14 September 2013

Jugend im April und Mai 1945


Wenn ich Bücher oder Berichte über den Zweiten Weltkrieg lese, hat das einen biografischen Hintergrund: Ich versuche immer noch zu verstehen, was meine Eltern bewegt, mitgerissen und erschüttert hat, den Vater als jungen Soldaten an der Ostfront, die Mutter als Mädchen im Bombenkrieg. Das Buch »Totentanz Berlin« ist trotz des plakativen Titels ein besonders eindrucksvolles Werk über die letzten Kriegstage.

Es basiert auf den Tagebüchern eines Jugendlichen, der im März 1945 zum Wehrdienst eingezogen wird, gerade mal zwei Tage nach seinem siebzehnten Geburtstag. Helmut Altner wird an die Ostfront versetzt, die zu dem Zeitpunkt in Straßenbahn-Entfernung von seinem Wohnort entfernt liegt, wo er zuerst den Zusammenbruch der deutschen Front an der Oder miterleben muss.

Mit seinen Kameraden marschiert er zurück nach Berlin, er wird im »Endkampf« gegen die russischen Truppen eingesetzt. Er ist auch beim Ausbruch aus dem Kessel dabei, als die letzten deutschen Kampfeinheiten versuchen, nach Westen durchzubrechen. Irgendwo zwischen Berlin und der amerikanischen Front gerät er in russische Gefangenschaft.

Das Buch basiert auf den Tagebuchnotizen des damaligen Jugendlichen; sie erschienen nach dem Krieg in einer kleinen Auflage und gerieten dann in Vergessenheit. Der Autor, der sich eine Existenz in Paris aufgebaut hat, erarbeitete 2009 mit einem Journalisten die Neuausgabe, die im Berlin Story Verlag erschienen ist.

Um es kurz zu machen: Auch wenn »Totentanz Berlin« streckenweise in der vergleichsweise nüchternen Sprache eines Tagebuches geschrieben ist, stellt es doch einen unglaublich spannenden Bericht über die letzten Wochen des Krieges dar. Altners Beschreibungen sind eine Abfolge sinnloser Märsche durch irgendwelche Dörfer, erbitterter Schießereien in U-Bahn-Schächten, verzweifelter Versuche, sich mit Alkohol zu betäuben, und immer wieder Bergen von Leichen.

Besonders eindrucksvoll wird das Buch dann, wenn es in lakonischen Worten die Sinnlosigkeit des Krieges darstellt. Die durch die brandenburgischen Dörfer irrenden Truppen müssen manchmal die Einheimischen fragen, ob die russischen Soldaten schon da waren, und werden von diesen weggeschickt. Oder als der junge Soldat eine Gruppe von 15-jährigen Hitlerjungen sieht und sich gegenüber diesen bereits wie ein alter Frontkämpfer fühlt – die Vorstellung ist für heutige Leser verwirrend.

Nach der Lektüre von »Totentanz Berlin« war ich nicht unbedingt schlauer, wenngleich sich mein Bild erweitert hat. Die historischen Fakten sind bekannt – und werden bei der Lektüre des Buches weitestgehend vorausgesetzt –, ich habe sie aber noch nie so gelesen. Und von meinem Vater habe ich sie in solcher Form nie gehört.

Ich bin sicher, dass ich dieses beklemmende Buch noch einmal lesen werde. Beeindruckend!

2 Kommentare:

Frank Böhmert hat gesagt…

Oh, cool, das ist neu aufgelegt worden? Ich bin kürzlich in einem Sachbuch darüber gestolpert, für das es als Quelle benutzt wurde, mit der Ausgabe von 1947 eben ...

Anonym hat gesagt…

Guter Tip. Und bestellt.