Ich weiß, es gehört sich nicht, und man sollte einen Kollegen nicht schelten – deshalb hat es auch so lange gedauert, bis ich die Rezension zu diesem Roman geschrieben habe. »Sid Schlebrowskis kurzer Sommer der Anarchie und seine Suche nach dem Glück« wurde 2016 veröffentlicht und ziemlich abgefeiert – in der »taz« erschien etwa ein großer Artikel über das Buch, und allenthalben wurde es gelobt.
Klar, dass ich es mir kaufte. Der Autor ist mir als Herausgeber und Verleger ein Begriff – wenn also Klaus Bittermann in der Edition Tiamat einen Roman veröffentlicht, hat er ihn selbst verlegt. Entsprechend schwach war in diesem Fall sicher die redaktionelle Kontrolle. Das ist echt schade, weil der Roman eigentlich eine starke Grundidee hat. Die vergeigt der Autor allerdings ziemlich.
Bittermann erzählt von Nancy, einem Mädchen aus wohlhabender Familie, das auf Sid trifft, einen jungen Punk. (Spätestens hier erkennt jeder die Anspielungen auf Sid Vicious und seine Freundin Nancy Spungen, eine der frühen Punk-Legenden.) Die beiden werden ein Paar und gehen miteinander auf Tour. Sie streunen in den frühen 80er-Jahren durch Deutschland und Italien, sie beklauen andere Leute und sind ständig auf der Flucht vor der Polizei.
Was für eine großartige Geschichte! Sie basiert auf einem wahren Fall, den es damals wirklich gab, und hätte einen wirklich tollen Roman abgegeben.
Leider macht Bittermann daraus eine sterbenslangweilige Reihung von Episoden, die immer wieder durch belehrende Sequenzen unterbrochen werden. Er erklärt die Zeit, in der die Geschichte stattfindet, und er erklärt Punkrock, er erklärt eigentlich ständig alles. Die Charaktere leben nicht, sie werden beschrieben. Sie stolpern orientierungslos und teilnahmslos durch ihr Leben, bis halt am Ende irgendwie der Roman zu Ende ist.
Wahrscheinlich gilt so etwas als große Literatur: Ein Schriftsteller schreibt über Dinge, von denen er schon irgendwie etwas versteht, formuliert es aber so, dass die Literaturliteratur-Liebhaber sich an komplizierten Formulierungen und umständlichen Beschreibungen erfreuen können.
Was dabei herauskommt, ist ein langweiliger Roman in gespreiztem Deutsch, der leider wenig über den Punkrock am Ende der 70er- und am Anfang der 80er-Jahre erzählt, sondern viel über das Feuilleton von heute. »Sid Schlebrowskis kurzer Sommer der Anarchie und seine Suche nach dem Glück« ist ein Beleg für blutleere und hochstapelnde Literatur, mehr nicht.
(Erschienen ist das Buch in der Edition Tiamat. Meine Sicht der Dinge ist naturgemäß sehr subjektiv. Womöglich empfinden andere Leute das Buch als toll. Viele Journalisten schrieben es ja buchstäblich in den Himmel.)
1 Kommentar:
Wer einige Hintergründe zu »Sid Schlebrowskis kurzer Sommer der Anarchie und seine Suche nach dem Glück« lesen mag, vor allem die Presse-Euphorie, gehe auf die Internet-Seite des Verlages. Hier:
https://edition-tiamat.de/sid-schlebrowskis-kurzer-sommer-der-anarchie-und-seine-suche-nach-dem-glueck/
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