Der heutige Tag gilt zu Recht als ein Tag der Befreiung. Die alliierten Truppen befreiten Mitteleuropa von der Herrschaft der Deutschen; letztlich waren es auch deutsche Ortschaften, die von der Tyrannei der Nazis befreit wurden. Nur fühlten sich die Menschen damals nicht unbedingt befreit, was aus ihrer Sicht verständlich war.
Mein Vater wäre am 1. Mai 2025 hundert Jahre alt geworden. Am 8. Mai 1945 war er gerade einmal zwanzig geworden und hatte fast zwei Jahre als Soldat hinter sich gebracht – an der Ostfront wurde er zweimal schwer verwundet und erlebte deshalb das Kriegsende in einem Lazarett am Bodensee. Dort wurde er Kriegsgefangener der Franzosen.
Für ihn war das Kriegsende vor allem eine Erleichterung – er musste nicht mehr in den Krieg ziehen und konnte sich Hoffnung auf eine Heimkehr in das Dorf im Schwarzwald machen. »Befreit« fühlte er sich nicht. Wie auch? Er saß hinter Stacheldraht und war froh, dass er später als Elektriker für die französischen Streitkräfte arbeiten konnte.
Auch meine Mutter fühlte sich nicht befreit. Sie sprach vom »Umsturz« oder von der »schlechten Zeit«, wenn sie das Kriegsende meinte. Freudenstadt war abgebrannt, zahlreiche Frauen waren vergewaltigt worden, und noch Wochen nach der Eroberung herrschten Chaos und Willkür. Für meine Mutter war die direkte Zeit nach dem Krieg von Angst bestimmt, wie sie in den wenigen Erzählungen über diese Zeit sagte.
Meine Eltern waren in der Zeit des Nationalsozialismus aufgewachsen, für sie war das »normal«. Mein Vater bekam die deutschen Verbrechen mit, meine Mutter versicherte glaubhaft, nichts davon gewusst zu haben. Sie waren keine Nazis, aber sie waren jugendliche Mitläufer – so würde man das heute nennen.
Zumindest haben sie nie versucht, die Zeit des sogenannten Dritten Reiches zu verklären. Und mit den Nazis, die in späteren Jahrzehnten ihr Unwesen trieben, wollten sie nie etwas zu tun haben. Das rechne ich ihnen im Nachhinein hoch an.
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