Wir saßen am Bahnhof und kifften. Es war ein kalter Abend, unsere Atemluft bildete weiße Kristalle in der Luft. Ich sah zu, wie sie langsam vor mir schwebten und sich auflösten.
»Magst du noch mal?«, fragte Aki und reichte mir den Joint, dick und lang, der intensiv roch und dessen Glut in der Dunkelheit düster glomm.
Ich nickte und griff mit der Rechten zu. Fast wäre mir der Joint entglitten, aber ich packte ihn fest zwischen Zeige- und Mittelfinger. Sicherheitshalber hielt ich die Linke darunter. Ein bisschen Glut fiel in die Tiefe, vorbei an meinen Füßen in den schweren Stiefeln. Zwischen dem Schotter löste sich die Glut in Nichts auf.
Weil ich eigentlich Nichtraucher war, hatte ich es mir angewöhnt, beim Kiffen durch die hohle Hand zu rauchen. Dann musste ich nicht so husten, feuchtete den Joint nicht zu sehr an und hatte die volle Dröhnung. Ich ließ den Joint zwischen Zeige- und Mittelfinger und bildete eine lockere Faust. Zeigefinger und Daumen formten einen Kreis, auf den ich meinen Mund presste.
Tief zog ich den Rauch ein, langsam und genüsslich. Ich glaubte zu spüren, wie sich der Rauch in meine Lungen quetschte, wie er durch die Bläschen direkt in den Blutkreislauf drang, wie das Cannabis meinem Körper mit Wärme und Gelassenheit flutete. Ich lächelte in die Dunkelheit und gab den Joint zurück.
»Das haut gut rein, oder?«, sagte Aki.
Ich nickte. »Wenn wir fertig sind, müssen wir aber zurück.«
Keine hundert Meter von uns entfernt stand das Jugendzentrum »Murgtäler Hof«, in dem an diesem Abend wieder eine »JuZ-Disco« veranstaltet wurde. Wir hatten wenig Lust, uns zu den Klängen der Doors oder der Rolling Stones zu bewegen. Der Typ, der an diesem Abend auflegte, hatte einen sehr altmodischen Musikgeschmack. Aki und ich waren uns selten eins – er stand auf Disco und Funk, ich auf Punk und Wave und Neue Deutsche Welle –, aber mit langweiliger Altmänner-Rockmusik aus den 70er-Jahren konnte man uns in diesem Sommer 1982 echt jagen.
»Schön hier«, sagte er und lachte. Das Gelächter hallte zwischen den Wänden aus rostigem Stahl wider.
Wir saßen in einem Güterwaggon. Am Stadtbahnhof standen einige der alten Waggons herum. Wenn man Glück hatte, waren die Türen nicht verriegelt und konnte sich hineinsetzen. Wir saßen in der offenen Tür, die Beine baumelten auf den Schotter hinunter, und hinter uns gähnte die Leere eines alten Waggons.
»Pah!«, rief ich und lachte, als es ein kleines Echo gab. Es war zu komisch, wie sich die Geräusche innerhalb des Waggons fortpflanzten, wie sie hin- und hergeworfen wurden, wie sie irgendwann brachen und verstummten.
Wir riefen weitere Laute und amüsierten uns köstlich über die kleinen Echos, die es gab. Dabei brachen wir in Gelächter aus, das laut und lauter und irgendwann völlig hemmungslos wurde.
Am Ende lagen wir auf dem Rücken und starrten in die Dunkelheit. Abwechselnd reichten wir den Joint hin und her, während wir versuchten, wieder zu Atem zu kommen. Wenn ich meinen Kopf ein wenig anhob, ah ich auf die Häuser in der Nähe des Bahnhofs, zwischen denen die Sterne glitzerten.
»Freudenstadt«, sagte ich so leise, dass ich es nur selbst hören konnte, »Langweilerstadt.« Und doch war ich lieber im Jugendzentrum in der Kleinstadt als in der christlichen Jugendgruppe unseres Schwarzwalddorfes.
In diesem Augenblick ertönte ein Geräusch, das ich zuerst nur in der Ferne wahrnahm, das dann aber immer schneller näherzukommen schien. Ich stupste Aki an. »Hörst du das auch?«
Wir richteten uns auf und saßen dann aufrecht im Güterwaggon; die Beine baumelten wieder. »Da ist was«, sagte er halblaut.
Dann rauschte der Zug vorbei, keine zwei Meter vor unserer Nase entfernt. Er war völlig dunkel, eine Diesel-Lok mit einer minimalen Beleuchtung, einige Wagen dahinter, bei denen wir nicht erkennen konnten, ob sie für Menschen oder für schwere Ladung waren.
Der Luftzug war enorm; meine dünne Sommerjacke wurde nach hinten gezerrt, meine Haare standen ab. Mit beiden Händen hielt ich mich an einer Kante fest, voller Angst, ich könnte mitgezerrt werden.
Als der Zug vorüber war, blieb ich in genau dieser Position sitzen und rührte mich nicht. »Was war denn das?«, fragte ich.
»Ein Zug«, sagte Aki trocken.
»Schon klar. Aber nachts?«
»Die Franzosen. Das war ein Truppen- oder Waffentransport. Die fahren nachts das Murgtal hoch und dann zu den Kasernen ins Gäu. Das ist doch der einzige Grund, warum’s diese Bahnstrecke noch gibt.«
»Wo haben die Kasernen im Gäu?«
»Weiß ich doch nicht!«
Wir hatten genug und gingen langsam um Jugendzentrum zurück. Der frische Nachtwind brachte keine Linderung in meinen Kopf. Ich fühlte mich, als ginge ich auf Watte, als wollte mich jeder Schritt in die Luft bringen.
Kurz nach der Tür fing uns Karl ab, der seit einiger Zeit als Sozialarbeiter im JuZ tätig war. Er war groß und dünn, hatte einen kurz geschnittenen Vollbart und eine sehr hohe Stirn. Auch wenn er sicher nicht viel älter als dreißig Jahre war, kam er mir alt und abgehoben vor.
Er musterte uns mit strengem Blick. »Wart ihr etwa kiffen? Ihr habt so einen Blick, als …« Er winkte ab. »Solange ihr euch benehmt, ist mir das fast schon egal. Hier drin ist’s halt streng verboten.«
»Weiß ich doch«, murmelte ich und wollte weitergehen, da hielt ich an. »An uns ist eben ein Zug vorbeigefahren. Direkt vor der Nase.«
»Ein Zug? Um diese Zeit?« Er sah auf seine Armbanduhr. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Doch!«, beharrte ich. »Ein Zug der französischen Armee.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du hast genug. So ein Unsinn!« Er ließ mich stehen.
»Frag doch Aki!«, rief ich, aber der war auch schon verschwunden.
Ich schüttelte den Kopf. Hatte ich mir das eingebildet? Aber das war ja auch egal. Aus dem JuZ drang irgendein Ska-Stück es wurde also besser. Ich hatte auf einmal großen Lust auf ein Bier …