Man muss klar sagen: Sowohl der Roman als auch der Film weisen rassistische Vorurteile auf und verfestigen sie. Andererseits spielt die Geschichte in einer extrem rassistischen Zeit, und das lässt sich nicht ganz voneinander lösen. Interessant fand ich es deshalb auch unter diesem Aspekt, die Comic-Version zu lesen.
Der französische Comic-Künstler Pierre Alary setzte »Vom Winde verweht« in eine packende Graphic Novel um. Der erste Teil ist bereits im Splitter-Verlag erschienen, ein zweiter Teil folgt noch. Alary ist mir kein Unbekannter: Mit »Moby Dick« nahm er bereits einen anderen Literatur-Klassiker für einen Comic als Basis. Darüber hinaus war er für eine großartige »Conan«-Geschichte sowie eigenständige Comics verantwortlich. Der Mann versteht also sein Geschäft.
Tatsächlich schafft es Alary, die umfangreiche Vorlage so zu straffen und zu bearbeiten, dass viele der länglichen Beschreibungen wegfallen und die rassistischen Darstellungen völlig fehlen. Er destilliert gewissermaßen die Geschichte aus dem Epos heraus, konzentriert sich auf seine Hauptfigur und deren Schicksal. Scarlett O'Hara wird bei ihm fast schon lebendig; ihr Verhalten und ihre Taten bleiben glaubhaft, auch wenn sie manchmal schwer nachvollziehbar sind.
Zur eigentlichen Handlung: Am Vorabend des amerikanischen Bürgerkriegs ist Scarlett die verwöhnte Tochter eines Plantagenbesitzers in Georgia. Schwarze arbeiten auf den Feldern, beaufsichtigt von weißen Männern mit Peitschen – doch davon bekommt Scarlett kaum etwas mit. Sie hat eher mit den schwarzen Sklaven zu tun, die im Haushalt arbeiten und ihr bei allen Dingen des täglichen Lebens helfen. Das gibt dem Mädchen den Freiraum, sich für junge Männer zu interessieren. Doch Ashley, die Liebe ihres Lebens, heiratet eine andere Frau.
Vor dem Hintergrund des fürchterlichen Krieges, dessen Auswirkungen immer wieder zu spüren sind, vollzieht sich Scarletts Schicksal. Sie heiratet, wird erst zur Witwe, dann zur Mutter, sie trifft den Blockadebrecher Rhett, und sie versucht in den Wirren der Nachkriegszeit, ihre Plantage zu behalten. Dabei verändert sie sich; in einer starken Szene sieht man sie Seite an Seite mit ehemaligen Sklaven auf den Feldern arbeiten.
Allein daran lässt sich erkennen, wie Alary die Klippen der rassistischen Darstellung umschifft, wo das nur möglich ist. Der Autor schafft es, die Essenz der klassischen Vorlage zu übernehmen und in eine packende Geschichte zu verwandeln. Man folgt der durchaus anstrengenden Hauptfigur, man leidet und fühlt mir ihr; man möchte wissen, wie es mit ihr weitergeht.
Die Illustration passt dazu. Alary stellt das Leben in den Südstaaten in den Jahren 1860 bis 1864 glaubhaft dar. Man sieht die Bälle der wohlhabenden Reichen, später dann die Szenen des Krieges. Der Künstler versteht sich auf die Darstellung überfüllter Straßen und fliehender Menschen; er kann Gesichter, Häuser und Landschaften gleichermaßen gut darstellen.
Die Bilder sind so realitätsnah, wie das möglich ist, die Farbgebung passt sich den klaren Linien an. Wer klassische frankobelgische Comics mag, wird Alarys Stil schätzen. (Ich empfehle, sich die Leseprobe auf der Internet-Seite des Verlags anzuschauen.)
Der erste Band von »Vom Winde verweht« macht auf die Fortsetzung neugierig. Wer den Roman oder den Film kennt, wird mit Spannung darauf achten, wie Alary weiterhin die Original-Geschichte rafft und neu interpretiert – man bekommt eine andere Sicht auf den Klassiker.
Erschienen ist der Comic als 144 Seiten starker Hardcover-Band, den es für 29,80 Euro gibt. Man kann ihn überall im Comic- oder Buchhandel erwerben, die ISBN 978-3-98721-267-3 kann dabei hilfreich sein.
(Die Rezension wurde von mir im Juli 2024 auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN veröffentlicht; hier teile ich sie aus dokumentarischen Gründen auch noch mal.)
1 Kommentar:
Wer ein bisschen mehr über die Comic-Version von »Vom Winde verweht« wissen möchte, informiere sich direkt auf der Internet-Seite des Splitter-Verlags, wo es auch eine Leseprobe gibt.
Hier:
https://www.splitter-verlag.de/vom-winde-verweht-1.html
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