Dass ich überhaupt den Namen Raymond Carver ins Hirn gehämmert bekam, ist die Schuld von Olaf Kutzmutz, dem literarischen Leiter der Bundesakademie in Wolfenbüttel. Mehrmals bei Seminaren sagte er mir, ich müsse unbedingt einmal Kurzgeschichten von Raymond Carver lesen. Einmal blätterte ich dann in der Bibliothek eines der dort herumstehenden Bücher durch, und dann wusste ich, dass ich Carver »probieren« musste.
Das tat ich jetzt: Ich las »Würdest du bitte endlich still sein, bitte«. Der Band enthält die frühen Geschichten des amerikanischen Schriftstellers, die in den USA bereits 1976 als Sammelband erschienen sind. Und ich war von jedem der Texte angetan, von manchen sogar gebührend beeindruckt.
Carver ist ein Autor, der die Widersprüche der Menschen in seinen Texten buchstäblich auslotet. Ganz normale Menschen mit ihren Schwierigkeiten, mit ihren täglichen Lügen und kleinen Verbrechen, mit ihrer Scham und ihrer Gemeinheit – sie sind die »Helden« seiner Geschichten, die meisten zwischen zehn und 15 Seiten lang sind.
Im Original habe ich das jetzt nicht gelesen, für mich gilt also die Übersetzung. Die fand ich aber sehr ansprechend; ich hatte nie das Gefühl, über einen Satz oder ein unpassendes Wort zu stolpern. Stattdessen geleitet einen die Übersetzung durch die Geschichten hindurch, als seien sie in deutscher Sprache geschrieben worden.
Oft geht es um Väter, die mit ihrer Rolle nicht klar kommen. In anderen Geschichten behandelt Carver wiederum Paare, deren Beziehung längst zerbrochen ist oder die eben zerbrechen. Und dann gibt es wieder Geschichten, die einfach nur einen armseligen, in seiner Existenz zweifelnden Menschen ins Zentrum rücken.
Oftmals ist das traurig zu lesen, viele Geschichten sind eher depressiv. Aber sie sind sprachlich wie inhaltlich von einer erzählerischen Kraft, die ich beneidensert finde.
Carver, der 1938 geboren wurde und bereits 1988 verstarb, gehört in den USA zu den großen Kurzgeschichten-Autoren. Umso peinlicher, dass ich ihn nie wahrgenommen habe. Nach der Lektüre dieser Geschichten werde ich auch die anderen Texte von ihm lesen; die anderen Bände liegen schon im Lese-Stapel.
Man findet die im Berlin Verlag veröffentlichten Bücher häufig im Antiquariat – das nur als Tipp!
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