen Punk übertragen, sind Option Weg aus Berlin. Inhaltlich merkt man die Herkunft aus dem Politischen an, wenngleich nie der erhobene Zeigefinger gezeigt wird, und musikalisch ist die Musik durchaus augenzwinkernd und weit entfernt von irgendwelchen Punkrock-Machismen.

2018 kam die EP mit dem schönen Titel »Kein Hass ist auch keine Lösung« heraus: drei flotte Punk-Stücke mit wechselndem Tempo, mit Akkordeon-Einlagen und allerlei schwungvollen Effekten, die bei einem Live-Konzert sicher zum Hüpfen anregen. Da verbindet sich die Party mit dem Polit-Inhalt, und das finde ich in Textzeilen wie »Literweise kein Frieden in Sicht« sehr gut gelöst.

Die Band wirkt sympathisch, die Platte macht einfach Spaß. Deutschpunk, der sich an den frühen Zeiten orientiert und alles nicht so verbissen sieht – sehr gut! (Erschienen ist die Platte bei Elfenart Recods.)

22 April 2022

Der Atom-Comic von 1980

Als ich zu Beginn der 80er-Jahre damit anfing, mich stärker zu politisieren, war die Atomkraft ein permanentes Thema in Diskussionen und persönlichen Gesprächen: Mir leuchtete zwar aus rein technokratischen Gründen ein, warum sich viele Leute für diese Art der Energieerzeugung begeisterten, hatte aber meine Bedenken, was den Müll anging, von den ganzen politischen Dingen drumherum – Stichwort Überwachungsstaat – ganz zu schweigen.

Und weil ich mich auch für Comics begeisterte, kaufte ich mir etwa 1981 das Heft »Atom Comic«. Dieser Tage hatte ich es wieder in den Händen: ein eher schwach gedrucktes Heft im A4-Format, 28 Seiten dünn, mit einem farbigen Umschlag. Es bestand aus einer Mixtur von Comics und kurzen Artikeln.

Veröffentlicht wurde das Heft im Jahr 1980 im Nexus Verlag in Frankfurt. Für die englischsprachige Ausgabe zeichnete ein gewisser Leonard Rifas verantwortlich, der es offenbar im Jahr 1976 hergestellt hatte. Ein typisches Produkt der Underground-Literatur jener Tage also.

So sieht es auch aus: Die Comics selbst sind eher einfach gezeichnet, das Handlettering wirkt arg krakelig. Die Artikel sind knapp und kurz, machen aber einen sauber recherchierten Eindruck. Alles in allem könnte man damit heute niemanden mehr hinter dem Ofen vorlocken.

1981 fand ich das Heft klasse. Ich mochte auch »Asterix und das Atomkraftwerk«, das ich beim selben Händler bezogen hatte. Solche Hefte trugen dazu bei, mein eigenes Weltbild zu festigen. Und da störte es mich nicht, dass die Zeichnungen eher schlicht waren ...

21 April 2022

Mit dem Motorrad nach Triberg

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«

Meine Eltern heirateten 1954, in den Jahren davor unternahmen sie immer wieder Ausflüge mit dem kleinen Motorrad. Das Bild zeigt meine Mutter am 1. Mai 1951, den Geburtstag meines Vaters. Sie posiert direkt vor den Triberger Wasserfällen.

Die kleine Stadt Triberg im Schwarzwald war in meiner Kindheit ein beliebter Ausflugsort für die Familie. Triberg war weit genug von Dietersweiler entfernt, so dass schnell der Charakter einer »echten« Reise entstand, die wir mit unserem VW Käfer zurücklegten. Es fielen aber keine Übernachtungs- oder spezielle Essenskosten an; wir hatten immer ein Vesper und Getränke dabei und verzichteten auf den Besuch eines Gasthauses. Für solchen Luxus hatte man kein Geld.

Es gibt ein Foto, das meine Schwester und mich im Mai 1971 zeigt: an praktisch derselben Stelle, wo mein Vater zwanzig Jahre zuvor meine Mutter fotografiert hatte ...

Neu-Ronz bolzen sechsmal

Kein Textblatt, keine vernünftige Information: So mag ich das ja, wenn Bands ihre erste Platte herausbringen. Dabei waren die Neu-Ronz aus Stockholm keine Anfänger. Die vier Punks hatten vorher schon in anderen Bands zusammengespielt, bevor sie 2015 ihre selbstbetitelte erste EP veröffentlichten.

Sechs Stücke sind darauf enthalten, alle in einem rasenden Punk-Stil gehalten. Das ist dann Hardcore in der ursprünglichen Bedeutung: schnell gespielt, absolut ruppig, keinerlei Anleihen an Metal oder Emo, stattdessen ein knalliger Auf-die-Fresse-Sound mit entsprechenden Texten. Kein Stück ist länger als 80 Sekunden, und das hat auch eine gewisse Konsequenz.

Schnell ins Ohr geht das nicht, Melodien findet die Band offensichtlich eher unwichtig. Der Sänger schreit, das Schlagzeug poltert wild, Gitarre und Bass schraddeln dazu – die Platte gefällt allerdings immer besser, je öfter und je lauter man sie anhört. Hardcore-Punk halt.

20 April 2022

Was der Bub soll

Meine Lehrer waren sich in der vierten Klasse einig: Ich sollte aufs Gymnasium wechseln. Ich hatte gute Noten, und mir machte in Deutsch niemand etwas vor. Ich hatte die vorher unbekannte Hochsprache richtig gut gelernt und schrieb Aufsätze, die allgemein gelobt wurden.

»Es wäre schade, wenn du nicht aufs Gymnasium gehen könntest«, sagte mein Klassenlehrer und suchte das Gespräch mit meinen Eltern. Diese ließen sich nur nach gutem Zureden darauf ein.

Beide fanden die Aussicht, ihr Sohn könnte auf das Gymnasium wechseln, eher befremdlich. Mein Vater war Elektriker in einer Fabrik, meine Mutter arbeitete als Putzfrau. Wir empfanden uns als »einfache Leute vom Dorf«, und so ein Gymnasium kam uns fremd vor. Auch ich fand die Aussicht, jeden Tag mit dem Bus in die Stadt zu fahren, wo ich auf Lehrer treffen würde, die sogar Latein unterrichteten, eher unheimlich.

Die Verwandtschaft hatte sowieso eine klare Meinung: »Der hat eh schon zu viele Flausen im Kopf«, sagte eine Tante, »auf der Oberschule wird alles nur noch schlimmer.«

Ein Onkel, der immerhin die Handelsschule absolviert hatte, warnte mich: Wer aufs Gymnasium gehe, müsse sehr viel lernen Das sei anstrengend und nicht gut für den Kopf. Ich solle doch erst mal die Hauptschule abschließen und eine Lehre machen – und dann sehe man weiter. Wenn dort alles klappe, könnte ich später weitermachen, eine weiterführende Schule besuchen beispielsweise. »Aber Handwerk hat immer goldenen Boden.«

Das wiederum brachte meine Eltern zum Nachdenken. Während ich zum Handwerkern, sehr zu ihrem Leidwesen, nur eingeschränkt taugte, schrieb ich ganze Schulhefte mit erfundenen Geschichten voll. Es war offensichtlich, dass ich eher ein Schreiberling als ein Bastler war. Ich las dicke Bücher und unterhielt meine Freunde aus der Nachbarschaft mit erfundenen Gruselgeschichten; so richtig normal fanden mich wohl viele nicht.

Es dauerte recht lange, bis man sich einig wurde. Unser soziales Umfeld bestand aus Arbeitern, Handwerkern und einigen wenigen Angestellten. Niemand studierte, niemand ging aufs »Gymmi« oder die »Oberschule«, und man hatte eher eine Abneigung gegenüber den »besseren Leuten«. Schon Kinder, die auf die Realschule gingen, galten als etwas Besonderes.

Meine Mutter sprach mit dem Priester unser örtlichen Gemeinde. Der hatte ohnehin ein Problem mit mir. Ich gehöre zu jenen, die immer meinten, sie wüssten alles. Dabei hatte ich nur immer wieder – ich war extrem bibelgläubig – kritische Fragen zu Stellen in der Heiligen Schrift gestellt, die mir unlogisch vorkamen.

Letztlich gab meine Mutter den Ausschlag. »Wir probieren‘s«, sagte sie. »Wenn’s nicht klappt, kann er ja immer noch auf die Hauptschule gehen.« Und so begann ich im Sommer 1974 mein erstes Schuljahr auf dem Kepler-Gymnasium …

Ein Gesellschaftsroman voller Drama und Sarkasmus

Seltsame Dinge geschehen in Opunake, einer kleinen Stadt in Neuseeland: Ein Mädchen gibt an, von Außerirdischen entführt und geschwängert worden zu sein. Weitere Mädchen sind auf einmal schwanger. Eine Kuh wird auf einem Acker gefunden, von einem immensen Gewicht zerquetscht – von einem Raumschiff? Das alles hängt möglicherweise damit zusammen, dass ein junger Mann die örtliche Bibliothek übernommen hat, beseelt von dem Auftrag, mehr Bildung in den abgelegenen Ort zu bringen …

So ließe sich der Anfang von »Liebe am Ende der Welt« zusammenfassen. Der Roman ist schon 2011 im deutschsprachigen Raum erschienen (und davor 1999 im englischsprachigen Raum – das merkt man übrigens deutlich daran, dass es im Roman kein Internet und keine Smartphones gibt …), ich las ihn erst dieser Tage.

Verfasst wurde er von Anthony McCarten, der die Gegend sehr gut kennt, in der sein Roman spielt – er wuchs in New Plymouth auf, der nächstgelegenen Stadt. Es war sein erstes großes Werk – danach wurde er vor allem dadurch bekannt, dass er Drehbücher schrieb.

»Liebe am Ende der Welt« hat sehr skurrile Züge, manchmal ist es wirklich lustig. Gleichzeitig aber zeigt der Autor auch, wie eng und beschränkt so eine Kleinstadt sein kann; wie sich Hass gegen eine junge Frau entwickelt, wie gewalttätig Eltern sein können und wie schwierig es ist, den Zwängen zu entkommen, die sich unweigerlich entwickeln. Er hält dabei bewusst keine saubere Erzählperspektive ein, springt manchmal von Kopf zu Kopf – und weil er das gut macht, stört es mich ausnahmsweise nicht.

McCarten zeigt nicht nur die junge Frau, die ungewollt schwanger wird, sondern gibt auch weitere Einblicke in die kleine Stadt: ein überlasteter Sheriff, ein Bürgermeister, der große Pläne hat, eine Fleischfabrik, die wie eine Maschine auch die Bürger der Stadt zu verschlingen droht. Somit entstand ein Roman, der nicht so dick ist wie manch moderner Gesellschaftsroman, in seiner Mixtur aus dramatisch und komisch mich durchgehend fesseln konnte.

(Erschienen ist das Werk bei Diogenes. Ich habe die Hardcover-Version gelesen; es gibt den Roman auch als Taschenbuch und E-Book.)

19 April 2022

40 Tage ohne Alkohol

Irgendwann stellte ich fest, dass ich seit vielen Jahren praktisch an jedem Tag etwas konsumiere, das Alkohol enthält: kein Abend ohne Bier oder Wein, Whisky oder Gin. Irgendwann als Teenager fing ich mit einem regelmäßigen Alkoholkonsum an, und im Erwachsenenalter setzte ich das fort.

An fünf bis sechs Tagen einer Woche konsumierte ich Alkohol. Vor allem in den Monaten der Pandemie hatte es sich eingebürgert, an jedem Abend etwas zu konsumieren, das man als alkoholisch bezeichnen konnte.

Es war also an der Zeit, mal auf die Bremse zu treten. Ich wollte nicht Straight Edge werden, hatte keine Lust, komplett auf Bier oder Wein zu verzichten. Aber die Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern bot sich dafür an: vierzig Tage ohne Alkohol.

Um es klar zu sagen: Das ging sehr gut. Mit körperlichem Entzug rechnete ich nicht, es gab auch keinen. Ich hatte immer wieder »G’lüste«, wie man im Schwäbischen sagt. Der Griff zur Bierflasche oder zum Weinglas gehört einfach zum Alltag eines Abends dazu, weshalb ich oft das Empfinden hatte, es müsse endlich wieder sein.

Wichtig war, dass wir abends trotzdem Getränke mit Geschmack hatten. Mit Crodino und San Bitter lassen sich schöne Mixgetränke mischen, die superlecker schmecken und garantiert ohne Alkohol sind. Und vielleicht behalte ich das auch bei, wenn ich eigentlich wieder trinken »darf«. Es muss ja echt nicht immer Alkohol sein …

14 April 2022

Kurz vor der FreuCon-Eröffnung

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«

Vom 24. bis 26. April 1992 veranstalteten wir den FreuCon '92 im Kongresszentrum Freudenstadt. »Wir«, das war in diesem Fall eine große Gruppe von Science-Fiction-, Rollenspiel- und Film-Fans aus ganz Deutschland, die über einen langen Zeitraum engagiert und intensiv zusammenarbeiteten. Die wesentlichen Spielarten der Phantastik fanden ihren Raum – und ich habe die drei Tage immer noch in einer rauschhaften Erinnerung.

Das Bild, bei dem ich leider nicht weiß, wer es aufgenommen hat (womöglich Peter Fleissner), wurde am Freitag, 24. April 1992, geschossen. Es gibt eine winzige Szene wieder, kurz vor der eigentlichen Eröffnung des Cons – eine kleine Vorbesprechung, bevor wir in die eigentliche Eröffnung gehen sollten.

Weil wir so viele ausländische Besucher hatten – sie kamen aus Großbritannien und Rumänien, aus der Ukraine und aus Russland, aus Ungarn und Frankreich, aus China und Polen, aus den USA und Japan, aus Belgien und den Niederlanden, aus Österreich, der Schweiz, der Slowakei und Italien ... –, hatten wir uns entschlossen, einige der Reden zweisprachig anzulegen: deutsch und englisch. Deshalb baten wir Dr. Florian F. Marzin, die Eröffnungsreden zu übersetzen.

Das Bild zeigt (von links) Dr. Florian F. Marzin, damals Chefredakteur der PERRY RHODAN-Serie und Programmleiter der Moewig-Buchverlage, mich sowie Hermann Ritter, der damals das Programm für den FreuCon leitete. Marzin hält die Con-Zeitschriften in seinen Händen, die an diesem Wochenende alle Besucher erhielten und die von Manfred Müller zusammengestellt worden war.

Koop mit coolem Pop

Es ist schon einige Jahre her – es war 2006 –, seit die schwedische Band Koop ihre Platte »Koop Islands« veröffentlichte. Seither läuft die bei uns daheim immer mal wieder, meist im Sommer und meist in einer Situation, in der sich warmes Wetter und kühler Wein paaren und ich eher in einer »Relax«-Lage bin. Zu Stress passt die Musik nämlich nicht.

Bei »Koop Islands« handelte es sich um die dritte Platte der Band; die anderen kenne ich nicht. Im Prinzip mixt die Band allerlei elektronische Klänge mit einem kräftigen Schuss Swing aus den Jahren zwischen den Weltkriegen und vor allem einigen mittelamerikanischen Rhythmen. Ich bin kein Experte, aber für mich hört sich das nicht nur einmal nach Bossanova und anderem Kram an.

Eine Frau singt angenehm und sehr locker, gelegentlich tröten Blasinstrumente dazwischen, dann wieder glaubt man Steeldrums zu hören. Insgesamt ist die Musik so, dass ich automatisch anfange, mit dem Kopf zu wackeln – und viel weiter von Punk entfernt könnte eine Band ja wirklich nicht sein.

Aber es gibt Tage, da mag ich das, und dann sind mir Koop gern dabei behilflich, in eine Stimmung zu kommen, die sich eher nach Strand und weniger nach Arbeit anfühlt. Das ist ja nicht das Schlechteste …

13 April 2022

Die Welt aus Eisen und ein Vorwort

Über lange Zeit hinweg gehörte Hans Kneifel zu den Autoren, die mich begleiteten: Als Jugendlicher mochte ich seine Science-Fiction- und Fantasy-Romane, als Redakteur arbeitete ich an vielen Projekten mit ihm zusammen. Als der Verlag Peter Hopf beschloss, eine Gedenkedition zu dem vor zehn Jahren verstorbenen Schriftsteller zu veröffentlichen, war ich sehr schnell damit einverstanden, daran mitzuarbeiten.

Das Ergebnis liegt mittlerweile in gedruckter – und limitierter – Form vor. Das Buch »Shindana – Welt aus Eisen« sieht toll aus, kam in einer limitierten Sammlerauflage heraus, und das Vorwort dazu stammt von mir.

Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich den Zugang zum Thema gefunden habe. Es wäre falsch, Hans Kneifel zu verherrlichen; das hätte er wohl selbst nicht gemocht. Also habe ich versucht, eine durchaus kritische Sicht auf sein Werk zu finden, aber eben zu zeigen, warum er für die deutschsprachige Science Fiction wichtig war und warum ich ihn immer schätzte.

Der Autor war ein typischer Vertreter der Science Fiction in einer Zeit, in der diese Literatur vor allem in Form von Heftromanen veröffentlicht wurde. Das wurde teilweise erbärmlich schlecht bezahlt, und das führte dazu, dass Autoren schnell und viel schreiben mussten, um ein halbwegs vernünftiges Einkommen zu erwirtschaften. Das darf man halt nicht vergessen …

Kein Sachbuch, eher eine Streitschrift

Mir ist der Autor Bernhard Heinzlmaier seit Jahren bekannt, nicht persönlich, aber vom Namen her. Wir veröffentlichen letztlich im gleichen Verlag; er ist Jugendforscher und leitet ein Marktforschungsunternehmen. Mit »Generation Corona« legte er im Herbst 2021 ein Buch vor, das – wie der Titel schon klar sagt – von Jugendlichen während der Corona-Pandemie handelt.

Der Autor zeigt klar, am Ende auch durch Statistiken belegt, welche Folgen die Corona-Pandemie für Jugendliche hat. Junge Leute, die sich an die »Maßnahmen« halten, sind von ihren Freunden isoliert; sie sitzen im Elternhaus fest und können nicht auf Konzerte, in Clubs oder zu Sportveranstaltungen gehen.

Dabei müsse man aber klar die sozialen Unterschiede beachten, so Henzlmaier: Während Jugendliche aus wohlhabenden Elternhäusern weniger Probleme mit alledem haben – weil sie daheim beispielsweise genügend Raum zu Lernen haben –, sind Jugendliche aus ärmeren Elternhäusern von den Folgen der Pandemie viel stärker betroffen.

Weite Teile des Buches verbringt Heinzlmaier damit, die Ober- und die Unterschichten auseinanderzudividieren. Dabei nimmt sein Buch einen unangenehmen Sound ein; es klingt zeitweise so, als habe der Autor die Reden von Sahra Wagenknecht genommen und auf sein Thema übertragen: Reichere Jugendliche könnten sich den Luxus leisten, sich für allerlei Themen einzusetzen (er nennt ausdrücklich »Fridays For Future«), während ärmere Jugendliche sich früher als andere für einen Beruf und für das Geldverdienen entscheiden müssten.

Rein inhaltlich stimme ich dem Autor in mancher Frage zu. Wer mit 16 eine Lehre anfangen muss, hat eine andere Perspektive auf das Leben als Leute, die mit 25 noch studieren. (Dass dies wiederum vom Großteil der Journalisten und Wissenschaftler nicht gesehen wird, ist peinlich genug.) Ärgerlich ist das Buch dann, wenn es jegliche Objektivität vermissen lässt und in ein »Bashing« der Oberschichtenjugendlichen übergeht.

Mehrfach spricht der Autor sich gegen die Diskussion über Gleichstellungsthemen aus. Das sagt er harmlos und ein wenig »waberig«, aber er bleibt stets im Wagenknecht-Sound des besorgten Links-Bürgers: »Wir reden lieber im Übermaß über Anerkennungsprobleme von Kleingruppen anstelle über Lösungen, die das Leben aller Menschen in äußerst herausfordernden Zeiten erleichtern könnten.« (Seite 123)

Er hat recht, wenn er schreibt, dass Jugendliche aus der Arbeiterschicht oder aus dem Subproletariat – der untersten Ebene der Dienstleistungsgesellschaft – in allen medialen Diskussionen an den Rand gedrängt werden und man sie kaum wahrnimmt. All diese Ungerechtigkeiten werden durch Corona noch extrem verstärkt; die Unterschiede zwischen bildungsfernen und bildungsnahen Haushalten haben sich irrsinnig vergrößert.

Aber hilft man dem Thema wirklich weiter, wenn man die heutige Jugend mehrheitlich als »unselbständig, zaghaft und konformistisch« (Seite 123) bezeichnet? Ich glaube nicht. Somit ist »Generation Corona« ein durchaus lesenswertes Buch, aber halt in weiten Teilen kein Sachbuch, sondern eine Streitschrift, die sich liest, als stamme sie aus einem Labor der Linkspartei.

12 April 2022

Alte Männer vorne und innen

Die Band Hot Water Music aus Florida habe ich in vergangenen Jahrzehnten einige Male gesehen; ich erinnere mich unter anderem an ein fulminantes Konzert in Köln. Dabei hatte ich die Band immer als »jung« eingeschätzt. Schaue ich mir die Musiker auf dem Titelbild der OX-Ausgabe 161 an, sehe ich doch eher graue Haare – aber klar, seit dem Ende der 90er-Jahre ist doch einiges an Zeit vergangen.

Das gilt ebenso für mich, schon klar, und auch für die Figur meines Fortsetzungsromans »Der gute Geist des Rock'n'Roll«, um die es in dieser Ausgabe geht. Es ist die Folge 36 des Romans, der im OX erscheint, und ich thematisiere darin einen eigentlich netten Cafébesuch. Das Problem: Für Peter Meißner alias Peter Pank ist so ein Café nicht das, was er normalerweise besucht, und so verhält er sich ein wenig verkrampft.

Hier spiegeln sich natürlich meine eigenen Erinnerungen an die 90er-Jahre. Viele Dinge, die für andere Leute selbstverständlich waren, empfand ich als fremd. Ich trieb mich unaufhörlich auf Punk-Konzerten, in besetzten Häusern, auf der Straße oder sonstwo herum, ging ansonsten arbeiten und hatte nicht viel mit dem »normalen Leben« zu tun. Ich fremdelte über viele Jahre mit der »wirklichen Welt« – das ist heute zwar besser geworden, aber seit 1996 sind ja doch einige Jahre vergangen.

Schon klar, die »Peter Pank«-Geschichten sind erfunden: nicht nur die Dialoge und Figuren, sondern auch die Szenen. Aber völlig losgelöst von meinen eigenen Erinnerungen und Empfindungen sind sie bei alledem nicht ...

Der vierte Band zu Enola Holmes

Ich kenne die Romanvorlage nicht, mag aber mittlerweile die Comic-Umsetzungen sehr: »Enola Holmes« stammt ursprünglich von der Autorin Nancy Springer, und Serena Blasco macht daraus Comics. Diese erscheinen hierzulande bei Toonfish, und ich las dieser Tage den vierten Band der Serie.

Klar bin ich nicht die Zielgruppe. Schon der Verlagsname macht klar, dass man sich an ein jüngeres Publikum richtet. Die flott erzählte Geschichte, die gut gezeichnet und mit schönen Effekten ausgestattet ist, sollte auf jeden Fall die Jugendlichen aller Geschlechter ansprechen, und als Erwachsener kann man ebenfalls seinen Spaß daran halten.

Enola Holmes ist die schlaue Schwester des bekannten Detektivs Sherlock Holmes. Sie hat keine Lust, sich den bürgerlichen Konventionen im England des Jahres 1889 zu beugen, und spielt lieber selbst Detektiv. Eigentlich sucht sie ihre verschwundene Mutter, aber sie schreckt auch nicht vor anderen Fällen zurück.

Band vier trägt den Titel »Der Fall des geheimnisvollen Fächers«. Ausgerechnet in einer öffentlichen Toilette für Damen – eine echte Neuerung in dieser Zeit! – lernt Enola die junge Cecily kennen, die von zwei Anstandsdamen begleitet wird. Wie sich herausstellt, soll Cecily gegen ihren Willen an einen jungen Mann verheiratet werden.

Die beiden Mädchen kommunizieren mithilfe ihrer Fächer, und Enola hat auf einmal einen neuen Fall: Sie muss Cecily retten und herausfinden, was eigentlich hinter alledem steckt. Verwirrenderweise kommt ihr Bruder ihr dabei in die Quere – und so muss das Mädchen tatsächlich einmal den berühmten Sherlock Holmes retten!

Es gibt bekanntlich beinharte Sherlock-Holmes-Fans. Für die ist dieser Comic sicher eine große Freude. Alle anderen sollten sich darauf einlassen – ganz nebenbei ist das Ganze ja auch noch ein feministischer Blick auf die Rolle der Frau gegen Ende des 19. Jahrhundert.

Toll erzählt, toll gezeichnet, sehr eigenständig umgesetzt – auch der vierte Band von »Enola Holmes« ist richtig gut!

11 April 2022

Schalko rockern aus Freiburg

Wenn sich drei mehr oder weniger junge Männer zu einer Band zusammentun und diese dann ausgerechnet Schalko nennen, kommen einem seltsame Assoziationen. Das war tatsächlich einer der Gründe, warum ich mich anfangs nicht so richtig an die Band herantraute. Dabei ist die Platte »cool«, die im Herbst 2020 veröffentlicht wurde, richtig gut.

Man merkt dem Tonträger an, dass das Trio aus Freiburg viel Dackelblut und andere Bands aus dieser Tradition gehört hat. Dieser Einfluss macht sich in der Musik ebenso bemerkbar wie in den Texten, die mit einer entsprechend übersteuerten Stimme vorgetragen werden. Aber das ist ja nicht die schlechteste Vorlage …

Der Sound ist treibend, beim Anhören juckt es mich in den Füßen, und mein Kopf fängt an, eifrig mitzuwippen. Das ist schon irgendwie Deutschpunk, meinetwegen mit einer strammen Emo-Kante, aber ohne jegliche Weinerlichkeit: flott gespielt, mit dem einen oder anderen Geschwindigkeitswechsel, mit Melodien, die ein wenig vertrackt sind, dann aber auch ins Ohr gehen. Okay, ein Hit für die Ewigkeit ist nicht dabei, aber das kann man nicht unbedingt erwarten.

Textlich ist die Band sarkastisch bis intellektuell unterwegs. Es geht um Beobachtungen aus dem Alltag und den entsprechenden Kommentar dazu, nicht um Aussagen zur Tagespolitik oder zu Szene-Diskussionen. Das überzeugt mich dann auch inhaltlich – eine überraschend gelungene Platte!

Sonderedition zum Phantastik-Klassiker

Leider haben es Generationen von Deutschlehrern verstanden, den Schülerinnen und Schülern den Spaß an der Literatur zu verderben. Dabei lohnt es sich durchaus, immer mal wieder nach einem Klassiker der deutschsprachigen – oder fremdsprachigen – Literatur zu schauen und ihn nachzulesen. Ich tu's leider selbst viel zu selten.

Vielleicht mache ich in diesem Sommer eine Ausnahme. Der Autor E.T.A. Hoffmann ist am 25. Juni vor 200 Jahren gestorben. Aus Gründen dieses 200. Todestages hat der Reclam-Verlag eine Sonderedition ins Leben gerufen.

Die wichtigsten Werke des Phantastik-Klassikers kommen in schönen Hardcover-Bänden heraus, die zudem mit Nachworten und allerlei Anmerkungen ausgestattet sind. Die Gestaltung ist echt ansprechend, und die Preise sind vernünftig.

Mit »Der Sandmann« ist einer der absoluten Phantastik-Klassiker enthalten, aber auch Werk wie »Das Fräulein von Scuderi«, das ich beispielsweise nicht kenne. Da werde ich sicher das eine oder andere Werk kaufen ... (Und allen Menschen, die sich für phantastische Literatur interessieren, empfehle ich zumindest den Blick auf die Edition.)

10 April 2022

Leonid Kourits ist tot

Es ist nun dreißig Jahre her, seit wir in Freudenstadt den FreuCon '92 veranstalteten, der in diesem Jahr zugleich der EuroCon Jahr war. Unter den vielen internationalen Besuchern war auch eine Delegation aus der Ukraine. Ich erinnre mich nicht mehr an die Namen der Besucher aus Kiew und Odessa, weiß aber noch, dass ich mit Boris Sydiuk korrespondierte. 

(Telefonate mit ukrainischen, belarussischen und russischen Besuchern fanden nachts statt, oft mit Hilfe von Englisch-Wörterbüchern, weil zu dieser Zeit die Telefongebühren nicht so hoch waren. Ich sollte darüber mal ein Buch schreiben, aber das wird halt niemanden interessieren ..)

Ob auch Leonid Kourits zu den ukrainischen Besuchern in Freudenstadt gehörte, weiß ich also nicht. Ich muss ihn aber getroffen haben; er besuchte mehrere internationale Cons, bei denen ich ebenfalls war, und ich wurde – zusammen mit Hermann Ritter – einmal in Glasgow von russischen und ukrainischen Science-Fiction-Fans, die gemeinsam feierten, ziemlich mit Wodka abgefüllt.

Leonid war ein Science-Fiction-Fan, der die internationale Zusammenarbeit liebte und für sie lebte. 1988 organisierte er einen internationalen Science-Fiction-Con in der Sowjetunion, der in einer kleinen Stadt am Schwarzen Meer stattfand – am 6. März 2022 fiel er dem russischen Angriffskrieg gegen seine Heimatstadt zum Opfer.

09 April 2022

Eine Nacht im April

Auf einmal lief ein Paar durch den Park. Auf die Entfernung konnte ich nicht sehen, wie alt die beiden waren, auch nicht, ob es ein Mann und eine Frau oder zwei Frauen oder zwei Männer waren. Die beiden trugen Winterkleidung, sie hüpften herum, und dann warf sich eine der zwei Personen auf den Rücken und machte »Engelchen«.

Es war die Nacht vom 8. auf den 9. April 2022, und in Karlsruhe schneite es. Karlsruhe ist die zweitwärmste Stadt in Deutschland, und Schnee gibt es hier nur selten. Vor allem hatte es im vergangenen Winter nicht geschneit, sieht man von wenigen vereinzelten Flocken ab.

Doch in dieser Nacht verwandelte sich für einige Stunden die Stadt in ein Schneeparadies. Wie weißer Samt legte sich ab Mitternacht das Weiß auf die Häuser, die Plätze und die Straßen. Weil kein Auto fuhr,  war es still. Unaufhörlich fielen weiße Flocken aus der stockfinsteren Nacht auf die Stadt herunter.

Ich stand am Fenster, war fast andächtig in dieser Stelle. Dann zückte ich doch mein Smartphone und machte eine Sekundenaufnahme. »Das glaubt mir niemand«, sagte ich zu mir selbst.

08 April 2022

Werbeblindheit und so

In einer Fachzeitschrift las ich einen Übersichtstext, der mich verblüffte. Glaube ich diesem Text, wurde mein Hirn in den 80er-Jahren schon von 750 Werbebotschaften pro Tag erreicht. Wahrscheinlich zählen die Plakate an den Bauzäunen ebenso dazu wie Aktionspackungen im Supermarkt.

Als die Internet-Werbung aufkam, erhöhte sich diese Zahl um das Jahr 2000 herum auf rund 5000. Heute prasseln anscheinend um die 12.500 Werbebotschaften pro Tag auf einen Konsumenten ein. Klar, man ist über den Computer und über sein Handy mit einer Flut von Botschaften konfrontiert.

Aber so viel? Echt jetzt? Man mag es sich nicht vorstellen. Und angeblich tritt die sogenannte Werbeblindheit ein, wenn man 5000 Botschaften dieser Art am Tag erhält.

Es gibt Werbung, die übersehe ich ständig, und es gibt Produkte, die müsste ich kennen, die mir aber nicht präsent sind. Mein Hirn scheint Werbung aus der Wahrnehmung zu sortieren. Trotzdem werde ich ständig von Werbebotschaften bombardiert.

Die Vorstellung aber, wie viele es wirklich sind, macht mich geradezu schwindlig. Und es wird alles in der nahen Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit noch schlimmer werden …

Internationales SF Magazin auf deutsch

Ian McDonald ist ein profilierter Autor, und seine Geschichte »Die List« zeigt, was er kann: Es handelt sich um eine klassische Trickbetrügergeschichte, wie man sie seit vielen Jahren aus Filmen und Romanen kennt. Der Unterschied: Als Gegner der Trickbetrüger tritt eine Künstliche Intelligenz auf, die in einem Spielcasino alles kontrolliert, alles sieht und alles weiß – aber trotzdem vielleicht hereingelegt werden kann … McDonald schreibt spannend, seine Geschichte steuert auf einen klaren Höhepunkt zu, und sie macht richtig Spaß.

Sie ist der Höhepunkt in der ersten Ausgabe des »Future Fiction Magazine« in deutscher Sprache. Enthalten sind weitere Geschichten von Angela und Karlheinz Steinmüller – wieder einmal sehr mit unserer Gegenwart und einem knappen Ausblick in die nahe Zukunft verbunden – sowie Robert Corvus aus Deutschland. Ein wenig kryptisch und erzählerisch nicht so meine Sache ist die Geschichte »Algenbiografie« der Autorin Martha Riva Palacio Obón aus Mexiko. Es gibt sogar einen wissenschaftlichen Artikel über Weltraumfahrt.

In einem grundlegenden Artikel unter dem Titel »Der neue ›Sense of Wander‹« schreibt der italienische Autor und Herausgeber Francesco Verso – von seinem Verlag aus wird die deutschsprachige Ausgabe des »Future Fiction Magazine« lizenziert – über die Möglichkeiten und Wege, Science Fiction auch aus Ländern zu veröffentlichen, die nicht englischsprachig sind. Dabei kommen allerdings keine Erkenntnisse heraus; der Text hätte Wort für Wort schon vor vierzig Jahren veröffentlicht werden können. Aber gut, ab und zu hilft es ja, altbekannte Tatsachen zu wiederholen.

Lavanya Lakshminarayan ist eine Autorin aus Indien. Ihre Geschichte »Moksha Quest« wurde quasi exklusiv für das Magazin geschrieben; dazu kommt noch ein Interview. Solche Präsentationen finde ich gut, den Text fand ich auch interessant – wenngleich er nicht lange im Gedächtnis blieb –, und in dieser Richtung könnte das Magazin weitermachen.

Die erste Ausgabe fand ich vom Layout her schwach, hier besteht deutliches Verbesserungspotential. Auch inhaltlich wusste mich das Magazin noch nicht zu überzeugen, das ist aber Geschmackssache. Ich finde den Ansatz auf jeden Fall sehr gut und hoffe, dass bald eine zweite Ausgabe erscheint, in der vielleicht die eine oder andere Schwäche vom Anfang ausgeglichen werden kann.