05 Oktober 2010

Mal mit etwas Abstand

Nachdem die erste Welle der Wut und Empörung abgeflaut ist, die sich wegen der Polizei-Eskalation in Stuttgart aufgebaut hat, und nachdem sich auch die Polizei zu den Vorwürfen geäußert hat, das sei doch alles ganz harmlos gewesen, komme ich um die Ecke: Ja, das war ganz harmlos. Wenn man sich diese Videos anschaut, die da in Stuttgart gedreht wurden, sieht man Polizisten, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten geradezu normal benehmen.

Wer in den 80er und 90er Jahren und auch danach auf Demonstrationen war, weiß, wie die Polizei sich sonst gern aufführt. Ich habe nicht nur einmal gesehen, wie Polizisten zu zweit oder zu dritt Jugendliche zusammengeknüppelt haben, wie bis an die Zähne bewaffnete Polizisten mit Pflastersteinen warfen, wie Polizisten ihren »Gegnern« ins Gesicht, in den Unterleib und sonstwohin schlugen. Und ich habe nicht nur einmal einen Polizeiknüppel abgekriegt, bloß weil ich von meinem Grundrecht Gebrauch gemacht habe.

Der einzelne Polizist ist im Normalfall ein normaler Mensch, der – so nehme ich an – seine Ruhe will und einfach keine Lust hat, sich auf Demonstrationen beleidigen zu lassen oder bei Fußballspielen den Prellbock zu spielen. Wenn's dann mal kracht, entlädt sich bei einem solchen Menschen auch mal der Frust. Kann ich ja glatt verstehen.

Wenn man die Prügelorgien im Hinterkopf hat, die man im Verlauf der Jahre mitbekommen hat, ist man irritiert, welches Echo die harmlose Demonstration und die vergleichsweise harmlose Prügelei in Stuttgart erhalten hat. Die Antwort ist klar: In Stuttgart hat die Polizei den Fehler begangen, die eigentlichen Wähler der Regierungspartei zu verprügeln oder zumindest die Kinder dieser Wähler.

Das waren alles keine »Berufsdemonstranten«, um den beliebten Diffamierungsvorwurf aufzugreifen, sondern CDU- und FDP- und Grünen- und SPD-Bürger plus ihre Kinderles. Die darf man nicht verprügeln.

Wären's die üblichen Langhaarigen und Punks gewesen, hätte es keinen Menschen irritiert. Die Medien wären wahrscheinlich voll mit Zustimmung. (Wie 1994 und 1995 bei den Chaostagen, wo ein geifernder Medien-Mob aus einem harmlosen Punk-Treffen eine tagelange Straßenschlacht machten. Aber das ist ein anderes Thema.)

Also alles mal zurück auf Null. Und tief Luft holen. War alles halb so schlimm ...

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Endlich mal wer, der sich traut das auch auszusprechen, bzw. zu schreiben. Ja das war harmlos, dennoch ist es nicht tolerierbar. Was damals geschah, das wurde leider nicht so publik, vielleicht auch aufgrund der mangelnden technischen Ausstattung i Vergleich zu heute. Für S21 gabs ja sogar live TV :)

tillfelix hat gesagt…

Sehe ich ganz ähnlich: da haben wir in der Vergangenheit schon viel schlimmere Interventionen der Polizei mitgekriegt.

Mit der Berichterstattung aus Stuttgart ist es aktuell aber wie bei vielen anderen Eskalationen auch. Da wird viel aufgebauscht und polarisiert, um beim Zuschauer/-hörer irgendwelche Emotionen zu wecken. Und vermutlich muss, aufgrund der schon heftigeren Auseinandersetzungen in der Vergangenheit, einfach ein bißchen mehr auf die Kacke gehauen werden, um den schon abgestumpften Interessierten überhaupt noch zu einer Gemütsregung zu bewegen.

Noch klappt das ja auch ganz gut...

Struppi hat gesagt…

Da hat jemand sein Augenlicht verloren und soweit ich mitbekommen habe ist noch eine zweite Person schwer verletzt worden

Es wurden über 100 Menschen verletzt und du hälst das für harmlos nur weil du auch mal schlimme Polizeieskalation erlebt hast?

Naja

Enpunkt hat gesagt…

Sagen wir's so: Hätt's die üblichen Verdächtigen getroffen, hätt's einfach niemanden interessiert. Von daher ... »harmlos« ist seeeeehr relativ. Wäre ich dabei gewesen, hätte ich es sicher nicht als harmlos empfunden.

Wolfgang G. Wettach hat gesagt…

Mir ging es gemischt, bei diesen Bildern aus Stuttgart, die ich nur zeitversetzt und/oder digital mitbekommen habe, dank fluegel.tv und cams21.

Ja, ich habe schon schlimmeres erlebt, in Wackersdorf, Gorleben, an der Bannmeile in Bonn oder -traumatisch- in Brokdorf...
Aber auch im beschaulichen Tübingen war es schon unschön, wenn es darum ging, dass die Polizei die Gesangsstunde der Nazi-Enkel aus den Corps und Burschenschaften geschützt hat. Da gabs dann keinen Wasserwerfer, aber Polizisten die gezielt mit den Knüppeln auf die Köpfe und zwischen die Beine gehauen haben.

Überall übrigens, wie jetzt hier beim S21-Einsatz, die Göppinger vorne dabei. Habe mich mit denen am "Tag danach" an der S21-Baustelle im Schlosspark unterhalten. Gemessen an dem was parallel dazu in Polizeiforen geschrieben wird war das harmlos, aber auch am Freitag noch gab es solche Polizisten die fanden sie haben das Recht Leuten "in die Fresse zu hauen" wenn die ihnen "dumm kommen" oder störend erscheinen.

Natürlich verstört hieran dass es Normalbürger trifft - aber das war im Wendland und in der Oberpfalz anfangs genau so, das war auch in Mörfelden-Walldorf so wo es um die Startbahn-West ging. Normale eher konservative Bürger von denen man keinen Widerstand erwartete - und die sich zurückziehen würden sobald es schlachtenähnlich zuging und die Schlachtenbummler kommen würden.
In Wackersdorf ist das Großprojekt am anhaltenden Widerstand der Normalbevölkerung gescheitert, beim Transrapid an den Zahlen - Stuttgart21 kann noch über beides fallen, denn beide Faktoren sprechen dagegen.
Der Rest der Republik wundert sich dass ausgerechnet die Schwaben den Aufstand proben, der auch im Rest der Republik die letzten 20 Jahre kaum noch zu spüren war. Die FTD hat die schönste Schlagzeile dazu gebracht. Das Bild des Wasserwerfers im Einsatz und der Text "CDU zielt auf die Mitte der Gesellschaft". Nur 120 "wilde Kerle" (wie Maurice Sendak sie nennen würde)hatten Freitag Nacht die Hoffnung, aus Stuttgart ein zweites Genua zu machen - und sind nicht nur in den 100.000 Demonstranten untergegangen sondern auch wieder abgezogen.

Was an den Bildern von Stuttgart viele so massiv verstört ist das Gefühl: "Hey, das könnte genauso mich treffen." Da half es kaum dass Rechte sich bemühten die "Jugendoffensive" als "linksradikal" hinzustellen weil auch 'solid' Mitglieder dabei sind. Das tröstet etwas, aber nicht über den Einsatz gegen die rüstigen Rentner, gegen die Denkmal-, Park- und Vogelschützer hinweg.

Dass die Kastanie als "schwäbischer Pflasterstein" in die Demogeschichte eingehen wird macht es nur lebendiger. Vielleicht landet mal eine Kastanie im "Haus der Geschichte der BRD". Angemessen wär's.

Zombiebunker hat gesagt…

Bei einer Sache muss ich jetzt allerdings doch mal einsteigen.
Zumindest kommt es so rüber, als sei Gewalt gegen Punks schlimmer, als gegen bürgerliche Demonstranten. Zum einen, weil sie gegen Punks offensichtlich härter gewesen sei, aber auch, weil man eine andere politische Meinung vertrete?
Ich verstehe erlich gesagt nicht wirklich die Beweggründe dafür.

Ich finde es, ganz egal wer dort demonstriert und wenn es ein 60 Jahre alter Abtreibungsgegner ist, schlimm, wenn auf Demonstranten völlig unverhältnismäßig losgegangen wird.

Zum anderen:
Was ist daran schlimm, dass das Thema so in den Medien breit getreten wird?
Jetzt erfährt auch mal der typische Fernsehzuschauer, dass nicht nur gegen "Berufsdemonstranten" gewaltätig vorgegangen wird. Wir haben ein Problem und die Öffentlichkeit kann der Bewältigung zuträglich sein.
Es ist wichtig, dass Polizisten zukünftig individuelle Kennzeichnungen bei Großeinsätzen erhalten.

Von daher verstehe ich es nicht, weshalb hier so explizit Gewalt gegen Konservative verharmlost wird.
Es sollte doch auch im Sinne eines Punkers sein, wenn Gewalteskalationen an die Öffentlichkeit kommen?

Sagt man "Die haben sich auch nie für uns interessiert, als wir verkloppt wurden, ist doch gar nicht so schlimm" dreht man sich genauso im Kreis wie diejenigen, die behauptet "Diese Berufsdemonstranten und Punker sind doch sowieso auf Krawall gebürsten und provozieren die Polizisten."

Thomas Thiemeyer hat gesagt…

Hallo Klaus
Dass über die Chaostage weniger und/oder falsch berichtet wurde, ist doch kein Argument. Man kann gegenwärtiges Unrecht nicht durch Vergleiche mit vergangenem Unrecht relativieren.
Unrecht bleibt Unrecht.
Seit vierzig Jahren sind in Stuttgart keine Wasserwerfer mehr eingesetzt worden, allein das ist schon eine Sensation. Und gegen wen? Kinder, Jugendliche und Rentner. Kein Wunder brandet da des Schwaben häusliche Seele auf. Und dazu, dass die Proteste von den Medien "plattgetreten" werden kann ich nur sagen: "Bravo. Endlich mal! Besser zu spät als nie."
Was hier gerade passiert, hat nur noch am Rande etwas mit Stuttgart 21 zu tun. Es geht um grundlegende Fragen der Demokratie. Sind wir nur Stimmvieh, dass brav sein Kreuzchen machen darf, wie es die Machtpolitiker vom Schlage eines Mappus weismachen wollen, oder ist es unser Recht (um nicht zu sagen unsere Pflicht), zivilen Ungehorsam gegen ein Projekt zu leisten, bei dem nur einige wenige sich die Taschen füllen?
So tragisch die Ereignisse am vergangenen Donnerstag auch gewesen sind, sie haben zweierlei bewirkt: die bürgerliche Mitte aufgerüttelt und verunsichert und der Politikverdrossenheit ein Ende gesetzt. Zumindest bis zu den Landtagswahlen im März.

Gruß,
Thomas

Anonym hat gesagt…

Wie? Die die sogenannten politisch Korrekten bekommen auch mal eins auf die Nuss?
Die Polizei in Deutschland wird mir immer sympathischer ;-)

KK