Vom »Ulcus Molle Info« hörte ich erstmals in den späten 70er-Jahren. Das sei so eine Zeitschrift, in der es um sogennante Underground-Literatur ginge, wurde mir erzählt. In linken Science-Fiction-Fanzines fand ich erste Hinweise auf das Blatt, und irgendwann zu Beginn der 80er-Jahre abonnierte ich das Blatt.
Seine große Zeit hatte es damals schon hinter sich. Das »Ulcus Molle Info« war in den 70er-Jahren durchaus wichtig – wer damals Literatur aus kleinen Verlagen lesen wollte, war auf diese Zeitschrift angewiesen. In den 80er-Jahren konnte man die Bücher aus kleinen Verlagen bereits im regulären Buchhandel bestellen.
Ich fand das Heft trotzdem toll. Es hatt einen anarchistischen Charme, jede Seite hatte ihr eigenes Layout. Manche Seiten sahen aus, als seien sie von einem pofessionellen Grafiker gestaltet worden, andere wirkten so, als hätten drei Schüler ihre erste Zeitung gebastelt. Ich mochte das Durcheinander, weil es für Abwechlung stand.
Vor allem aber lieferte das Blatt mir Gedanken, auf die ich nicht selbst gekommen wäre und die mir weder in der Schule noch im Elternhaus vermittelt wurden. Die Ausgabe 100, die im Sommer 1985 erschien, ist hierfür ein gutes Beispiel – im Prinzip war das »Ulcus Molle Info« eben ein Fanzine, aber eines für Literatur-Interessierte im weitesten Sinn.
Herausgeber war Josef Wintjes, von allen nur »Biby« genannt, ein eifrig rauchender Mann mit kräftigem Schnauzer, den ich ein einziges Mal im Rahmen einer Minipressen-Messe in Mainz kennenlernen sollte und der Mitte der 90er-Jahre starb. Er hatte seinen eigenen Blick auf manche Dinge, glaubte immer noch an die Alternativ-Szene, die aber bereits in den 80er-Jahren zerrieben erschien: Die erfolgreichen Autoren wechselten in die großen Verlage, die Kleinverlage lösten sich teilweise auf.
Wintjes schrieb in der Nummer hundert mehrfach darüber, dass er sein Konzept ändern müsse. Ihm war klar, dass er sich anders positionieren musste, wollte er mit seinem Buch- und Zeitschriftenvertrieb überleben. (In der Folge brachte er neue Zeitschriften heraus und versuchte sich an Anthologien.) Zwischen Buch- und Zeitschriftenbesprechungen, zwischen dem Angebot seines Versandhandels und zahlreichen Kleinanzeigen gibt es längere Texte, in denen Wintjes auf die Vergangenheit zurückblickt.
Die Nummer 100 des »Ulcus Molle Infos« wirkt heute wie ein Abgesang auf die 70er-Jahre, die damals schon lange vorüber waren. Die einzelnen Seiten – teilweise wild gestaltet, teilweise durchaus künstlerisch – vermitteln aber immer noch den Eindruck einer brodelnden Szene. Irgendwie schade, dass es so etwas nicht mehr gibt ...
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