21 Oktober 2020

Wie waren die frühen 90er-Jahre eigentlich?

Gelegentlich wundern sich Menschen darüber, woher der Ausländerhass und die Brutalität in gewissen Gegenden unseres Landes kommen. Diese sollten sich das Buch »Wendejugend« der beiden Journalisten Klaus Farin und Eberhard Seidel besorgen und sehr gründlich lesen – es könnte ihnen die Augen öffnen.

Jüngere Leute wissen es nicht, viele der älteren haben es damals nicht mitbekommen oder verdrängt: Zu Beginn der 90er-Jahre tobte eine Welle rechtsradikaler Gewalt durch die Bundesrepublik Deutschland, nicht nur in den »fünf neuen Ländern«, sondern ebenso im Westen, im Norden und Süden des Landes. Ausländerheime wurden angegriffen, Menschen verprügelt, es kam zu Dutzenden von Toten. Die meisten Täter wurden sehr milde bestraft, viele gingen straffrei aus.

Was sie lernten, war aber: Wenn sie brachiale Gewalt gegen alles ausüben, was sie als »Volksschädlinge« betrachten, wenn sie also Ausländer, Schwule, Obdachlose, Punks oder Gothic-Jugendliche angreifen und töten, kann ihnen unterm Strich nicht so viel passieren. Im Zweifelsfall werden Polizei, Medien und »das Volk« eher zu ihnen als zur Antifa halten. Die Täter waren damals zwischen 15 und 25 Jahren alt – heute handelt es sich um erwachsene Menschen, die in manchen Regionen des Landes wichtige Positionen einnehmen.

Die Interviews und Reportagen, die in dem Buch »Wendejugend« veröffentlicht worden sind, entstanden größtenteils in der Zeit anfangs der 90er-Jahre. Die beiden Journalisten reisten damals durch die Republik und sprachen direkt mit Jugendlichen. Sie bewerteten nicht, sondern sie ließen sie zu Wort kommen. Ihr Ziel war nicht, den jungen Leuten einen Spiegel vorzuhalten, sondern sie wollten wissen, wie die Jugendlichen denken.

Was dabei herauskommt, ist teilweise erschreckend. Manche Jugendliche äußern offenkundigen Rassismus oder Frauenverachtung, der Kampf auf der Straße wird als völlig normal betrachtet. Bei manchem Interview muss man auch heute noch schlucken; wer sehr sensibel ist, könnte dadurch sogar verstört werden. Eine wichtige Lektüre für alle Menschen, die mehr über das Thema rechtsradikaler Gewalt wissen wollen, und auch für solche, die glauben, es handle sich um Einzeltäterfälle …

»Wendejugend« und seine 14 Interviews ist absolut lesenswert. Das Buch ersetzt keine Analyse, möchte es auch gar nicht, sondern stellt Personen vor. Die Rückschlüsse aus den Interviews kann jede lesende Person selbst ziehen. Ich fand es spannend und möchte es unbedingt empfehlen.

Erschienen ist das Sachbuch als 164 Seiten starker Hardcover-Band im Hirnkost-Verlag; es kostet 18,00 Euro. Mithilfe der ISBN 978-3-947380-35-0 kann man es in jeder Buchhandlung bestellen – auch direkt im Shop des Hirnkost-Verlages.

1 Kommentar:

Christina hat gesagt…

In dem Zusammenhang auch lesenswert »Die anderen Leben« aus dem Bebraverlag. In einem Kapitel geht es um eine Mutter und ihre Söhne, die Reichsbürger sind. Erschreckend aber aufschlussreich.

Ich habe das Buch in meinem Blog besprochen.
https://www.christina-hacker.de/2020/08/generationengespraeche-ost/