23 März 2020

Duzen und Siezen und die Kultur

Wenn man zu siezen hat und wen man duzen darf, ist ein Thema, das immer wieder hochkocht. Es gibt Gelegenheiten, da käme ich nicht auf die Idee, jemanden zu siezen (bei einem Punkrock-Konzert etwa oder einem Science-Fiction-Con), und es gibt Personen, die sieze ich ganz klar und entschieden (Polizisten, neue Kollegen). Es soll ja schließlich eine gewisse Distanz gewahrt werden.

Neuerdings gilt es als schick, das in Firmen kollektiv geduzt wird. Der Vorstandsvorsitzende hat nur noch einen Vornamen und trägt keine Krawatte mehr, flächendeckend gelten lockere Umgangsformen, die fast schon kumpelig anmuten. Wer dann – so wie ich – ein wenig misstrauisch wird und lieber weiter siezen möchte, gilt auf einmal als altmodisch.

Vielleicht bin ich altmodisch. Über das Duzen und Siezen mache ich mir Gedanken, seit ich ein Jugendlicher war, der von allen geduzt wurde, während die Älteren erwarteten, dass man sie zurücksiezte. Das fand ich falsch; ich halte und hielt viel von gleichrangigen Anredeformen. Und ein höflich-distanziertes »Sie« ist mir oftmals lieber als ein plumpes »Du«.

Vor allem ja auch, weil das Duzen weder etwas an den Machtverhältnissen noch an der eigentlichen Firmenkultur ändern muss. Häufig werden die Umgangsformen ein wenig lockerer, und das war's. Der Kampf um das schönere Büro und den besseren Parkplatz geht weiter.

2 Kommentare:

Jim hat gesagt…

Furchtbar finde ich es, wenn bei FB in Diskussionen plötzlich jemand schreibt "Ich habe Ihnen nicht das Du angeboten". Allein mit dem Hintergedanken, Distanz aufzubauen und damit vermeintliche Überlegenheit in der Diskussion zu untermauern. Grauenhaft!

Anonym hat gesagt…

Bei uns hier im Norden wird viel geduzt. Auch unter völlig Fremden. Hundebesitzer machen das sowieso. Aber auch sonst. Ich lasse das immer auf mich zukommen. Wenn ich von vornherein geduzt werde, mache ich mit. Warum auch nicht. Wenn nicht, dann nicht.

Im Arbeitsleben ist das auch für mich etwas anderes.
In meinem letzten Hauptjob (bis 2018) war das Verhältnis zum Management distanziert. Meinen Chef mochte ich, aber er war mein Chef; also "Sie". Andere Manager mochte ich vielleicht, aber ich gehörte indirekt auch zu der Gruppe, und als ITler, der ich war, war ich manchmal für Dinge verantwortlich, für die ich nichts konnte. Mit einem "Sie" waren kritische Situationen immer einfacher zu handhaben.
Die Gleichgestellten, die Jungs an den Maschinen, da war das anders. Es freute mich, dass wir uns frei und ohne großes Gewese duzten, und selbst unsere Azubis durften das mit mir machen.

Ein einziges Mal spielte das Thema eine ganz wichtige Rolle. Einer der seinerzeitigen Geschäftsführer, ein Dr. irgendwas, deutlich jünger als ich, eigentlich nicht unsympathisch, hatte einen entscheidenden Komplex: Er war Gegenargumenten gegenüber nicht offen eingestellt, und es kam immer schnell zu der Situation, dass er Diskussionen abwürgte. Ich warf ihm einmal vor, er würde seinen Geschäftsführer raushängen lassen. Es gab ein wenig Zoff, nichts Gravierendes, aber auch nichts sonderlich Angenehmes - und am Ende entschied ich mich, ihm das "Du" fürderhin zu verweigern, es ihm zu entziehen. Es war das erste Mal in meinem Leben, das ich das tat - und das erste Mal in seinem, das ihm das widerfuhr. Aber in der Situation brauchte ich das. Distanz. Deutliche und unüberhörbare (!) Distanz. Nicht nur für mich - sondern auch für alle anderen.

My.