07 September 2020

Auf zur Eden-Bar!

Aus der Serie »Dorfgeschichten«

Bäumler stellte seinen Wagen in einiger Entfernung von dem Hotel ab. »Es muss ja nicht gleich jeder sehen, mit welcher Karre ich ankomme.« Er benutzte das Auto seines Vaters, einem wohlhabenden Rechtsanwalt in unserer Kleinstadt. Gelegentlich war ihm das peinlich, meist aber war er mit dem Geld sehr zufrieden, das er von seinem »Alten« erhielt.

Ich fand Bäumler manchmal ein wenig großkotzig. Er trug vergleichsweise schicke Klamotten, hatte immer genügend Geld in der Tasche und gehörte zur Jungen Union. Warum er sich mit mir abgab, verstand ich nicht. Aber wir waren eine lockere Clique von Schülern, die gern die Schule schwänzten, zu einem Bier in die nahegelegene Kneipe verschwanden oder auch mal in der Pause sehr verschwörerisch gemeinsam eine Flasche Rotwein leerten. Ein Wirtschaftsgymnasium zog eher Leute wie Bäumler an, seltener Leute wie mich.

Wir stiegen aus. Bäumler und ich und zwei andere Typen, die ebenfalls aus dem Umfeld der Jungen Union kamen. Vielleicht fanden sie mich als »linke Zecke« unterhaltsam, ich wusste es nicht. Die meisten linksstehenden Jugendlichen fand ich für Freitagabends-Unternehmungen in unserer Kleinstadt wiederum zu langweilig. Ich saß immer zwischen allen Stühlen.

»Und jetzt?« Ich sah zu der Fassade des Hotels hinüber, die vor uns aufragte. Das »Kurhotel Eden« kannte ich nur von außen, solche Örtlichkeiten betrat ich normalerweise nicht.

»Wir gehen da rein«, sagte Bäumler locker. »Was denn sonst? Wir wollten doch alle noch etwas trinken, und um diese Zeit hat halt fast alles andere zu.«

Er hatte recht. Die einschlägigen Kneipen in unserer Stadt schlossen gegen Mitternacht oder kurz darauf, danach hatten nur noch die Kurhaus-Bar, die Diskothek »Martinique« und irgendwelche Hotel-Bars offen. Bäumler hatte die Idee gehabt, mal ins »Eden« zu gehen. Dort sei die Bar »eigentlich ganz gut« und man konnte dort allerlei Cocktails trinken.

»Okay«, murmelte ich. In Gedanken zählte ich das spärliche Geld, das ich bei mir trug. Für einen Cocktail und ein Bier reichte es, wenngleich knapp. Danach wurde es eh Zeit, dass ich heimging – am nächsten Morgen musste ich an der Tankstelle arbeiten und sollte deshalb früh aufstehen.

Die Tür zur Bar war an der Seite des Hotels; wir betraten das Gebäude also nicht am Haupteingang. Im Foyer des Hotels sah ich zwei Männer im Anzug, die sich angeregt unterhielten, und fühlte mich mit meinen zerschlissenen Klamotten auf einmal völlig »underdressed«. Aber ich hatte Lust auf einen Cocktail und neue Erfahrungen, also gab es keinen Grund, an der Tür umzudrehen.

Wir waren gerade in dem Flur, der zur Bar führte, als uns ein Paar entgegen kam. Der große Mann trug einen Anzug, aber keine Krawatte, seine Haare waren glatt und sauber gescheitelt. Die Frau an seiner Seite war kleiner, trug ein tief ausgeschnittenes Abendkleid und rotgefärbte Locken; beide waren schon weit über dreißig Jahre alt.

»Das ist ja der Klaus!«, rief sie überrascht aus.

Ich erstarrte. Die rothaarige Frau war meine Tante, die jüngste Schwester meiner Mutter. Ich fand sie dumm, sie hielt mich für einen Besserwisser. Bei Familienfeiern redeten wir nur das Notwendigste miteinander.

»Ähm«, sagte ich. »Ja, der bin ich. Guten Abend.«

»Wenn schon so junge Pisser hier reinkommen, ist die Bar wohl bald nichts mehr für uns«, sagte sie. Gemeinsam mit ihrem Begleiter, der mich verwundert musterte und den ich noch nie gesehen hatte, rauschte sie an mir vorüber. Der Geruch nach Zigaretten und Parfüm zog wie eine Schleppe hinter ihr her.

Ich starrte ihr nach. Was sollte das jetzt?

Bäumler stieß mich an. »Was war das denn für eine Schnecke?«

»Meine Tante.«

Er lachte. »Hat sich aber gut gehalten für ihr Alter.«

Ich ging nicht weiter darauf ein, und danach wurde über meine Tante nicht mehr gesprochen. Und zwischen mir und meiner Tante war das unverhoffte Zusammentreffen in der Hotel-Bar auch nie ein Thema.

Bäumler, ich und die anderen tranken in der »Eden-Bar« unsere Cocktails, wir fielen nicht negativ auf, aber es war schnell klar, dass wir nicht in diese Bar passten. Zu viele Frauen in knappen Kleidern, zu viele Männer zwischen Ende dreißig und Anfang sechzig. Da fühlten sich sogar Jungunionisten fehl am Platz.

Aber so war die »Eden-Bar« in meiner Erinnerung immer mit meiner Tante verknüpft.

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