Aus der Serie »Dorfgeschichten«
Meine Eltern hatten zu einem Grillfest eingeladen, dazu waren Verwandte aus verschiedenen schwäbischen Städten angereist. Wir saßen im Garten, eine gemütliche Runde aus Erwachsenen und Kindern. Der Grill glühte, wir futterten Würstchen und Kartoffelsalat. Bierflaschen standen auf dem Tisch, Gläser mit Saft und Mineralwasser dazwischen.
Die Dämmerung brach herein. Fledermäuse flogen im Zickzack über uns hinweg, die von einem alten Gebäude ganz in der Nähe kamen, nur wenige Dutzend Metern von uns entfernt.
Irgendwann verschwand mein Vater. Ich kannte dieses Verhalten schon: Er bereitete eine Überraschung vor. Ich hörte, wie er in den Keller ging, und ich vernahm seine leisen Schritte, als er zurückkam. Dann hörte ich das Rascheln seiner Kleidung und das Klicken des Feuerzeugs. Die Verwandtschaft plauderte eifrig weiter, und niemand außer mir achtete auf ihn.
An einer Stange, die er schon am Nachmittag in den Boden gerammt hatte, drehte sich auf einmal ein Kreisel aus grellem Licht, während rechts und links davon Fontänen aus Licht in die Höhe schossen. Genau für solche Fälle kaufte mein Vater jedes Jahr allerlei Feuerwerkskörper: nicht um sie in der Neujahrsnacht zu verballern, sondern um im Sommer die Nacht zu erhellen.
Zumindest für einige Augenblicke. Das grelle Licht flammte, es war beeindruckend. Funken wurden nach außen geschleudert, fast schmerzte es in den Augen. Und dann erlosch alles wieder.
Ich überlegte, ob ich applaudieren sollte. Verdient gehabt hätte er es. Die Verwandten waren begeistert, sagten aber nichts. Als gute Schwaben waren sie mit dem Lob immer sparsam.
Auf einmal fing eine der Tanten meines Vaters an zu weinen. »So grell hat’s damals geleuchtet, als Pforzheim gebrannt hat«, sagte sie, schluchzte ununterbrochen und war nicht mehr zu bremsen. Ihr ganzer Körper schüttelte sich.
Wir anderen saßen da wie erstarrt. Ich war vielleicht zehn Jahre alt, ich konnte den Vorgang nicht einordnen, aber für meine Mutter war das Bild eindeutig: »Als Freudenstadt gebrannt hat, war das genauso schrecklich«, sagte sie, als könnte ausgerechnet dieser Vergleich trösten.
Die Tante konnte sich nicht beruhigen. »Wir haben das über zig Kilometer gesehen!«, rief sie. »Das war so ein grelles und helles Feuer, das hat ausgesehen, als ob der Wald brennen würde. Der ganze Horizont bestand aus Flammen.«
Was ich damals noch nicht verstand, aber später erfahren sollte: Am 23. Februar 1945 war Pforzheim von einem verheerenden Luftangriff der Alliierten getroffen worden. Die klassische Innenstadt brannte praktisch komplett aus, Tausende von Menschen kamen in dem Feuersturm ums Leben.
Es dauerte einige Zeit, bis sich die Tante beruhigte. Sie erzählte von Pforzheim und vom großen Feuer, sie redete nur noch vom Bombenangriffen und Sirenen, von Phosphor und verschmorten Leichen, von Krieg und Vernichtung. Als Kind bemerkte ich nicht, dass sie nur von deutschen Opfern sprach. Die deutschen Männer waren im Krieg, und dort »blieben« von ihnen, »beim Russ« oder in Frankreich oder auch in Afrika. Deutsche Kriegsverbrechen oder die Opfer der Wehrmacht wurden nicht erwähnt.
Der Abend war nicht mehr schön. Er endete mit traurigen Geschichten, mit starren Blicken auf Bierflaschen und den halbherzigen Versuchen eines Onkels – der zum Kriegsende noch ein Kind gewesen war –, mit seinen Abenteuern für eine positive Stimmung zu sorgen. Als Kind verstand ich nicht viel. Ich saß in der Runde, trank meine Limonade und aß viel zu viel Kartoffelsalat.
In meinem Kopf entstanden Bilder von Kellern voller Leichen, Bilder von fliegenden Bomben und Flakscheinwerfern, deren Licht durch die Nacht stocherte, von Brand und Tod. Und danach assoziierte ich mit manchem Feuerwerk erst einmal nicht mehr fröhliches Feiern, sondern grausige Geschichten …
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