31 August 2013

Schlechter Dichter, mieser Ladendieb


In den frühen 80er-Jahren, als ich noch richtig jung war, hatte ich seltsame Anwandlungen. Unter anderem dachte ich, zum Verfassen von Lyrik geboren zu sein. In der Schule kritzelte ich sogenannte Gedichte auf karierte A4-Blätter, daheim tippte ich sie mit meiner alten Kofferschreibmaschine ab. So entstanden Dutzende von Texten, für die teilweise – mit dem Abstand von dreißig Jahren – der Begriff »Gedicht« nur mit Schmerzen zutrifft. Veröffentlicht wurden sie glücklicherweise nicht.

Eine echte Perle schrieb ich am 26. März 1983. Der Titel des Textes lautete »Kleptomane«, und das »Gedicht« ging so: »In den Laden eingedrungen / sich umgeschaut. / Niemand zu sehen, / kein Beobachter anwesend. / Erneutes vorsichtiges Umblicken / und dann / der Zugriff. / Niemand hat's gesehen, / der Nervenkitzel hat gewirkt. / Nach der Flucht die Freude / wieder der Gesellschaft / einen Zahn gezogen zu haben.«

Fairerweise muss ich heute anerkennen, dass zu der Zeit haufenweise Bücher erschienen, in denen sogenannte Gedichte abgedruckt wurden, deren lyrischer Gehalt ebenso jämmerlich gering war wie der meines Textes. Zwischen Charles Bukowskis rüden Versen, die mir durch den Maro-Verlag nahegebracht wurde, und der »neuen deutschen Innerlichkeit«, die zu der Zeit mit Gedichtsbänden sogar auf die Bestsellerliste kam, pendelten genug junge Leute.

Der Text verrät – jenseits des letzten Satzes – aber vor allem eines: Ich war Ladendieb. Dreißig Jahre danach ist das hoffentlich verjährt ... Wir nannten es im Freundeskreis halt spöttisch, halb ernsthaft stets »einklaufen«, und manchmal ging man als Clique in ein Kaufhaus oder ein Geschäft. Jeder klaute etwas, und hinterher saßen wir im Stadtpark zusammen und verglichen, was wir gestohlen hatten. Nervenkitzel für pubertierende Kleinstädter ...

Später wurde mir das sehr peinlich, obwohl ich es immer mal wieder durchaus schätzte, mit einer Horde Punks in einen Supermarkt zu gehen und mit Paletten von Bier herauszukommen – ohne zu bezahlen natürlich. Ich legte mir gewisse Normen zu: Bei »kleinen Leuten« wurde nicht geklaut, »in der Szene« sowieso nicht.

Und heute? Ich fühle mich so verbürgerlicht, dass ich sogar nervös werde, wenn ich versehentlich schwarz mit der S-Bahn fahre. Von 1983 bis 2013 ist in mancherlei Hinsicht ein weiter Weg.

(Dieser Text ist bereits als Kolumne im OX-Fanzine erschienen und wird hier in erster Linie zur Dokumentation wiederholt. Zudem passt er auch schön in diesen Blog, wie ich finde ...)

30 August 2013

Punkrocker im coolen Jugendbuch

Wahrscheinlich ist und war es eine Bildungslücke, dass ich von dem Schriftsteller Jochen Till bislang nichts gelesen habe. Doch dann wurde ich auf das Buch »Ohrensausen« aufmerksam, las es mit wachsender Begeisterung und will jetzt mehr von ihm haben. Bei dem Roman handelt es sich um ein Jugendbuch, das als Taschenbuch aktuell bei Ravensburger zu haben ist, aber ich fand es auch für alte Säcke wie mich extrem gut lesbar.

Weil ... weil es um junge Punks geht. Oder zumindest um eine Handvoll Schüler, die versuchen, eine Punkband hochzuziehen, die den hübschen Namen AUF DIE OHREN trägt und sich auf den ersten Auftritt vorbereitet. Erzählt wird das ganze aus der Sicht des Schlagzeugers Danny, der unglücklich in die Freundin des Sängers verliebt ist ... und der wiederum entwickelt sich mehr zu einem riesigen Arschloch.

In dem Roman ist alles enthalten, was zu einer schönen Jugendbuch-Geschichte gehört: erste Liebe, allerlei Konflikte mit Freunden und Eltern, Schulprobleme, ein wenig Stress mit den Deppen von nebenan, Musik und viel Action. Da das ganze im jugendlichen Punkrock-Milieu spielt, gibt es zudem nervende Skinheads, Diskussion um die ÄRZTE und andere Dinge, die dem ganzen einen authentischen Charakter geben.

Die Sprache ist sehr jugendlich, ohne dass es peinlich wirkt. Schnelle Dialoge, durchaus auch mal ein wenig rotzig, aber eben nicht aufgesetzt: Das ganze ist immer glaubhaft und macht den Eindruck, dass der Autor – Jahrgang 1966 – dicht genug an der Zielgruppe dran ist.

Der Autor bleibt vor allem dicht an seinem »Helden«, erzählt sehr subjektiv aus dessen Perspektive und schafft es damit, dass der Leser immer an der Handlung klebt. Der dabei entstehende Sog lässt einen das Buch in einem derartigen Ruckzuck-Tempo lesen, dass es eine echte Freude ist.

Klar richtet sich das Buch nicht unbedingt an Punks, sondern an Jugendliche allgemein. Aber es stellt Punks nicht als Trottel dar, sondern präsentiert einen Haufen Jugendlicher, die Punkmusik machen wollen – etwaige Diskussionen, was Punkmusik mit Punk zu tun hat und was nicht, möchte ich jetzt nicht führen müssen.

Ich hatte genug Spaß an dem Werk und freue mich auf die Fortsetzung. Auch wenn meine »Punkrock-Jugend« sowieso wenig punkig war und nicht viel zu tun hatte mit dem, was in diesem Roman geschieht, fühlte ich mich bei der Lektüre doch einige Jahrzehnte jünger. Und das macht dann gleich doppelt Spaß.

Das letzte Wort empfehle ich

Wie jeder Fernsehzuschauer, der etwas auf sich hält, bin ich rasch dabei, das deutsche Fernseh- und Filmgeschäft zu kritisieren. Entweder sind die Filme blöd und albern, oder der Zeigefinger wird derart mahnend erhoben, dass man sich ästhetisch gruselt; zudem muss alles irgendwie auch noch politisch korrekt sein. Beim Rumzappen landete ich dieser Tage aber auf einem Film, der am 1. September bei Arte wiederholt wird und dann hoffentlich im regulären Programm landet.

Er heißt »Das letzte Wort« und ist im wesentlichen ein Zwei-Personen-Stück, bei dem zwei Schauspieler, deren Namen mir eigentlich nichts sagen, die Handlung größtenteils allein bestimmen. Die Inhaltsbeschreibung klingt nicht sonderlich spannend, und ich hätte den Film deswegen nicht angeguckt. Aber ...

Thomas Thieme spielt den Bischof Lorenz, in dessen Haus es zu einem Mord kommt und der sich dann mit dem mutmaßlichen Mörder in einem packenden Vier-Augen-Gespräch auseinandersetzen muss. Der Mörder, gespielt von Shenja Lacher, und der Bischof scheinen in einem sehr engen persönlichen Verhältnis zu stehen, von dem der Bischof am Anfang nichts ahnt.

Es entwickelt sich eine packende Situation, bei der sich knallharte Dialoge um Moral und Lüge, um Drogen und Liebe, um Abtreibung und ein verlorenes Leben mit einer durchaus gewalttätigen Auseinandersetzung abwechseln. »Das letzte Wort« ist ein echter Thriller, der bis zum Ende sehr spannend ist und bei dem man als Zuschauer auf ein gutes Ende hofft ... fast ohne die üblichen Thriller-Elemente.

Okay, die Polizei wird ein wenig flach dargestellt; ihr Einsatz könnte auch aus einem unterdurchschnittlichen »Tatort« stammen. Aber beide Schauspieler überzeugen, die Situation ist klar nachvollziehbar, die Vergangenheitshandlung wird Stück um Stück entblättert, und das Ende ist konsequent. Klasse – so etwas sieht man selten.

29 August 2013

In der Burger-Bude

Eigentlich, so dachte ich, habe ich als Vegetarier nichts in einem Laden verloren, der »bratar« heißt und den einige Fleischfreunde im sozialen Umfeld heiß empfohlen werden. Aber ich ging vor einigen Tagen doch mit, um den Laden zu testen, der unlängst in der Innenstadt von Karlsruhe eröffnet hat. Um es vorwegzunehmen: Ich wurde positiv überrascht.

Die gestylte Einrichtung wirkte schlicht und modern zugleich; man sitzt an Holztischen und erhält beispielsweise den Saft aus einem Einweckglas oder das Bier (Alpirsbacher Klosterbräu!, yep!) aus einem Krug. Die Bedienungen waren freundlich und zackig, die Bestellungen wurden rasch aufgenommen, und das Essen sowie die Getränke kamen schnell.

Klar handelt es sich beim »bratar« um Systemgastronomie, so eine Mixtur aus »Subway«-Sandwiches und Pommes-Schnellimbiss: Man bestellt einen bestimmten Burger oder eine Wurst, dazu ein bestimmtes Brötchen sowie die entsprechenden Toppings, wie das neudeutsch heißt; wer mag, ergänzt das ganze durch Salat oder Pommes frites.

Meine Fleischfutter-Begleitung kam auf ihre Kosten, bei mir war's aber auch lecker. Der Veggie-Burger entpuppte sich als wohlschmeckend, die Beilagen – ich nahm Käse und Zwiebeln und Soße – passten gut, und die Pommes erwiesen sich als knusprig.

Seien wir ehrlich: Die Portionen sind so, dass man echt satt wird. Der Burger allein hätte vielleicht bei mir nicht gereicht, mit den Pommes aber war es ein echter Berg. Der »bratar« ist eine echte Ausgeh-Empfehlung für diejenigen, die durch die Innenstadt von Karlsruhe stromern; ein kulinarisches Highlight ist es nicht unbedingt, will es aber auch nicht sein.

28 August 2013

Eigentlich ein Urlaub

Manchmal klappt es im Leben nicht so, wie man es gerne hätte. Wobei »man« in diesem Fall auch durch »ich« ersetzt werden kann. In seligem Optimismus hatte ich für den August ein verlängertes Wochenende eingeplant, an dem wir für fünf Tage nach Norditalien fahren wollten, meinetwegen auch nach Frankreich.

Im Vor-Plan waren sowohl der Großraum Lyon (mit dem Beaujolais oder dem französischen Jura ...) als auch das der Großraum Turin (mit den Seealpen). Dann aber meldete der Wetterbericht nur Dauerregen für diese Regionen. Hätten wir dem Regen entfliehen wollen, hätten wir fliegen müssen – nach Südspanien beispielsweise.

Wir sparten uns das Geld für die Übernachtungen und investierten es sinnvoll in die regionale Gastronomie. Unter anderem vergammelten wir einen wunderschönen Tag in der neuen Badelandschaft in Sinsheim (Bericht folgt ...), der mich den Dauerregen gut ertragen ließ, besuchten Familienangehörige, was ja auch einmal sein muss, oder kauften endlich einmal neue Klamotten.

Das war alles nicht spannend, aber sinnvoll. Und es ist auf jeden Fall sehr sinnvoll, jeden Abend lecker zu essen – in Karlsruhe und Umgebung, zum Abschluss des kurzen Urlaubs dann vor allem marokkanisch in der schönen elsässischen Stadt Colmar. Das ganze war somit erholsam und gemütlich, eben dann doch ein Urlaub.

Das beste an alledem: Ich ließ die Finger von der Arbeit. Der Computer blieb aus. Fünf Tage ohne Internet – herrlich! Kein Twitter, obwohl ich das liebe. Kein Facebook, kein Google plus, kein Blog und kein Youtube. Ich las keine Manuskripte, ich ließ die Fachzeitschriften in meinen Papierstapeln vergammeln.

Und ich hatte dabei keine Sekunde lang ein schlechtes Gewissen. Es scheint noch nicht alles verloren zu sein ...

22 August 2013

Hagen und seine Liebe

Dass ich den Kabarettisten Hagen Rether klasse finde, habe ich in diesem Blog nicht nur einmal verkündet. Vor einigen Wochen erst war ich bei einer seiner Vorstellungen – jetzt habe ich mir endlich seine aktuelle CD angehört. Sie heißt »Liebe 4«, und sie enthält Auszüge aus seinem aktuellen Programm.

Ich finde sie brillant: Rether hat einen trockenen Humor, manchmal sind seine »Stücke«, wenn man das so bei einem Kabarettisten sagen, sogar völlig ernsthaft und lassen einem das Lachen buchstäblich im Hals stecken. Er spricht über die »Angst vor dem Islam« und beklagt, dass Kindergärtnerinnen so wenig Geld verdienen. Unter anderem kritisiert er, dass man die Kinder bereits in jungen Jahren in religiöse Richtungen spaltet, anstatt ihnen klarzumachen, dass sie eigentlich zusammenarbeiten sollten.

Damit man zwischendurch auch zum lauten Lachen kommt, bringt Rether immer wieder echte Running-Gags. »Haben Sie eigentlich Winterreifen?« ist so einer, ebenso sein Verweis auf den angeblichen Erdkunde-Unterricht von 1986 (eine Mitschülerin aus diesem Jahr versicherte, dass der Herr Kabarettist in seiner Schule in Freiburg damals kein sehr aufmerksamer Schüler war ...); es ist gut, dass er damit sein oftmals sehr hartes Programm auflockert.

Es fällt mir schwer, die CD adäquat zu beschreiben. Wer sich unter Hagen Rether nichts konkretes vorstellen kann, möge bei Youtube einfach mal einen der vielen Kabarett-Aufzeichnungen anschauen. Ich werde die CD nicht nur einmal anhören – auch wenn man die Aussagen dann schon kennt, zieht der Mann einen zum x-ten Mal in seinen Bann.

21 August 2013

Fußball in Ghanzi

Wenn es eine Kleinstadt gibt, die buchstäblich im Nichts liegt, so ist es womöglich Ghanzi. Bei meiner Reise durch Botswana kam ich auch in diese kleine Stadt, die am Rand der großen Kalahari-Wüste liegt und von der aus es zugleich nur ein Katzensprung in die menschenfeindliche Namib-Wüste ist. Eine ausgedörrte Gegend, in der so gut wie niemand lebt.

Am Nachmittag prasselte auf einmal ein Regen herunter, wie ihn dieser Landstrich schon lange nicht mehr erlebt hatte. Ich flüchtete mich unter das Dach einer Bushaltestelle, schon einigermaßen durchnässt, wo ich mich auf die Holzbank setzte und in den Regen starrte.

Der Regen tanzte auf dem Staub der Straße, wurde wieder hochgewirbelt, bildete einen feinen Neben aus zersprühtem Wasser. Ich schaute fasziniert zu. Menschen rannten über die Straße und suchten Schutz unter Vordächern, während Autos ganz langsam vorüberrollten.

Neben mir saßen zwei Jungs, vielleicht 13 oder 14 Jahre alt; ihre kurzen Hosen und T-Shirts waren bereits feucht, aber sie hatten ebenfalls keine Lust auf den Regen. Ich merkte, wie sie immer wieder zu mir herüberschauten. Wo ich denn herkomme, fragte der eine nach einiger Zeit höflich in gutem Englisch.

»Aus Deutschland«, gab ich zur Antwort. Und als er weiterfragte, sagte ich noch, ich sei aus Karlsruhe.

Der Junge schreckte auf. »Die Heimatstadt von Oliver Kahn?« Ich nickte, und damit schien ich einen riesigen Funken der Begeisterung in ihm zu entflammen. »Er ist der beste Torwart der Welt!«

Die nächste halbe Stunde verbrachten wir damit, über Fußball zu reden. Wobei das falsch gesagt ist: Die beiden Jungs hatten mehr Ahnung von der deutschen Bundesliga als ich. Sie kannten nicht nur alle Vereine und ihren Stand in der Tabelle, sie wussten die Namen der wichtigsten Spiele und wer wann welches Tor geschossen hatte.

Ich war verblüfft und schämte mich ein wenig: Die beiden wussten so viel mehr als ich, und sie hatten dieses Wissen aus gelegentlichen Fernsehsendungen und aus dem Radio. Sie spielten selbst Fußball, und sie träumten buchstäblich von der Bundesliga.

Aber so verstrich die Zeit an der Bushaltestelle richtig schnell. Als der Regen aufhörte, gingen wir in unterschiedliche Richtungen weiter, nicht ohne uns vorher die Hände geschüttelt zu haben.

Es war unterm Strich ein richtig schöner Tag in Ghanzi ...

20 August 2013

Trash in der Glotze

Als ich noch aktiver Pogo-Anarchist war, fand ich es witzig, die »komplette Verkabelung« Deutschlands zu fordern, um die »Rückverdummung« aktiv zu befördern. Schaue ich mir jetzt einschlägige Informationen zu neuen Fernsehsendungen an, bin ich mir sicher, dass in der Sendeleitung manches Fernsehsenders in Wirklichkeit ehemalige Punkrocker und Pogo-Anarchisten sitzen, die irgendwelche Ideen aus den 80er- und 90er-Jahren umsetzen wollen.

Mit Halbsätzen und Slogans à la »Intim mit Dr. Bunga Bunga« oder »Abenteuer, Brüste und Drama« bewirbt der Sender ProSieben eine neue Show – oder wie immer man das nennen soll –, die im Verlauf dieser Woche starten soll: Unter dem Titel »Reality Queens« werden irgendwelche Frauen mit aufgeblasenen Lippen und vergrößerten Brüsten aus Deutschland auf afrikanische Normalmenschen losgelassen.

Dass ich die Namen der Damen sowie der Moderator durch die Bank nicht kenne, verhilft mir hoffentlich zur Ehrenrettung. Zumindest kannte ich bis vor wenigen Minuten die Damen Micaela Schäfer, Gabriella De Almeida Rinne, Tessa Bergmeier oder Tialda van Slogteren nicht einmal ganz entfernt. Das kann damit zusammenhängen, dass ich wenig ferngucke und auch wenig auf den Promi-Seiten im Netz unterwegs bin ...

Dieses Geschwader angeblicher Queens wird nach Tansania geschickt, wo sie angeblich auf den »Buschmann Gudu« treffen. Sie müssen gegeneinander kämpfen, um irgendwelche »Challenges« zu entscheiden – am Ende gibt es eine Gewinnerin.

Ich bin mir nicht sicher, ob das jetzt rassistisch ist – die Afrikaner werden als »Buschleute« dagestellt, die »alle nackt« herumlaufen. Oder ist es sexistisch – die Queens machen das zwar alle selbständig, werfen aber ein Licht auf »alle« Frauen. Wahrscheinlich nichts von alledem – das ganze ist nur schrecklich doof.

Zwar gebe ich mir Mühe, das ganze ironisch zu betrachten und witzig zu nehmen, aber es fällt mir schwer. Womöglich gelte ich jetzt als »politisch-korrekter« Trottel oder werde von ehemals linken, jetzt primitiv-rechten Publizisten als »Gutmensch« verspottet, aber ich kann damit nichts anfangen. Womöglich sind die »Reality Queens« tatsächlich die Zukunft des Fernsehens ...

Wer mehr wissen möchte, kann sich auf der »Prosieben«-Seite einen Trailer anschauen; leider kommt vorher haufenweise Werbung, doch die kann ja auch unterhaltsam sein. Ich sitze in solchen Fällen ebenfalls davor und wundere mich – aber ich habe ja schließlich keine Erfahrung mit Fernsehsendungen.

19 August 2013

Im Wald gepfiffen?

Wer sich geschäftlich mit Medien im Allgemeinen und Kindermedien im Besonderen beschäftigt, kennt das Gejammer seit langem: Die »jungen Leute« lesen nicht mehr, heißt es dann gern. Es sei völlig unsinnig, für jüngere Menschen überhaupt noch Literatur zu produzieren; das interessierte die sowieso nicht. Glaube ich der aktuellen »Kids Verbraucheranalyse«, die man üblicherweise als »Kids VA« abkürzt, ist alles ganz anders.

Die aktuelle Studie, die in allen möglichen Fachmedien veröffentlicht wurde, wird auf der Basis von 2027 Interviews erstellt; sie sei repräsentativ für deutschsprachige Kinder im Alter von 4 bis 13 Jahren. Teilweise arbeitet man mit sogenannten Doppel-Interviews, da werden also das Kind und der/die Erziehungsberechtigte befragt. Inwiefern das stimmig ist, kann ich nicht beurteilen; ich kann das glauben oder eben nicht.

Das Interessante dabei: Kinder lesen gern Papier. 81 Prozent der 6- bis 13-Jährigen greifen nach dieser Untersuchung mindestens einmal wöchentlich zu einem Buch; die Kindermagazine erfreuen sich großer Beliebtheit. Und das Internet stagniert, glaubt man der Untersuchung.

Ist also alles halb so schlimm? Ich weiß es nicht. Tatsache ist, dass die Auflagen vieler Kindermedien rückläufig sind und sich die meisten nicht mehr so gut verkaufen wie früher. Ohne die Spielzeuge und anderen »Gadgets«, die ständig aufgeklebt werden, wäre die Situation sowieso ganz anders.

Manchmal kommen mir solche Analysen und die daraus resultierenden Stimmungen so vor, als würde ganz verzweifelt gepfiffen. Je lauter man trommelt und pfeift, desto weiter weg ist die »Gefahr«; die Angst, die Kinder komplett ans Fernsehen und ans Internet zu verlieren, ist schließlich nach wie vor vorhanden. (Wenn ich darüber nachdenke, bin ich ganz froh, für eine Romanserie verantwortlich zu sein, die sich vor allem an erwachsene Leser wendet.)

Eine grässliche Hauptfigur

Einer der deutschsprachigen Autoren, dessen Romane ich sehr schätze, war Jakob Arjouni. Der Schriftsteller, der vor allem durch seine in Frankfurt spielenden Krimis bekannt wurde, starb im Januar 2013; es machte mich damals echt betroffen. Dieser Tage las ich von ihm den Roman »Hausaufgaben«, der schon einige Jahre auf dem Buckel hat, meilenweit entfernt von einem Krimi ist und sich dennoch als spannend erwies.

Hauptperson des Romans ist ein Lehrer. Das klingt vielleicht langweilig, wird aber ruckzuck unterhaltsam: Joachim Linde ist Gymnasiallehrer, einer von der Sorte, wie ich sie während meiner Schulzeit unter anderem kennenlernte. Er weiß alles besser, er ist immer auf der »richtigen Seite«, er hat stets die passenden Argumente und diskutiert die anderen kaputt.

Dabei hat er massive Probleme mit seiner Familie: Seine Frau leidet unter Depressionen und liegt in einer Klinik. Seine Tochter, die sich vom Vater sexuell belästigt fühlt, hat einen Selbstmordversuch hinter sich und ist ins Ausland entfleucht. Sein Sohn ist ein politisch korrekter Langweiler, dem der Vater beizubringen versucht, auch so ein cooler Aufreißer zu werden, wie er glaubt, in seiner Jugend gewesen zu sein.

Es geht in diesem Roman um Familie – aber ebenso um Politik. Die Familie arbeitet sich unter Anleitung des Vaters am Palästina-Konflikt ab, kritisiert Israel und thematisiert die Schuld der Deutschen: da wird verdammt viel gutgemenschelt und geheuchelt. So viel, dass es einem Leser fast schlecht wird ...

Das Schlimme ist: In jemandem wie Linde erkenne ich mich ein Stück weit wieder. Jeder richtet sich in seiner eigenen Sicht auf sein eigenes Leben ein, jeder versucht, sich selbst gut darzustellen, und jeder möchte, wenn er in den Spiegel guckt, mit sich einigermaßen zufrieden zu sein. Linde ist ein totaler Durchschnittsmensch – in seinen Schwächen vor allem – und wird damit zum Spiegelbild des Lesers. Das fand ich eindrücklich.

Wobei der Autor durch seinen einprägsamen Sprachstil viel dazu beiträgt, dass die Handlung spannend ist. Wenn ich mir vorstelle, was ein labernder Autor im Stil von Martin Walser daraus machen würde: eine öde Ansammlung grausiger Prosa, ideal für den Deutschunterricht, dazu geeignet, jungen Leuten den Spaß an Büchern zu verderben.

Ganz anders Jakob Arjouni: Sein Joachim Linde ist ein echtes Arschloch – aber der Autor schildert diese Figur so glaubhaft und nachvollziehbar, dass man unweigerlich mit ihm mitfühlt. Als Leser ekelt man sich vor Linde und glaubt ihm zugleich. Arjouni bleibt so dicht an seiner grässlichen Hauptfigur dran, dass man ihr mit Faszination und Spannung bis zum Ende bleibt.

Das ist ganz großes Kino: In dem Roman passiert viel, auch wenn die einzelnen Szenen eigentlich nur in der Schule und im Wohnhaus spielen – das ist eine meisterhafte Arbeit. Mit nicht einmal 200 Seiten ist der bei Diogenes erschienene Roman schmal an Umfang, aber dicht an Inhalt; meine Empfehlung!

16 August 2013

Sonderdruck zu Heinlein

Gelegentlich ist es hilfreich, in alten Zeitschriften zu blättern; in meinem Fall sind es oftmals alte bis uralte Fanzines. Heute hielt ich den »Anabis-Sonderdruck« vom November 1961 in den Händen: Das Fanzine wurde damals mittels Wachsmatrizen hergestellt, das Titelbild von Mario Kwiat war für damalige Verhältnisse sehr klassisch gestaltet.

Sein Inhalt? Eine Titelliste, mehr nicht. Aber eine, die für die Science-Fiction-Fans damals sicher sehr interessant war: Es wurden alle Titel des SF-Schriftstellers Robert A. Heinlein aufgelistet, die bis dahin erschienen waren. Gemeint waren damit sowohl seine Romane als auch seine Kurzgeschichten; gelistet wurden ebenso Artikel und Beiträge zu Con-Büchern.

Zusammengestellt wurde das alles von Manfred Alex, den ich leider nie kennengelernt habe. Aber was muss das damals für eine irrsinnige Arbeit gewesen sein? Internet gab's bekanntlich keines, Computer waren für Normalsterbliche völlige Science Fiction. Das heißt, dass damals mühsam mithilfe amerikanischer Versandkataloge, Verlagsübersichten und Zeitschriftenartikel recherchiert werden musste ...

Wer heute ganz selbstverständlich mit dem Internet und seinen Möglichkeiten umgeht, kann sich wahrscheinlich nicht einmal vorstellen, was das damals für eine Mühe war. Umso beeindruckender sehen dann heute die sorgsam getippten und akkurat erarbeiteten Listen aus ... Der »Anabis-Sonderdruck« war zu jener Zeit sicher ein ganz spezielles Fanzine und eine Freude für all jene, die Lust darauf hatten, englischsprachige Science Fiction zu lesen.

15 August 2013

Baden in Bergisch-Gladbach

Wer an Bergisch Gladbach denkt und ein gewisses Alter hat, assoziiert damit unter Umständen nur eines: den Bastei-Lübbe-Verlag, den »Verlag mit der Zinne« also, und seine Romanhefte. Über Jahrzehnte hinweg drangen aus der Stadt unweit von Köln vor allem Romanhefte an das Bewusstsein des normalen Bundesbürgers. Und sieht man von einem Besuch im Verlag in den Nuller-Jahren und einem Conbesuch in den 80er-Jahren ab, hatte ich die Stadt praktisch nie betreten.

Dabei gibt es eine Örtlichkeit, deren Besuch sich wirklich lohnt. Gemeint ist das »Mediterana«, eine Mischung aus Thermalbad, normalem Schwimmbad und riesigem Sauna-Bereich, das seit einigen Jahren die Massen nur so anzieht. Als wir dieses Bad betraten – warum es uns ausgerechnet da hin verschlagen hat, spielt ja keine Rolle –, war es so voll, dass man im Eingangsbereich warten musste und nur gruppenweise eingelassen wurde. Aber es lohnte sich, die halbe Stunde zu warten ...

Wir hielten uns dann vor allem im Sauna-Bereich auf, der übrigens nicht voll war. Er ist nach »spanisch-maurisch« und »indisch-arabisch« gegliedert, es geht aber alles harmonisch ineinander über: Saunen, Ruheräume, Badebecken, Restaurants und so weiter. Ich war davon sehr beeindruckt: Das sieht alles gut aus, die Einrichtung ist teilweise ein wenig übertrieben, aber unterm Strich doch geschmackvoll genug.

Zum Erholen ist das super. Wir brauchten einige Zeit, bis wir uns mit den Räumlichkeiten vertraut gemacht hatten, dann bummelten wir durch die Saunen, genossen einige davon, gammelten stundenlang in den Ruheräumen herum, fühlten uns schlichtweg wohl. Im Restaurant konnte man vergleichsweise gut und preiswert essen, die Getränke waren wohlschmeckend.

Der Spruch vom »Seele baumeln lassen« passt hier gut. Das »Mediterana« ist eine Reise wert. Ich überlege mir, einen Besuch dort mit der nächsten Dienstreise nach Köln oder dem nächsten ColoniaCon zu kombinieren ...

14 August 2013

Phantastisch wird fünfzig

Manchmal brauche ich halt länger zur Lektüre einer Zeitschrift. Im aktuellen Fall meine ich »phantastisch!« ... längst ist die Nummer 51 bei mir daheim im Lesestapel, und jetzt erst habe ich die Lektüre der Nummer 50 beendet. Da es sich aber um die Jubel-Ausgabe gehandelt hat, verweise ich doch darauf.

Die »phantastisch!«, die seit einiger Zeit im Atlantis-Verlag erscheint, ist meiner Ansicht nach eine Pflichtlektüre für diejenigen, die sich ernsthaft für Science Fiction, Fantasy und artverwandte Literatur interessieren. Das Magazin wird von Klaus Bollhöfener redaktionell betreut und bietet stets ein breites Spektrum von Artikeln, Interviews, Rezensionen und anderen Beiträgen an. Nicht alles kann mich dabei interessieren, nicht alles wird logischerweise jedem gefallen.

Mit der Nummer 50 wurde aber ein sehr ordentliches Heft vorgelegt. Interviews mit bekannten Autoren wie Charles Stross, Wolfgang Jeschke oder Mike Resnick, die allesamt wichtige Science-Fiction-Romane geschrieben haben, oder ein Interview mit dem Filmemacher Rainer Erler – das ist schon ziemlich klasse. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem texanischen Schriftsteller Joe R. Lansdale, dem Gesamtwerk von Samuel R. Delany oder dem russischen Autor Boris Strugatzki.

Von den vielen Rezensionen und kleineren Beiträgen will ich erst gar nicht anfangen; die Kurzgeschichte und den Comic möchte ich nur kurz erwähnen. Die Tatsache, dass ich eine mittlere Ewigkeit brauchte, um das Magazin zu lesen, spricht wohl Bände. 88 Seiten im Magazin-Format, umlaufendes Titelbild, das alles zum Preis von 5,30 Euro – das alles summiert sich zu einem beeindruckenden Bild.

Wie schon geschrieben: Pflichtlektüre!

Riskante Fahrer

Der Soundtrack ist zugegebenermaßen sehr gewöhnungsbedürftig, vor allem die unglaubliche Musik, und eigentlich soll man von russischen Seiten nichts herunterladen ... aber ... dieses Video auf Youtube ist der Hammer, und herunterladen muss man es auch nicht: In nicht einmal viereinhalb Minuten wird eine Abfolge von haarsträubenden Unfällen gezeigt, bei denen mir der Atem stockt.

Fußgänger spazieren völlig vertrottelt über die Autobahn. Lastwagen kommen von der Spur ab. Unglaublich riskante Überholmanöver führen fast zu tödlichen Unfällen. Und das ganze sieht zu allem Überfluss auch noch sehr echt aus. Mein Lieblings-Thriller der Woche ...

13 August 2013

Krömer und der Witzepuff

Vielleicht muss man aus Berlin sein, um den seltsamen Humor so richtig lustig zu finden, den der Komiker Kurt Krömer im Fernsehen und sicher auch live auf der Bühne bringt. Schon einige Male bekam ich Sendungen von und mit ihm mit, und jedesmal saß ich ratlos vor der Glotze und schaltete nach wenigen Minuten weiter.

Ich bin kein Fernseh-Experte; den ersten Fernseher meines Lebens kaufte ich, als ich schon Mitte dreißig vor. Ich wurde ohne »Lindenstraße« und »Tutti Frutti« sozialisiert und habe die Sternstunden der deutschen Fernsehunterhaltung großmaßstäblich verpasst. Vielleicht lasse ich mich deshalb heute noch so sehr verwirren.

Aber ich schaute am Samstag abend die aktuelle »Krömer-Show« an. Die Sendung interessierte mich deshalb, weil der Journalist Matthias Matussek – mir aufgrund einiger Artikel und einiger Fernsehauftritte herzlich unsympathisch – öffentlich gegen die Sendung geschossen hatte; er hatte zudem dagegen geklagt, dass die Sendung ausgestrahlt wird.

Nachdem ich die Sendung gesehen habe, kann den Mann irgendwie verstehen: Der Journalist übergibt ein Buch und will sein neues Werk vorstellen, Krömer ignoriert jeden seriösen Ansatz, lässt Mattusek nicht aussprechen, bezeichnet ihn als »Puffgänger« und dergleichen und verararscht ihn grob.

Seien wir ehrlich: Wenn es einer verdient hat, öffentlich so durch den Kakao gezogen zu werden, ist es Mattusek. Der Mann teilt seit Jahren aus, und er tritt gerne medial auf seine »Gegner« ein. Er hätte aufstehen und gehen können. Stattdessen blieb er sitzen, guckte gequält und versuchte sich an billiger Gegenpolemik. Sein Auftritt war peinlich.

Und Krömer? Der war halt Krömer. Immer voll auf die zwölf, keinen schlechten Scherz auslassen, ohne Konzept und klares Ziel – das aber konsequent. Wer mag, kann das als Punkrock bezeichnen, meinetwegen auch als »anarchistisch«.

Würde man mich fragen, ob ich als Gast in seine Show gehen wollte – was sicher nie passieren wird –, würde ich ablehnen. Aber es gibt genug Fans. Und wahrscheinlich lachen sich in den Sendeanstalten einige höchstbezahlte Redakteure halbtot angesichts der Reaktionen auf die Krömer-Show.


Nur: Warum Kurt Krömer in den »öffentlich-rechtlichen« Sendern läuft, die angeblich einen Bildungsauftrag haben, und nicht bei RTL II und anderen Sendern zwischen »Wild Girls« und »Villa Germania« ausgestrahlt wird, erschließt sich mir nicht. Qualitätsoffensive sieht anders aus ... aber ich kenne mich mit Fernsehen schließlich kaum aus.

12 August 2013

Deutsche Friedensfiktion

Die 80er-Jahren waren eine seltsame Zeit: Junge Leute wie ich lebten in der Angst vor dem Atomkrieg, befürchteten ein finales Waldsterben und gingen auf Friedensdemonstrationen, um sich gegen die Raketen-Aufrüstung der Nato-Staaten zu stellen. Schaue ich mir heute entsprechende Dokumentationen an, die ab und zu im Fernsehen kommen, kann ich mir kaum vorstellen, dass das »meine Zeit« war.

In diese Zeit passten entsprechende Bücher. Dieser Tage hielt ich »Tod durch Ertrinken« in meiner Hand. Das Buch wurde von einem Autor namens Gerhard Wagner verfasst und erschien 1984 im Vielangel-Verlag. Es bezieht sich im Vor- und im Nachwort auf die Friedensdemonstrationen jener Zeit, entsprechend ist der Inhalt: Deutsche Bundeswehr-Soldaten werden in einer recht nahen Zukunft in Gefechte an der innerdeutschen Grenze verwickelt.

Heutzutage muss man Jugendlichen womöglich die Begriffe erklären; wer nach 1989 geboren worden ist, wuchs ohne die DDR auf und lernte Erdkunde mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht anhand von Landkarten, auf denen Schlesien und Ostpreußen als »unter polnischer Verwaltung« oder »unter russischer Verwaltung« bezeichnet wurden. Die 70er-Jahre waren nämlich ebenso seltsam wie die 80er-Jahre.

Zurück zum Roman, den ich 1984 oder 1985 gern gelesen habe. Ich blätterte unschlüssig darin herum, brachte es aber nicht über mich, ihn mir noch einmal komplett vorzunehmen. Dann legte ich ihn zur Seite: Der Roman hat heute keinerlei Relevanz mehr, weder erzählerisch noch politisch, schon gar nicht als Science-Fiction-Titel.

Und jetzt? Was mache ich mit dem Buch? In meinem Bücherregal muss ich Platz schaffen, da ja ständig neues Material hinzukommt. Verkaufen oder wegwerfen kommen nicht in Frage. Eigentlich muss das Buch in ein Museum – als zeitgeschichtliches Dokument, wie man vor bald dreißig Jahren über das Thema »Krieg und Frieden in naher Zukunft« schrieb. Ich denke, in einem solchen Umfeld wäre es sogar »wichtig«. In meinem Regal aber nicht mehr ...

09 August 2013

Popper in der Musik

»Mein Bruder ist ein Popper ...« Diese Liedzeile schmetterte die Punkrock-Kapelle Artless vor über dreißig Jahren bei ihren Konzerten ins Publikum; anfangs der 80er-Jahre gab es tatsächlich Jugendliche, die als Popper bezeichnet wurden und nicht stöhnten, wenn man sie ebenfalls so nannte. Der Begriff war korrekt eingeführt und wurde nicht als Schimpfwort benutzt.

Wie ist das denn heute? Gibt's das Wort überhaupt noch? In einer Zeit, wo sich irgendwelche Politiker und Vorstandsbosse ohne jegliche Ironie als »Rock'n'Roller« bezeichnen und ein schmieriges Heft wie »Business Punk« mit blutigem Ernst existiert, käme mir das seltsam vor. Da ich aber weit genug von der »heutigen Jugend« weg bin, weiß ich das schlichtweg nicht.

Einer ganz anderen Frage im Zusammenhang mit dem Wort »Popper« geht das Archiv der Jugendkulturen nach. Für ein Buchprojekt sucht man Songtexte, in denen Popper vorkommen. Die bekannten Stücke kennen Klaus Farin und seine Mitstreiter selbstverständlich, auch die Deutschpunk-Band Popperklopper ist bekannt – aber es dürfte haufenweise unbekannte Perlen geben.

Wer welche kennt, möge sich bitte melden: entweder bei mir oder beim Archiv direkt. Die Elektropost-Adresse steht im Impressum der Internet-Seite. Und ich bin dann mal gespannt, was dabei für ein Buch herauskommen wird ...

08 August 2013

Kalifornier zu tropischer Hitze


Nach ziemlich genau einem Jahr gastierten am Mittwoch, 7. August 2013, erneut die Adolescents in Karlsruhe. Mit im Gepäck hatten sie Channel 3, eine ebenfalls uralte Punkrock-Band aus Kalifornien, die ich noch nie live gesehen hatte. Da durfte ich nicht fehlen, also pilgerte ich in die »Alte Hackerei«, um dort gepflegt Bier zu trinken und ebenso gepflegt zu krachiger Musik das Tanzbein zu schwingen.

Mit mir waren einige Dutzend Leute anwesend. Der Laden war gut gefüllt, aber nicht übervoll. Man kam in vertretbarer Zeit an sein Bier und konnte sich einigermaßen gut bewegen. Und weil auch Menschen aus nahe gelegenen Großstädten wie Stuttgart und Mannheim eingetroffen waren, gab's genügend Grund, in alten Erinnerungen (»woisch no? domols der Pogo ...«) zu schwelgen und sich für weitere Treffen zu verabreden.

Channel 3 eröffneten bei tropischen Temperaturen den Abend. Die Kalifornier, deren »große Zeit« in den ganz frühen 80er-Jahren nicht lange gedauert hatte, spielten rasanten Hardcore-Punk der alten Schule: wuchtig, rotzig, schnell. Sofern mich mein Gedächtnis nicht trügte, spielten sie die alten Stücke vor allem dynamischer und knalliger.

Der Zuspruch im Publikum war gering, auch ich stand nur da und wackelte mit Kopf und Beinen. Ein junger Mann mit Popperfrisur, der mit Sätzen wie »Komm, wir tanzen Pogo!« allen Ernstes zum Tanz aufforderte, wurde standhaft ignoriert. Die Kalifornier brachten ihre Show mit viel Energie zu Ende; ich hatte das Gefühl, dass sie vom schwitzenden und ein wenig lethargischen Publikum nicht sonderlich begeistert waren.

Auch die Adolescents hatten am Anfang ihre Probleme mit uns und der Hitze. Vor einem Jahr hatte der Pogo bereits beim ersten Stück begonnen – aber da hatte die Band vor allem den alten Kram gespielt. Diesmal fingen die älteren Herren aus Kalifornien mit Stücken ihrer neuen Platten an, die naturgemäß kaum jemand kannte.

Das klang wesentlich wuchtiger als bei den alten Stücken: mehr Hardcore, weniger Melodie, extrem laut und knallig, nicht schlecht, aber eben nicht so bekannt wie »No Way« oder andere alte Lieder. Die kamen später, und bei »Kids Of The Black Hole« hüpfte ich ebenfalls ein wenig in dem sehr harmlosen Pogo-Mob herum.

Später standen die Konzertbesucher im leichten Nieseregen vor der »Hackerei«, die meisten durchgeschwitzt und fröhlich grinsend. Wieder mal ein schöner Konzertabend, bei dem nur das Grausen vor dem Aufstehen am nächsten Tag für negative Gefühle sorgte ...

07 August 2013

Wikinger-Action

Ich bin seit vielen Jahren ein großer Freund der »Thorgal«-Comics und finde es nach wie vor super, dass der Splitter-Verlag diese Fantasy-Serie in einer sehr gelungenen Hardcover-Ausgabe veröffentlicht. Die aktuelle Ausgabe 16, die den schlichten Titel »Lupine« trägt, ist dieser Tage erschienen – und sie ist ein tolles Beispiel für ein eigenständiges Fantasy-Album mit viel Action und Dramatik.

Zur Handlung: Mit seiner hochschwangeren Frau Aaricia und seinem Sohn Joran ist der Krieger Thorgal auf der Heimreise zu seinem Heimatdorf. Unterwegs werden die drei in einen kurzen Konflikt mit einem raublüsternen Wikinger-Anführer verwickelt, in der Folge wird die kleine Familie getrennt.

Während Aaricia allein in der Wildnis zurückbleibt, muss sich Thorgal mit vielen Gefahren herumschlagen, bis letztlich alles wieder gut wird. Unterwegs gibt es reichlich Action mit Plünderern, Folterknechten, armen Bauern und einer Wölfin. Der Fantasy-Aspekt bleibt dabei eher gering und kommt auch eher am Ende. Zumeist handelt es sich um eine geradlinig erzählte Abenteuergeschichte, deren Struktur teilweise an einen Western erinnert.

»Lupine« ist packend erzählt, die Handlung kommt sehr dynamisch herüber. Zum wiederholten Mal zeigt Jean Van Hamme, wie man eine gute Comic-Geschichte macht. Dazu die beeindruckenden Gemälde von Grzegorz Rosinski, die detailreich und faszinierend zugleich sind: Menschen und Natur kann der Mann gleichermaßen zeichnen.

Wie gesagt: Ich bin eh ein Freund der Serie, der vorliegende Band wird von mir aber auch jenen ans Herz gelegt, die »Thorgal« bisher nicht kannten. Das sechzehnte Album ist komplett in sich abgeschlossen und gehört nicht zu einem der Zyklen, die es bei dieser Serie auch gibt ...

06 August 2013

Fuckt aus Hannover

Manche Bandnamen sind so klar und eindeutig, dass man eigentlich glaubt, alles über die Musik zu wissen. Bei Fuckt aus Hannover könnte man das ebenfalls meinen, doch die 16 Stücke – oder 17, je nach Berechnung – auf ihrer ersten und bisher einzigen CD »Energy From The Gutter« klingen erstaunlich abwechslungsreich.

Der Grund ist einleuchtend: Die drei Männer und eine Frau, die teilweise seit den 80er-Jahren in irgendwelchen Punkrock-Kapellen herumklampfen, schreiben allesamt die Stücke der Band, und sie singen sie auch auf der CD. Deshalb klingt die CD nicht wie »aus einem Guss«, sondern eher so, als ob es sich um einen Punkrock-Sampler handelte.

Ich finde das gut: Wenn eine Band derart abwechslungsreich ist, mag ich das. Und so springt man zwischen englisch- und deutschsprachig, zwischen Punkrock, Anarchopunk, Deutschpunk und Hardcore, zwischen ernsthaft und zynisch ... trotzdem passt das ganze gut zusammen.

Die Band erfindet den Punkrock nicht neu, was nach all den Jahren nicht zu erwarten ist, aber sie liefert ihn auf gelungene Weise ab. Leider hat die Band es geschafft, ihre Internet-Präsenz so herunterzufahren, dass ich das nicht vernünftig verlinken kann. Wer mag, kann ihre Platte aber über den Schlagzeuger Kralle bestellen; da gibt es sie direkt.

05 August 2013

Enpunkt und die USA

Es ist ja schick in diesen Tagen, die USA pauschal als »miesen Staat« zu verurteilen. Besonders gern sehe ich dann auf Facebook und anderen Plattformen, wie schnell Menschen mit Vorurteilen zugange sind. Hurtig-hurtig werden allerlei Klischee-Behauptungen über Amerika aus der Schublade gezogen, die man dann gern vor sich herträgt.

(Welche Klischees dabei bedient werden, steht auf einem anderen Blatt Papier. Wer sich dafür interessiert, schaue doch einfach mal nach, in wie vielen Fällen antisemitische Lügen verarbeitet werden. Aber das ist ein ganz anderes Thema.)

Die USA sind ein Land mit einer reichhaltigen Kultur: brillante Autoren, beeindruckende Comics, wunderbare Filme, anspruchsvolle Kunst, sauguter Punkrock. Und zumindest ein bisschen Punk und Hardcore präsentierte ich in meiner Radiosendung am Sonntag, 4. August 2013, die wieder einmal im örtlichen Sender Querfunk lief.

Zu den bekannteren Bands, die ich spielte, zählten die Klassiker von den Adolescents und die top-aktuellen Polit-Punks von Anti-Flag. Weniger bekannt waren wohl die Hardcore-Klassiker Sacred Denial aus den 80er-Jahren oder die sehr ruhige Emo-Band The Stereo.

Recht neu und ziemlich rabiat klangen Black SS und Coke Bust, die schnellen Hardcore spielen; die Generators mit ihrem Glam-Punk oder Screeching Weasel mit ihrem Ramones-Sound mag ich immer. Und die unterschätzte Band Ann Beretta habe ich dann endlich auch mal wieder ins Radio gebracht.

Schwitzig war das ganze Untergangen. Im Studio herrschten Temperaturen, die fürchterlich waren, dazu kam eine hohe Luftfeuchtigkeit. Mir lief die Brühe herunter, und am Ende der Radiosendung hatte ich ein triefnasses T-Shirt. Aber da muss man halt durch ....

04 August 2013

Auf dem Dach von Kundus

Wer sich ein wenig mit Zeitgeschichte auskennt, hat das Bild im Gedächtnis: amerikanische Hubschrauber über einem Gebäude in Saigon, mutmaßlich die amerikanische Botschaft, darunter verzweifelte Vietnamesen, die noch versuchen, sich zu den Amerikanern zu retten ... Als der Vietnamkrieg 1975 verloren ging und die Kommunisten in Vietnam einmarschierten, holten die Amerikaner ihre eigenen Leute heraus und überließen die einheimischen Hilfskräfte einem schrecklichen Schicksal.

Das gleiche Schicksal droht den afghanischen Helfern der Bundeswehr und anderer westlicher Armeen, wenn diese in einem Jahr oder in zwei Jahren abziehen. Wie es aussieht, möchte die Bundeswehr ihre Übersetzer und Fahrer, ihre Putzhelfer und Köche zurück lassen – wohl wissend, dass sie von den dann siegreichen Taliban garantiert nicht nett behandelt werden.

Wenn ich die entsprechenden Aussagen in den Medien lese, wird mir schlecht. Jeder der betroffenen Afghanen weiß, welches Schicksal auf ihn und seine Familie wartet. Jeder der Verantwortlichen in Deutschland weiß es ebenfalls oder sollte es wissen. Es interessiert hierzulande nur niemanden, weil vor lauter Drohnen-Affäre und Bundestagswahl-Unfug keine ernsthafte Diskussion über das persönliche Schicksal von Menschen möglich zu sein scheint.

Ich sehe die Bilder schon vor mir: Der letzte Bundeswehr-Hubschrauber hebt in Kundus ab, und im Lager stehen die um Hilfe und Unterstützung flehenden Afghanen ... Und wenn ich daran denke, fühle ich mich verdammt hilflos.

03 August 2013

Deppentechno und Volksmusik

Freitag abend in Rastatt ... ich ging freiwillig zu einer öffentlichen Veranstaltung, weil ich als Angestellter eines gewissen Verlags gewissermaßen hin musste – es war das offizielle Sommerfest. Als ich eintraf, lief Kirmes-Musik: Umpf-umpf-umpf, dazu viel »Oooo yeah«. Es war unerträglich.

Ich musste wählen: in der Hitze stehen, wo die Musik leiser war, oder ins angenehm kühle Gebäude gehen, wo dafür die Musik bollerte. Ich entschied mich für die Hitze und trank Apfelschorle, unterhielt mich mit Kollegen und lästerte.

Bei einer der Veranstalterinnen lästerte ich ebenfalls über die Musik. »Wieso?«, sagte sie. »Das ist doch gute Musik. Wir sind doch junge Leute, wir hören so was.« Ich guckte sie an. »Wir gehen beide stramm auf die fünfzig zu«, sagte ich, »und jung sind wir da nicht mehr.« Es war zwecklos.

Irgendwann hörte der DJ auf, weil die Kapelle kam. Ich hatte bis zu ihrem Auftritt geglaubt, so etwas gäbe es nicht mehr: fünf Männer in Lederhosen, die lustige Hüte trugen und Volksmusik machten. Sie spazierten über das Festgelände, sangen laut ihre Lieder und machten »zünftige Musik«.

Nach dem DJ war die Volkmsusik dennoch eine Bereicherung; ich war nicht die ganze Zeit mehr an einem Brechreiz, aß etwas zu Abend und unterhielt mich dann doch ganz gut mit einigen Leuten. Als dann aber die Leute anfingen zu schunkeln – im Jahr 2013! – war es doch zuviel: Ich entfleuchte klammheimlich. So »alt« oder so »jung« bin ich dann doch nicht, dass ich Deppentechno und Volksmusik-Gedöns an einem Abend ertragen kann.

02 August 2013

Grüne Laterne und 9/11

Mit vielen amerikanischen Superhelden-Geschichten kann ich nicht viel anfangen. Allerdings lohnt es sich aus politisch-gesellschaftlichen Gründen durchaus, in die Nuller-Ausgabe von »Green Lantern« zu gucken, die in diesem Sommer 2013 auch auf dem deutschsprachigen Markt erschienen ist. Zumindest die Geschichte »Das neue Normal« geht richtig stark los.

Held ist Simon Baz, ein Amerikaner libanesischer Herkunft. Das erste Bild zeigt die Familie, wie sie vor dem Fernseher sitzt: Papa, Mama mit Kopftuch, Tochter und Sohn – siehe schauen zu, wie am Nine-Eleven die Terror-Flugzeuge in das World Trade Center rasen. Auf den folgenden Seiten wird gezeigt, wie Diskriminierung funktioniert ...

Für eine amerikanische Superhelden-Serie finde ich das bemerkenswert. Ganz klar wird gezeigt, dass für die höheren Staats-Interessen gnadenlos gefoltert werden darf; hier wird der Comic richtig politisch. Dass das ganze auch noch klasse gezeichnet ist und aussieht, als ob eine richtig spannende Geschichte beginnen würde, ist dabei fast zweitrangig.

Die kommerziellen Superhelden des Massenmarktes waren in all den Jahrzehnten, in denen es sie bislang gibt, sehr patriotisch. Sie kämpften während des Zweiten Weltkriegs gegen die Nazis, später dann gegen Kommunisten – und jetzt wird ein junger Mann, den der Staat für einen Terroristen hält, zu einem Superhelden.

Das ist eine ungewöhnliche, ja, sogar verblüffende Entwicklung, die so gar nicht zu dem Bild passen mag, dass man sich derzeit hierzulande von den USA macht. Ob ich deshalb allerdings mit der Lektüre von »Green Lantern« beginne, weiß ich noch nicht.

01 August 2013

Peter Pank als Einbrecher


Die aktuelle Ausgabe 109 des OX-Fanzines ist dieser Tage erschienen; mit einem sehr »rockistischen« Titelbild, das den Herrn Shithead an der Gitarre zeigt. Wie immer werde ich das Heft wegen seines respektablen Umfanges nur selektiv lesen können, ich freue mich trotzdem schon darauf.

Enthalten ist die Folge 45 meines Fortsetzungsromans »Und: Hardcore!«; das wird irgendwann hoffentlich als Buch veröffentlicht und wäre dann der dritte Teil der »Peter Pank«-Trilogie. Diesmal ist der etwas leichtsinnige Punkrocker Peter mit einem rundlichen Journalisten namens Remlow und einer drahtig-mysteriösen Frau namens Tara dabei, in das Haus des örtlichen Altnazis einzubrechen.

Unser Held wechselt also eindeutig auf die Seite des Bösen – denn einbrechen ist ja nicht so richtig nett. Allerdings geht es gegen einen Nazi, also einen Bösewicht, und dann ist so was nach Hollywood-Logik etwas Gutes. Nun ja ... schauen wir mal, wie es weitergeht.

Ach ja, ich bin in dieser OX-Ausgabe zudem mit einer Kolumne vertreten, in der es um Klauen und Ladendiebstahl geht. Vielleicht werde ich die eines Tages in diesem Blog hier zweitverwerten; schauen wir mal.

Good Riddance gehen immer

Vor vielen Jahren hielt ich Good Riddance für eine harmlose Band, die den üblichen MelodyCore spielte. Das änderte sich im Verlauf der Nuller-Jahre, und als ich dieser Tage die Platte »Bound By Ties Of Blood And Affection« mal wieder anhörte, erkannte ich, warum ich die Band so gut finde.

Selbstverständlich stecken in jedem Stück der Band haufenweise Melodien, aber die sind weit entfernt von dem süßlichen Charakter, den der MelodyCore vor allem in den neunziger Jahre aufwies. Die Melodien werden knallig vorangetrieben, das flotte Tempo wechselt sich mit langsamen Elementen ab, und alles in allem ist das ganze höchst abwechslungsreich. Keine Musik, bei der ich stillsitzen oder gemütlich in der Ecke stehen kann.

Die Texte sind übrigens ebenfalls gut: häufig ein wenig kryptisch und ein bisschen kompliziert, kein harmloses Lalala-Gedöns, das man sofort wieder vergisst, eher Texte, für deren Übersetzung man ein wenig Zeit und möglicherweise ein Lexikon für amerikanische Umgangssprache benötigt. Eine gute Band, echt – und ein Grund für mich, auch die anderen Platten von Good Riddance mal wieder anzuhören.