Bisher kannte ich Raymond Carver ausschließlich als Autor von Kurzgeschichten; sie sind hierzulande in verschiedenen Storysammlungen erschienen und lohnen jederzeit die Lektüre. Als sein Metier betrachtete ich den klaren Blick auf die amerikanische Durchschnittsfamilie und die Verwerfungen, die das tagtägliche Leben mit Menschen anrichten kann. Dass er auch Gedichte schrieb, war mir tatsächlich nicht bekannt; dabei läge es auf der Hand.
Im MaroVerlag erschien bereits um 1992 erstmals der Gedichtsband »Gorki unterm Aschenbecher«, der seitdem mehrere Neuauflagen erlebte. Ich habe die Ausgabe aus dem Jahr 2010 gekauft, die ich im Verlauf der vergangenen Wochen endlich durchgelesen habe. Enthalten sind Texte, die in den Jahren 1970 bis 1989 in unterschiedlichen amerikanischen Gedichtsbänden veröffentlicht worden sind.
Meist ist die Sprache der Gedichte eher nüchtern; das ist bei den Kurzgeschichten des Autors nicht anders. Er schreibt unaufgeregt, und in seinen Texten verbinden sich Naturbeobachtungen mit Beschreibungen des täglichen Lebens: »Auf einer Rauchwolke treibe ich hinaus / folge der streifigen Spur einer Schnecke / durch den Garten zur Steinmauer.«
Häufig sind seine Texte nichts anderes als extrem verdichtete Kurzgeschichten, die er in klaren Beschreibungen und knappen Dialogen zusammenpackt. Damit erinnert er an andere amerikanische Autoren der 60er- und 70er-Jahre – oder noch früher! –, deren Texte ich durchaus gern lese. Er orientiert sich sogar an Charles Bukowski, den er zum Thema eines eigenen Gedichtes macht.
Mit »Gorki unterm Aschenbecher« hat mich Raymond Carver durchaus überrascht; die Texte zeigen, dass der Mann auch die Kürzestform der Literatur beherrschte. Seine Kurzgeschichten mag ich trotzdem lieber, bei den Gedichten hängt es von der Tagesform ab, ob ich sie gern lese oder nicht.
Das Buch selbst ist schön. Es kostet 12,50 Euro, und man bekommt ein schickes Paperback dafür. Und weil es sich um Gedichte handelt, lesen sich die rund 150 Seiten nicht so schnell – man braucht ein wenig Zeit. Wer Gedichte zu schätzen weiß, sollte es antesten. Wer Raymond Carver noch nicht kennt, sollte erst mal Kurzgeschichten von ihm lesen.
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