Von dem Roman »Das Kindermädchen« hatte ich mehrfach gehört, aber ich las ihn bislang nie. Da kam mir die Gelegenheit gerade recht, bei einer langen Autofahrt das Hörbuch in den CD-Player zu stecken und der Stimme von Roeland Wiesnekker zu lauschen. Ich kann mir danach die Geschichte nicht mehr ohne diese Stimme vorstellen – auch wenn es eine gekürzte Lesung ist, fesselte mich der Roman sehr.
Der Prolog spielt im Zweiten Weltkrieg; während eines Bombenangriffs versucht ein Kindermädchen einen Jungen zu beschützen. Die beiden jungen Leute verstecken sich im Keller, sie überleben letztlich. Dann erst wechselt die Handlung in die Gegenwart. (Und ganz ehrlich: Der Prolog wäre eigentlich nicht nötig. Die Geschichte erklärt sich ja auch so.)
Hauptfigur des Romans und des Hörbuches ist ein Rechtsanwalt namens Joachim Vernau; seine Lebensgefährtin entstammt einer wohlhabenden Familie und macht in der Politik eine steile Karriere. Als eine alte Frau aus der Ukraine auftaucht und davon spricht, dass die Familie während des Zweiten Weltkriegs eine Zwangsarbeiterin beschäftigt hat, kommt ein Stein ins Rollen, der alles verändert: Vernaus Leben, die Karriere seiner Lebensgefährtin, die gesamte Familie.
Es geht um Kunstschätze, die während der Nazizeit enteignet und verkauft worden sind, um Schuld und Sühne aus dem Zweiten Weltkrieg, um die langen Schatten der Vergangenheit und die Versuche, den heutigen Wohlstand mit allen Mitteln zu verteidigen. Dabei schrecken manche Leute eben auch nicht vor Mord zurück ...
Spannend ist das Hörbuch immer dann, wenn die gesellschaftlichen Abgründe klarer werden. Auch reiche Rechtsanwälte haben oft eine heikle Vergangenheit, und die kann tief im Dritten Reich wurzeln. Das wird hierzulande gern verdrängt, und in diesem Hörbuch – und dem Roman – wird das in spannender Form aufgegriffen.
Elisabeth Herrmann erzählt ihre Geschichte in einem meist unaufgeregten Ton. Das macht sie umso spannender. Wenn am Ende auch noch Action-Sequenzen kommen, wirken diese fast ein wenig aufgesetzt. Der Autorin gelingt es, ein durchaus komplexes Thema deutscher Geschichte in einer Art und Weise zu behandeln, die ich für glaubhaft und gelungen halte: Der mahnend erhobene Zeigefinger fehlt, der Leser (oder Hörer) kann selbst seine Schlussfolgerungen ziehen.
(Übrigens merkte ich erst hinterher, dass es sich bei diesem Roman um den ersten Teil einer Serie handelt, die mittlerweile fünf Bände umfasst. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die wirklich lesen möchte. Eigentlich ist die Figur des Rechtsanwalts mit dem ersten Roman doch schon auserzählt.)
Ich kenne nicht den Roman, ich kenne jetzt nur das Hörbuch. Der Sprecher hat mich überzeugt, die Geschichte ist hervorragend. Mit »Das Kindermädchen« hatte ich ein Hörbuch-Erlebnis, das sicher länger nachwirkt, als wenn ich »einfach nur« den Roman gelesen hätte. Klasse!
Erschienen ist das Hörbuch als 6er-CD-Box bei Random House Audio. Man kann es natürlich auch im Download erhalten, sicher ebenso bei Streaming-Plattformen. Ich empfehle, es mal anzutesten!
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