Wie immer im Sommer, wenn es warm ist und ich die Laune dazu habe, sitze ich auf dem Balkon. Ich spanne den Sonnenschirm auf, stelle mir etwas Kühles dazu und tu' die Dinge, die ich dringend erledigen muss: Ich lese Manuskripte und Zeitung, oder ich schreibe allerlei Texte. Manchmal höre ich dazu Musik, meist aber lasse ich die Geräusche der Nachbarschaft auf mich wirken.
Vor etwa zehn Jahren gab sich ein Junge, vielleicht acht Jahre alt, redlich Mühe, mich mit seinen Geräuschen zu euphorisieren. Er hieß Johannes, so viel hatte ich herausbekommen, und er liebte ein ganz bestimmtes Spiel.
Das Spiel war vergleichsweise einfach: Er rannte durch den Garten, hin und her und auf und ab, mal mit einer Spielzeugpistole bewaffnet, mal mit einem kleinen Ast in der Hand. Und mit einer Energie, die nur Kinder aufbringen, schrie er »Ich bin der Räuber Hotzenplotz!« und das mindestens ein Dutzend Mal hintereinander.
Gelegentlich hielt er inne, weil er trinken musste. Dann rannte er wieder los. »Ich bin der Räuber Hotzenplotz!«, schrie er und fuchtelte mit seiner Waffe in der Luft herum. »Ich bin der Räuber Hotzenplotz!«
Anfangs ging er mir ein wenig auf die Nerven, bald aber gewöhnte ich mich an ihn und blendete ihn aus. Weder den kleinen Johannes noch seinen Räuber Hotzenplotz hörte ich mehr. Irgendwelche Geschichten von Raumfahrern auf fremden Welten waren dann doch eingängiger.
Irgendwann zog die Familie weg. Die Kinder, die heute im Haus wohnen, sind pflegeleichter. Sie spielen ab und zu im Garten, sie schreien und kreischen, aber das ist eher abwechslungsreich. Den Räuber Hotzenplotz vermisse ich fast.
Gelegentlich denke ich an den Johannes. Der dürfte jetzt 18 oder gar 20 Jahre alt sein und sich nicht mehr daran erinnern. Oder er hat längst den ehrbaren Beruf eines Räubers ergriffen und eifert dem Herrn Hotzenplotz auch im realen Leben nach ...
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