Ich stieß erst spät auf die Autorin Alice Munro. Den Namen der kanadischen Schriftstellerin hatte ich im Verlauf der Jahre gelegentlich gehört. Aber erst nachdem sie 2013 den Nobelpreis für Literatur gewonnen hatte, kaufte ich mir eine Kurzgeschichtensammlung: Es war »Tanz der seligen Geister« – ich erstand die Hardcover-Ausgabe, die bei Dörlemann erschienen ist, aber es gibt ebenso eine Taschenbuch-Version des Fischer-Verlages.
»Tanz der seligen Geister« besteht aus fünfzehn Geschichten, die 1968 unter dem Titel »Dance of the Happy Shades« veröffentlicht wurden; es handelt sich um die erste Sammlung mit Kurzgeschichten der Autorin. Ich hielt es für eine gute Idee, mit dem Werk zu beginnen, das bereits 1968 mit Literaturpreisen überschüttet wurde und seit 2010 in deutscher Sprache vorliegt.
Und so las ich mich über einen längeren Zeitraum durch die Geschichten. Da sie sehr eindrücklich sind, ist es empfehlenswert, nach der Lektüre einer Geschichte eh eine Pause einzulegen. Es handelt sich um keine Genre-Geschichten, sondern Texte, die vor allem von jungen Frauen erzählen, in deren Leben sich etwas verändern. Manchmal sind sie traurig, manchmal ein wenig fröhlich, meist aber enthalten sie eine Wahrheit, die sich während der Lektüre vor einem entblättert.
Viele Geschichten haben etwas mit Emanzipation zu tun, auch wenn das nie mit erhobenem Zeigefinger geschrieben wird. So fand ich die Erzählung eindrucksvoll, in der eine junge Frau sich ein Zimmer in der Stadt anmietet, weil sie dort ein Büro einrichten und ihre Texte schreiben will. Der Vermieter ist ein schmieriger Typ, kann es nicht fassen, dass eine Frau sich so selbst verwirklicht, und nörgelt ständig an ihr herum – am Ende scheitert sie und räumt frustriert das Zimmer.
Andere Geschichten handeln vom Leben im Amerika der 30er-Jahre; dabei wird nichts beschönigt. Junge Frauen oder gar Mädchen sind die »Heldinnen«, aus ihrer Sicht schildert die Autorin allerlei gesellschaftliche Entwicklungen. Ihre Sicht der Dinge ist klar, sie verzichtet auf »Drumrum-Gerede«. Die Moral der Geschichten wird jede Leserin und jeder Leser selbst finden, die Texte sprechen für sich.
Keine Ahnung, wie sie im Original wirklich sind oder ob die Texte nur besonders gut übersetzt wurden – stilistisch ist das alles klar und völlig unprätentiös. Übertriebene Adjektive fehlen ebenso wie Kraftausdrücke oder stilistische Experimente. Die Autorin bleibt stets klar und eindeutig; bei ihr stehen die Figuren, ihr Verhalten und ihre Dialoge im Zentrum, nicht die Autorin selbst – damit unterscheidet sich Alice Munro stark von manchen Schriftstellern unserer Zeit.
Ich fand »Tanz der seligen Geister« absolut brillant, vor allem auch deshalb, weil die Texte in mir gewissermaßen nachhallten. Nach der Lektüre blieben sie recht lange im Gedächtnis, wurden von mir noch einmal durchdacht – das passiert mir nicht so oft. Ich bin sicher, dass ich nicht den letzten Band mit Texten dieser beeindruckenden Autorin gelesen habe!
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