22 Juni 2018

Eine Quittung zu viel

Eine Kleinstadtgeschichte

Weil die Temperaturen an diesem Nachmittag so angestiegen waren, blieben viele Leute wohl daheim. Es war ruhig. Auch ich stellte mich langsam auf den Feierabend ein – um 16 Uhr würde der Supermarkt schließen, wie an jedem Samstag.

Es tankten immer zwei, drei Fahrer auf einmal, aber ich hatte keine Autoschlangen vor mir, die sich vor der Tankstelle aufreihten und die ich abarbeiten musste. So konnte ich gemütlich auf und ab gehen, den Tankenden bei ihrer Tätigkeit zuschauen und hinterher das Geld kassieren.

Einer der Männer winkte mich zu sich; ich sah, dass er fertig war. Er steckte den Schlauch zurück in die Zapfsäule, mit einem Klacken war der Tankvorgang beendet. Ich beugte mich nach vorne, um genau abzulesen, wieviel er zu bezahlen hatte.

Das war so üblich, niemand in diesem Jahr 1983 hätte sich ein anderes Vorgehen vorgestellt. Ein Tankwart wie ich hatte die Zahl abzulesen, der Kunde konnte sie schließlich auch sehen. Dann wurde die Summe laut gesagt, es wurde gezahlt, und alle waren zufrieden.

»Fünfundzwanzig Mark«, sagte ich zu dem Mann und machte mich schon bereit, ihm das Rausgeld auszuhändigen.

»Ich brauch dann einen Beleg«, sagte er und gab mir drei Zehnmarkscheine. Er sah völlig durchschnittlich aus, ein Mann, den ich auf Mitte der vierzig schätzte: Er trug eine braune Stoffhose und schwarze Halbschuhe, dazu ein kariertes Hemd. Sein Haar war leicht angegraut.

»Kein Problem.« Ich steckte die drei Zehner ein, gab ihm einen Fünfer zurück und holte den Block mit den Belegzetteln heraus. Diese waren vorgedruckt; handschriftlich musste ich dort eine Summe eintragen, ein Darum hinzufügen und das Ganze mit meiner Unterschrift versehen.

»Schreib fünfzig!«, wies er mich an, in einem ruhigen Ton, ohne einen befehlshabenden Unterton.

Ich schüttelte den Kopf. »Sie haben aber für fünfundzwanzig getankt.«

Er schien verwirrt. »Das kann doch dir egal sein. Schreib die fünfzig drauf.«

Ich schüttelte erneut den Kopf. »Das wäre nicht korrekt. Sie haben für fünfundzwanzig getankt, also schreibe ich fünfundzwanzig.« Ich wusste, dass sein Vorgehen völlig üblich war. Manchmal schrieb ich den Kunden ihre höheren Zahlen auf den Beleg, bei diesem Mann hatte ich aber keine Lust.

»Was bildest du dir ein?«, sagte er scharf. »Schreib schon die verdammte Zahl da drauf.«

Ich schrieb »25,00« in das Zahlenfeld, kritzelte das Datum darunter und unterschrieb. Dann reichte ich ihm den Zettel. »Wenn ich Steuern bezahle, kann ich nicht tricksen«, sagte ich so ruhig, wie ich es mit meinen 19 Jahren konnte. »Also sollten Sie das auch nicht tun.«

Das Gesicht des Mannes verfärbte sich. Während er den Fünfmarkschein und die Quittung einsteckte, erreichte die rote Farbe nicht nur seine Wangen, sondern auch seine Stirn.

Dann brüllte er los. »Du hast keine Ahnung von Steuern, du weißt doch gar nicht, was das bedeutet. Ich werd' mich bei deinem Chef über dich beschweren, so eine Unverschämtheit aber auch.«

Ich unterstückte den Impuls, ebenfalls zu brüllen, sondern blieb ruhig. Der Feierabend stand vor der Tür, und ich musste ohnehin noch eine Abrechnung machen. »Vielen Dank für Ihren Besuch«, sagte ich höflich, drehte mich zur Seite, sah einen anderen Kunden, der zahlen musste, und wandte mich zu diesem um.

Hinter mir brüllte der Mann mit dem karierten Hemd noch eine Weile weiter. Ich achtete nicht darauf. Irgendwann knallte eine Autotür, ein Motor heulte auf, und sein Auto schoss mit überhöhter Geschwindigkeit von der Tankstelle weg und auf den Parkplatz hinaus.

Meine Hände zitterten vor Anspannung.

1 Kommentar:

RoM hat gesagt…

Sali, Klaus.
Wirkt fast wie eine Zeitreise, Deine Schilderung des direkten Kassierens an der Zapfsäule; dürften noch welche von "Vorsintflutlich" gewesen sein. :-)

Du hast demnach manchen Leuten mehr auf der Quittung bestätigt & anderen nicht? Reines Lustprinzip oder gab es da Parameter Deinerseits?
Witwe Brettle mit ihren 3 minderjährigen Kindern - yep!
Der Inhaber der Spedition Mordhorst - nope!

bonté