15 August 2025

Fahrrad und Lieferwagen

Der Lieferwagen überholte mich kurz vor der Engstelle. Zwei Männer saßen in dem Fahrzeug, die Fenster hatten sie offen, und aus dem Inneren drangen Radiomusik und Zigarettenrauch. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs, es war noch am früh am Morgen, aber ich spürte schon, dass es ein sehr warmer Tag werden würde.

Kaum war der Lieferwagen an mir vorbei, setzte er bereits seinen Blinker. Ich ging davon aus, dass er in die Akademiestraße abbiegen wollte, und ging auf die Bremse. Wenn ich etwas nicht brauchte, weder am frühen Morgen noch sonstwan, war es ein Duell mit einem motorisierten Fahrzeug.

Noch während ich langsamer wurde und noch während der Lieferwagen vor mir in das eigentliche Abbiegen überging, schoss von hinten ein Fahrrad heran. Der Fahrer – ein rundlicher Typ mit grauen Haaren und grauem Bart – fuhr mit hohem Tempo links von mir vorbei, schien sogar noch zu beschleunigen und fuhr dann direkt vor dem abbiegenden Lieferwagen weiter.

Der Lieferwagenfahrer trat in die Bremse und hupte; ich hielt auch an. Während ich mit erhöhtem Puls stehenblieb, hörte ich mir die Kanonade an Schimpfwörtern an, die der Fahrer von sich gab. Aber ich wartete brav, bis er abgebogen war, bevor ich wirklich weiterradelte …

14 August 2025

Dilettantische Werbung

Es gibt wirklich Gründe, warum sich irgendwann Günther Freunek bei mir meldete und vorschlug, er könnte mir beim Layout meines Fanzines SAGITTARIUS helfen. Er war sehr diplomatisch und höflich, aber im Nachhinein ist mir klar, wie entsetzt er von der Optik mancher Seiten war, die ich im jugendlichen Ehrgeiz gestaltet hatte.

Besonders schön zeigt das die Werbung, die ich für die Ausgabe drei meines Fanzines produzierte und die in verschiedenen Fanzines veröffentlicht wurde. Aus Gründen, die mir heute nicht mehr einleuchten, glaubte ich offenbar, besonders viele Informationen in dicht gedrängter Schreibweise auf eine Seite packen zu müssen, das wiederum garnierte ich mit einem schlecht reingeklebten Bild und einer Schreibmaschine, die kein brillantes Schriftbild erzeugen konnte.

Der Werbespruch an sich war gut: »SAGITTARIUS setzt neue Maßstäbe« – vielleicht hätte man es bei den rein werblichen Aussagen lassen sollen. Aber ich brauche mich nicht zu sehr zu grämen: Schaue ich mir andere Anzeigen an, die in meiner fannischen Vergangenheit produziert worden sind, sehen die ebenfalls nicht gerade aus, als hätten die jeweiligen Fanzinemacher viel Ahnung von grafischer Gestaltung gehabt …

13 August 2025

Lektüre im Keller

Es war stets etwas Besonderes, ins Kaufhaus Nestle zu gehen. An solchen Tagen hatte meine Mutter ein straffes Programm für mich geplant: Sie zog mich ordentlich an, meine Haare wurden mit dem Kamm einigermaßen in Form gebracht, und dann fuhren wir mit dem Bus vom Dorf aus nach Freudenstadt.

Vom Marktplatz aus spazierten wir zum Kaufhaus, wo uns später mein Vater mit dem Auto abholen würde – er hatte gegen 16 Uhr Feierabend und kam von der Baustelle. In Zeiten ohne Telefon mussten solche Verabredungen exakt sein, und sie wurden auch exakt eingehalten.

An diesem Tag traf sich meine Mutter mit einer anderen Frau, die sie seit langem kannte. Gemeinsam gingen sie – ich stets im Schlepptau – ins Café des Kaufhauses. Dort saßen wir zu dritt an einem Tisch: Die beiden Frauen tranken Kaffee und unterhielten sich über gemeinsame Bekannte, ich aß ein Stück des leckeren Apfelkuchens.

Anfangs war ich damit beschäftigt, die prächtige Einrichtung zu bewundern. Das Café war schick, zumindest für eine kleine Stadt wie die unsere. Es war mit viel Holz eingerichtet, Messing glänzte, und der Fußboden schimmerte in schwarz und weiß. Die Bedienungen trugen weiße Blusen und schwarze Röcke, dazu Schürzen mit Stickereien.

Irgendwann langweilte ich mich. Weil ich ohnehin pinkeln musste, fragte ich meine Mutter, ob ich aufs Klo gehen könnte. Sie zeigte mir den Weg zur Toilette – »da vor, dann die Treppe hinunter«, bevor sie mich mit wichtigen Ermahnungen, ich solle nicht so schnell laufen, gehen ließ.

Während ich durch das Café ging, sah ich staunend den Leuten zu. Die meisten waren gut gekleidet; die Männer trugen Anzüge, die Frauen ihre schönsten Kleider. Wenn man in ein Café ging, zog man sich »anständig« an; so war das in den späten 60er-Jahren.

Weil ich mir das Lesen schon selbst beigebracht hatte, obwohl ich noch nicht in die Schule ging, las ich alles, was Buchstaben hatte. Ich entzifferte große Werbeaufdrucke und freute mich darüber, das Schild »Toiletten« ebenfalls lesen zu können. Ich ging die Stufen hinunter, meine Schritte hallten in dem großen Treppenhaus wider. Dort betrat ich den Bereich, der für Männer vorgesehen war.

Direkt nach dem Eingang hing ein Automat an der Wand, mit dem sich ein Mann herumplagte. Er schlug gegen die Seite des Automaten, er schimpfte wütend. Anscheinend hatte er Geld hineingesteckt, es war aber nichts herausgekommen. Als er mich sah, verstummte er.

Ich betrat eine Kabine. Weil ich noch zu klein für die Pissoirs war, die von den Erwachsenen genutzt wurden, hatte mir meine Mutter beigebracht, mich im »großen Klo« so hinzustellen, dass ich die Schüssel traf und nichts daneben ging.

Während ich mein Geschäft verrichte, hörte ich den Mann am Automaten schimpfen. Ich verstand einige der Kraftausdrücke, mehr nicht; dann schlug er gegen den Automaten und ging mit stampfenden Schritten die Treppe hinauf.

Nachdem ich in der Kabine alles erledigt hatte, wusch ich mir die Hände am Waschbecken, das für meine Größe viel zu hoch angebracht war. Dann bummelte ich neugierig zu dem Automaten hinüber, über den der Mann sich so aufgeregt hatte.

Auf dem Automaten stand in großen Buchstaben das Wort »Hygiene«. Das verstand ich, es ging also um Sauberkeit. Meine Mutter redete auch von »Hygiene«, wenn sie mich ermahnte, die Hände mit Seife zu waschen. Die bunten Bilder auf dem Automaten verstand ich nicht, ich erkannte aber, dass eines der silbernen Fächer unten offen stand.

Ich zog es vollends auf und hatte auf einmal eine Packung in der Hand. Sie war bunt bedruckt, und wieder stand etwas von »Hygiene« darauf. Das sah interessant aus, vielleicht war das etwas, das wir auch daheim benutzen konnten. Wenn man es schon vor der Toilette in einem Automaten anbot ...

Als ich von oben Schritte hörte – es kam also jemand die Treppe herunter! –, steckte ich die Packung spontan in die Hosentasche. Dann machte ich, dass ich aus dem Keller hinauskam.

Ich eilte in die obere Etage und ging schnell zu dem Tisch, wo meine Mutter sich immer noch mit der anderen Frau unterhielt. Dass ich länger weggeblieben war als üblich, schien sie nicht bemerkt zu haben.

»Guck mal, Mama«, sagte ich stolz und trat näher an den Tisch heran. »Ich hab dir was mitgebracht.«

Und mit einer Geste, mit der ich sonst vielleicht ein Geschenk zum Geburtstag übergeben würde, legte ich die Packung mit Kondomen auf den Tisch, genau zwischen meine Mutter und die mir unbekannte Frau.

12 August 2025

Anthologie mit erotischen Comics

Die Idee ist gut: eine Zusammenstellung von zehn Comics, die allesamt die Erotik ins Zentrum stellen. Im Splitter-Verlag ist der Sammelband »Erste Male« erschienen, der unterschiedliche Künstler mit ebenso unterschiedlicher Erotik präsentiert. Ich fand die Sammlung gut, auch wenn mich nicht jeder Comic überzeugen konnte.

Die meisten Namen der beteiligten Künstler beiderlei Geschlechts sagten mir gar nichts. Außer von Dave McKean hatte ich bislang von keiner der Personen einen Comic im Gedächtnis. Das ist aber auch kein Kriterium, entscheidend sind ja die Geschichten und die Bilder – das Buch ist durchgehend in Schwarzweiß, die stilistischen Unterschiede sind trotz der einheitlichen Farbgebung sehr hoch.

Gezeigt werden verschiedene Arten von Erotik, vom Masturbieren bis zum Analsex. Manche Comics halten sich zurück, bei manchen sind die Bilder sehr deutlich. Die Grenze zur Pornografie ist da eindeutig überschritten, das ist schon sehr knallig und direkt.

Ich fand aber keine der Geschichten abstoßend oder blöd. Sie hatten alle ihren Charme und zeigten eben erwachsene Menschen bei allerlei sexuellen Handlungen.

Künstlerisch überzeugte mich nicht jede Geschichte. Manche waren mir zu schlicht, viel zu schnell »runtergepinselt«, als dass ich sie hätte gut finden können. Aber das wiederum ist ja eine Geschmackssache. (In solchen Fällen ist es besonders wichtig, den Comic im Laden durchzublättern oder sich zumindest die Leseprobe genau anzuschauen.)

Interessanter Comic-Band in einem »kleineren« Album-Format!

11 August 2025

Peter und die neue Welle

Wenn ich an »Der gute Geist des Rock’n’Roll« schreibe, versuche ich immer wieder, die Themen der damaligen Zeit einzubauen. Der Fortsetzungsroman spielt im Juni 1996, und natürlich beschäftigte sich unsereins unter anderem damit, sich auf der Straße mit allerlei stolzen Deutschen herumzuschlagen, während man gleichzeitig beim Fußball auf der Seite der deutschen Nationalmannschaft mitfieberte. Nicht drüber nachdenken …

Zum Zeitgeschehen jener Tage zählte aber auch, dass sich innerhalb der Hardcore- und Punkrock-Szene wieder mal Änderungen vollzogen. Was in den 90er-Jahren als Newschool-Hardcore oder Emocore aufspielte, war nicht immer nach meinem Geschmack, um es höflich zu formulieren, und das Pubikum fand ich oftmals grausig. Aber diese »ganz neue Welle« war oftmals interessanter als der tausendste Aufguss von Stilrichtungen, die aus den 80er-Jahren stammten.

Und so spielt in der Folge 56 meines Fortsetzungsromans, die in der Ausgabe 181 des OX-Fanzines veröffentlicht worden ist, ein Emocore-Konzert eine Rolle. In der wirklichen Welt und in meiner echten Vergangenheit gab’s Konzerte dieser Art in einem Ort in der Pfalz; für den Roman verlegte ich die Handlung in einen Vorort von Karlsruhe. Ich hoffe, das ist trotzdem alles kapierbar.

Die Szenerie habe ich übrigens wirklich so in Erinnerung: Konzerte wurden in den Räumlichkeiten eines Kindergartens veranstaltet, und Bier gab’s keines. Aber so war das halt manchmal in den 90er-Jahren …

08 August 2025

Die Sterne in Karlsruhe

Als die Hamburger Band Die Sterne zuletzt in Karlsruhe spielte, war das eines der letzten Konzerte vor dem großen Lockdown – und ich war nicht dabei. Ich gehörte zu denen, die im Februar 2020 nicht mehr ins »Kohi« kamen, weil es ausverkauft war.

Deshalb wollte ich in diesem Jahr unbedingt anwesend sein. Ich war einigermaßen zeitig auf dem Werderplatz in Karlsruhe, reihte mich frustriert in die Schlange von wartenten Menschen ein, die sich über den halben Platz zog, und hatte glücklich. Ich war die letzte oder vorletzte Person, die noch in den Club gelassen wurde.

Die Band fing gegen neun Uhr an, der Saal war sehr voll. Beim »Kohi« heißt das, dass vielleicht 250 Leute anwesend waren und jede Person trotzdem ein bisschen Raum um sich herum hatte. Man wurde also nicht gequetscht. Trotzdem kam schnell Bewegung in den Raum, auch wenn keine Pogo-Stimmng aufkam – bei der Musik wäre das ja auch verwerflich gewesen.

Das Publikum war gemischt, von 17 bis 67 sagte ich irgendwann. Es waren echt einige Teenager da, aber natürlich auch haufenweise Grauhaarige, Leute dazwischen, die ich in den 90er-Jahren durch den Slamdance irgendwelcher Jugendhäuser gedroschen hatte und deren Haare jetzt langsam auch grau wurden. Aber alles waren bester Laune, alle lächelten und strahlten, und bei manchen Liedern war das Publikum unglaublich textsicher.

Was die Musik und die Texte anging, machten Die Sterne nichts falsch. Man spielte die großen Hits, es gab selbstironische Ansagen, und die gute Stimmung aus dem Publikum übertrug sich auf die Band und wieder zurück. Eineinhalb Stunden später verließ ich das »Kohi« in bester Laune – dieser Abend hatte sich echt gelohnt.

07 August 2025

Dreißig Jahre nach dem Chaos

Denke ich an die Chaostage im August 1995, habe ich ein Blitzlicht nach dem anderen vor Augen. Es sind keine Bilder, die einen kompletten Film ergeben, in meiner Erinnerung sind einzelne Aufnahmen und kurze Filme. (Ich müsste meine Notizen von damals konsultieren, und viele Erinnerungen würden konkreter.) Vielleicht sollte ich doch einmal ein Buch über die Chaostage-Trilogie 1994, 1995 und 1996 schreiben.

Mir wird wieder klar, wie verzerrt die Berichterstattung in der Presse ist, auch diesmal wieder, und wie die Journalisten ohne Nachfragen die Aussagen der Polizei übernehmen. So werden die Lügen von damals eins zu eins übernommen und in die heutige Zeit übertragen. Das finde ich ziemlich ärgerlich, aber es ist ein nachvollziehbares Verhalten.

Einige kurze Rückblicke …

Die ersten Tage waren chaotisch, aber weitgehend friedlich. Sowohl am Mittwoch als auch am Donnerstag erreichten bei schönstem Sommerwetter Hunderte von Punks aus ganz Deutschland und europäischen Ländern die niedersächsische Landeshauptstadt. Überall traf man auf Punks, die Stimmung war gelöst und friedlich.

Ich erinnere mich an die Polizei, die uns ab Donnerstagmittag brachial aus der Innenstadt vertrieb. Der Versuch, sich in die Parks zu begeben, scheiterte; man trieb uns buchstäblich in der Nordstadt zusammen. Leute wurden verhaftet und grundlos zusammengeschlagen. Dann wurden zur Verteidigung die Barrikaden errichtet, bald brannten bald die ersten Autos, zuletzt scheiterten die Angriffe der Polizei.

Ich erinnere mich an das euphorische Gefühl an diesem Abend. Ein Punk malte mit weißer Farbe »nazi- und bullenfreie Zone« auf den Asphalt; die Szenerie war friedlich und fröhlich. Überall wurde gefeiert, überall waren Punks auf der Straße.

Ich erinnere mich daran, am Freitagnachmittag auf offener Straße verhaftet zu werden. Ohne Begründung, »einfach so«. Wir kamen nach Langenhagen in eine große Lagerhalle; 1300 Leute auf zwei Etagen, auf verdrecktem Beton und anfangs ohne etwas zu essen und zu trinken. (Später gab es Leitungswasser und kalte Fertignahrung aus Bundeswehrbeständen.)

Ich erinnere mich an die skurrile Stimmung im »Punker-Lager«, an den Aufruhr, der ausbrach, als Brandsätze von außen auf das Gelände geworfen wurden, und an den Aufruhr, der losbrach, als es hieß, ein Mädchen sei bei einem Angriff der Polizei ums Leben gekommen. (Das stellte sich als Falschmeldung heraus.)

Ich erinnere ich, wie ich am Samstagabend mit dem Bus zum Hauptbahnhof gefahren und dort quasi gleich wieder interniert wurde, wie ich dann mit dem Taxi in die Nordstadt fuhr, wie ich mich dann zu Fuß und mit meinem eigenen Auto in einer chaotischen Nordstadt umsah, in der sich die Polizei in Hundertschaften wie in einem Feindgebiet bewegte, während überall Steine und Flaschen flogen.

Und ich erinnere mich an den Tag darauf, als wir durch die Nordstadt von Hannover zogen: Berge von Gerümpel auf den Straßen, der Penny-Mark geplündert, aber keine einzige Scheibe eines Privatwohnhauses auch nur angekratzt. Keine Polizei auf der Straße, nur Punks und Anwohner, und alles war wieder friedlich …

06 August 2025

Beeindruckender Klassiker, starke Graphic Novel

Er gilt einer der großen Klassiker der englischsprachigen Literatur, gehört eindeutig zur Weltliteratur, wurde verfilmt und seit Erscheinen in unzähligen Büchern, Filmen und Comics zitiert und kopiert: Der Roman »Herr der Fliegen« von William Golding ist eine pessimistische Vision vom Zusammenleben der Menschen. Die Comic-Künstlerin Aimée de Jongh machte daraus eine starke Graphic Novel.

Die Handlung von »Herr der Fliegen« dürfte bekannt sein: Eine Gruppe von Kindern, allesamt Jungs, strandet nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel. Weil keine Hoffnung besteht, dass sie schnell gerettet werden, bauen die Jungs eine Art Zivilisation auf. Sie wählen sich einen Anführer, sie entfachen ein Signalfeuer, und sie geben sich Regeln. Doch schnell gerät einiges außer Kontrolle, und am Ende regieren das nackte Chaos und rohe Gewalt …

Die düstere Vision des Romans hat vielleicht nichts mit der Realität zu tun, wird aber dramatisch erzählt. Und diese dramatische Erzählung fasst die Comic-Künstlerin in ihrer dickleibigen Graphic Novel eindrucksvoll zusammen.

Aimée de Jongh ist im Programm des Splitter-Verlags schon mit einigen Titeln vertreten, die mir bisher alle gefallen haben. Die Künstlerin ist Jahrgang 1988, wohnt in Rotterdam und hat offenbar keine große Lust, sich auf Genre-Konventionen einzulassen. Ihre Graphic Novels sind erzählerisch wie grafisch von hohem Niveau, und jedes Album unterscheidet sich stark von den bisherigen.

Das ist bei »Herr der Fliegen« nicht anders. Der Comic ist in einem kleineren Format erschienen, vergleichbar den amerikanischen Bänden. Die realistisch anmutenden Darstellungen der Insel, auf der die Kinder stranden, wird durch Gesichter kombiniert, die einen leichten »Funny«-Charakter haben, ohne allerdings lustig zu wirken. Angesichts der Geschichte wäre das auch alles andere als geschickt …

Die Künstlerin schafft es, die unterschiedlichen Kinder optisch klar zu trennen und sie in ihrer Entwicklung zu zeigen. Sie verändern sich während ihres Aufenthalts sowohl optisch als auch charakterlich; sie werden gewissermaßen zu Wilden, die sich von dem ernähren, was sie finden. Die Insel wirkt bedrohlich und phantastisch zugleich; die Angst vor Monstern und Dämonen, die sich im Wald verbergen könnten, bringt die Künstlerin oft zum Ausdruck. (Es lohnt sich, die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlags anzuschauen.)

Keine Frage: Schon das Original, also der Roman, ist in seiner Art umwerfend. Die Art und Weise, wie daraus ein Comic wird, finde ich ebenfalls großartig. Mit 352 Seiten ist der Hardcover-Band recht umfangreich ausgefallen; der Preis von 35,00 Euro ist dafür absolut angemessen.

»Herr der Fliegen« in der Version von Aimée de Jongh gibt es überall im Buch- sowie im Comicfachhandel. Die ISBN 978-3-98721-429-5 kann bei einer Bestellung hilfreich sein.

(Diese Rezension veröffentlichte ich im Juli auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN. Hier teile ich sie aus dokumentarischen Gründen.)

05 August 2025

Cross Cult wird ein Penguin

Man kann sagen, dass ich dem Verlag Cross Cult Entertainment seit vielen Jahren verbunden bin. Ich kenne seinen Gründer und Chef seit Jahrzehnten, ich kenne auch einige andere Leute aus diesem Verlag, ich habe Comics und Romane aus dem Verlagsprogramm gelesen und rezensiert, und ich habe auch auf beruflicher Ebene mit Cross Cult zusammengearbeitet.

Umso verblüffter war ich von der Nachricht, dass der Verlag nun ein »Teil der Penguin Random House Verlagsgruppe« wird, wie es so schön in der Pressemitteilung heißt. Das Kartellamt muss noch seinen Segen zu dieser Übernahme geben, schon klar, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier einen Widerspruch gibt. Da hätte es in früheren Jahren andere Möglichkeiten gegeben, der Konzentration im Verlagswesen einen Riegel vorzuschieben.

Nun verschwindet also ein weiterer Verlag mit eigenständigem Science-Fiction- und Fantasy-Programm in einem größeren Konglomerat. Ich mag nicht spekulieren, was das bedeutet; wir werden es ja sehen. Ich hoffe, dass Andreas Mergenthaler gut für sich und sein Team verhandelt hat. Und ich würde mir wünschen, dass der Verlag mit seinem Profil nicht so schnell versuppt …

Historisches Sport-Ereignis als Comic

1904 wurden zum dritten Mal die Olympischen Spiele veranstaltet; Schauplatz des Ereignisses war die amerikanische Stadt St. Louis, wo zeitgleich auch die Weltausstellung lief. Ein Höhepunkt der Spiele war der Marathonlauf, bei dem vieles schief ging und der Sieger extrem unter Drogen stand. Davon erzählt der Comic »Das Rennen des Jahrhunderts«.

Bei diesem Marathonlauf traten Männer an, die noch nie über eine so lange Strecke gerannt waren. Die Strecke führte zudem durch teilweise unwegsames Gelände und war schlecht ausgeschildert. Läufer brachen mit inneren Blutungen zusammen, es wurde getrickst und geschummelt. Und es gab eine Reihe von skurrilen Details.

Das alles schildert Kid Toussant, der die Texte für dieses Album schrieb, mit viel Liebe zum Detail und augenzwinkerndem Humor. Mir ist der Autor durch die Serie »Holy Ann« (spiele in New Orleans, hat phantastische Themen) und das großartige Album »Elle(s)« ein Begriff; er kann sehr gut erzählen, und er schafft es, sogar einem Sport-Thema viele lesenswerte Facetten zu entlocken.

Ebenfalls ein Comic-Profi, den ich sehr schätze, ist José-Luis Munuera, der sich als Zeichner sowohl auf den ernsthaften als auch auf den spaßigen Stil versteht. Seine Darstellung des Marathonlaufs arbeitet mit den Mitteln der Karikatur; die Figuren und die Gebäude entnimmt er den historischen Darstellungen, verfremdet sie aber ein bisschen.

Durch die Zusammenarbeit der zwei Comic-Kreativen entstand eine Graphic Novel, die sowohl erzählerisch als auch künstlerisch überzeugt. Sie erzählt augenzwinkernd und mit einer Spur Humor, aber historisch exakt von einem wichtigen Rennen.

Ein sportliches Thema im Comic also – sehr schön!

04 August 2025

Mein erster Superheld

Ich dachte lange Zeit, dass ich mit der Lektüre von Superhelden-Comics in den 80er-Jahren angefangen hätte. Damals konnte ich nicht so viel damit anfangen, bis ich auf Serien wie »Watchmen« oder die neueren »Batman«-Geschichten stieß. Tatsächlich aber hieß der erste Comic-Superheld, dessen Geschichten ich gern las, schlichtweg Wastl.

Diese Figur hatte ich völlig verdrängt. Dieser Tage las ich in einer etwas älteren Ausgabe der immer empfehlenswerten Zeitschrift »Die Sprechblase« – es war die Ausgabe 249, die im August 2024 veröffentlicht wurde – einen Artikel über die Figur des Jerom, die der Zeichner Willy Vandersteen bereits in den fünfziger Jahren entwickelte.

Und während ich diesen Artikel las und die Bilder anguckte, fiel mir auf: Ich kannte diese Figur, ich erinnerte mich an meine Kindheit und an die Lektüre der »Wastl«-Geschichten. So hieß Jerome schließlich in der deutschen Übersetzung.

Irgendwelche Details kamen mir nicht in den Sinn. Die »Wastl«-Hefte waren in einem tiefen Winkel meines Hirns versteckt gewesen. Ich nehme an, dass ich sie in den frühen 70er-Jahren in die Finger bekam; einige Klassenkameraden durften Comic-Hefte besitzen, ich lange Zeit nicht. Und so lasen wir in der Schule unter anderem Hefte wie »Felix«, den ich ebenfalls verdrängt hatte, und »Wastl«.

Ich gestehe, dass ich nach der Lektüre recherchierte. Wenn ich wollte, könnte ich mir über Ebay einen Packen alter »Wastl«-Hefte besorgen und schauen, warum sie mir vor fünfzig Jahren gefallen hatten. Aber ich entschied mich dagegen: Es gibt sicher einen Grund, warum ich diese Hefte so erfolgreich verdrängt hatte. Fast wäre also »Die Sprechblase« schuld daran gewesen, dass ich mir neues Papier in die Wohnung gepackt hätte ...

01 August 2025

Jubiläum mit Nummer acht

Mangelndes Selbstbewusstsein hatten die Fans der Science Fiction Gruppe Achim & Lüneburg – so nannte man sich damals – wirklich nicht. Sie nannten ihr Fanzine, in dem sie über aktuelle Entwicklungen in der Science Fiction und der Fan-Szene informierten, schlichtweg »Fanzine«. Warum die Ausgabe 8, die im Juni 1973 veröffentlicht wurde, aber als »Jubiläumsnummer« gewertet wurde, verstand ich nie.

Das acht Seiten umfassende Fanzine wurde im Umdruck-Verfahren hergestellt und im Zweispaltensatz getippt. Gedruckt wurden 150 Exemplare; viel mehr konnte man aus den Matrizen auch nicht herausholen.

Das Fanzine enthält extrem viele kleinteilige Meldungen: Wer trifft sich mit wem, wer hat mit wem Kontakt, wer hat wo welchen Text veröffentlicht? Es geht um Fanzines, Clubs und Einzelpersonen; eine Fülle von Namen und Adressen wird genannt. Wenn man das heute liest, kommt man sich wie ein Archäologe vor: Bei vielen Details kann man nur ahnen, was damals eigentlich wirklich gemeint war.

Die Herausgeber verschwanden übrigens bald aus der Fan-Szene. Als ich ab 1979 damit anfing, mich für Fanzines zu interessieren, waren die allesamt weg. Einige der Personen, die genannt werden – etwa Uwe Anton oder Hans-Joachim Alpers – wurden später zu professionellen Autoren, Herausgebern und Übersetzern. Andere wie Kurt S. Denkena blieben der Szene erhalten und publizieren auch heute noch Fanzines.

31 Juli 2025

Eine echte Dame

Für den Regen hatte ich eindeutig die falsche Kleidung an: Eine kurze Hose, ein T-Shirt und Turnschuhe waren bei sommerlichen Temperaturen sinnvoll, bei einem plötzlich aufkommenden Regen allerdings gleich nass. Hätte ich wenigstens eine Kappe aufgezogen! Die hätte mir die Brille eher abgeschirmt.

Ich fuhr vorsichtig, trotzdem zügig. Mein Interesse, auf der feuchten Straße ins Rutschen zu geraten, war ausgesprochen gering. Auf die Autofahrer rechts und links der Radspur achtete ich noch stärker als sonst; die sahen durch ihre Windschutzscheibe schließlich auch nur eingeschränkt.

Auf einmal war die Frau vor mir. Sie saß in aufrechter Haltung auf einem klassischen Damenfahrrad, ihr geblümtes Kleid vom Regen klamm. Lange blonde Haare fielen ihr in Locken auf den Rücken. Wie sie es schaffte, mit ihren hochhackigen Schuhen auf den Pedalen zu bleiben, war mir ein Rätsel.

Sie balancierte einen Schirm in der rechten Hand, groß und hellblau. Damit schien sie durch den Regen zu schweben, aufrecht und gelassen und ungeachtet der Autos, die rechts und links an ihr vorbeifuhren.

Ich war völlig beeindruckt. So viel Stil in einer Person, so viel Coolness, ohne cool sein zu wollen! Auf einmal fühlte ich mich schmuddelig und vom Regen völlig durchnässt. Wie machte sie das?

Es nutzte nichts, ihr nachzustarren. Es wurde Zeit, dass ich ins Trockene kam und mich umziehen konnte. Mit neuem Elan strampelte ich weiter …

30 Juli 2025

Thunbarone und Sushimeister

Da ist man zu einem unglaublich schicken Essen beim Bürgermeister einer Weltstadt eingeladen, und dann passiert ein Mord: So etwas gibt es auch nur im Krimi. In diesem Fall in dem Roman »Rotes Gold« des Schriftstellers Tom Hillenbrand. Dabei handelt es ich um den zweiten Roman, in dem der luxemburgische Koch Xavier Kieffer die Hauptrolle spielt – bereits 2012 erschienen und seither sehr oft nachgedruckt.

Kieffer ist eigentlich »nur« der Besitzer eines Restaurants in Luxemburg, in dem er vorzugsweise heimische Küche und gute Weine anbietet. Wegen seiner Freundin ist er öfter in Paris zu Gast, wo er in »gehobenen Krisen« verkehrt, in diesem Fall beim Bürgermeister der Metropole. Kieffer beginnt dann auch damit, in diesem Mordfall zu ermitteln, und kommt einer Art Verschwörung auf die Spur.

Bei der Lektüre kann es dem Leser durchaus schummerig werden. Der Autor zeichnet nach, wo und wie Fische gefangen werden, welchen Wert vor allem besondere Arten haben und welche Strukturen sich um diese Ware bereits gebildet haben. Man spricht von »Thunbaronen«, zumindest in diesem Roman, die für hochwertigen Thunfisch sorgen – und es wird immer klarer, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen zugeht.

Ich fand die Lektüre des Romans höchst unterhaltsam. Sarkastische Blicke auf die gehobene Gesellschaft werden ebenso eingearbeitet wie Kritik an der Art und Weise, wie beispielsweise Fische zu einer Massenware werden – seit dem Siegeszug von Sushi werden die Weltmeere in einem erschreckenden Ausmaß leergefischt. Der Koch aus Luxemburg reist ein bisschen durch Europa, und durch seine Augen bekommen die Leser einiges über die Europäische Union und ihre Regeln vermittelt.

Alles in allem ein sehr unterhaltsamer Roman mit gelegentlichem Hauch von Polit-Thriller! Cool.

29 Juli 2025

Kleine Blaulinge im Schneesturm

Ich mag die Schlümpfe, seit ich als Kind meinen ersten Comic über die kleinen blauen Gesellen gelesen habe. Die schöne »Schlümpfe«-Ausgabe, die der Toonfish-Verlag zur Zeit publiziert, ist ausgesprochen gut gelungen und schmückt jedes Bücherregal. Und ich muss feststellen, dass auch die neuen Geschichten ihren Reiz haben.

Zuletzt las ich den Band 39 der Serie. Alain Jost und Thierry Culliford schrieben »Die Schlümpfe und der Schneesturm«, Alain Maury lieferte die Zeichnungen. Das ist natürlich nicht mehr das Original, kommt ihm aber sehr nahe. Denn neben einer abwechslungsreichen Handlung, die sich vorrangig an junge Leser richtet, vermittelt die Geschichte ja auch eine gewisse Moral – das war bei den Schlümpfen schon früher der Fall.

Wenn viel Schnee fällt, gerät ein Dorf kleiner blauer Wesen in ernsthafte Gefahr: Der Schnee bedeckt die Häuser, Kontakte sind nicht mehr so einfach möglich, und es droht sogar ein Einsturz der Häuser. Man muss zusammenhalten – und das müssen auch die drei Schlümpfe, die der Schnee von den anderen Dörflern abgeschnitten hat.

Wie die Schlümpfe sich im Schnee behaupten, wie die Dreiergruppe dann Freundschaft mit einem einsamen Menschen schließt und wie die anderen Schlümpfe sich aufmachen, um in einem alten Turm ihre Zuflucht zu finden, das ist alles schön erzählt und gut gezeichnet. Der Band 39 der »Schlümpfe«-Serie muss sich nicht hinter den Klassikern verstecken.

Dass ich die besser finde, liegt eigentlich nur daran, weil in ihnen der Kosmos der Schlümpfe definiert worden ist. Aber sie sind immer noch liebenswert, und die aktuellen Geschichten kann man jederzeit Kindern und junggebliebenen Erwachsenen in die Hand drücken!

28 Juli 2025

Weltenbau in Karlsruhe

Stephan Waldscheidt ist mir persönlich bekannt, ich habe aber noch nie ein Seminar bei ihm besucht. Trotzdem finde ich es interessant, dass der Autor und Schreiblehrer im Oktober ein Schreibseminar in Karlsruhe veranstaltet. Ich finde es vom Ansatz her gut, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es für Leute, die gern einen Roman schreiben oder ihr Handwerk verbessern wollen, sehr positiv sein könnte.

Es läuft am 25. und 26. Oktober 2025, also an einem Wochenende, die Gruppe soll klein sein, und es geht vor allem um das große Thema Weltenbau. Daran hapert es bei vielen Romanen und Geschichten schon im Manuskript, leider auch oft bei denen, die veröffentlicht werden.

Dabei konzentriert sich das Seminar nicht auf ein bestimmtes Genre. Ich zitiere: »Ob Liebesroman oder Fantasy-Epos, historischer Krimi oder Zukunftsthriller – jede packende Geschichte braucht eine Welt, die das Drama nicht nur möglich macht, sondern geradezu erzwingt. Selbst realistische Storys, die im Hier und Jetzt spielen, profitieren von Schauplätzen, die das Feuer der Handlung entfachen.«

Da kann ich an keiner Stelle widersprechen, ganz im Gegenteil: Das kann ich alles nur unterstreichen. Informationen dazu gibt es auf der Internet-Seite des Veranstalters, den man bei Fragen eh am besten direkt anschreibt.

25 Juli 2025

Das andere Ufer der Nacht

Dieser Tage hörte ich wieder einmal ein »John Sinclair«-Hörspiel; es trug den Titel »Das andere Ufer der Nacht« und spielte in Spanien. Es handelt sich um eine abgeschlossene Geschichte, die im Rahmen der Hörspiel-Sonderedition veröffentlicht wurde. Man kann sie also ohne jegliche Vorkenntnisse anhören; außer zwei Freunden des Geisterjägers ist sonst kein Bezug zur eigentlichen Serienhandlung vorhanden.

Sinclair und seine Freunde sind in einem kleinen spanischen Ort, der von einer alten Burg beherrscht wird, zumindest optisch. In dieser Burg wurde zur Zeit der Inquisition gemordet und gefoltert; bis heute gibt es Geschichten und Legenden dazu. Im Ort gibt es zudem ein merkwürdiges Beinhaus, das unsere Helden besichtigen wollen; angeblich gibt es auch einen Übergang zum anderen Ufer der Nacht, was immer das sein soll. Natürlich kommen Sinclair und seine Begleiter auf die Spuren des Mysteriums und können es am Ende lösen.

Das Hörspiel läuft auf zwei Zeitebenen: Sequenzen aus der Zeit der Inquisition wechseln sich ab mit Szenen in der Gegenwart. Vor allem die Vergangenheitsebene fand ich echt brutal; es wird gefoltert und gequält, das alles mit entsprechenden Schreien und sonstigen Geräuschen. Sehr anstrengend, sehr gruselig.

Die Handlung in der Gegenwart war typisch für »John Sinclair«: ein bisschen grobschlächtig (ein Fluss aus Blut, ein Boot aus Menschenknochen), ein bisschen unglaubwürdig (warum haben die Bösewichte immer so seltsame Pläne), aber unterm Strich sehr unterhaltsam. Ab und zu macht mir das einfach richtig Spaß …

24 Juli 2025

Dreimal Hardcore-Kracher

Ich freute mich schon sehr auf das Konzert, als ich am Sonntag, 20. Juli 2025, durch Karlsruhe in die Oststadt fuhr. In der »Alten Hackerei« sollten zwei große amerikanische Hardcore-Bands spielen, die ich beide mochte und bei denen ich davon ausgehen konnte, dass es mir gefallen würde.

Als ich in der »Alten Hackerei« eintraf, erfuhr ich, dass noch eine Band auf dem Programm stand. An diesem Abend würden mir also drei Bands die Ohren vollballern; ich war gespannt. Aber zuerst war ich damit beschäftigt, Bekannte zu begrüßen und Bier zu trinken. Alte Punk-Kollegen von der Schwäbischen Alb, aus dem Saarland oder aus Heidelberg waren eingetroffen, es gab viel zu reden, weil ich einige seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.

Dann standen Agrotoxico auf der Bühne. Ich kannte die brasilianische Band nur von ihren Platten her; das war mir eigentlich zu metallisch. Auch live herrschte eine starke Metal-Kante vor, aber das gefiel mir an diesem Abend sehr gut: Die Band machte keine Pause, verzichtete auf überflüssige Soli und oder Tempowechsel, knallte stattdessen ein Stück nach dem anderen raus, unterbrochen durch sehr kurze Ansagen in englischer Sprache.

Der rasante Sound ging sehr gut in die Ohren, es war laut und krachig, und danach war ich mit den Brasilianern versöhnt: Diese Art von Metal-Punk mag ich nicht jeden Tag hören, wirklich nicht, aber ab und zu lasse ich mir davon doch gern die Ohren putzen.

Channel 3 sind eine Band aus Kalifornien, die es seit den frühen 80er-Jahren gibt und die ich vor einigen Jahren schon einmal in der »Alten Hackerei« gesehen hatte. Auch an diesem Abend wussten sie zu überzeugen: Die Stücke kamen druckvoll und knallig rüber, schneller Hardcore kalifornischer Prägung eben, der auch einen tüchtigen Schuss Melodie enthielt.

Gespielt wurden Songs aus der frühen Periode, aber auch einige Stücke, die ich noch nicht kannte. Das war schon alles sehr gut und hätte normalerweise für einen großartigen Abend ausgereicht.

Aber dann kletterten D.I. auf die Bühne, die ich irgendwann in den späten 80er-Jahren in Pforzheim gesehen hatte. Seither sind nicht nur die Bandmitglieder über 35 Jahre älter geworden; ich bin’s ja auch. Trotzdem schafften sie es ohne Probleme, das Feuer zu entzünden.

Mit unglaublicher Energie pfefferten die Kalifornier einen 80er-Jahre-Hit nach dem anderen in das euphorisierte Publikum. Die Hitze im Raum stieg; man schwitzte schon vom Herumstehen. Und weil ich eh schon verschwitzt war, fing ich irgendwann an, ein wenig durch den Raum zu hüpfen. Alle um mich herum tobten und sprangen, lachten und sangen mit, ein einziger Mob aus grinsenden Gesichtern.

Am Ende war ich verschwitzt, hatte sicher den einen oder anderen blauen Fleck mehr, war aber insgesamt in bester Laune. Vor der Tür redete ich noch mit einigen Leuten, dieser Abend war eh wieder ein Punkrock-Familientreffen. Als ich gegen Mitternacht durch die Nacht von Karlsruhe flitzte, hatte ich während der ganzen Fahrt ein breites Grinsen im Gesicht und Hardcore-Punk im Ohr …

(Das Bild zeigt Channel 3. Bei D.I. konnte und wollte ich nicht mehr fotografieren. In den Kommentaren verlinke ich auf Videos, die Kalle Stille ins Netz gestellt hat.)

23 Juli 2025

Zynischer Blick auf die nahe Zukunft

Bei manchen Science-Fiction-Romanen ist die Zeit gnadenlos. Das merkt man vor allem dann, wenn sie sich auf aktuelle Themen beziehen und diese in eine nahe Zukunft extrapolieren. Das stellte ich fest, als ich dieser Tage »Profit« las, einen Science-Fiction-Roman von Richard Morgan.

Der Roman wurde 2004 geschrieben und kam 2005 in deutscher Sprache heraus – der Heyne-Verlag veröffentlichte ihn als großformatiges Paperback. Das ist jetzt zwanzig Jahre her. Und zwei entscheidende Veränderungen in dieser Zeit hatte der Autor beim Verfassen nicht auf dem Schirm: Social Media und Smartphones. Sein Roman ist atemlos und spannend, aber die Kommunikation ist auf dem Stand der frühen Nuller-Jahre – dabei spielt er um 2050 herum.

Morgan greift in seinem Roman die damals noch neue Investment-Branche auf. Junge Banker kämpfen um Erfolg und Geld; diese Kämpfe werden auch körperlich ausgetragen – man liefert sich mörderische Rennen auf den Autobahnen, bei denen es häufig Tote gibt. Das passt zum Konzept: Die Banken spekulieren auf Kriege und Erfolge, ihre Mitarbeiter steuern Rebellen und Regierungstruppen, sie heuern Killern an und belügen die Öffentlichkeit.

»Profit« ist ein rasanter Roman, einer von der Sorte, die einen nicht mehr loslässt, wenn man einmal damit angefangen hat. Der Autor bleibt immer eng an seiner Hauptfigur, deren Handlungen stets nachvollziehbar sind, auch wenn man sie nicht gut finden wird. Es gibt recht viel Gewalt und Brutalität, an Sex wird ebenfalls nicht gespart.

Im Prinzip ist es ein Thriller, der sehr filmisch erzählt wird und bei dem die Science-Fiction-Elemente wie Versatzstücke wirken. Kein Wunder, dass der Roman als Thriller und nicht als Science Fiction veröffentlicht wurde.

Ich habe mich bei der Lektüre nicht gelangweilt. Empfehlen würde ich den Roman trotzdem nicht – er ist gewissermaßen aus der Zeit gefallen ...

22 Juli 2025

IndiePop im Kohi

Als ich am Samstagabend, 19. Juli 2025, mein Fahrrad auf dem Werderplatz in der Südstadt von Karlsruhe abstellte, wurde mir bewusst, wie lang ich nicht mehr im »Kohi« gewesen war. Ich hatte den sympathischen kleinen Club seit Jahren nicht mehr besucht, und ich bereute es schon, bevor ich ihn betreten hatte.

Ich bezahlte brav meinen Mitgliedsbeitrag – beim »Kohi« entrichtet man keinen Eintritt, sondern tritt für einen gewissen Zeitraum einem Verein bei –, holte mir an der Theke ein Bier und betrat den Konzertraum, der angenehm gefüllt war: Vielleicht fünfzig Leute hatten sich eingefunden, im Verlauf des Abends wurden es etwa hundert. Ich war nie gut im Schätzen, mochte es an diesem Abend aber sehr, dass alles so angenehm war.

Gut fand ich auch, wie jung das Publikum war: Die meisten schienen anfangs oder Mitte der zwanzig zu sein. Entsprechend wenige Leute kannte ich.

Die erste Band hatte sich den hübschen Namen The Krimis verpasst und kam aus Stuttgart. Der Sänger trug Schnauzer und Krawatte und hatte einen angenehmen schwäbischen Akzent. Musikalisch gab es etwas, das ich irgendwie zwischen Punk und IndieRock der 80e-Jahre einsortieren konnte. Die Ansagen waren witzig, die Musik erwies sich als abwechslungsreich, die englischsprachigen Stücke klangen sehr sympathisch. Ich kaufte mir hinterher gleich die EP, die es von der Band bereits gibt; eine »große Platte« ist noch in Arbeit.

The Rolacas waren aus Karlsruhe und machten im Prinzip Gitarren-Pop, wie man ihn in den 80er-Jahren ebenfalls gespielt hatte. Die englischsprachigen Stücke hatten einen Hang zur Melancholie; dem gegenüber stand das sympathische Grinsen, das die Band nicht aus dem Gesicht bekam. Mir war’s manchmal zu poppig und zu ruhig, aber unterm Strich legte die Band einen sehr gelungenen Auftritt hin.

Danach lungerte ich eine Weile vor der Tür herum. Es war eine laue Sommernacht, und ich hielt mich am Werderplatz auf. Da musste ich einfach nur ein bisschen herumstehen, und es kamen Leute vorbei, die ich kannte und mochte und mit denen ich plaudern und noch ein Bier trinken konnte. Trotzdem war ich vor Mitternacht wieder in der heimatlichen Weststadt, wo ich bei einem Gartenfest strandete. Das aber ist dann eine ganz andere Geschichte …

(Das Bild zeigt The Krims aus Stuttgart. Ich machte an diesem Abend genau ein Foto, das hier; ich halte nichts davon, stundenlang mit der Kamera oder dem Smartphone dazustehen und zu knipsen.)