Die Emopunk-Band, die im CD-Player meines Autos lief, langweilte mich. Also schaltete ich aufs Radio um, es würden eh bald die Nachrichten kommen. Aus dem Lautsprecher drangen bekannte Töne: der Anfang von »Night Fever« von den Bee Gees.
Früher hätte ich entsetzt ausgemacht oder wäre freiwillig zu dem langweiligen Emopunk zurückgegangen. Doch jetzt saß ich im Auto, ein Lächeln stahl sich in mein Gesicht, und ich freute mich auf die Melodie des altbekannten Stückes. Und dann fragte ich mich, warum es mir in diesem Augenblick so ging.
Vielleicht war es einfach eine Sache des Alters. Das Stück entstammte meiner Jugend, und es erinnerte mich an die Zeiten, in denen es bei Klassenfeiern und in Schul-Discos lief. Damals hasste ich es inbrünstig, und nun entsann ich mich eben meiner jugendlichen Unschuld.
Oder ich hatte einfach mittlerweile eingesehen, dass das Stück zwar nie mein Lieblingslied war, aber ich mittlerweile sehen konnte, dass es eine flotte Melodie hatte, die gut ins Ohr ging und die man schlecht wieder herausbekam. Sogar die Stimmen fand ich auf einmal nicht mehr so schlimm.
Vielleicht bin ich aber im positiven Sinn älter geworden. Früher musste ich mich – so dachte ich zumindest als Junge vom Dorf – von dem »schwulen Gesinge« distanzieren. Als Junge vom Dorf hatte man Hardrock oder Metal zu hören, das war Musik für Männer. Mit meinem Punkrock war ich zwar ein Sonderling, aber das wurde wohl irgendwie als Musik für Männer akzeptiert. So etwas wie die Bee Gees mit ihren hohen Stimmen ging einfach nicht, das fand man »schwul«.
Das ist mehr als vierzig Jahre her. Ich bin hoffentlich an einigen Punkten weiter als damals. Damals wollte ich – wie die meisten anderen auch – in meiner Identität schon so klar wie möglich sein. Zwar fanden die meisten meinen Musikgeschmack und die Tatsache, dass ich ohne Ende Science Fiction las, sehr merkwürdig – aber niemand hielt mich für sexuell abseitig. Ich interessierte mich für Mädels, ich klopfte die gleichen blöden Sprüche wie alle anderen, ich trank viel zu viel Bier und fand mich toll, wenn ich besoffen war – alles Dinge, die »Männer« eben so machten.
Und heute überlege ich mir ernsthaft: Fand ich Musik in der Art der Bee Gees vielleicht einfach nur deshalb so schrecklich, weil ich sie »weibisch« fand? War das gar keine Frage von Musikgeschmack, sondern von geschlechtlicher Identität?
Im Radio kam danach übrigens irgendwas von Chris Rea. Ich schaltete dann bereitwillig zum langweiligen Emopunk auf CD um.
1 Kommentar:
Wer übrigens nicht mehr weiß, wie das Stück »Night Fever« von den BEE GEES klingt oder es endlich einmal wieder hören mag, kann hier bei YouTube auch wunderbare optische Eindrücke vermittelt bekommen:
https://www.youtube.com/watch?v=SkypZuY6ZvA
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