29 Mai 2020

Die Geschichte vom Viehhändler

Aus der Serie »Dorfgeschichten«

Ich war noch ein Junge, las aber bereits dicke Bücher. Im Alter von neun Jahren entdeckte ich mein Interesse an Geschichte, und so nahm ich mir auch Bücher über den Zweiten Weltkrieg vor. Manchmal redete ich mit meinen Eltern darüber, die mir häufig auswichen oder nur allgemeine Dinge von sich gaben. Die Zeit sei schlimm gewesen, sehr schlimm, und man habe schauen müssen, wo man geblieben war.

»Aber was war dann mit den Juden?«, platzte ich eines Abends heraus, als ich mit meinem Vater in der Sitzecke saß. Es war warm, er hatte ein Bier vor sich stehen, und bald würde die Sonne untergehen. Der Geruch nach Stall und frischem Heu drang zu uns herüber, die Wiese hinter unserem Zaun dampfte geradezu.

Er sah mich eine Weile lang nur an. »Die hat man alle umgebracht«, fügte ich hinzu, als ob er nicht selbst über die Vergangenheit Bescheid wüsste. »Und … wie war das hier mit den Juden und dir und unserer Familie?«

Mein Vater erzählte mir, dass er selbst nie einen Juden persönlich kennengelernt habe. Im Dorf sowie in der Kreisstadt habe es keine Juden gegeben. Doch in der kleinen Stadt Dornstetten, rund sechs Kilometer und einen strammen Fußmarsch von unserem Dorf entfernt, habe ein jüdischer Viehhändler gelebt. Mehr wisse er aber nicht mehr.

»Und was ist mit dem Viehhändler geschehen?«, fragte ich.

»Den haben sie fortgebracht, der wurde umgebracht.« Er sagte es ohne viel Ausdruck in der Stimme, es war offenbar eine Tatsache, und die musste nicht interpretiert werden.

Ich fragte nach, aber so viel mehr wusste er nicht oder wollte er nicht sagen. Er wusste weder, wohin man den Viehhändler geschafft hatte, noch wo er getötet worden war. Er erinnerte sich angeblich auch nicht an den Namen.

»Aber das hat jeder mitbekommen«, fügte er dann sehr ernst hinzu. »Jeder Bauer in jedem Dorf hier hat mitgekriegt, dass der Viehhändler umgebracht worden ist.«

Ich verstummte und bohrte nicht weiter. Ob der Händler eine Familie hatte und was mit dieser geschehen war, das fragte ich meinen Vater nie. Es gab Themen, auf die bekam man keine konkrete Antwort – das lernte ich früh.

»!Time Machine« zum dritten

Im Frühjahr 2020 erschien die dritte Ausgabe der Zeitschrift »!Time Machine« – das Ausrufezeichen ist Absicht – im Wurdack-Verlag. Verantwortlich sind Christian Hoffmann und Udo Klotz, beide seit vielen Jahren in der Science-Fiction-Szene aktiv. Sie bezeichnen das schön gestaltete Heft als »Fanzine«, was zwar nicht falsch ist, aber ein wenig auf die falsche Spur führt: Inhaltlich ist das Ganze nämlich in angenehmer Weise professionell geschrieben und gestaltet.

Klar: Ein Bericht über den SF-WorldCon 2019 in Dublin ist natürlich eher fannisch orientiert, auch manche Buchbesprechung wirkt eher fannisch als professionell. Die Artikel sind allerdings durch die Bank so gehalten, dass sie lesenswert sind und neugierig auf neue Themen machen.

Interessant fand ich die Übersicht über den »Sputnik in der amerikanischen Alltagskultur«; wie hat der russische Satellit sich beispielsweise bei amerikanischen Lebensmitteln oder sogar in der Mode als Begriff festgesetzt? Der Artikel über »kriminelle Science Fiction« war mir fast zu detailreich: Letztlich werden sehr viele SF-Romane vorgestellt, in denen Krimis ein zentrales Element sind. Kein schlechtes Thema, aber mir dann doch zu kleinteilig.

Sehr gern gelesen habe ich die Beiträge in »Science Fiction History«. Wer weiß denn schon noch, was vor einem Jahrhundert oder vor 25 Jahren in der SF und Fantasy los war? Bei der Lektüre stolperte ich über viele »Aha«-Erlebnisse und stellte fest, wie viel ich auch schon wieder vergessen hatte.

Amüsant fand ich den Artikel über Selfpublisher. »Bloß nicht professionell wirken« macht sich ein wenig darüber lustig, wie seltsam manche selbstproduzierten Bücher aussehen. Zurückgeführt wird das immerhin teilweise auf den Einfluss von E-Books; eine These, die ich nachvollziehen kann. (Beim E-Book ist Typografie nicht wichtig, also wird dieses Nicht-Wichtig auf die gedruckten Bücher übertragen.)

Die Herausgeber von »!Time Machine« schrecken nicht davor zurück, ganz konkret Flagge zu zeigen und ihre Meinung zu äußern. Da sie das auch noch gut begründen, kann selbst der kritischste Artikel als Grundlage für eine mögliche Diskussion dienen. Gut so!

Das Fanzine lohnt sich allemal. Wer sich für Science Fiction interessiert, ist hier richtig: 68 Seiten in professionellem Layout, die reichhaltig illustriert sind. Der Preis von 5,60 Euro kommt mir da sehr attraktiv vor. Ich empfehle den direkten Bezug beim Wurdack-Verlag.

28 Mai 2020

Slapstick und Nestbeschmutzer

Im April 1966 war Hans Joachim Alpers ein 22 Jahre alter Student, der in Bremerhaven wohnte und sich auf Maschinenbau spezialisieren wollte – zumindest studierte er diesen Bereich. In diesem Monat brachte er auch die erste Ausgabe seines Fanzines »Slapstick« heraus, das sich vor allem auf »fannische« Themen konzentrieren sollte. Das merkt man der ersten Ausgabe, die gerade einmal sieben Seite umfasst, auch deutlich an.

In der Rubrik »Lob + Spott« bespricht Alpers aktuelle Fanzines. Hefte wie »Anabis« oder »Pioneer« prägten damals die Szene, dazu das Diskussions-Fanzine »Nibelungen«. Wer sich in der fannischen Vergangenheit nicht gut genug auskennt, wird mit den Rezensionen allerdings nicht so viel anfangen können, auch nicht mit den sogenannte Hagen-Zboron-Witzen. (Zboron war ein sehr aktiver, sehr kritischer Fan dieser Tage.)

Spannend ist die Kolumne »Wie man ein Nest beschmutzt«, die der Autor mit der Unterzeile »Eine Gebrauchsanweisung« versehen hat. Der Autor ist für die damalige Zeit sehr klar und politisch, er sieht sich selbst als Nestbeschmutzer. Unter anderem deshalb, weil er nicht stolz darauf sei, ein Deutscher zu sein, und weil ihm »Rasse und Nation gleichgültig« seien. Für ein Science-Fiction-Egozine waren das starke Aussagen.

So bleibt die Erkenntnis: Auch ein »kleines« Fanzine verrät viel über die Zeit, in der es entstanden ist. Und es zeigt, dass Hans Joachim Alpers von Anfang an ein kritischer Geist war, der sich nicht scheute, seine Meinung in klarem Ton zu verbreiten.

Echsenmenschen treffen auf den Lafftrak

Dass man schräge Science-Fiction-Texte, rotzigen Punkrock und allerlei Orgel- und Synthie-Gedöns zu einem skurrilen Gebräu verbinden kann, beweist die Band Lafftrak aus Köln. Ich mag ja bereits die schön geschriebene Deutsch-Umschreibung für den Bandnamen, finde aber auch die EP »Das Ende der Welt« ziemlich cool.

Die ist echt toll aufgemacht: Das Cover hat einen künstlerischen Charakter, es gibt klares Vinyl, und das ganze Ding ist auf 300 Exemplare limitiert. Ein echtes Sammlerstückchen – aber wahrscheinlich gibt es weltweit auch nicht mehr Leute, die solche Platten kaufen wollen. (Alle anderen können ja bei Bandcamp reinhören.)

Eine Band aber, die Stücke wie »Echsenmenschsystem« hat und dieses Stück mit der Stimme von Wolfgang Völz, dem Schauspieler aus der klassischen »Orion«-Fernsehserie, einläutet – die finde ich schon mal richtig gut. Auch die anderen Stücke halten die Waage zwischen Gaga und Intellekt; das ist ziemlich abgefahren und macht Spaß.

Und die Musik? Man stelle sich knüppeligen Deutschpunk vor, bei dem gelegentlich gemosht wird, dazwischen quiekt eine Orgel, und es gibt irgendwelche elektronischen Effekte. Nichts für den Deutschpunk-Puristen und nichts, das ich ununterbrochen hören kann – aber cool ist das allemal.

27 Mai 2020

SF-Geschichten aus den 80er- und 90er-Jahren

Zwei Ermittler treffen auf einer Raumstation ein, weit entfernt von der Erde. Offenbar gab es vor einigen Jahren einen bewaffneten Konflikt zwischen verschiedenen Teilen des menschlichen Sternenreiches, darüber erfährt man allerdings nichts. Doch es entwickeln sich nun neue Konflikte zwischen den Ermittlern und der Besatzung der Station, und es braucht einige Zeit, bis klar wird, worum sich eigentlich alles dreht ...

Das ist im Prinzip die Handlung von »Roxanne 7«, der längsten und meiner Ansicht nach besten Geschichte in dem Sammelband »Der Wahrheitsprüfer«. Das Taschenbuch enthält Kurzgeschichten und Erzählungen von Johannes Anders, der diese Geschichten in den 80er- und 90er-Jahren unter seinem wirklichen Namen in Fanzines und kleinauflagigen Anthologien veröffentlichte.

Ich lernte ihn irgendwann in dieser Zeit kennen und verlor ihn aus den Augen. Schön, nach so vielen Jahren wieder von ihm zu hören!

Klar, man merkt manchen Geschichten an, dass sie nicht brandneu sind. Der Autor informiert darüber auch in seinem Nachwort. In diesem stellt er dar, wie sich sein Verhältnis zur Science Fiction und zum Fandom entwickelte, wie er für Fanzines schrieb und sich auf Cons herumtrieb (früher gern auch mit einer Gitarre unterm Arm).

Trotzdem sind die Geschichten durch die Bank unterhaltsam. Manche sind düster-kurze Zukunftsvisionen – etwa in »Saturnade« –, manche sind stilistische Fingerübungen oder spiegeln die Angst vor dem Überwachungsstaat wider. Sie haben eine unterschiedliche Länge. Während »Roxanne 7« den Umfang einer Novelle erreicht, gibt es wiederum Geschichten, die nur wenige Seiten umfassen.

Auffallend ist, wie menschlich die Figuren gezeichnet sind. Dem Autor lag etwas an seinen Figuren, und das merkt man auch in den überarbeiteten Geschichten. Deshalb sind die Ideen früherer Jahrzehnte immer noch so gut lesbar. (Die Zahl der Kleinkramfehler hält sich sehr in Grenzen, der Autor hat seine eigenen Werke offenbar sehr gut bearbeitet.)

Ich habe »Der Wahrheitsprüfer« mit großem Vergnügen gelesen. Die 205 Seiten sind eine schöne Lektüre für alle Menschen, die gerne Science Fiction in der Kurzform lesen. Empfehlenswert! Das Buch wurde 2019 im Kleinverlag Roguebooks veröffentlicht, in gedruckter Form wie auch als E-Book; es ist praktisch nur über Amazon zu beziehen oder eben direkt beim Autor anzufragen. Theoretisch kann man es in jeder Buchhandlung bestellen, das aber dürfte mühsam sein.

26 Mai 2020

Soziale Unruhen im Wilden Westen

Dass ich die Westernserie »Durango« sehr schätze, habe ich schon mehrfach erzählt. Yves Swolfs setzt seine Comics in eine Zeit, die von den meisten Romanen und Filmen des Genres schon nicht mehr erfasst wird: ans Ende des 19. sowie an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Sein einsamer Held, der quer durchs Land reitet und sich und seine Waffe vermietet, weiß also, dass seine Zeit langsam abläuft.

Dafür verändern sich die Konflikte. Sie werden sozialer, haben nichts mehr mit dem klassischen Western zu tun. Einen Revolverhelden können die Mächtigen des Landes also benötigen, sie setzen ihn aber anders ein als dreißig oder vierzig Jahre zuvor.

Das zeigt sehr schön der vierte Band der Gesamtausgabe, den ich dieser Tage gelesen habe. Leider kann man aus dem Band nicht erkennen, von wann die Geschichten genau sind; ich vermute aber, dass der Künstler hier bereits in den 90er-Jahren angekommen ist. Am Zynismus vieler Figuren und an der knalligen Action ändert das nichts.

»Die Beute der Schakale« ist die erste Geschichte, sie spielt im Grenzgebiet zu Mexiko. Eine junge Indianerin wird verschleppt, sie soll als Prostituierte in einem Bordell arbeiten. Der immer wieder überraschend moralische Killer hilft den Indianern und engagiert sich gegen die sogenannten braven Bürger.

Es folgt ein Zweiteiler, der in den Bergbauregionen von Colorado spielt. In »Colorado« wird eine Minenstadt eingeführt, beherrscht von einem mächtigen Mann und seinen schießwütigen Helfershelfern, während die Arbeiter und ihre Familien im nackten Elend leben müssen.

Die direkte Fortsetzung heißt »Die Erbin« und zeigt, wie soziale Unruhen in einem Gemetzel enden. Die Polizei versucht sich einzumischen, ein Gewerkschaftler tritt auf den Plan, ein massiver Konflikt bricht aus. Und natürlich gibt es wieder viele Tote.

Erneut sind die Geschichten sehr spannend erzählt, erneut sind die Zeichnungen hervorragend. Auch wenn man weiß, dass der sogenannte Wilde Westen nicht so war, wie er dargestellt wird, schafft es Swolfs, ein Bild zu vermitteln, das man ansonsten von knalligen Westernfilmen her kennt.

Die Verbindung zu politisch-gesellschaftlichen Themen, die im Western meist nur angedeutet werden, ist hier glasklar. Auch das macht die 144 Seiten des tollen Hardcover-Bandes zu einer packenden Lektüre. Nicht nur für Western-Fans!

25 Mai 2020

Veröffentlichungen 2020

Manchmal bin ich selbst überrascht von mir: Ich schaffe es immerhin, alle zwei Monate meine jeweilige Fortsetzung für den Roman »Der gute Geist des Rock'n'Roll« an die OX-Redaktion zu schicken. Darüber hinaus habe ich es in diesem Jahr 2020 aber noch nicht auf sonderlich viele vollendete Geschichten oder gar Veröffentlichungen gebracht.

Okay: »Der Reigen der Sandteufel« ist eine Science-Fiction-Geschichte, die auf dem Mars spielt. Sie wird in der Anthologie »Wie künstlich ist Intelligenz?« veröffentlicht werden, die im September erscheint. Eine weitere Geschichte von mir, die man im weitesten Sinn zur Phantastik zählen kann, liegt derzeit bei einem Verlag und wird hoffentlich in absehbarer Zeit in einer Anthologie gedruckt werden.

Dazu habe ich es hingekriegt, einige Kürzestgeschichten zu schreiben, die entweder in meinem Blog oder in Fanzines wie dem »Intravenös« erscheinen. Und zudem bin ich ganz guter Dinge, dass ich meine Fantasy-Geschichte um die »Leute vom Sumpfwald« auch endlich mal fertigbekomme. Von meinem Plan, in diesem Jahr einen Roman zu schreiben, bin ich allerdings ziemlich weit entfernt …

Menschenmüll aus Freiburg

Als ich den Bandnamen zum ersten Mal hörte, vermutete ich, dass Menschenmüll einen ruppigen und wüsten Deutschpunk spielen würde. Gespannt legte ich die CD in den Player ein und wurde von einem gebrüllten Intro verblüfft: Der Bandname wird mündlich erklärt – der Menschenmüll komme aus den Gegenden, wo der Abschaum der Menschheit wohne.

Dass danach ein Sound kommt, der sich eher an die ganz frühen 80er-Jahre anlehnt, fand ich erst recht verblüffend. Im Prinzip handelt es sich um schrammeligen NdW-Punk, der vor allem durch einen Drumcomputer auffällt. Aber auch das passt in die frühesten 80er-Jahre und würde gut auf eine Compilation passen, auf der auch the Wirtschaftswunder, Organbank oder Bärchen & die Milchbubis zu finden wären.

Der Sound ist nicht schnell, sondern eher im durchschnittlichen Tempo angesiedelt; für einen heftigen Pogo reicht das nicht aus. Andererseits ginge das bei den genannten Bands ebensowenig. Es werden Stimmungsbilder vermittelt, mal sind die Stücke flott, dann eher ein wenig depressig. Manche Stücke sind mir zu lahm, da müsste für meinen Geschmack mehr Wumms dahinter; vor allem die ersten Stücke auf der CD wummern aber echt gut.

Es ist ja keine »echte« Band; bei Menschenmüll handelt es sich um zwei Menschen aus Freiburg, die sich am Gesang abwechseln – mal männlich, mal weiblich – und die Gitarre sowie Bass ergänzen. Der Drumcomputer sorgt für das Schlagwerk. Laut Info ist die CD eingespielt worden, nachdem man sieben Wochen zusammengewerkelt hat. Das ist dann respektabel und lässt

Und textlich? Stücke wie »Roboter« oder »Kamera« beschäftigen sich mit der modernen Welt unserer Zeit, in »Breite Straßen« oder »Allein« wird die Gesellschaft thematisiert, in der ein vereinzelter Mensch unterzugehen droht. Und »Menschenmüll« ist eine zynische Präsentation der Hartz-IV-Gesellschaft. Die Band macht also durchaus politisch-gesellschaftliche Texte, ohne aber in Polit-Seminardeutsch zu verfallen oder plakative Parolen zu brüllen.

Das klingt alles, als stamme es aus den späten 70er- und frühen 80er-Jahren, was ich hier durchaus positiv meine: schlichte Musik, knackig-kurze Texte über gesellschaftliche Themen, das alles in einem klaren, sarkastischen Ton serviert. Ich bin mal auf weitere Aufnahmen der Band gespannt – der Start ist schon ziemlich gelungen!

24 Mai 2020

Rebell in Turnschuhen

Ich bin ja schon mit wenig zufrieden. Vor allem, wenn es um amerikanische Unterhaltungs-Durchschnitts-Kinoware geht. Da freue ich mich schon, wenn die Handlung einigermaßen stimmt und die Charaktere zumindest optisch überzeugen. Umso amüsierter schaute ich deshalb den Film »Stick It« an, der hierzulande seit dem Sommer 2006 unter dem Titel »Rebell in Turnschuhen« vermarktet wird.

Heldin des Filmes ist eine ziemlich cool und rotzig auftretende 17jährige namens Haley, die mit ihrem BMX-Rad oder mit dem Skateboard alle möglichen knallharten Tricks drauf hat. Klaro, sie trägt auch am liebsten T-Shirts von den Ramones oder von Black Flag – ob die Schauspielerin wusste, was sie da trug? – und grüßt ihre Kumpels mit dem Teufelszeichen der Metal-Fans. Sehr amüsant alles ... so ein bisschen Avril-Lavigne-mäßig, mit Schlabberhosen und Kapuzenpullis.

Dummerweise wird das extrem unangepasste Mädchen, das mit seiner allein erziehenden Mutter nur Ärger hat, von den Cops geschnappt, nachdem es erheblichen Sachschaden angerichtet hat. Sie hat die Wahl zwischen dem Jugendknast und einer Sport-Turnschule unter einem Trainer namens Burt Vickerman – der wird übrigens von Jeff Bridges gespielt, den ich vor allem aus »The Big Lebowski« so richtig gut in Erinnerung habe.

Die Regeln des amerikanischen Jugend- und College-Films verlangen eigentlich, dass die Hauptdarstellerin im Verlauf des Films ihre Liebe findet (idealerweise ein Junge aus guter Familie), sich mit den zerstrittenen und geschiedenen Eltern versöhnt und sich letztlich so in die Gesellschaft eingliedert. Und natürlich hat ein solcher Film, in dem es unter anderem um Sport geht, auch die Aufgabe, viele aufsehenerregende Action zu zeigen.

Das tut er. Mit der Anpassung der Hauptheldin klappt es aber nicht so. Die bleibt nämlich auch im Turnunterricht unangepasst bis zum Gehtnichtmehr. Zwar zeigt sie allen, das sie es richtig gut kann, aber: Sie streitet mit ihrer Mutter rum, dass es kracht, sie behandelt ihre Kumpels wie zwei echte Kumpels, und sie zettelt sogar eine echte Revolte der Turnmädels an. Das fand ich echt klasse!

Klar: Es gibt tolle Turn-Szenen zu sehen, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich das mal interessant finden könnte. In dem Film passt es. Den Zickenterror zwischen den einzelnen Sportlerinnen fand ich ebenfalls gut dargestellt, dazu krachen Metal und HipHop jugendkompatibel aus den Boxen.

Der Film ging hierzulande komplett unter oder wurde gleich verrissen. Man muss ihn auch nicht kennen und schon gar nicht gesehen haben. Aber man ärgert sich auch nicht darüber – es ist auf jeden Fall der Beweis dafür, dass auch amerikanische Klischeefilme aus den eigenen Klischees ausbrechen können. Nett ...

22 Mai 2020

Herausgeber einer Anthologie

Weil man die Anthologie seit einiger Zeit in den verschiedensten Shops vorbestellen kann, erlaube ich mir, ebenfalls darauf hinzuweisen. Die Rede ist von dem Buch »Wie künstlich ist Intelligenz?«, das im September 2020 erscheinen wird. Herausgeber dieser Science-Fiction-Anthologie bin ich, und es ist tatsächlich die erste Anthologie, die ich herausgebe.

(In den 80er-Jahren machte ich mal eine Underground-Textsammlung mit dem Titel »Ihr und eure Scheiße«, aber das wurde von den meisten Leuten eher als ein Fanzine betrachtet. Aus diesem Grund zählt dieses Werk nicht unbedingt.)

Das fertige Buch habe ich noch nicht gesehen, ich finde die Textsammlung aber sehr gut. Enthalten sind Geschichten von Andreas Eschbach und Judith Vogt, von Michael Marrak und Carsten Schmitt, um einige der Mitwirkenden zu nennen. Ich bin ebenfalls mit einer Kurzgeschichte vertreten. Die Stilrichtungen decken eine gewisse Bandbreite ab, so dass dieses Buch unterschiedlichste Leute ansprechen sollte. Es handelt sich immer um Science-Fiction-Texte, lupenrein gewissermaßen.

Ich freue mich schon auf die Veröffentlichung des Buches. Dann habe ich in diesem Jahr doch noch etwas neben »meiner« Raketenheftchenserie hinbekommen … (Abgebildet habe ich ein Dummy-Titelbild, nicht die endgültige Version.)

20 Mai 2020

Melodisch-schwungvoller Deutschpunk aus Hamburg

Wenn eine Deutschpunk-Band den Titel »Frei_Tal« für ihre aktuelle Langspielplatte aussucht, ist klar, dass es sich nicht um unpolitisches Geträller handeln kann. Die Gemeinde Freital wurde in den vergangenen Jahren zu einer Chiffre für rechtsradikale Umtriebe – Arrested Denial aus Hamburg verstehen sich offenbar als eine Band, die politische Inhalte mit modernem Punkrock verbindet.

Das klingt, wie schnell festzustellen ist, tatsächlich nicht mehr wie in den frühen 80er-Jahren, weder musikalisch noch textlich. Die Band spielt einen schmissigen Sound, der durchaus rockig ist, ohne sich an Hardrock oder gar Metal anzubiedern; die Stücke stecken voller Melodie und Schmackes, dass es eine wahre Freude ist. Manchmal wird ein wenig Ska reingebracht, meist regiert ein treibender Rhythmus, bei dem zumindest ich kaum stillsetzen möchte.

Die Stücke sind in sich abwechslungsreich, und die Zusammenstellung auf der Platte finde ich zudem gelungen: Mal ist man knallig, dann eher mit leichtem Ska-Einfluss, dann wieder lässt es die Band krachen. »Frei_Tal« wirkt in mancherlei Hinsicht »modern«, sprich, die Platte klingt eindeutig nach heute, ohne aber krampfhaft irgendwelchen Trends nachzulaufen.

Ähnliches kann man über die Texte sagen: Die Band ist klar politisch, verzichtet aber auf plumpe Parolen. Man findet Nazis scheiße, man äußert sich durchaus schlau zu komplexen Themen und verzichtet auch nicht auf Szenekritik. Das ist ebenfalls richtig gut gemacht.

Alles in allem ist »Frei_Tal« eine Punkrock-Platte, wie ich sie mag – sehr schön!

Der alte Priester

Aus der Serie »Dorfgeschichten«

Es war eine der Fahrten, die ich von Mal zu Mal weniger mochte: Jugendliche aus unserer Kirchengemeinde saßen in einem Auto, das von einem Priester gefahren wurde, und wir waren unterwegs zu einem Jugendtreffen. Ich war vierzehn Jahre alt, hatte den Kopf schon voller pubertärer Gedanken und verlor immer mehr das Interesse an der Religionsgemeinschaft, in die ich hineingeboren worden war. Aber noch fuhr ich zu den Veranstaltungen der Kirche mit, noch war ich nicht so weit, dass ich alles ablehnte und allem fernblieb.

An diesem Abend fuhren wir mit einem der älteren Priester unserer christlichen Gemeinde. Ich mochte den Mann nicht, weil er immer so streng war und von den »alten Zeiten« redete. Ob er ein Alt-Nazi war, hätte ich nicht zu sagen gewusst; solche Dinge wurden nicht thematisiert.

Aber wir fuhren in seinem Auto, er fuhr schnell über die schmalen Straßen zwischen Dietersweiler und Dornhan. Wir waren aus einem Grund, den ich nicht nachvollziehen konnte, weg von »Gottes Werk« und hin zur aktuellen Politik gekommen. Er regte sich laut über die Politiker auf, die so schwach seien, die alles verlabern und nichts entscheiden würden.

Früher sei doch alles viel besser gewesen. Da habe noch Zucht und Ordnung geherrscht. Vielleicht müsse doch »wieder ein neuer Hitler her«.

Vom Rücksitz aus wagte ich einen leisen Einwand. »Aber der Hitler hat doch den Zweiten Weltkrieg angefangen und die Juden umbringen lassen.«

Da polterte der Priester los: »Das war wirklich nicht richtig, was man mit den Juden gemacht hat. Die hätte man nicht alle umbringen müssen, man hätte doch genügend Arbeit für die gefunden.«

Niemand widersprach ihm. Weder der junge Diakon auf dem Beifahrersitz noch die zwei Jugendlichen, die mit mir auf dem Rücksitz saßen und schon gar nicht ich. Wir schrieben Mitte der 70er-Jahre, und da wusste ich als Jugendlicher einfach noch, wann ich die Klappe zu halten hatte.

Das Thema wurde in Gegenwart des alten Priesters nie wieder angeschnitten.

19 Mai 2020

Origineller Comic, aber nicht mein Fall

Manchmal muss man einfach einsehen, das es Dinge gibt, die einem nicht gefallen. So ging es mir mit dem zweiteiligen Comic »Grün« der deutschen Künstlerin Frauke Berger, der im Splitter-Verlag erschienen ist. Um es vorwegzunehmen: Mir ist klar, dass dies ein künstlerischer Comic ist, dass die Künstlerin echt was drauf hat – aber ich kann trotzdem nicht viel damit anfangen.

Die Geschichte spielt auf einer namenslosen Welt, die irgendwie grün aussieht, auf der es andere Naturgesetze gibt und auf der neben Menschen allerlei seltsame Wesen unterwegs sind. Darunter ist auch eine Nomadin, aus deren Sicht der größte Teil der Geschichte erzählt wird. Sie muss sich allerlei Gefahren erwehren; die Welt ist ziemlich heruntergekommen, es gibt Kämpfe und Krankheiten, Elend und Not.

Mit »Grün« hat Frauke Berger ihr Debüt vorgelegt. Ich rechne es dem Splitter-Verlag hoch an, einer unbekannten Künstlerin gleich zwei Alben zuzutrauen und eine so ungewöhnliche Geschichte zu veröffentlichen. Zielgruppe sind womöglich dann eh nicht »klassische« Comic-Fans wie ich, sondern eher Menschen, die moderne Graphic Novels bevorzugen.

Denn Frauke Berger schert sich nicht um die Konventionen der Science Fiction. Ihre Bilder zeigen beeindruckende Szenen, in denen sich mechanische mit biologischen Elementen verbinden, und ihre Farbgebung ist mehr als ungewöhnlich. Es gibt riesige Archen, es gibt marschierende Tiere, man hält Sklaven und baut ungewöhnliche Häuser.

Die Geschichte folgt nicht den üblichen Bahnen, wirkt auf mich häufig sprunghaft oder gar assoziativ. Manchmal scheint mir die Botschaft – irgendwas zum Thema Ökologie – nicht klar formuliert und doch wichtiger als die eigentliche Story zu sein.

Und das ist mein Problem: Ich erkenne, dass das alles irgendwie gut und originell ist. Ich erkenne auch, dass Frauke Berger einen sehr eigenständigen Stil hat, der völlig aus dem Rahmen fällt. Er erinnert gelegentlich an frühere Moebius-Comics, aber eben nicht immer. Insgesamt trifft halt das Gesamtwerk nicht meinen Geschmack.

Deshalb keine echte Empfehlung von mir. Vielleicht eher diese Empfehlung und damit der Rat, sich ein eigenes Bild zu machen: Wer Lust auf einen originellen Comic hat, der oder die schaue sich die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlages an.

18 Mai 2020

Ein Becken voller Männer

Es gibt immer wieder Filme, die mich umwerfen, vor allem deshalb, weil sie so »heimlich« daherkommen. Ein schönes Beispiel hierfür ist »Ein Becken voller Männer«, ein französisch-belgischer Streifen, der bereits 2018 herauskam, den ich damals aber im Kino verpasste. Wahrscheinlich dachte ich, es sein ein lustiger Film, und hatte dann kein Interesse daran, eine Komödie anzugucken.

Dabei ist der Film alles andere als ein Witzfilm, wenngleich er seine komischen Elemente hat. Es geht um Männer, die in sehr ernsthafter Weise versuchen, im Synchronschwimmen erfolgreich zu sein. Die Sportart wird ja eher belächelt, im Allgemeinen kennt man – wenn überhaupt – nur die weibliche Form. In diesem Film sind es Männer, die sich unter Leitung einer Trainerin daran versuchen.

Keiner von ihnen ist attraktiv, jeder von ihnen hat seine Probleme. Der eine ist depressiv, der andere ist ein Choleriker, der andere hat eine Mutter im Pflegeheim, die ihn beschimpft, wieder ein anderer ist ein alter Rocker, der von einer Musiker-Karriere träumt. Sie sind eigentlich alle auf ihre Art »Loser«, und das zeigt der Film sehr ungeschönt. Sie leiden unter ihrem Anderssein, sie haben ihre Probleme, aber sie leben ihren Traum. Und als sich tatsächlich die Chance bietet, bei einer Weltmeisterschaft anzutreten, wagen sie alles.

»Ein Becken voller Männer« bietet unglaublich gute Charakterzeichnungen, ich war sehr beeindruckt von der leichten Art, mit der das geschieht. Es gibt keinen erhobenen Zeigefinger; alle Figuren wirken auf ihre Art »echt«. Alkoholismus, Gewalt, Streit, schnelle Dialoge – es ist das pralle Leben, das dieser Film zeigt, und das in umwerfenden Bildern.

Wenn ihr eine Chance seht, diesen Film zu sehen, nutzt sie! Ich habe ihn auf einem Streaming-Portal angeschaut, aber man kann ihn natürlich auch als DVD kaufen.

Von Urban Fantasy zu Höllen-Horror

Es ist einige Jahre her, seit ich den ersten Roman der »Bobby Dollar«-Trilogie durchschmökerte. Dieser Tage kramte ich endlich den zweiten Teil aus dem »ungelesen«-Stapel heraus – in dem das Buch unter anderem lag, weil ich das Cover so dämlich finde – und fing ihn an, war dann sehr gefesselt und brachte ihn in flottem Tempo zum Ende.

Die Rede ist von »Happy Hour in der Hölle«, in dem es zeitweise sehr brutal zugeht, den ich deshalb zeitweise unterbrach, den ich aber dann doch mit viel Spannung zu Ende brachte. (Ich werde mir jetzt wohl den dritten Teil der Trilogie kaufen müssen.)

Doch erst einmal der Reihe nach: Worum geht es denn eigentlich?

Die Trilogie geht von der Prämisse aus, dass es Engel und Dämonen, Himmel und Hölle gibt, das komplette Kriegspotenzial aus der Bibel also. Beide Mächte führen einen erbitterten Krieg, und sie wirken mit ihren Agenten auf der Erde, wo sie versuchen, die Seelen der Verstorbenen für sich zu gewinnen.

Einer der Engel, die auf der Erde tätig sind, ist Doloriel. Man kennt ihn in seinem persönlichen Umfeld nur als Bobby Dollar. Er hat eine große Klappe, treibt sich gerne in Bars herum und hat ständig Ärger mit seinen Vorgesetzten in den himmlischen Höhen.

Vor allem im ersten Band der Trilogie liest sich das großartig. Man kann »Die dunklen Gassen des Himmels« als Urban Fantasy bezeichnen, weil der Roman zu größten Teil auf der Erde spielt. Die Figuren unterhalten sich in einem lockeren Slang, Bobby Dollar klopft ständig Sprüche – das ist alles in allem ein unterhaltsames und zumeist lockeres Garn.

Ganz anders dann »Happy Hour in der Hölle«: Wie der Titel nahelegt, verschlägt es Bobby Dollar in die Hölle (ohne dass ich das im Detail erläutern möchte). Er muss sich durch grauenvolle Städte schlagen, kämpft mit monströsen Wesen, wird gefoltert und gequält. Streckenweise liest sich das Ganze wie ein Horror-Roman mit ausschweifenden Beschreibungen.

Aber man muss klar sagen: An phantastischen Szenen mangelt es dem Buch nicht. Die Welt der Dämonen und Höllenwesen, der Gequälten und Verbannten – das malt der Autor in grausigen Bildern. Er zeigt diese Horror-Welt ideenreich und »bunt«, mit all ihren Facetten und kulturellen Details. Das ist eigentlich richtig toll gemacht und spricht für den Autor.

Auf der anderen Seite macht es irgendwann echt keinen Spaß mehr. Eine Quälerei folgt auf die andere, ein Dämon ist fieser als der andere, es gibt keine Hoffnung, und überall stößt Bobby Dollar auf Menschen, die seit Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten unaufhörlich gefoltert werden (in der Hölle stirbt man ja nicht, sondern man regeneriert sich, um dann weiter gemartert zu werden). Das ist dann eigentlich finsterster Horror und keine Sekunde lang auch nur ansatzweise witzig. Trotz aller lockeren Sprüche des Helden …

Hm. Es sind 565 Seiten, und sie haben es in sich. Das Buch ist unterhaltsam und auch spannend. Es hätte nicht geschadet, wenn es 100 oder 150 Seiten kürzer gewesen wäre – irgendwann hat man es ja kapiert, dass Dämonen böse sind und die Hölle ein schrecklicher Ort ist –, aber man langweilt sich bei der Lektüre nicht.

Nur: Braucht das jemand?

17 Mai 2020

Im geheimnisvollen Wald

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte« 

Die schlimmsten Allergie-Belastungen durch die Frühblüher lagen wohl hinter mir, und das Wetter bot sich an – also unternahm ich am Samstag eine kleine Radtour: eine Stunde lang hinaus in die Natur oder in das, was unsereins als Natur begreift. Nur wenige Kilometer von meiner Haustür entfernt war ich nach einiger Zeit in einem Waldstück unterwegs, das ich zu jeder Jahreszeit aufs Neue schätze.

Von dort stammt dieses Bild. Man könnte meinen, ich hätte es auf einem anderen Kontinent geschossen, irgendwo in Kamerun oder in Malaysia. Aber das Bild zeigt nur ein Stückchen Wald bei Neureut, keine drei Kilometer vom Rhein entfernt. Wenn ich in solchen Ecken unterwegs bin, vergesse ich fast, dass ich in einer dicht besiedelten Industrieregion herumfahre …

16 Mai 2020

»TeamHoffnung« personalisiert

Das war ja mal eine Überraschung für mich! Ich fischte die neue Ausgabe der »turi2 edition« aus dem Briefkasten, und mein eigener Name blitzte mir geradezu entgegen.

Die Herausgeber hatten es geschafft, die aktuelle Ausgabe zu personalisieren: Jeder Abonnent bekam also eine Ausgabe, auf der sein eigener Name auf einem Fußball-Trikot zu lesen war. Ich finde solche Gags immer schön!

Die »turi 2 edition« ist ein Print-Produkt, das sich sehr schätze, wenngleich ich es nie schaffe, eine Ausgabe komplett zu lesen. Es handelt sich um Bücher, die im A4-Format veröffentlicht werden und eigentlich eher den Charme einer extrem aufwendigen Zeitschrift haben.

Zielgruppe sind Medienleute im weitesten Sinne, wobei die meisten Leser (und Leserinnen) aus klassischen Zeitschriftenverlagen und Agenturen kommen dürften. Vielleicht bin ich eine Randzielgruppe, was aber egal ist.

Die aktuelle Ausgabe 11 beschäftigt sich mit Fußball. Das ist nicht unbedingt mein Lieblingsthema, auch wenn die Bundesliga ab heute wieder ausgetragen wird. Aber ich bin sicher, dass ich in dieser Ausgabe viele Beiträge finden werde, die mein Wissen erweitern und mich gut unterhalten.

15 Mai 2020

Philippsburg im Kopf

Am Donnerstag wurden sie endlich gesprengt. Ich sah mir bestimmt ein halbes Dutzend Videos an, die zeigten, wie die Kühltürme des Kernkraftwerks Philippsburg einstürzten. Wer sich davon überzeugen möchte, hat bei YouTube gleich mehrere Gelegenheiten dazu. Die Türme waren immerhin 152 Meter hoch, man sah sie weit, und man brauchte viel Sprengstoff, um sie zu pulverisieren.

Ich weiß noch, wie ich dieses Kernkraftwerk zum ersten Mal wahrnahm: Es war im Winter 1984/85 in der Kaserne auf dem Eichelberg bei Bruchsal. Im Morgengrauen ging ich mit einigen anderen Soldaten von der Kantine zurück in das Gebäude der Kompanie, in der ich stationiert war. Zuerst verstand ich nicht, was ich sah: Ein roter Fleck glomm in der Ferne, er strahlte durch die Dämmerung der frühen Stunde.

Es war Philippsburg mit seinem Kernkraftwerk – und ich sah es im Jahr 1985 noch oft von der Kaserne aus. Es blieben viele Eindrücke der Bundeswehrzeit, und das Kraftwerk im Morgenlicht gehört für immer dazu.

Seit ich in Karlsruhe wohne, habe ich das Kraftwerk häufig gesehen: Mit dem Rad ist Philippsburg recht schnell zu erreichen, das Kernkraftwerk hat sich immer als ein Punkt angeboten, an dem ich wenden und zurückfahren kann. Und von den Hügeln der Umgebung – etwa dem Michaelisberg aus – ist das Kraftwerk ebenfalls sehr gut zu erkennen.

Ich werde die Kühltürme nicht vermissen, ich bin froh, dass der Spuk vorüber ist. Das Bild von den leuchtenden Wänden im Morgengrauen in der Kaserne – das wird mir aber noch lange im Gedächtnis bleiben.

14 Mai 2020

Seit vierzig Jahren in der Krise

Als ich 1983 anfing, für die »Südwest Presse« zu schreiben, müssen für die meisten Zeitungshäuser noch goldene Zeiten geherrscht haben. Die Kunden kauften die Zeitungen im Laden, es gab zahlreiche Abonnements, und es war nötig, in den Zeitungen Werbung zu platzieren, wenn man gesehen werden wollte. Paradiesisch.

Aber schon damals ging es los: Die Verleger klagten lauthals über die sinkenden Auflagen, und die »jungen Leute« hörten mit der Lektüre auf. In meiner Altersklasse (junge Erwachsene und Jugendliche um die zwanzig) war es nicht mehr relevant, die Zeitung zu lesen. Das wurde allgemein bejammert. Die Krise der Zeitungen begann in den 80er-Jahren, und sie wurde nicht erst durch das Internet-Zeitalter ausgelöst.

Spannend finde ich, wie sich manche Zeitungen heute positionieren. In der »Zeit« ist ein Artikel zu finden, der erzählt, wie das »Mindener Tagblatt« sich in der Krise neu aufstellt. Die Verlagsleute haben aus der Logik, dass sie immerhin viele Abonnenten – 25.000 Exemplare – mit Austrägern und Fahrern beliefern, einen logischen Schluss gezogen: Man kann den Leuten mit dem gleichen System auch alle möglichen anderen Dinge liefern.

Vom Zeitungshaus zum lokalen Kurierdienst ... Angesichts der Tatsachen, dass die Anzeigenverkäufe eingebrochen sind oder die verbliebenen Zeitungsleser immer älter und vor allem weniger werden, ist das nicht die dümmste Taktik. Früher argumentierte ich stets, die Zeitungen müssten halt besser werden und sich auch an den Bedürfnissen der potenziellen Leser orientieren, heute bin ich mir nicht mehr so sicher, ob das ein kluger Gedanke ist. Vielleicht ist der Kurierdienst die Zukunft der Medienbranche?

Ein Hit der zweiten Ska-Welle

Als sich in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre eine Reihe von Ska-Bands gründete und im deutschsprachigen Raum eine echte Welle auslösten, waren die Busters sehr früh dabei. Ihre Platte »Couch Potatoes« kaufte ich mir gleich zum Erscheinen beim Weser-Label in Bremen, bei dem ich damals »auf einen Schlag« ganz viel Musik bestellte.

Höre ich mir die Platte heute an – es war das zweite Werk der Band und wurde 1989 veröffentlicht –, empfinde ich es immer noch als frisch und richtig gut. Der Ska schunkelt meist angenehm vor sich hin, ist nicht zu lahm wie bei manchem Reggae-Zeugs und erschöpft sich auch nicht in Hochgeschwindigkeits-Getröte wie bei anderen Bands. Die Bläser sitzen, die Orgel quäkt im Hintergrund, der Sänger hat eine angenehme Stimme.

Und mit Laurel Aitken holte man damals einen Klassiker als Gastsänger an Bord, was ich damals gar nicht so richtig zu würdigen wusste. Es war eine Verneigung vor den Leuten, die Ska zu einer Zeit begründeten, als es kein Massenthema war. Und ein Stück wie »She Was My Girl« darf dann auch in schunkeligen Reggae abgleiten.

Tatsächlich sind die Meloden gut, immer noch und nach all den Jahren. Die Busters, die ich nur ein einziges Mal live sah, hatten schon in den 80er-Jahren ein Gespür für flotte Melodien, die gut ins Ohr und vor allem in die Beine gehen. Das ist keine Musik, bei der man faul auf der Couch sitzen bleiben möchte, sondern ein Sound, der einen unweigerlich in Bewegung versetzt.

Die Platte ist richtig alt – und immer noch richtig gut. Mit »Couch Potatoes« schuf die Band eine Platte, die ich heute als Klassiker bezeichnen würde. Die sollte man kennen!

13 Mai 2020

Sekt im Gambetta 27

Wir saßen am Fenster und blickten hinaus auf die Straße, die leicht abschüssig war; man kam von hier rasch zum Place Stanislas, dem Zentrum der Altstadt. Die Sonne eines frühen Sommerabends schien auf Nancy herunter, ich fühlte mich richtig gut. Am Nachmittag hatten wir bei einem Spaziergang das »Gambetta 27« gefunden – so nannten wir es –, uns praktisch sofort in das Restaurant verliebt und einen Tisch für den Abend bestellt.

Eine junge Frau kümmerte sich um uns. Mein Französisch erwies sich wieder einmal als Katastrophe, und sie sprach so gut wie kein Englisch; wir radebrechten fleißig und mit viel Gelächter. Einer der zwei jungen Geschäftsführer kam sogar zwischendurch vorbei und half aus; er konnte leidlich Englisch, was die Verständigung erleichterte.

Immerhin schafften wir es, für uns ein schönes Menü zu bestellen. Mein Vegetarismus stellte das Personal vor einige Probleme, aber wir entschieden uns für einige nett klingende Varianten. Dann ging es an die Weinbegleitung zu dem Menü.

»Wollen Sie vorneweg einen Champagner?«, fragte die Bedienung. Normalerweise finde ich Sekt nicht sonderlich ansprechend, aber an diesem Abend und bei diesem Restaurant schien es zu passen. Wir entschieden uns für einen Aperitif. Immerhin waren wir in Frankreich, da passte ein Champagner dann doch ganz gut.

Von unserem Platz aus hatten wir einen guten Blick hinter die Theke, die zu beiden Seiten hin offen war. Die junge Frau fischte eine Flasche aus dem Kühlschrank und begann damit, sie zu öffnen. Ich wurde nervös, als ich sah, wo sie genau arbeitete: Keinen Meter von ihr entfernt stand ein Notebook. Ich nahm an, das von ihm aus die Musik gesteuert wurde, die das Restaurant beschallte; vielleicht war auch ein Programm für die Reservierungen drauf. Aber ich sagte nichts – erstens wegen der Sprachkenntnisse und zweitens, weil ich davon ausging, dass sie schon wusste, was sie tun würde.

Vielleicht hätte ich etwas sagen sollen … Was immer die junge Frau genau falsch machte, ich bekam es nicht mit. Auf einmal spritzte eine Fontäne Champagner aus der Flasche, gut einen Meter hoch. Die Flüssigkeit spritzte der jungen Frau ins Gesicht, sie nässte ihre Bluse und schlug wie eine Meeresbrandung auf den Computer hinunter.

Die junge Frau stand da wie erstarrt, nachdem sie einen Schrei des Entsetzens ausgestoßen hatte; auch ich konnte mir vor Schreck nicht rühren. Als sie reagierte, machte sie alles mögliche falsch – aber ich hätte an ihrer Stelle ebensowenig vernünftig reagiert. Sie stellte die Flasche in den Ausguss, sie schüttelte ihre Hände aus, sie warf ihre Haare nach hinten, dann griff sie endlich zu dem Notebook. Sie riss es in die Höhe und kippte es, so dass der Sekt aus der Tastatur herauslaufen konnte.

Schreiend eilte in diesem Moment ein Mann aus der Küche, einer der zwei Geschäftsführer – das alles geschah in wenigen Sekunden. Er schnauzte die Frau an, die völlig erstarrt da stand, dann zog er den Rechner von der Stromverbindung ab und rannte mit ihm in die Küche zurück. Die Frau blieb stehen, ihre Hände zitterten. Sie tat mir komplett leid.

Der Geschäftsführer, mit dem wir schon gesprochen hatte, stand auf einmal ebenfalls bei der Theke. Er sprach ruhig, leise und bestimmt auf die junge Frau ein, die sofort im Hintergrund verschwand und an diesem Abend nicht mehr gesehen wurde. Hoffentlich kann sie ihren Job behalten, dachte ich.

Der Rest des Abends verlief in wunderbarer Stimmung. Das Drei-Gang-Menü war sehr lecker, die Sorte französischer Küche, die ein gewisses Niveau erreicht, das man in Deutschland als »gehoben« betrachtet, die aber noch nicht in den »überkandidelt«-Bereich hinüberschwappt. Die Weinbegleitung passte, unser Aperitif – aus einer frischen Flasche – bildete einen gelungenen Einstieg.

Das »Le 27 Gambetta« war ein Lokal, das also eindeutig überzeugte. Die unfreiwillige Show-Einlage vergaß ich allerdings nie.

12 Mai 2020

Eine Comic-Satire auf das Verlagsgeschäft

Ich las »Der perfekte Mord« bereits als eine Fortsetzungsgeschichte, die im »Zack«-Magazin veröffentlicht wurde. Seit einiger Zeit gibt es den Comic-Krimi als schickes Hardcover-Album, und ich nahm mir den Kriminalfall am Stück vor – da macht er gleich viel mehr Spaß.

Wer durch meine Einleitung verwirrt worden ist: Es handelt sich um neue Geschichten zur klassischen Comic-Serie »Rick Master«. Diese wurde über Jahrzehnte hinweg veröffentlicht und kommt in einer beeindruckenden Gesamtausgabe des Splitter-Verlages heraus. Ergänzt wird sie durch neue Geschichten. »Der perfekte Mord« ist bereits der dritte Teil, eine völlig abgeschlossene Krimi-Handlung, für die man keine Vorkenntnisse braucht, die vor allem Menschen erfreuen dürfte, die sich im Verlagswesen bewegen – als Autoren und Zeichner, als Redakteure und Hersteller.

Nach Texten des Comic-Autors Benoit Drousie, der unter dem Pseudonym Zidrou schreibt, zeichnet der Künstler Simon Van Liemt die Geschichte. Sie spielt in den 60er-Jahren, vor allem in Paris, und in Belgien – ich bin sicher, dass haufenweise Personen verarbeitet werden, die es in der wirklichen Welt gibt, die ich aber nicht erkenne.

Denn es geschehen reihenweise Morde, die offenbar nach einem speziellen Ratgeber verübt werden. Gedruckt wurde der Ratgeber in einem Verlagshaus, das ansonsten auch Comics veröffentlicht. Reihenweise befragt Rick Master als Detektiv allerlei Zeugen, wird von den Einheimischen beschimpft und mit einem Tintenfass beworfen, um am Ende den schrägen Fall zu lösen.

Es ist kein ernsthafter Comic, wirklich nicht. Man spielt mit den bekannten »Rick Master«-Klischees, macht sie modern, spielt mit dem Verhältnis des Detektivs zu seinem Jackett, seinem Auto, seiner Freundin und seinem Polizeifreund. Aber vor allem ist es eine Satire auf das Mediengeschäft, in dem ein beinharter Verleger nacheinander mit allen möglichen Leuten seine Konflikte austragen muss.

Sehr amüsant gemacht, sehr flott erzählt, auch und gerade für heutige Leser eine prächtige Unterhaltung. Dieser neue »Rick Master«-Comic ist für mich ein gelungener Beleg dafür, wie man eine klassische Serie modernisiert – ich hoffe, die Leser goutieren das.

11 Mai 2020

In einem speziellen Abteil

Ich erreichte den Bahnhof in letzter Minute. Die Türen schlossen sich bereits, die Bahn stand buchstäblich unter Dampf, stieß schwere schwarze Wolken aus. Ich rannte über den Bahnsteig, ein Schaffner wollte schon das Zeichen zur Abfahrt geben, gab mir aber ein aufmunterndes Zeichen und zeigte mit seiner Kelle auf den hintersten Wagen.

Während ich an ihm vorbeihetzte, nickte ich ihm zu. Er grinste über das ganze schwarze Gesicht und hob den Daumen, zeigte noch einmal auf den Wagen am Ende des Zuges.

Tatsächlich stand dort noch die Tür offen. Ich sprang hinein, meinen Seesack auf dem Rücken. Da fuhr der Zug auch schon an, automatisch schloss sich die Tür hinter mir.

Ich atmete durch. Mein Rücken war klatschnass, Schweiß lief an meiner Wirbelsäule entlang. Kurz orientierte ich mich: Ich stand in einer Art Vorraum, ich musste nur eine Tür aufstoßen, um in den Großraumwagen zu kommen.

Wenige Sekunden später stand ich in dem riesenhaft anmutenden Abteil und staunte nur noch. Anstelle der üblichen Bänke, die ich aus anderen Zügen kannte, waren in dem Raum allerlei Tische und Sitzgelegenheiten untergebracht, wie in einer Bar in einem schicken Hotel, großzügig im Raum verteilt. Einzelne Menschen saßen auf den Sesseln, Sofas und Sesseln, sie unterhielten sich in reduzierter Lautstärke.

Das Material, aus dem die Möbel bestanden, war offenbar emailliert. Strahlendes Weiß glänzte mir entgegen, in geschwungenen Formen; die Möbel sahen aus, als könnte man sie auch als Badewannen, Waschbecken oder Toilettenschüsseln benutzen.

Ich war verwirrt. »Da setze ich mich nicht hin«, sagte ich. »Lieber bleibe ich die ganze Fahrt über stehen.«

Dann wachte ich auf.

Bella Wreck liebt die alte Schule

Nicht schreiend originell, aber richtig gut gemacht: Die Band Bella Wreck stammt aus Berlin, was nicht ganz stimmt, weil die Musiker alle von außerhalb kommen und vorher in anderen Bands ihre Erfahrung sammeln konnten. 2013 kam die erste Platte heraus, die ich zwei-, dreimal anhörte, dann aber in einem Stapel vergammeln ließ. Dieser Tage zog ich die CD nach oben und ließ sie tagelang im CD-Player.

Die Band macht schmissig-melodischen Punkrock der alten England-Schule. Das klingt stets nach dem Ende der 70er-Jahre, allerdings durch einige moderne Einflüsse und vor allem einen Schuss Glam und Hardrock abgeschmeckt. Versierte Musiker spielen da zusammen, der Sound wirkt, als sei er aus einem Guss.

Das macht die Sache allerdings auch ein wenig berechenbar. Wer – wie ich – schon lange Musik hört, dem kommen viele Gitarrenläufe einfach bekannt vor, der fühlt sich bei jedem zweiten Stück irgendwie an etwas erinnert, ohne einen klaren Vergleich ziehen zu können.

Wer auf klassischen Punkrock-Sound steht, ist bei der Band schon sehr gut beraten – da möchte ich nicht kritisieren. Neue Töne wird man bei Bella Wreck aber vergeblich suchen.

09 Mai 2020

Ich bin ein Betrugsopfer

Es ist ja eigentlich nicht witzig, aber ich kann mich über die Betrüger-Mails die ich seit Jahr und Tag erhalte, immer wieder amüsieren. Dieser Tage wurde ich von einem Mann angeschrieben, der einen Doktortitel im Namen führte und mich unter folgendem Betreff anschrieb: »Entschädigung des Betrugsopfers durch den IWF«.

Angeblich wolle der Internationale Währungsfonds »alle Betrugsopfer entschädigen; meine E-Mail-Adresse sei »in der Liste der Betrugsopfer für das Geschäftsjahr 2019 aufgeführt« worden. Die angebliche Firma, die mich anschrieb, sei damit beauftragt worden, meine »Entschädigung über Money Gram oder Western Union Money Transfer« zu überweisen.

Man sei aber »zu dem Schluss gekommen«, mir tägliche Überweisungen zukommen zu lassen, bis die Gesamtsumme von viereinhalb Millionen US-Dollar an mich erfolgreich transferiert worden sei. Man habe auch bereits eine erste Überweisung an mich angewiesen, ich müsse nur auf einen entsprechenden Link gehen und mich ausweisen.

Nach längerem Nachdenken habe ich es dann doch gelassen, auf den Link zu klicken. Aber ich frage mich immer wieder, warum manche Leute auf solchen Mist hereinfallen.