»Wir sollten auch einmal ein Haus besetzen«, schlug Udo vor. Wir saßen auf dem Vordach des Jugendzentrums und blickten auf die Nachbarhäuser. Aus der Küche hinter uns drang mal wieder Bob Marley, das passte zu diesem Sommer 1981. Wir tranken Tee, futterten Kekse und redeten über Politik.
Die Themen lagen buchstäblich auf der Straße. Atomkraftwerke wurden gebaut, und wir Jugendlichen waren dagegen. Neue Atomraketen sollten stationiert werden, und wir waren dagegen. Die Republik wurde von alten verknöcherten Männern regiert, und wir waren dagegen. Wir hörten rebellische Musik, zogen uns rebellisch an – meist Parkas und zerschlissene Jeans – und wollten die Welt verändern.
»Wo willst du denn bei uns ein Haus besetzen?«, fragte Stöff. »Wir sind doch hier nicht in Berlin.«
In Kreuzburg waren Dutzende von Häusern besetzt worden, jeden Tag wurden es mehr. In den Zeitungen und Zeitschriften, die wir lasen, ging es immer wieder um Hausbesetzungen und den Kampf gegen den Mietwucher. Ich war ein großer Fan der anarchistischen Zeitung »Graswurzel-Revolution«, die den gewaltlosen Widerstand predigte und von einer sozialen Revolution schwärmte.
Udo redete sich in Begeisterung. »Die alte Bacher-Villa am Stadtrand steht seit Jahren her«, erinnerte er uns. »In die kommt man bestimmt schnell rein, von hinten quasi. Und bis die verschnarchte Polizei etwas merkt, haben wir das Haus auch schon gesichert.«
Das fanden wir dann alle gut. Die Bacher-Villa kannte ich. Jeden Morgen fuhr ich an ihr vorüber, wenn ich mit dem Rad zu dem Supermarkt fuhr, wo ich die Schicht an der Tankstelle übernehmen würde. Mittags und abends passierte ich sie ebenfalls oft. Das Haus sah toll aus, und es stand seit Jahren leer.
»Eigentlich optimal«, sagte ich andächtig.
Wir schmiedeten Pläne. Wie kamen wir in das Haus rein, wie sicherte man es eigentlich ab? Was sollten wir tun, wenn die Polizei versuchen würde, das Gebäude zu stürmen? Welche Transparente wollten wir beschriften und aushängen? Ab wann sollten wir die Presse oder politische Partner einbinden?
Bis mir irgendwann die logische Frage einfiel: »Meint ihr nicht, dass es blöd wirkt, wenn ausgerechnet wir ein Haus besetzen?« Ich sah mich in der Runde um: fünf Jugendliche, alle männlich, alle in der Kleinstadt im Schwarzwald und den umliegenden Dörfern aufgewachsen. »Wir wohnen doch alle noch bei unseren Eltern. Da können wir kaum auf die Wohnungsnot aufmerksam machen.«
Ich fürchte, ich bin schuld, dass es 1981 zwar in Weltstädten wie Memmingen und Tübingen zu Hausbesetzungen kam, nicht aber im beschaulichen Freudenstadt im Schwarzwald.
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