30 April 2019

Ein Habitat für Eidechsen

Beim Radfahren stoße ich immer wieder auf Dinge, die mich überraschen. In diesem Fall ist es ein speziell errichtes »Eidechsenhabitat« in Karlsruhe, konkret im Stadtteil und dort im Ortsbereich Kirchfeld-Nord. Das gibt es seit einigen Jahren, mir fiel es aber nie auf.
 
Als ich vor 25 Jahren nach Karlsruhe zog, war in dieser Gegend alles entweder eine Wiese oder ein altes Militärgelände. Mittlerweile stehen dort viele Häuser, daneben entsteht seit vier, fünf Jahren ein neues Gewerbegebiet. Genau zwischen dem Wohn- und dem Gewerbegebiet hat man das Habitat errichtet. (Die Tiere hat man zuvor eingefangen, damit sie bei Bau des Gewerbegebietes nicht umkommen, danach im neuen Habitat ausgesiedelt.)

Errichtet wurden Steinriegel, ein großes, teilweise sehr sandiges Gelände, haufenweise Holzhaufen und dergleichen. Das Gelände sieht tatsächlich schön aus, Menschen kommen nicht so oft vorbei, und man kann nur hoffen, dass nicht ausgerechnet dieses Habitat zur Auslauffläche für Hunde wird ...

Die Federwelt erzählt vom Storytelling

Leider schaffe ich es nicht immer, die Zeitschrift »Federwelt« vollständig zu lesen, so richtig von vorne bis hinten. Dabei würde es sich bei der »Zeitschrift für Autorinnen und Autoren«, so die Selbstbeschreibung, stets lohnen. Immerhin kam ich dazu, die Ausgabe 135 der im Uschtrin-Verlag erscheinenden Zeitschrift komplett durchzuschmökern.

Lesenswert finde ich beispielsweise den Bericht über die Autorin Lisa Keil. Ich bin sicher nicht die Zielgruppe für ihr Buch – irgendwas mit Pferden – und will es auch nicht lesen, finde aber interessant, wie die Zusammenarbeit mit dem Verlag, dem Lektorat und dem Marketing verlaufen ist. Das gibt einen guten Einblick in das Machen und Tun eines »seriösen« Buchverlages.

Für Science-Fiction-Fans ist eher das Interview mit Markus Rohde lesenswert. Er berichtet über »Star Trek«-Romane und dergleichen, gibt auch offen zu, dass beispielsweise eine bestimmte Trilogie ein »regelrechter Flop« gewesen sei.

Gut finde ich in der »Federwelt« immer, wenn gezeigt wird, die eine Arbeit am Text funktionieren kann. Wie kann man realistische Charaktere schreiben, wie lässt es sich – für einen Krimi natürlich nur – gut und wirklichkeitsnah jemand mit Gift umbringen, und was muss man bei einem Thriller beachten? Nicht mit allem bin ich da immer einverstanden, aber interessant ist das allemal.

Das Magazin bekommt in seiner aktuellen Ausgabe wieder einmal gut seinen Spagat hin: Es ist sowohl für Anfänger gut geeignet als auch für Leute, die schon länger schreiben und veröffentlichen. Ich empfehle allen, die selbst schreiben oder die gern mehr über die Arbeit von Autorinnen und Autoren wissen wollen, ein Abonnement. Weitere Informationen dazu gibt's dann auf der »Federwelt«-Seite im Internet.

29 April 2019

Der moderne Parallelwelt-Klassiker akustisch

Viele Science-Fiction- und Krimi-Leser kennen den Roman »Vaterland«. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hatte ich den Bestseller des britischen Schriftstellers Robert Harris nie gelesen – aber ich hörte mir jetzt endlich das Hörbuch an und war von diesem begeistert. Das lag selbstverständlich an der herausragenden Geschichte, ebenso aber an der Präsentation durch den Schauspieler und Sprecher Karlheinz Tafel (er ist leider schon verstorben).

»Vaterland« war tatsächlich der erste Roman, den der Autor veröffentlichte. Es ist eine klassische Alternativweltgeschichte, die zusätzlich Elemente eine spannenden Krimis aufweist. Das Thema liegt für Briten wohl auf der Hand: Gezeigt wird ein Europa, in dem die Deutschen den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben (wie genau das geschehen ist, wird aber so gut wie nicht erzählt).

Die Handlung setzt im Jahr 1964 ein. Hauptfigur ist Xaver März, ein Sturmbannführer, der für die Kriminalpolizei tätig ist. Er wird als typischer Mitläufer eingeführt, der die Darstellungen des Regimes stets glaubt. Er weiß, dass an der Ostgrenze des Deutschen Reiches – also auf der Höhe des Ural-Gebirges – immer noch ein Kleinkrieg mit russischen Truppen tobt. Zwar hat er durchaus seine eigene Meinung, aber er fragt nicht nach.

Als er damit beauftragt wird, den Mord an einem Staatssekretär aufzuklären, wird er schnell in eine riesige Intrige verwickelt. In deren Verlauf trifft er auf eine junge Amerikanerin, er lernt Regimegegner kennen und erfährt, dass vieles von dem, was er bisher glaubte, einfach nicht stimmt.

Robert Harris stellt die Großmacht Deutschland im Jahr 1964 als ein starres Regime dar. An den Grenzen herrscht einerseits Krieg, während man andererseits mit den USA – unter Kennedy – in Verhandlungen steht. Widerstand im Innern wird nicht geduldet, die Gestapo hat eine eiserne Herrschaft errichtet. Riesige Prunkbauten zeigen die Pracht des Dritten Reiches.

Was mit den Juden geschehen ist, interessiert den normalen Deutschen nicht. Sie sind verschwunden, und niemand stellt Fragen. Allerdings kommt Xaver März dem monströsen Geheimnis der Wannsee-Konferenz auf die Spur ...

Es gibt eine Reihe von Kritiken, die Robert Harris vorwerfen, er habe schlampig recherchiert oder stelle das Nazi-Regime falsch dar. Das merkte ich kaum, als ich das Hörbuch anhörte – weil es derart spannend ist, dass ich kaum aufhören wollte.

Die Opfer der Mordserie, auf deren Spur Xaver März kommt, sind allesamt historisch verbürgt. Viele Details in diesem Roman basieren ebenfalls auf Plänen der Nazis oder historischen Tatsachen, die der Autor extrapoliert hat. Allein damit ist »Vaterland« ein Alternativweltenroman par excellence.

Das Hörbuch ist bei Random House Audio erschienen; ich fand es spannend und mitreißend. Bei diesem Stück könnte ich mir sogar vorstellen, dass ich es in einigen Jahren noch einmal anhören werde. Das liegt unter anderem an der ruhigen Erzählstimme: Karlheinz Tafel erzählt auch die härtesten Elemente seiner Geschichte in einem ruhigen Ton, der sie dadurch noch viel schlimmer erscheinen lässt.

Großartig!

Superschmissiger Skacore aus Italien

Dynamisch, mitreißend, unaufhörlich nach vorne peitschend: Die Band NH3 ist live eine Granate und liefert auch großartige Tonträger ab. Ganz aktuell ist die Platte »Superhero« der italienischen Combo, die zwölf Stücke bietet, bei denen mir zumindest nicht langweilig wird.

Dabei ist die Band meist politisch, ob die Texte nun in italienischer oder englischer Sprache gesungen werden. Man ist für die Rechte von Flüchtlingen, findet die aktuelle Politik in Italien ziemlich beschissen und äußert sich zu all diesen Fragen sehr eindeutig. Manchmal ist das Englisch ein wenig wunderlich – aber jemand wie ich, dessen Englisch immer nach Schwäbisch klingt, darf über so etwas sowieso nicht lästern.

Meist knallen die Stücke ziemlich, selten gibt es langsamere Einlagen. Die Bläser treiben die Stücke voran, das Schlagzeug poltert, der Sänger hetzt durch die Zeilen. Erstaunlicherweise haben mir die zwei ruhigeren Stücke trotzdem sehr gut gefallen.

Interessant fand ich, dass sich die Band prominente Unterstützung geholt hat. Bei zwei Stücken sind Gastsänger dabei, die vor allem in Italien bekannt sein dürften. Das ist nicht aufdringlich, das macht richtig Spaß. Und so habe ich am Ende eine Platte, die sich als Autofahrten-CD in diesem Jahr sicher noch bewähren wird.

28 April 2019

Die Pistols live

Wir standen vor der Tür. Die Luft war warm, mein T-Shirt dampfte. Ich musste Luft schnappen, der Typ neben mir wohl auch. Er rauchte eine Zigarette, blies den Rauch gedankenverloren in die Luft. Ich kannte ihn vom Sehen, wie so viele in der »Katakombe«, wusste aber nicht seinen Namen.

Er drehte sich zu mir um. »Findest du die Pistols eigentlich gut?«, fragte er und zeigte auf meine Haare. Sie waren kurz, aber ich hatte sie zu Stacheln aufgestellt, die sich noch nicht aufgelöst hatten.

»Du meinst die Sex Pistols?«

Der Typ war mir bisher nicht als Punkrocker aufgefallen. Er trug eine Jeansjacke ohne Anstecker oder Aufnäher, seine schwarzen Haare waren glatt und kurz.

»Wen denn sonst?«

»Klar«, meinte ich, »das war die erste Punk-Band, die ich überhaupt gehört hab. Ich finde die immer noch gut.«

»Ich hab die mal live gesehen.«

»Echt jetzt?« Ich starrte ihn an. »Bei der letzten Tour?«

Die Sex Pistols waren 1996 noch einmal auf Tour gegangen – eine Veranstaltung, die ich ignoriert hatte. Es wäre mir falsch vorgekommen, mir die Band so verspätet anzuschauen, quasi zwanzig Jahre danach. Vor allem Johnny Rotten hatte Punk nach dem Ende der Band derart öffentlich verachtet, damit wollte ich nichts zu tun haben.

»Nein, nein«, versicherte er mir stolz. »Schon damals.«

»Echt jetzt?«, wiederholte ich. »Wo denn? Warst du in England zu der Zeit?«

»Das weiß ich nicht genau. Irgendwo in Deutschland.«

Ich überlegte krampfhaft. Waren die Pistols jemals nach Deutschland gekommen? Da fiel mir der entscheidende Punkt ein.

»Du bist doch jünger als ich, oder?«, sagte ich.

»Was tut das zur Sache?«

»Ich bin Jahrgang 1963. Und du?«

Er machte ein wegwerfende Handbewegung. »Völlig egal. Viel jünger auf jeden Fall.«

Ich rechnete kurz. »Dann musst du zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, höchstens. Und du hast die Sex Pistols gesehen?«

»Na klar.« Lässig schnippte er seine Zigarette weg. Sie landete zwei Meter vor ihm auf dem Asphalt. »Du auf jeden Fall nicht.«

Er drehte sich um, beachtete mich nicht länger und stieg die Treppe zum Eingang der »Katakombe« hinunter. Ich starrte ihm nach.

Hatte er mich verarscht, war er nur ein Aufschneider, hatte er die Sex Pistols vielleicht wirklich als kleiner Junge gesehen? Ich überlegte kurz und entschied mich, ihn für ein Großmaul zu halten.

»Eh alles egal«, murmelte ich. Aus dem Keller drangen Lärm und Rauchschwaden, Hunderte von Leuten redeten durcheinander, aus den Lautsprecher bollerte ein neues Stück, das sich wie eine Mischung aus Hardcore, Metal und HipHop anhörte. Wie so oft in jenem Sommer.

Die Sex Pistols? Ich schüttelte den Kopf. Was für alte Kamellen! Warum machte ich mir darüber Gedanken? Das war über zwanzig Jahre her.

Ich verdrehte die Augen und ging die Treppe hinunter. Zurück zum Punk der 90er-Jahre, zurück in meine eigene Zeit.

27 April 2019

Rogue Steady Orchestra mal wieder

Dass Ska mehr sein kann als fröhliche Hüpfmusik für Studenten und andere Junggebliebene, die ein wenig Zirkus-Atmosphäre verbreitet und ansonsten völlig harmlos ist, beweist das Rogue Steady Orchestra immer wieder. Live ist die Band aus Göttingen sowieso eine sichere Bank, aber auch auf ihren Schallplatten weiß sie zu überzeugen.

»Liveticker zum Aufstand« gibt's zum Download, als CD und auch als schöne Vinylscheibe. Es sind 13 Stücke drauf, die man mehrfach hintereinander anhören kann. Weil sie sehr abwechslungsreich ist, langweilt die Scheibe nicht. Und ich hörte sie mir in den vergangenen Tagen doch recht häufig an.

Bei der Musik setzt die Band erstaunlich oft die Orgel ein, die Bläsersätze sind sauber und nerven nicht durch eine Überpräsenz; ansonsten herrscht ein gelungener Mix aus traditionellen Ska-Klängen und einer Prise Punk vor. Die Stücke haben Schmiss und Melodie, sie gehen auch ins Ohr und regen live schnell zum Tanzen an.

Und textlich wissen die Göttinger sowieso, wo es lang geht. Ihre Aussagen sind politisch und kritisch, ohne Parolen zu dreschen oder durch Plattheiten zu nerven. Und mitzusingen sind sie ebenfalls, wenn man möchte ...

26 April 2019

Der Osterhase steckt im Schnee

Aus der Serie »Dorfgeschichten«

Es schneite seit Tagen. Das Dorf versank buchstäblich in Weiß. Meine Eltern mussten jeden Tag mit der Schippe in den Hof, um den Weg für das Auto freizuschaufeln; sonst hätte es mein Vater nicht zur Arbeit und meine Mutter nicht zum Einkaufen oder sonstigen Erledigungen geschafft. Es ging auf Ostern zu, aber die Welt sah nicht so aus, als bekämen wir bald Frühling.

»Was ist mit dem Osterhasen?«, fragte ich am Samstag verzweifelt. Ich war ein kleiner Junge, der zwar nicht mehr so richtig an den Osterhasen glaubte, der sich aber stets freute, wenn er am Ostersonntag im Garten nach bunten Eiern und anderen Kleinigkeiten suchen konnte.

»Der steckt im Schnee fest«, antwortete meine Mutter. Mehr verriet sie nicht.

Wir saßen in der Küche und sahen durch das Fenster hinaus in das Schneetreiben. Wir konnten gerade einmal bis zum nächsten Haus sehen, nicht weiter. Die Wiesen und Hügel verschwanden hinter einem weißen Schleier.

Als ich am Ostersonntag geweckt wurde, sah die Welt immer noch so aus, als habe jemand Tonnen von Schnee über die Häuser und Höfe geschüttet. Meine Eltern schippten den Weg frei, wir gingen in die Kirche.

Danach mussten meine Schwester und ich in den Kindergottesdienst, der sich direkt an den Gottesdienst für Erwachsene anschloss. In dieser Zeit bereitete meine Mutter das Mittagessen vor. Wir kamen also deutlich nach den Eltern nach Hause.

Es hatte zu schneien aufgehört. Den Garten bedeckte eine geschlossene Schneeschicht von gut fünfzig bis sechzig Zentimetern. Mein Vater hatte die Einfahrt sowie einen Fußweg zum hinteren Gartentor freigeschaufelt. Aber es gab keine Spur von versteckten Ostereiern oder einem Hasen.

Wahrscheinlich sah man uns Kindern an, wie enttäuscht wir waren. Deshalb wurden wir auch nicht aufgefordert, die Winterkleidung abzulegen, uns die Hände zu waschen und an den Esszimmertisch zu sitzen.

Während meine Mutter hörbar in der Küche hantierte, winkte uns mein Vater zu sich. »Geht mal auf den Dachboden«, sagte er. »Ich hab da vorher was gehört. Vielleicht ist da etwas passiert.«

Noch während ich überlegte, ob ich sagen sollte, was mir ins Hirn schoss, schrie meine Schwester auf. »Der Osterhase!«

Wir stolperten die schmale Treppe hinauf, die der Großvater vor Jahrzehnten selbst gebaut hatte. Die schlichte Tür zum Dachboden, sonst immer verschlossen, stand offen, und wir rannten hindurch. Hinter uns hörten wir die Schritte unseres Vaters.

Das erste Ei fanden wir gleich; es lag schräg hinter der Tür auf dem Fußboden. Dass es auf dem Dachboden kalt war, störte uns nicht. Dass unser Vater aufpasste, dass wir nicht über Werkzeug fielen oder auf den Berg aus Brennholz kletterten, den wir unter dem Dach aufbewahrten, bekamen wir nur am Rand mit.

Wir stießen auf bemalte Eier, wir fanden ein wenig Schokolade, es gab sogar Spielzeugautos. Die meiste Verstecke waren schlicht, und wir hatten schnell den Dachboden durchstöbert. Erfreulicherweise war nichts im Holz versteckt oder an Stellen, zu denen wir hätten hochklettern müssen.

Für uns war es ein wunderbares Osterfest, eines von der Sorte, an das wir uns viele Jahre danach erinnerten. Der Osterhase hatte uns nicht vergessen, sondern hatte seine Geschenke einfach an einer anderen Stelle für uns versteckt!

25 April 2019

Emanzipation und Revolution

Wie sehr die Science-Fiction-Szene der 70er-Jahre auch mit politischen Bewegungen verbunden war, belegen immer wieder Publikationen, die von Fans herausgegeben wurden, die aber nichts mit ihrer Lieblingsliteratur zu tun hatten. Ein schönes Beispiel hierfür ist »Emanzipation und Revolution – Kritik an Duhm«, das im April 1974 veröffentlicht wurde.

Herausgegeben wurde die 56 Seiten starke Publikation, die es für 2,80 Mark in der »Reihe Kulturkampf« im Arbeiterkulturverlag. Als Autoren traten Reinhard Merker und Frank Rainer Scheck hervor. Beide hatten sich zuvor einen Namen als kritische Autoren in der »Science Fiction Times« gemacht; sie hatten Artikel und Rezensionen veröffentlicht, teilweise auch Kurzgeschichten.

Der Mann, an dem sie sich abarbeiteten, also Dieter Duhm, war in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren in den politischen Zirkeln jener Zeit durchaus bekannt. Die zersplitterte Linke bekämpfte sich auch durch allerlei Schriftwerke, das genannte Heft »Emanzipation und Revolution« ist ein Beispiel dafür. Mithilfe von Lenin-Zitaten wird versucht, das Werk Duhms zu wiederlegen.

Heutigen Lesern kommt das durchaus seltsam vor, derlei Diskussionen sind außerhalb wissenschaftlicher Zirkel nicht mehr üblich, wie mir scheint. 1974 fanden solche Publikationen auch innerhalb der Science-Fiction-Szene ihre Verbreitung und wurden offenbar auch diskutiert.

Später traten sowohl Reinhard Merker als auch Frank Rainer Scheck – leider schon 2013 verstorben – als Herausgeber von phantastischer Literatur in Erscheinung. Unter anderem verantwortete Scheck die Reihe »Meisterwerke der dunklen Phantastik«, die von hoher Sachkenntnis geprägt war.

24 April 2019

Pogo am Karfreitag

Als ich am »P 8« in der Nordstadt von Karlsruhe eintraf, dachte ich zuerst, ich sei falsch. Ich stellte mein Fahrrad ab, niemand war zu sehen. Erst als ich mich dem Eingang näherte, erkannte ich einige Menschen, die ich aber nicht kannte.

Wie es sich herausstellte, war ich der dritte zahlende Gast an diesem Karfreitagabend, 19. April 2019. Es wurden übrigens auch nicht viel mehr – am Ende waren es vielleicht zwanzig Besucher, die dafür aber ordentlich Spaß hatten.

Als erste Band spielten Angebrachte Panik aus Bremen – im Bild –, wir waren als Publikum noch sehr zurückhaltend. Der Mann mit Mütze an der Orgel forderte ultimativ zum Tanzen auf: »Es gibt Gott gar nicht, glaubt nicht an den Unsinn. Ihr dürft heute also ruhig tanzen.« Trotzdem war das Publikum eher schlapp, ich stand auch vor allem herum und guckte sonstwohin.

Musikalisch bot die Band schon irgendwie Deutschpunk, recht abwechslungsreich und auch mit viel Spielfreude, nicht unbedingt hundertprozentig virtuos. Die Sängerin spielte ihren Bass wie eine Gitarre, das fand ich cool; gesungen wurde eh abwechslungsreich, und dazwischen erheiterten lustige Ansagen.

Als zweite Band traten Bernd Wand auf, ebenfalls aus Bremen. Die Musik gefiel mir besser, die Band lieferte schmissigen Deutschpunk mit guten Texten und einer durchaus knalligen Show; gesungen wurde ebenfalls abwechselnd. Sie schaffte es vor allem, auch müde Männer wie mich in Bewegung zu bringen. So bewegte sich das spärliche Publikum durchaus hektisch durch den Raum, bei einer sich ständig steigernden Stimmung.

Die Band lieferte einige Coverversionen. Wer »Riot Squad« von Cock Sparrer in einer derart knalligen Queer-Version mit lautem »Oi!«-Gebrüll bringt, hat das Herz auf jeden Fall auf der richtigen Seite. Ziemlich großartig!

Als ich zu vorgerückter Stunde auf mein Fahrrad kletterte, um nach Hause zu eiern, hatte ich richtig gute Stimmung. Noch nie hatte ich einen derartigen Karfreitag erlebt …

Astronomen und Astronauten

Das finde ich gut: Eine deutsche Band macht ein Lied, in dem ein Astronaut und ein Astronom vorkommen und das mir darüber hinaus auch noch gefällt. (Da werden meine Instinkte als Science-Fiction-Fan und als Musikhörer angesprochen.)

Ich habe heute mehrfach das gelungene Stück »Hoch hinaus« von Frau Wolf gehört. Im Prinzip handelt es sich dabei um gut gemachte Gitarrenmusik, die bei mir flott ins Ohr geht.

Wer mag, darf das sicher in eine Schublade stecken, auf der »Indie« steht. Früher hätte man vielleicht auch »Alternative« draufgeklebt. Ich bin mal gespannt, wie's mit der jungen Band weitergeht – den Anfang finde ich bei dem flotten Stück und dem guten Text schon mal gut. Auf dem Video sieht's ebenfalls cool aus.

23 April 2019

Ein magisches Kinderbuch, ein wunderbarer Comic

Ich muss gestehen, dass ich den englischen Kinderbuch-Klassiker »Der Wind in den Weiden« nicht kenne. Dieser stammt von Kenneth Grahame, hat schon ein wenig Staub angesetzt, zählt aber zu den absoluten Klassikern des Genres.

Dem Splitter-Verlag ist zu verdanken, dass die wunderbare Comic-Version des Werkes von Michel Plessix nun in einer gelungenen Hardcover-Gesamtausgabe im deutschsprachigen Handel bereit liegt. (Zuletzt war der Comic hierzulande bei Carlsen veröffentlicht worden.)

Wer sein Herz für das Staunen noch nicht verloren hat, wer noch in der Lage ist, sich in eine Tiergeschichte hineinzudenken, in der beispielsweise ein Maulwurf und ein Kröterich die Hauptrollen spielen – der sollte hier unbedingt einen Blick hineinwerfen. Ich war wirklich fassungslos, als ich die Geschichte las: so schön, so gelungen, so zauberhaft! Kein Wunder, dass das Werk bei seinem Erscheinen mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde.

Die Hauptfiguren sind Tiere – sie verhalten sich zwar ein wenig »tierisch«, sprechen aber miteinander, tragen Anzüge und Schuhe, haben richtige Häuser oder zumindest prachtvolle Höhlen und verkehren untereinander wie seriöse Menschen. Am Fluss pflegen sie ihre persönlichen Rivalitäten, besuchen sich gegenseitig, streiten sich mal oder halten wieder zusammen. Menschen gibt es auch, aber die sind in der Ferne und tauchen nur höchst selten auf.

Immer wieder für Aufsehen sorgt Kröterich, der als Baron einen großzügigen Landsitz sein eigen nennt und stets für Experimente offen ist. Gibt man ihm beispielsweise ein Fahrrad, nutzt er es garantiert dazu, eine halsbrecherische Tour nach der anderen zu unternehmen. Er lügt ständig, wenn er sich einen Vorteil davon verspricht – aber zu seinen Freunden ist er meist großherzig und freundlich, wenngleich immer ein wenig prahlerisch.

Die Geschichte an sich ist absolut gelungen: Es geht um Freundschaft zwischen Wesen, die sich eigentlich fremd und feindschaftlich gegenüberstehen sollten, um Solidarität und ein Miteinander. Streit und Konflikte gehören dazu, aber letztlich rauft man sich immer zusammen. Klar, es ist ein Kinderbuch, aber als Erwachsener wird man von der warmherzigen Stimmung angesteckt.

Richtig toll wird das Buch vor allem durch die Illustration. Michel Plessix zeichnet wirklich liebevoll, anders kann man es nicht bezeichnen. Seine Tiere, die er in akkurate Kleidung steckt, wirken fast lebensecht, die Umgebung des Flusses, die Landschaften und das Innere der Häuser ist voller Details. (Wer mir nicht glaubt, schaue sich bitte einfach die Leseprobe im Internet an.)

»Der Wind in den Weiden« ist ein Comic, den ich sicher ein zweites und ein drittes Mal lesen werde, einer von den Bänden, die man sich auch nach Jahren aus dem Regal fischt, um noch mal einen Blick auf einzelne Seiten zu werfen. Eine absolute Empfehlung – nicht nur für Fantasy-Fans!

12 April 2019

Was war eigentlich Maerchenbraut?

Bei manchen Platten wundere ich mich echt, wie sie in meinen Schrank kommen – ein schönes Beispiel ist die Single »Bräuche der Vergangenheit«, die 1980 von der Band Maerchenbraut aufgenommen worden ist. Damals war das allerdings ein angesagter Sound, wenn ich mich düster erinnere ...

Die zwei Stücke sind beide sehr synthesizer-lastig. Die Töne wabern ein wenig, der Gesang hat einen leichten Hall, die Texte sind ganz schön pathetisch. Es geht um Untergang und Trauer, alles ist düster – im Prinzip nimmt die Band den Wave-Sound, der in England zu der Zeit noch recht neu war, und bringt ihn nach Deutschland, wo 1980 Musikrichtungen wie Punk, Neue Deutsche Welle, New Wave, Ska oder Reggae gleichermaßen als neu und verwirrend galten.

Sowohl »Träume der Vergangenheit« als auch »Weite Felder« weisen eine pathetische Grundstimmung auf, die zur Zeit passte. Die Verbindung zu allerlei Fantasy-Mythen, auf die das Cover verweist, war um 1980 ebenfalls angesagt; immerhin kamen die ersten Fantasy-Filme ins Kino, und die Fantasy-Literatur erlebte einen ersten Höhenflug.

Über die Band weiß ich nichts, die Single entspricht nicht meinem Geschmack. Als Zeitdokument – so was galt vor vierzig Jahren als modern – finde ich sie trotzdem spannend. Interessant, was man so alles findet ...

Ich habe Dumbo gesichtet

Auch nach langem Nachdenken kann ich mich nicht daran erinnern, jemals so früh im Kino gewesen zu sein: Wir sahen uns »Dumbo« an, und weil der Film nur zu völlig bescheuerten Zeiten kommt, saßen wir an einem frühen Nachmittag im Filmpalast in Karlsruhe und ließen uns von einem fliegenden Elefanten bezaubern. Der Saal war fast leer: Vielleicht drei Dutzend Menschen waren anwesend, die Hälfte Kinder. Aber wir waren nicht die einzigen Erwachsenen, die ohne Kind angerückt waren …

Man muss klar sagen: Es war ein Film von Tim Burton, und die Filme dieses Regisseurs mag ich zumeist. Das gilt auch für »Dumbo« – der Streifen ist sehr liebevoll gemacht, steckt voller Details, ist ein Fest für die Freunde der Phantastik und unterhält sehr gut. Klar, es ist ein Disney-Film, und er richtet sich an Kinder. Als Erwachsener kann man dennoch sehr viel Freude an der Geschichten, den Effekten und dem schön animierten Elefanten haben. So ging es mir zumindest.

Die Geschichte dürfte bekannt sein; ich erzähle sie hier sehr kurz: Dumbo ist ein kleiner Elefant, der mit seinen großen Ohren ein wenig doof aussieht. Er kann aber fliegen, und das finden zwei Kinder heraus. In der Folge wird der kleine Provinz-Zirkus, in dem Dumbo bisher aufgetreten ist, von einem Unternehmer übernommen – die große Karriere wartet auf alle Beteiligten. Dann aber geht viel schief, und am Ende gelingt es den Helden, dem kleinen Elefanten eine positive Zukunft zu sichern.

Zum gelungenen Film trägt sicher die Besetzung teil. Colin Farrell als einarmiger Kriegsveteran, der seine Frau verloren hat und seine Kinder allein zu erziehen versucht, Danny DeVito als quirliger Zirkusdirektor, Michael Keaton als aalglatter Unternehmer und Eva Green als coole französische Artistin – das ist schon alles sehr gut gemacht. Klar, bei manchen Details fragt man sich, ob die wirklich so sein müssen, das Gesamtbild fand ich aber stimmig.

Im Kino wurde viel gelacht, dann aber auch wieder geschluchzt, wenn es traurig wurde. Wenn dann aber der kleine Elefant versucht, zu seiner Mutter zu kommen, die in einem Zirkuswagen eingesperrt ist, und die beiden Tiere sich mit den Rüsseln berühren, ist das schon sehr gefühlsnah produziert. Das kann man zu Recht kritisieren oder mit demselben Recht gut finden.

Alles in allem ist »Dumbo« ein Streifen, der mir gut gefallen hat. Ich würde ihn gnadenlos in die Fantasy-Ecke stecken und ihn weiter empfehlen. Ich bin sicher, dass er auf DVD oder im Fernsehprogramm auch funktioniert – die Drei-D-Effekte im Kino mochte ich allerdings sehr.

11 April 2019

Tierfreundlicher Arbeitsplatz am Ort

Seit an den Arbeitsplätzen des Verlages, in dem ich tätig bin, ein eindeutiges Rauchverbot herrscht, sind die Raucherinnen und Raucher gezwungen, ihrer Sucht an der frischen Luft nachzugehen. Das Privileg, immer mal wieder fünf bis zehn Minuten eine kommunikative Pause einzulegen, wird rege genutzt. Der Verlag stellte irgendwann sogar Behälter für die Asche und die Glut im Hof auf.

Doch das bringt Probleme mit sich. Offenbar hat die Tierwelt in Rastatt ihre eigenen Pläne mit Aschenbechern. Das wiederum führt zu Einschränkungen für die Raucher: Manche Aschenbecher sind auf einmal nicht mehr zugänglich.

Ich bin gespannt, wann sich die ersten beschweren. »Vögel hindern uns am Rauchen«, oder so. Ich find's witzig.

Ichsucht aus Hamburg

Es gab mal eine Zeit, da kannte ich buchstäblich jede Deutschpunk-Band; das ist ja leider lange her. Umso begeisterter bin ich, wenn ich dann eine Platte wie die »Tristesse« von Ichsucht höre und merke, dass es immer noch kämpferischen und zugleich melodischen Deutschpunk gibt. Die Platte kam bereits 2014 heraus, verantwortlich dafür ist das Label Riot Bike Records aus Hamburg, das eine Reihe von neuen und interessanten Bands präsentiert.

Was Ichsucht machen, ist schneller Punkrock mit einer knalligen Grundnote. Die Sängerin hat eine klare Stimme, im Hintergrund hört man ab und zu die Männer der Band als Chor; die Stücke sind schnell, wenngleich sie kein rasendes Tempo erreichen, und sie gehen nach einiger Zeit gut ins Ohr. Es ist allerdings kein Ohrwurm-Melodiepunk, den man nach dem ersten Mal gleich mitsingen kann, dafür sind die einzelnen Lieder dann doch zu kratzig und zu widerspenstig.

Textlich fährt man eine klare Linie, konsumkritisch, szenekritisch, politisch und eindetig gegen die kranken Zustände der bundesrepublikanischen Gesellschaft. »Gedankenloser Einkaufswahnsinn wird rücksichtslos beworben«, heißt es in dem Stück »Konsument«, und: »Den Frust an den Schuhsohlen, Shoppingmeilen, Plastikhorden.«

Die zwölf Stücke sind allesamt gelungen und belegen für mich, dass es nach wie vor guten Punk aus deutschen Landen gibt. Ich habe mir die Langspielplatte gekauft, die auch ein schön gestaltetes Textblatt und sogar einen Aufnäher enthält (sie ist auf 500 Exemplare limitiert); man kann sich die Band natürlich ebenso digital anhören.

10 April 2019

Trinken, tanzen, Elektromucke

»Der gute Geist des Rock‘n‘Roll« ist volljährig. Zumindest kann ich das behaupten, wenn ich sehe, dass schon die achtzehnte Folge meines aktuellen Fortsetzungsromans im »OX« erschienen ist. Angesichts der Tatsache, dass das »OX« schon seinen dreißigsten Geburtstag feiern konnte, kommt mir mein Romanheld Peter Meißner – ehemals Peter Pank genannt – geradezu juvenil vor.

In der aktuellen Folge, die 1996 spielt, leidet der arme Mann aber eher unter seinem viel zu hohen Alter. Er treibt sich auf einer sogenannten Jungle-Party herum, die im Keller des besetzten Hauses stattfindet. Wo sonst Punkrock und Hardcore bollern, jault jetzt Elektromusik, mit der er nicht viel anfangen kann. Einige Biere und das fröhliche Grinsen einer jungen Frau bringen aber sogar einen alternden Punkrocker dazu, sein Tanzbein ein wenig zu schwingen.

Soviel zum Inhalt der aktuellen Folge meines Romans. »Der gute Geist«, der dem Roman seinen Titel verleiht, wird auch bald wieder in der Handlung auftauchen. Derzeit hangle ich mich viel zu sehr von Folge zu Folge und plane viel zu wenig. Das ärgert mich selbst, wobei ich das Gefühl habe, dass es in der Handlung noch keinen negativen Niederschlag gefunden hat.

09 April 2019

Wenn's das Navi sagt …

Zum dritten oder vierten Mal ignorierte ich die Anweisungen meines Navigationssystems. Zumindest hatte ich es vor. Es wollte, dass ich eine Straße nach links nahm, um vielleicht 200 Meter zu sparen. »Das kommt davon, wenn man ›schnellste Strecke‹ eingegeben hat«, murrte ich, »da rechnet das Navi offenbar allerlei Unfug.«

Wir waren in Quimper, der kleinen Stadt in der Bretagne, und wir hatten eben den Parc de la Providence verlassen, auf dem wir in den vergangenen Tagen einige Male unser Auto abgestellt hatten. Es wurde Zeit, dass wir ins Hotel zurückfuhren.

Ich war gut darin, das Navi zu ignorieren. Manchmal hielt ich es für sinnvoll, den Anweisungen der Frauenstimme zu folgen, die aus den Lautsprechern meines Autos drang. Sie hatte mich erfolgreich in kleine Gemeinden in der Bretagne geführt, und ich war auch in Deutschland meist sehr gut damit gefahren.

Aber manche Vorschläge empfand ich als Unfug: Was sollte es bringen, vor einem Kreisverkehr in eine Seitenstraße einzubiegen, einen Berg hochzufahren und dann oben an einer größeren Straße zu landen, keine hundert Meter von der Stelle entfernt, wo ich normalerweise ohnehin herausgekommen wäre?

Ich mochte Quimper sehr, ich liebte vor allem die schöne Altstadt mit den kleinen Geschäften, der Markthalle, der entspannten Stimmung entlang des Flusses Odet. Was ich ebenso mochte, war die gute Anbindung des öffentlichen Parkplatzes an die Innenstadt.

Spontan entschloss ich mich, doch links abzubiegen. Die Straße – sie hieß Venelle du Cosquer – war nicht eng, sie war sehr eng. Sie schlängelte sich den Berg hoch. Rechts und links standen immer wieder Autos am Straßenrand, was dazu führte, dass ich mich zwischen den Autos hindurchquälen musste. Es war eine echte Anstrengung, und ich musste aufpassen, dass ich nicht ein parkendes Fahrzeug rammte.

Als ich oben ankam, blickte ich auf die Straße, die vor mir lag. Am liebsten hätte ich mein Navigationsgerät geschlagen. Ich hatte zwar einen kürzeren Weg zurückgelegt, aber dafür gut doppelt so lange gebraucht. »Beim nächsten Mal lieber der Kreisverkehr«, schwor ich mir.

08 April 2019

Zehn originelle Science-Fiction-Geschichten

Das Universum wird im Prinzip von Mäusen kontrolliert. Diese nennen sich Quirls und sind dafür verantwortlich, dass alles seinen geordneten Gang geht. Nur wenn die Quirls ihre Arbeit richtig machen, verläuft die Zeit in die richtige Richtung und drehen sich Elektronen um die Atome, zu denen sie auch gehören. Klingt eigentlich alles logisch ...

Das zumindest ist der Ausgangspunkt für die höchst skurrile Geschichte »Das Amt für versäumte Aufgaben«, die der Autor Uwe Hermann verfasst hat. Und diese Geschichte liefert den Titel für einen gelungenen Kurzgeschichtenband, der Ende 2015 erschienen ist.

Ich weiß, dass Kurzgeschichten nicht »massentauglich« sind, weil sie kaum jemand kauft, lese sie aber immer wieder gern. Dass meine Besprechung so spät kommt, möge vor allem der Autor entschuldigen; sie ging schlichtweg unter. Das Buch ist aber noch im Handel, sowohl gedruckt als auch digital – also kann ich es immer noch empfehlen.

Das Buch ist sehr abwechslungsreich. Der Autor kümmert sich nicht um Grenzen des Genres, schreibt mal waschechte Fantasy, dann auch wieder Science Fiction, liefert eine Zeitreisegeschichte oder einen Zukunftskrimi. Diese Mischung hat mir gut gefallen, lässt sie einen doch auch eine Geschichte leichter überwinden, die vielleicht nicht ganz so gut gelungen ist. An phantastischen Einfällen herrscht bei Uwe Hermann offensichtlich kein Mangel.

Wobei der Autor schreiben kann! Handwerklich sind die zehn Geschichten durch die Bank sauber erzählt; da stimmt jede Formulierung, da passt jeder Satz. Nicht nur im Vergleich zu anderen Autoren, die ihre Werke selbst veröffentlichen, kann sich Uwe Herrmann sehen lassen – auch manch große Verlage liefern weitaus schlechter gestaltete und lektorierte Bücher.

Wer sich für originelle Science Fiction aus deutschen Landen interessiert, ist bei diesem Autor und seinem »Amt für versäumte Aufgaben« gut beraten. Das Buch macht Spaß!

Das 240 Seiten starke Taschenbuch kostet 9,99 Euro; es wurde über CreateSpace geschaffen und ist über Amazon zu beziehen. Das E-Book gibt's ebenfalls via Amazon, es kostet 3,99 Euro. Auf seiner eigenen Internet-Seite informiert der Autor über seine Geschichten und liefert weitere Hintergründe zu ihnen.

Sons Of Norway – lohnt sich

Der Film »Sons Of Norway« ist hierzulande nicht sooo bekannt, was ich schade finde. Aus diesem Grund möchte ich ihn kurz vorstellen: Es geht um Punk in der Provinz – also etwas, das ich aus meiner eigenen Jugend selbst sehr gut kenne. Nur spielt der Film nicht im Schwarzwald, sondern in einem Vorort von Oslo, der norwegischen Hauptstadt.

Hauptfigur des Films ist ein Junge, der Ende der 70er-Jahre mit familiären Problemen konfrontiert wird. Er wächst bei liebevollen Hippie-Eltern auf, doch als seine Mutter bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt und sein Vater in eine Depression rutscht, entdeckt der Junge die Sex Pistols für sich. Zusammen mit einigen Freunden beginnt er damit, »punkig« zu werden.

Er raucht, er trinkt, er benimmt sich in der Öffentlichkeit bewusst schlecht und schockiert die anderen Leute, und natürlich steigt er in die örtliche Punkrock-Band ein. Sein Vater, der krampfhaft versucht, an diesem Leben teilzuhaben, nimmt den Jungen zwischendurch in ein FKK-Freizeitlager mit oder hilft ihm sogar bei seiner Punk-Band.

Die Geschichte, so einfach sie hier auch erzählt wird, ist zeitweise unfassbar komisch. Die Punkrock-Allüren eines 13 oder 14 Jahre alten Jungen werden nicht als Heldentaten erzählt, sondern durchaus mit Sinn für Peinlichkeiten. Trotzdem freut man sich als Zuschauer über die freche Attitüde.

Gleichzeitig ist der Film aber auch traurig, zumindest streckenweise: ein Junge, dem seine Mutter stirbt, ein Junge, dem sein Vater unglaublich peinlich ist, ein Junge, der sich an der Enge einer Gesellschaft erdrückt fühlt – das sind keine leichten Szenen, die aber dazu führen, dass »Sons Of Norway« eben nicht nur ein lustiger Punkrock-Film ist.

Der Film wurde 2011 gedreht und veröffentlicht. Johnny Rotten, der Sänger der Sex Pistols, hat einen kleinen Auftritt, was ich sehr lustig fand – er taucht nicht als »der damalige« Sänger auf, sondern so, wie er eben 2011 aussah, ein wenig alt und aufgedunsen, aber trotzdem unverkennbar. Es ist kein reiner Punk-Film, sondern ein extrem unterhaltsamer Film über eine Jugend in den späten 70er-Jahren.

Absolut empfehlenswert! (Und an dieser Stelle ein Dankeschön an Christina, die ihn mir geschenkt hat.)

07 April 2019

Ein Lob auf ein Eis

Es gibt Jubiläen, die werden schmählich unterschätzt. Und es gibt Jubiläen, die bekomme ich nur durch Zufall mit. Laut »taz« feierte am 6. April das Spaghetti-Eis – ich schreibe das jetzt so, wie man es früher schrieb – seinen fünfzigsten Geburtstag.

Oder, um es korrekt zu sagen: Es wurde nicht gefeiert, zumindest nicht groß, aber die Erfindung dieser Eiszubereitung wurde fünfzig Jahre alt.

Als ich ein Jungpubertierender war, galt es als das Größte, ein Mädchen zum »Spaghetti-Eis« einzuladen. Wenn man das geschafft hatte, ging man ins »Eis-Cortina« in der Reichsstraße, setzte sich so hin, dass einen auch wirklich sahen, und löffelte gemeinsam sein Eis. Das war wichtig, und es zählte zu den entscheidenden Momenten, wenn man ein Mädchen kennenlernen wollte – lange vor dem ersten Kuss.

Ich habe wohl seit 1980 kein Spaghetti-Eis mehr gegessen. Wenn es Eis gibt und gab, nehme ich gern eine Waffel mit zwei Kugeln – das ist dem Eis eher angemessen. Oder ich esse es auf dem heimischen Balkon und schütte ein wenig Gin oder sonst was drüber. Aber Spaghetti-Eis?

Schon seltsam, wie sich Gewohnheiten verändern. Und noch seltsamer, wie schnell einem die Erinnerungen ins Hirn schießen, wenn man sich klarmacht, dass Spaghetti-Eis früher zu den Höhepunkten des Sommers gehörte ...

05 April 2019

Einige Anmerkungen zu Ruanda

Es ist ziemlich genau ein Vierteljahrhundert her: Der Völkermord in Ruanda begann, die Eskalation der Gewalt steigerte sich – und das Ganze war über Wochen hinweg in der deutschen Presse kein Thema. Es gab einige Berichte in überregionalen Zeitungen, ich las im Frühjahr 1994 immer wieder Texte darüber in der »taz«, und das war's. Im Fernsehen wurde das Gemetzel nicht thematisiert, der Bundestag schwieg dazu, von Friedensdemonstrationen konnte keine Rede sein.

Die Ermordung von bis zu einer Million Menschen wurde einfach kein großes Thema in Deutschland. Das finde ich verblüffend. Ich weiß noch, wie mich diese »Leerstelle« in der öffentlichen Wahrnehmung schon in den 90er-Jahren verwunderte. Wenn ich Leute auf Ruanda ansprach, wussten die meisten nicht einmal, dass es dieses Land gibt, geschweige denn, wo es liegt.

Ich hatte damals vor, eine Radiosendung zum Thema zu machen. Das war, als ich noch plante, »seriös-politische Berichterstattung« zu machen. Ich merkte dann schnell, wie aufwendig eine solche Sendung wäre, und entschloss mich – nach einer Testsendung über die Scientology Church – künftig nur noch über Musik zu berichten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Heute ist es ein bisschen anders. Ein Vierteljahrhundert, nachdem der Massenmord begonnen hat, schreiben viele Zeitungen über das Thema; auch in anderen Medien ist Ruanda stärker präsent. Vielleicht liegt es auch – zynischer Gedanke? – ein wenig daran, dass sogar die verschnarchten Industriebosse gemerkt haben, dass südlich des Mittelmeeres viele Leute leben, die gern die Produkte »made in Germany« kaufen würden, was 1994 noch nicht der Fall war. Ruanda gilt heute als Vorzeigeland, nicht unbedingt für demokratische Errungenschaften, aber für wirtschaftliche Entwicklung.

Welche Lehren aus dem seltsamen Stillhalten der Industrieländer zu ziehen sind, weiß ich nicht. Man würde heute dank des Internets schneller mitbekommen, was in einer »abgelegenen« Weltgegend passiert; ob sich jemand verantwortlich fühlen würde, den Massenmord zu stoppen, weiß ich noch weniger. (Frankreich griff damals bekanntlich ein, um die Massenmörder zu schützen. Aber das ist ein ganz anderes Thema, das bitteschön die Franzosen selbst klären wollen.)

Ich finde die Erinnerung an Ruanda im Jahr 1994 sehr unangenehm. Und ich werde an diesem Wochenende sicher nicht nur einmal an die grausigen Ereignisse in Ostafrika denken, die 25 Jahre her sind und für die meisten Leute hierzulande ganz weit weg.

Wenn Batman auf Dämonen trifft ...

Ich mag die »Batman«-Geschichten dann, wenn sie nur wenig Superhelden-Action enthalten. Das mag sich wie ein Widerspruch anhören – schließlich ist »Batman« ein Superhelden-Comic –, aber ich meine damit, dass ich das Auftauchen von zu vielen Superhelden im Universum des »Dunklen Ritters« immer als spannungsmildernd wahrgenommen haben. Berührt die Serie gelegentlich mal den Horror oder eben die Dunkle Phantastik, komme ich damit erstaunlicherweise klar – wenn es dezent abläuft.

Deshalb kam ich trotz einiger Schwächen gut mit der Miniserie »Golden Dawn« zurecht, die 2011 in fünf Bänden als Start der neuen Serie »Batman – The Dark Knight« in den USA erschienen ist. Sie liegt seit einigen Jahren unter dem Titel »Dunkle Dämmerung« und als Band 79 der Reihe DC Premium bei Panini Deutschland vor. (Die ganzen Hintergründe zu dem Titel »The Dark Knight« lasse ich an dieser Stelle weg, das ist etwas für Spezialisten.)

Die Miniserie ist nach der weiblichen Hauptfigur benannt: Golden Dawn ist eine attraktive Frau, die mit Bruce Wayne in dessen Kindheit befreundet war; später war sie auch seine erste Liebe. Doch dann verschwindet sie spurlos, und Wayne muss in seiner Funktion als Batman versuchen, sie zu finden und – buchstäblich – aus den Klauen der Hölle zu befreien.

Spätestens wenn der reimende Dämon Etrigan auftaucht, wird die Handlung durchaus absurd. Mit einigen anderen Bösewichten wie dem Pinguin oder dem allgegenwärtigen Joker kommt genügend »Bekanntheit« aus Gotham City ins Spiel. Wie bei mancher Miniserie aus dem »Batman«-Universum habe ich in solchen Fällen oft das Gefühl, der Autor habe versucht, möglichst viel an szenisch wichtigen Inhalten unterzubringen.

Fairerweise muss ich dazu sagen, dass der Autor – es ist der Brite Paul Jenkins – eine ordentliche Geschichte erzählt. Sie enthält die üblichen Sprünge, die bei einer Veröffentlichung in Heften offenbar immer auftreten, bietet aber genügend an Spannung. Man langweilt sich nicht, ich brach aber auch nicht in Begeisterung aus.

Der Comic-Band überzeugt vor allem durch seine Optik. David Finch und sein Kompagnon Jason Fabok liefern knallige Action ebenso wie starke Ansichten von Gotham City. Unterstützt werden die beiden von mehreren Tuschern – alles in allem ergibt sich ein sehr dynamisches Bild, das durch die gelungene Farbgebung unterstützt wird.

Okay, ich versuch's in kurz: »Dunkle Dämmerung« ist eine ordentliche »Batman«-Geschichte, die mir besser gefällt als die aktuellen Geschichten. Die 128 Seiten gibt's für 14,95 Euro; das Paperback sieht auch echt gut aus. Eine echte »kann man«-Geschichte, definitiv aber kein Muss.

04 April 2019

Seltsame Kriminalfälle mit leicht phantastischem Einschlag

Sherlock Holmes ist eine Figur, die auch im 21. Jahrhundert sehr beliebt ist. Das belegen nicht nur zahlreiche Verfilmungen und Comics, sondern ebenso die Romane und Kurzgeschichtensammlungen, die in den unterschiedlichsten Verlagen erscheinen.

Mit »Sherlock Holmes und die seltsamen Särge« hat die österreichische Autorin Barbara Büchner bereits im Herbst 2014 eine gelungene Interpretation des Holmes-Mythos veröffentlicht, der zudem über einige phantastische Elemente verfügt. Meine Lektüre und meine Besprechung kommen leider mit gehöriger Verspätung ...

Die Autorin ist mir seit langem bekannt, nicht persönlich, aber durch ihre stimmungsvollen und gut geschriebenen Romane, die in den unterschiedlichsten Verlagen veröffentlicht worden sind – dieser Sherlock-Holmes-Roman bildet keine Ausnahme. Barbara Büchner orientiert sich an den popuären Darstellungen des Detektivs und seines Begleiters Dr Watson; sie erzählt im Prinzip sieben in sich abgeschlossene Fälle, die aber streng genommen einen Roman ergeben.

Eine Wette hält die Fälle ebenso zusammen wie ein Arzt, der ständig davon redet, dass es »kleine Menschen« gibt, oder der glaubt, dass mysteriöse Mächte auf der Erde wirken. Diese »kleinen Menschen« wiederum spielen in den einzelnen Fällen eine Rolle, wodurch das Buch den Charakter eines Krimis verliert und mehr zur phantastischen Literatur gezählt werden kann.

Dass die Autorin schreiben kann, wusste ich. Ihre Sherlock-Holmes-Adaption beweist das vorzüglich. Die Geschichten sind »seltsam«, sie wissen zu faszinieren, sie wirken gleichzeitig authentisch insofern, dass man ihnen »glaubt«, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu spielen. Die Schauerstimmung, die von den Originalen verbreitet wird, kann die Autorin hervorragend einfangen.

 Wer in früheren Jahren gern die Geschichten von Arthur Conan Doyle gelesen hat und Lust auf »neues Futter« in Form aktueller Geschichten hat, sollte sich »Sherlock Holmes und die seltsamen Särge«. Der phantastische Einschlag sollte übrigens die Freundinnen und Freunde des »reinen« Krimis nicht zu sehr stören ...

Mehr Rhythmus, weniger Melodie

Mit ihrem rasanten Sound, dem originell klingenden Sänger und dem treibenden Rhythmus hat sich mir die Band Kontrolle in schnellem Tempo ins Ohr gefräst. Die Platte »Egal« drehte sich bei mir zeitweise ständig im CD-Player – und das ist ein wichtiger Grund für mich, mir endlich die dazu gehörende Langspielplatte zu kaufen.

Was die Band aus Düsseldorf und Solingen bietet, ist interessant: Anklänge zu den späten 70er-Jahren sind ebenso zu vernehmen wie »noisige« Anleihen. Das ist dann kein Deutschpunk, wie man ihn bisher kennt; die Band in den neuerdings wieder beliebten Wave-Topf zu stecken, wird ihr aber auch nicht gerecht.

Der Reihe nach: Bei Kontrolle fällt vor allem der wummernde Sound auf, der alle Stücke prägt, die schnellen wie die langsamen. Das Schlagzeug wird dabei gelegentlich durch Synthesizer-Elemente aufgepäppelt, die manche Stücke an Nichts und andere alte Bands erinnern lassen. Die Gitarre und der Bass knallen mehr in die Richtung einer modernen Noise-Rock-Band.

Dazu kommt die Stimme des Sängers, die manchmal an EA 80 erinnert, dann wieder einen stressigen Unterton annimmt. In Verbindung mit den Texten, die oft kurz und abgehackt wirken, aber stets ziemlich schlau sind, ist die Stimme sehr eigenständig. Die Textzeilen erinnern ebenfalls an die frühen 80er- oder späten 70er-Jahre, sind knallig und direkt, erzählen oft vom Arbeitsleben und privaten Dingen, werfen einen sarkastischen Blick auf die Gesellschaft von heute.

Ich kann es nicht anders sagen: Die Band ist ziemlich klasse, und ich bin begierig darauf, sie live zu sehen. Mit ihrer Platten haben mich Kontrolle auf jeden Fall überzeugt!

03 April 2019

Kurz an Google-plus gedacht

Auch wenn ich es früh genug wusste, fand ich es dennoch irgendwie traurig: Als ich heute morgen – wie immer – meinen Account bei Google+ aufmachen wollte, sah ich nicht auf mein eigenes Bild oder auf die aktuellen Dinge, die andere Nutzer eingestellt hatten. Stattdessen sah ich eine sehr nüchterne Aussage: »Google+ ist für Privatnutzer- und Brand-Konten nicht mehr verfügbar«, verkündeten die Seitenbetreiter.

Immerhin gab es so etwas wie ein nettes Zeichen: »Wir, das Google+ Team, möchten uns herzlich bei dir bedanken«, stand auf der Seite. »Vielen Dank, dass du Teil von Google+ warst!« Tatsächlich empfand ich Google+ über mehrere Jahre hinweg als ein durchaus sympathisches Netzwerk. Mir machte es gelegentlich Spaß, mich auf dieser Seite auszutauschen.

Machen wir uns nichts vor: Die Macher von Google+ betrieben ihre Seite nicht, um mir einen Gefallen zu tun. Natürlich sammelten sie meine Daten, genauso wie es die anderen Sozialen Netzwerke mehr oder weniger stark tun. Aber das war mir ja immer bewusst, weshalb es mich kaum störte.

Bei Google+ fand ich zumindest zeitweise gute Diskussionen, in einem stärkeren Ausmaß, als ich das jemals bei Facebook erlebt hatte. Gemeint sind Diskussionen zu politischen oder gesellschaftlichen Themen, die von einem recht seriösen Niveau waren. Diese »Gespräche« waren natürlich auch nicht mit »richtigen« Diskussionen vergleichbar, ich mochte sie aber.

In den vergangenen Jahren hatte Google+ ohnehin nachgelassen. Viele Leute hatten der Plattform den Rücken gekehrt, hatten sich auf Facebook konzentriert oder gar das Social-Media-Zeugs ganz gelassen. Diskussionen fanden nur noch selten statt. Der Versuch, Facebook in punkto Optik nachzueifern, wurde auch von mir mit Kopfschütteln bedacht.

Und so bleibt nach einigen Jahren – ich kann es nicht einmal genau sagen – ein Abschied mit leichtem Bedauern. Schade, Google+, es war echt schön mit Dir. Danke, dass ich mich bei Dir auslassen konnte.

02 April 2019

Die Dauerlacherin

Als die junge Frau den Großraumwagen betrat, fiel sie mir nicht auf. Sie steuerte die Reihe vor mir an, wo sie sich niederließ. Mit einem »Hallo« und einem lauten Lachen begrüßte sie die Person, die dort saß und die ich nicht sehen konnte.

Ich steckte die Nase wieder in mein Manuskript, versuchte standhaft, meine Umgebung auszublenden, und eifrig zu lesen. Doch vor mir hatte sich die ruhige Stimmung verwandelt, und schuld daran war das Lachen, das mich immer wieder aus allem herausriss.

Die junge Frau lachte ständig, gefühlt alle fünf Sekunden schallte ihr abgehacktes »Hahahaha« zu mir herüber. Es war kein fröhliches Lachen, das ich bei einem Witz oder einer witzigen Bemerkung angebracht gefunden hätte. Ich empfand es als künstlich. Und sie lachte einfach immer, egal zu welchem Thema.

»Schau mal, da draußen sieht man, wie schön das Wetter ist.« Hahahaha. »Oh, der Schaffner kommt.« Hahahahha. »Hier ist meine Fahrkarte.« Hahahahaha. »Vielen Dank für die Auskunft.« Hahahaha.

Ich wollte das dauernde Lachen ausblenden, es ging nicht. Jeder Satz von ihrer Nebensitzerin oder vom Schaffner wurde mit einem kurzen Gelächter kommentiert. Wenn sie selbst etwas sagte oder erzählte, unterbrach sie ihre eigenen Sätze mit Gelächter.

»Ich ging also die Straße entlang ...« Hahahaha. »... und da kam mir dieser Mann entgegen ...« Hahahahaha. »Er hatte einen Anzug an ...« Hahahaha. »... und trug einen Hut, so einen ganz breiten ...« Hahahaha. »... und er kam auf mich zu, und ...« Hahahahaha.

Es war unfassbar. Ich hasste sie irgendwann für ihre aufgesetzte Fröhlichkeit. Ich wollte sie aus meinem Bewusstsein ausblenden, aber es ging nicht. Sie lachte jegliche Schutzbarriere um mein Hirn weg, sie fräste sich in meinen Kopf und verschwand nicht mehr.

Es war alles unmöglich, ich konnte nicht mehr lesen. Ich merkte selbst, wie ich mich in etwa hineinsteigerte. Die junge Frau hatte schließlich ein Recht darauf, so zu lachen. Dass ich mich über sie ärgerte, sagte ja eher etwas über mich aus als über sie.

Aber auch die Selbstkritik half nichts: Sie ging mir auf die Nerven, ununterbrochen und ohne jegliche Pause. Als sie in Kassel endlich ausstieg, schloss ich vor Erleichterung die Augen. Mein Schlaf ging immerhin bis Frankfurt.

01 April 2019

Café der Erinnerung

Ich kam mit meinem Rad aus dem Wald, in dem ich mich schwer verausgabt hatte. Ich war verschwitzt und wusste, dass ich dringend unter eine Dusche wollte. Aber am Straßenrand ließ mich ein Schild langsamer werden. Es wies auf ein neues Café hin, das jemand errichtet hatte. Es sollte nach zwanzig Metern kommen.

Ich war verblüfft. »Ein Café, her?«, murmelte ich. In der Gegend hatte ich in den vergangenen Jahrzehnten nur Schlamm und Dreck, wucherndes Gras und wild in die Höhe strebende Büsche gesehen, Dornenranken und Beeren aller Art wuchsen hier. Oder war das Schild ein verspäteter April-Scherz?

Langsam fuhr ich weiter. Ich wollte es wissen und erst einmal den Platz genauer ansehen, bevor ich den Weg ansteuerte, der zum Haus meiner Eltern führte. Vorsichtig schob ich meine Kappe weit nach hinten, damit ich eine bessere Sicht hatte.

Wie es sich herausstellte, war an der Stelle, wo früher die kleine Feldbahn mit den Loren die Straße überquerte, tatsächlich ein kleines Café errichtet worden. Tische und Stühle gruppierten sich unter einem Zeltdach, die Wände der Anlage bestanden aus Stroh. Allerdings saßen keine Besucher in dem Café, an dem ein großes »Herzlich willkommen!« immerhin ein wenig Werbung machte.

Kopfschüttelnd fuhr ich näher, stellte spontan mein Rad ab und trat näher. Mein Schweiß interessierte mich auf einmal nicht mehr. Hinter der Bar, auf der mir vor allem eine überdimensionale Kaffeemaschine auffiel, stand eine junge Frau, die mir bekannt vorkam. Vielleicht war ich mit ihrer Mutter oder ihrem Vater in die Schule gegangen.

»Nicht viel los hier«, meinte ich, nachdem ich einen Kaffee bestellt hatte.

Sie lächelte, stellte mir das Getränk hin und kassierte mein Geld. »Abends wird das hier voll«, behauptete sie. »Dann sitzen die Leute hier und hören den Gesängen der Kröten zu.«

»Wie früher«, sagte ich und setzte mich hin. Ich blickte über das Gelände, das früher mein Abenteuerspielplatz gewesen war, und erinnerte mich an den infernalischen Lärm, den Tausende von Fröschen und Kröten in mancher Sommernacht veranstaltet hatten.

Ich wollte gerade aus der Tasse trinken, als ich aufwachte.