Die Szenerie, die sich mir bot, war ungewöhnlich, also hielt ich an: Zwei Autos hielten auf einer Kreuzung zwischen den Weinbergen, und zwar so platziert, dass sie sich schräg gegenüberstanden. Wie zwei Gegner, die sich belauerten.
Ich war mit meinem Rad in der Pfalz unterwegs, zwischen zwei Dörfern, die ich nicht kannte, und in einer Gegend voll sanfter Hügel und kleiner Straßen. Auf diesen Sträßchen kam ich mit dem Rad gut voran und sah viel von der Landschaft, mich überholten nur selten Autos.
Neben einem der Autos lag ein Mann auf dem Boden. Er hatte ein Gebilde auf der Schulter, das ich zuerst für eine Kamera, dann für ein Gewehr hielt. Es sah aber weder wie eine Kamera noch wie eine Schusswaffe aus: ein dreieckiges Rohr, das gut eineinhalb Meter lang war und in einem schmutzigen Grau schimmerte. Der Mann trug Tarnkleidung und ein dunkelgrünes Barett auf dem Kopf.
Er zielte mit dem Rohr auf das andere Auto. Erst da erkannte ich, dass hinter der Frontscheibe jemand zu sehen war. Dort saß eine Person, und es sah so aus, als belauere sie der Mann.
War ich etwa auf ein Attentat gestoßen, auf einen Kampf, auf eine filmreife Szenerie? Ich überlegte, ob ich das Smartphone in meiner Tasche zücken und die Polizei rufen sollte. Aber das wäre sinnlos gewesen. Bis die Polizei in diese entlegene Gegend kam, war alles vorbei. Was immer auch »alles« bedeuten mochte.
Die Tür des anderen Autos öffnete sich, eine junge Frau stieg aus. Sie trug eine knallrote Hose und eine weiße Bluse, dazu beigefarbene Turnschuhe. Ihre langen schwarzen Haare wehten in einem Wind, der auf einmal aufkam. Sie hatte ein seltsames Gesicht, und ich brauchte einige Augenblicke, um zu erkennen, was mich störte: Sie hatte sich das Kinn und die Mundpartie bunt angemalt, wie die dicke Schminke eines Clowns. An was erinnerte mich das bloß?
Sie begann sich zu bewegen. In gleitenden Bewegungen ließ sie die Arme kreisen, langsam tänzelten ihre Füße auf der Stelle. Es sah elegant aus, geschmeidig und gleichzeitig so, als wollte sie sich gleich im Wind auflösen.
Das Gesicht der jungen Frau verzog sich, die grell angemalte Stelle am Kinn und um die Mundpartie leuchtete in der Sonne auf. Da erkannte ich, was sie im Gesicht hatte: Sie hatte sich so geschminkt, dass sie an eine Katze erinnerte, nicht auf den ersten Blick zu erkennen, aber sie war mehr Katze als Mensch.
Damit wirkten auch die Tänzeleien anders: wie bei einer Katze vielleicht, die sich im Kreis drehte oder die lauernd auf einer Wiese saß, vor einem Mauseloch, und darauf wartete, dass ein Tier herauskam, das sie fangen konnte.
Der Mann mit dem Rohr erhob sich und trat auf die Kreuzung, wo noch immer die junge Frau tanzte. Die beiden standen sich gegenüber, keine fünf Meter voneinander entfernt. Er ließ sein Rohr fallen, sie stellte ihren Tanz ein.
Und ich wachte auf.
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