21 September 2013

Das Paradies beim Friseur

Mein Vater arbeitete als Elektriker und war oft auf Baustellen unterwegs; gegenüber der Firma, für die er unterwegs war, gab es einen Friseurladen. Praktischerweise ließen sich die Arbeiter dort ihre Haare schneiden, ebenso praktischerweise ging meine Mutter dorthin. Und weil es schon so schön praktisch war, musste ich mir dort ebenfalls die Haare schneiden lassen.

Manchmal parkte man mich dort geradezu. Mein Vater war noch auf der Baustelle, meine Mutter ging einkaufen, und bevor sie das erledigte – wir fuhren an solchen Tagen mit dem Bus oder mit dem Auto von Bekannten vom Dorf in die Stadt –, wurde ich beim Friseur abgesetzt. Dort saß ich dann stundenlang und las.

Ich war noch in der Grundschule, und beim Friseur lag das Paradies für mich: Er hatte zahlreiche »Sigurd«- und »Tibor«-Comics, vor allem »Tibor«-Ausgaben aus den sechziger Jahren, sowohl in Piccolo- als auch in Großband-Form. Ich las mit Begeisterung, stundenlang wühlte ich mich durch die Hefte, teilweise in der richtigen Reihenfolge, teilweise völlig willkürlich.

Es war ja egal, denn in jedem Heft geschahen ungeheuerliche Dinge. Rache und Liebe, Kampf und Verfolgung, ritterliche Ehre und Dschungelkriege – das alles wurde in unglaublichen Bildern für mich präsentiert. Heute sieht man solche Comics ja durchaus kritisch, damals waren sie für mich ein pures Paradies, eine Verlockung, in das große Abenteuer einzusteigen.

Der Friseur bot irgendwann mal an, »dem Buben« alle Comics zu schenken. Das wollten dann meine Eltern nicht. Und so flog die riesige Sammlung wahrscheinlich eines Tages auf den Müll. Meine Lese-Träume aus dieser Zeit aber sollten mich mein Leben lang begleiten ...

1 Kommentar:

Olaf Brill hat gesagt…

Mensch Klaus, da werden auch bei mir uralte Erinnerungen wach. Mein Onkel besaß einen Friseursalon, da wurde auch ich als Kind gelegentlich mal »geparkt« und hatte wohl meinen ersten Kontakt mit Comicheften. Am besten fand ich so einen jamesbondigen Actiontypen, der schnelle Autos fuhr, aus Flugzeugen sprang und auch Dschungel- und Zeitreiseabenteuer erlebte. Die Bilder blieben irgendwie immer in meinem Kopf.

Witzigerweise wurde ich erst vor Kurzem darauf aufmerksam, um welchen Comic es sich gehandelt haben muss, ausgerechnet als ich etwas für »Perry Rhodan« recherchierte (PRR 469-2720). Da las ich Knigges prächtiges Buch über Hansrudi Wäscher, und da waren sie: die Bilder aus meiner Kindheit! Mein damaliger Held war demnach, nein, nicht »Nick, der Weltraumfahrer«, sondern Stuntman »Roy Stark« in Wäschers gleichnamiger letzter »Großband«-Serie für den Lehning-Verlag.

Vielleicht besorge ich mir nun mal einige der alten Hefte. Ob sie mich wohl immer noch faszinieren oder eher enttäuschen?