Ich sitze am Bahnhof und warte auf den Anschlusszug; neben mir sitzt eine ältere Frau, geschätzte 75 und recht gut gekleidet. Ich lese, sie guckt, wir ignorieren uns; wie man das eben so macht. Ein Bettler kommt, spricht uns an; bevor ich reagieren kann, sagt sie deutlich »Nä!«, und er geht weiter, wobei er sich mehrfach entschuldigt.
»Das ist schlimm heute«, beginnt die alte Frau, ohne mich anzusehen, meint aber eindeutig mich. »All diese Bettler. Und es sind alles junge Leute. Die könnten doch arbeiten gehen, dann müssten sie nicht betteln.«
Ich sage nichts, konzentriere mich lieber auf mein Manuskript, weil ich das bis zum Ende der Reise gelesen haben möchte. Aber ich kann sie nicht ausblenden.
»Wir haben früher auch gearbeitet, dann können die doch heute ebenfalls arbeiten.« Sie mault und zetert weiter. »Wir kriegen unsere Rente doch auch nicht geschenkt.«
Kurz sehe ich auf und murre ein »na ja«, überlege mir eine ausführliche Replik und lasse es. Natürlich kriegen die Rentner von heute die Rente »geschenkt«. Die Rente von heute wird von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt; was die Rentner von heute irgendwann »einbezahlt« haben, ist längst verbraucht. Und wenn ich mal Rentner sein sollte, hoffe ich darauf, dass mir jemand meine Rente »schenkt«.
Aber ich erspare mir diese Antwort, ich will keine Diskussion, mein Manuskript ist mir wichtig. Und gleichzeitig fühle ich mich ignorant. Manche Diskussionen will ich aber einfach nicht mehr führen.
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