28 Juli 2021

Packender Roman über die Autonomen und ihre Geschichte

Steine prasselten auf anstürmende Polizisten herab, Barrikaden wurden errichtet, Brandsätze flammten auf – es herrschte Krieg in Westberlin. In den 80er- und frühen 90er-Jahren kam es häufig zu massiven Auseinandersetzungen zwischen den Autonomen und ihren Verbündeten auf der einen sowie der Staatsmacht auf der anderen Seite. Davon erzählt der Roman »Begrabt mein Herz am Heinrichplatz«, den Sebastian Lotzer verfasst hat.

Es mangelt nicht an Büchern über die sogenannten Autonomen und ihre Geschichte. Sie sind entweder wissenschaftlich orientiert, oder sie werden von »außen« oder gar von »oben herab« erzählt. Irgendwelche Literaten schreiben also über die Autonomen und versuchen, sich einigermaßen in deren Gedankenwelt hineinzuarbeiten.

Sebastian Lotzer weiß offenbar, wovon er spricht: Sein Roman ist bei allen handwerklichen Mängeln unterhaltsam und mitreißend, zeigt letztlich eine Geschichtsschreibung von 1980 bis in die Mitte der 90er-Jahre – Geschichte »von unten« eben, nicht aus der Sicht der Mächtigen. Das macht er klar und ohne Umschweife: Paul, sein Held, geht als Schüler im Jahr 1980 auf die ersten Demonstrationen, ist bei den Hausbesetzungen in den 80er-Jahren dabei und nimmt an praktisch jeder Straßenschlacht des Jahrzehnts teil.

Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Paul redet nur von »Bullen«, das System ist immer der Gegner. Seine Abneigung gilt aber auch den »Spaltern« in der eigenen Szene und den Leuten, die unbedingt verhandeln wollen. Sein Hass trägt ihn durch ein Jahrzehnt, nicht einmal eine Liebesgeschichte kann ihn vom Kampf gegen die Staatsmacht abbringen. Das Buch endet im Jahr 2008, der Held ist alt geworden, lehnt aber immer noch das herrschende System ab.

Handwerklich ist das alles andere als elegant erzählt. Die Zeitenfolge ist manchmal verwirrend, die Sprünge durch die einzelnen Szenen nicht immer nachvollziehbar; rein grammatikalisch wimmelt es von Fehlern. Mich störte das im Lesefluss zeitweise sehr, da liest bei mir eben doch der Redakteur mit – aber es gab immer wieder Passagen, da machte mir das nichts aus, da folgte ich voller Interesse den Abenteuern des autonomen Helden und seiner Freude.

Spannend ist das Ganze nämlich schon. Die erbitterten Kämpfe zwischen Autonomen und Polizisten werden lebensecht und ohne jegliche Verharmlosung geschildert. Man riecht förmlich das Tränengas, das durch die Straßen wabert, man hört fast die Sirenen und spürt die Hiebe der Knüppel und die treffenden Steine. Lotzer schildert derart packend, dass ich mitfieberte.

Allerdings: Man muss einigermaßen verstehen, was zu welcher Zeit eigentlich abging, sonst bleiben einem viele Szenen unklar. Wer nicht weiß, um was es beim Reagan-Besuch ging, oder noch nie von der Rigaer Straße gehört hat, wird nicht kapieren, warum es bei welchen Gelegenheiten zu harten Auseinandersetzungen kam. Ähnliches gilt für Personen oder Daten – der 1. Mai '87 war ein Fanal, von dem jüngere Leute kaum noch wissen dürften. (Gut ist, dass der Verlag eine umfangreiche Liste veröffentlicht hat, wo man mithilfe von Links den einzelnen Kapiteln des Buches nachspüren kann.)

Bei allen handwerklichen Schwächen halte ich »Begrabt mein Herz am Heinrichplatz« für einen wichtigen Roman. Wer sich für die Geschichte der Autonomen interessiert oder wissen möchte, warum manche Leute in früheren Jahrzehnten militant unterwegs waren, wird hier hoffentlich viele Erkenntnisse sammeln.

Erschienen ist der Roman als Paperback im Bahoe Verlag; er umfasst 176 Seiten und kostet 14,00 Euro. Man kann ihn überall im Buchhandel bestellen, die ISBN 978-3-903022-62-1 kann dabei hilfreich sein. Und wer mehr wissen will, schaue sich die Seite des Verlages an.

1 Kommentar:

Enpunkt hat gesagt…

Weitere Informationen über den Roman »Begrabt mein Herz am Heinrichplatz« gibt es auf der Internet-Seite des Verlages:
http://www.bahoebooks.net/start_de.php?action=201&id=60

Wer etwas über die Hintergründe wissen möchte, um die es in »Begrabt mein Herz am Heinrichplatz« geht, sollte sich die entsprechende Seite ansehen – dort gibt es zahlreiche Links zu Dokumenten, auch zu Filmen:
http://heinrichplatz.bahoebooks.net/

Bestellen kann man »Begrabt mein Herz am Heinrichplatz« überall im Buchhandel, aber ebenso bei Versandhändlern wie meinem allerliebsten Online-Shop:
https://perry-rhodan.net/shop/item/9783903022621/begrabt-mein-herz-am-heinrichplatz-von-sebastian-lotzer-englische-broschur