Den Dienstag verbrachte ich damit, auf dem Balkon zu sitzen und Manuskripte zu lesen oder am Computer zu sitzen und Texte zu schreiben; sieht man davon ab, dass ich frei hatte, war es ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag. Gegen halb sieben wollte ich mich endlich mehr bewegen, entschloss mich, mal wieder ins Training zu gehen, packte meinen Kram, setzte mich aufs Rad und fuhr los.
Kaum war ich einige hundert Meter gefahren, hörte ich das Gebrüll, verstärkt durch einen Lautsprecher. Ich sah die Polizei, und da fiel es mir wieder ein: Die örtlichen Nazis wollten in dieser Woche schließlich jeden Tag eine Kundgebung oder Aktion machen, ausgerechnet beim Ordnungsamt. Weil ich neugierig war, fuhr ich einen Umweg.
Vor dem Ordnungsamt standen sechs Nazis und ein Fahrzeug; Fahnen wehten, und ein Mann brüllte in ein Mikrofon. Seine Stimme wurde verzerrt wiedergegeben, man verstand kaum etwas. Der Redner kritisierte die deutsche Politik und schaffte es, den Demo-Spruch der 80er-Jahre »Deutschland verrecke« mit Martin Schulz, Angela Merkel und den Grünen in einen Sinnzusammenhang zu bringen.
Entspannt saßen einige Dutzend Antifa-Leute entweder in der Sonne oder im Schatten, teilweise hatten sie Campingstühle mitgebracht. Ab und zu wurde gebuht, gelegentlich gab es Sprechchöre, meist herrschte eine lockere Stimmung.
Auch die Polizei war diesmal nicht auf Stress aus, sondern stand gemütlich herum. An der Straßenbahnhaltestelle warteten Leute, schauten sich verwundert die Szenerie an. Ab und zu rollte ein Auto vorbei, die Leute schauten ebenso verwundert.
Viel los war also nicht. Ich beschloss nach einigen Minuten, die Nazis bei ihrem seltsamen Hobby nicht zu unterstützen, und fuhr weiter. Das Training war mir wichtiger.
Als ich nach einer Stunde auf dem Heimweg war, dunkelte es bereits. Die Nazis standen immer noch an der gleichen Stelle, aber sie schwangen keine Reden mehr; peinlich genug wirkte ihr Aufzug dennoch. Die Polizei gähnte vor Langeweile, die Reihen der Antifa hatten sich auch schon gelichtet.
Karlsruhe im März 2017: die Stadt, in der eine Handvoll Nazis glaubt, unterdrückt zu werden, und meint, dagegen demonstrieren zu müssen. Seltsame Zeiten ...
1 Kommentar:
Kia ora, Klaus.
Die Überschrift wäre irgendwie der passende Titel für eine böse Story...
Wenn man/frau tagein, tagaus in der braunen Lake vor sich hinsudet, bleibt irgendwie die Eigenperspektive in Sehschlitz-Optik nicht aus.
Vor allem - wollen die Nasen wieder gleichschalten, ausrotten, KZs bauen & bis Moskau marschieren?!
Offensichtlich wohl schon.
Der Sehschlitz ist aber auch verdammt schmal geraten - da lässt sich die Welt draussen fast nicht mehr sehen.
bonté
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