Aus der Serie »Dorfgeschichten«
»Ich hab gesehen, dass es ein neues ›Tom Berry‹-Heft gibt«, berichtete Bubi aufgeregt. Wir saßen an unserem Lieblingsplatz: ein großer Stein am Rand der Lehmgrube, im Niemandsland zwischen der Straße, der Ziegelei und unseren Wohnhäusern gelegen, umgeben von Brombeerhecken, die sich hinter uns in die Höhe rankten.
Ich sah ihn an. »Und?«, fragte ich.
Wir mochten beide die Abenteuer von Tom Berry, dem fröhlichen Cowboy, und seinen Freunden. Ich konnte sie bereits lesen, Bubi freute sich vor allem über die Bilder.
»Na ja.« Er hob die Schultern. »Ich hätte das neue Heft gern, aber ich habe kein Geld.«
»Ich auch nicht.«
Bubi erhielt ein geringes Taschengeld, das er vor allem in Kaugummi investierte, die er aus dem Automaten an der Hauptstraße holte. Für mich gab es kein Taschengeld, weil meine Eltern der Ansicht waren, dass ich alles, was ich bräuchte, schließlich von ihnen bekäme.
Nachdenklich saßen wir nebeneinander. Unser Blick schweifte über die Wiese vor uns, zur schmalen Straße hin, die unser Dorf mit dem Nachbardorf verband, zu den Wiesen, die hinüber zum Friedhof und hoch zur Schreinerei führten. Der Duft von frischen Blüten hing in der Luft, vor uns flogen einige Bienen.
»Wir könnten Blumen sammeln und verkaufen«, sagte Bubi auf einmal. »Dann hätten wir Geld und könnten uns das neue Heft leisten.«
Bubi hatte immer die besten Ideen. Ich war beeindruckt und willigte sofort in seinen Plan ein.
Während wir loszogen und auf der Wiese sowie an den umliegenden Büschen langstielige Blumen und einige Zweige mit Blüten sammelten, überlegten wir bereits, wo ein guter Ort wäre, um Geschäfte zu tätigen.
Eine Stunde später standen wir vor dem Evangelischen Gemeindehaus. Der Neubau strahlte in der Sonne. Einige Frauen kamen die Treppe herunter, Bubi hatte sich rechtzeitig daran erinnert, dass sich die Damen des Landfrauenverbandes an diesem Tag immer nachmittags dort trafen.
Wir waren mutig und hatten jeder zwei Sträuße in der Hand. »Möchten Sie Blumen kaufen?«, fragten wir die Damen.
Keine hatte so richtig Interesse. Die meisten beachteten uns nicht einmal, sondern eilten blicklos an uns vorüber.
Dann aber blieb eine Frau vor mir stehen. Sie war riesig, sicher einen Kopf größer als meine Mutter, und trug ein elegantes Kostüm. Sie musterte mich von oben herab.
»Was wollt ihr denn mit dem Geld machen?«, fragte sie.
»Wir wollen uns das neue ›Tom Berry‹-Heft kaufen«, platzte ich heraus.
Bubi stand schräg von mir und verdrehte die Augen. Sein warnender Blick kam zu spät.
»So so«, sagte die Frau, deren Name mir nicht einfallen wollte. Sie ging nicht zu uns in die Gemeinde, aber ich sah sie oft genug im Dorf. Meine Mutter grüßte sie immer respektvoll. »Für so einen Schund habt ihr also die schönen Blumen abgerissen.«
Ich war wie erstarrt. Die Blumen fand sie immerhin schön, das freute mich. Aber wieso »abgerissen«? Der Strauß sah doch klasse aus.
Die Frau beugte sich zu mir herab. »Wissen eure Eltern eigentlich, was ihr beiden hier treibt?«
Das war das Signal für Bubi und mich. Wir verzogen uns ohne ein Wort des Grußes. Hinter dem Neubau des Kindergartens warfen wir die Blumen in ein Gebüsch, dann zogen wir weiter. Am Talweg setzten wir uns an den Bach und sahen den Fischen zu.
Am Abend wusste meine Mutter bereits Bescheid. Ich bekam eine Standpauke und von meinem Vater noch »eine hinter die Löffel«. Wie bei Bubi unsere Geschäftsidee ausging, erfuhr ich nie.
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