Früher fand ich den Unterschied zwischen duzen und siezen höchst spießig; duzen mochte ich viel lieber. In meinem sozialen Umfeld wurde schließlich allenthalben geduzt, und das Siezen schuf eine ständige Distanz. Die Differenzierung war irgendwie immer wieder nötig – aber wieso eigentlich?
Bei den Chaos-Tagen 1995 brachte ich es auf den Punkt. Ein Polizist, der mir im »Punkerlager« in Langenhagen meine persönlichen Gegenstände abnahm, bevor ich mit weit über tausend Leuten in dreckige Lagerhallen »bei Wasser und Brot« gesperrt wurde, duzte mich. Ich wehrte mich und sagte: »Für Sie bin ich der Herr Frick und möchte gesiezt werden.«
Er fragte, warum ich darauf beharrte. »Die anderen Punker duzen uns Polizisten ja einfach, dann duzen wir sie zurück.« Ich versuchte es ihm zu erklären: »Mit jedem Assi-Punk duze ich mich, mit Ihnen möchte ich mich nicht duzen. Wir stehen auf unterschiedlichen Seiten, wir sind keine Freunde.« Daraufhin wurde ich von dem Polizisten penetrant gesiezt, aber er hatte es kapiert.
Das ist alles lange her, und heute sehe ich vieles anders. Nur nicht beim Duzen und Siezen. Ich merke es immer dann, wenn ich mit den sogenannten Kollegen einer Firma spreche, mit der ich zusammenarbeiten muss. In dieser Firma ist das Duzen zwanghaft, man wird dazu quasi gezwungen, und ich fand das anfangs geradezu widerwärtig.
Mittlerweile bin ich also dazu gezwungen, mich mit Leuten zu duzen, mit denen ich nichts gemeinsam habe, die mich garantiert nicht leiden können und mit denen ich freiwillig kein Wort wechseln würde. Es ist nicht mit der Chaostage-Erfahrung von 1995 vergleichbar, aber ich fühle mich seltsam dabei.
Schon irritierend, welche Probleme man hat, wenn man mit großen Schritten auf das »halbe Hundert« zugeht ... Hätte mir das jemand vor zwanzig Jahren gesagt, hätte ich schallend gelacht.
4 Kommentare:
Interessanter Punkt.
Hier in HH ist es ja fast normal, geduzt zu werden. Zumindest empfand ich das, als ich mit Anfang 20 hierher kam, so, und hab relativ schnell auch angefangen, fast ALLE zu duzen (bis auf Polizisten).
In HH stört das auch kein Schwein, ich hab aber auch gemerkt, dass das sehr auf die Stadtgrenzen beschränkt ist: sobald man diese überschreitet wird man von den Menschen höchst irritiert angeschaut, wenn man sie unbekannterweise duzt.
UND was ich jetzt mit Anfang 30 gemerkt hab: ich möcht irgendwie auch nicht mehr so häufig geduzt werden, zumindest nicht von irgendwelchen Dahergelaufenen, die mich nicht kennen. Krieg ich irgendwie das Gefühl, noch nicht richtig ernst genommen zu werden.
Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weshalb jenseits der Stadtgrenzen von Hamburg irritiert geguckt wird, wenn ich mirnichtsdirnichts duze...
Siezen ist ja eine Form von Respekt, Ehrerbietung. Eigentlich sogar von Sympathie. Merkwürdig, dass man das nur bei Fremden bzw. Unsymphatischen macht..
Ich Sieze auch gerne - nachdem ich in einer Zwangsduz-Firma am falschen Ende der Hackordnung stand. Mich irritiert es immer, wenn ich am Telefon nach Frau X verlange und ein "ich verbinde dich gleich weiter" zurückkommt.
Das herausgenommene Duzen ist ein Zeichen für mangelnden Respekt für das Gegenüber.
Mangelnder Respekt: Ich arbeitete anfangs der 80er-Jahre ja in einem Supermarkt und an der Tankstelle, als Jugendlicher. Und da war es normal, dass ich geduzt wurde und zurückzusiezen hatte.
Irgendwann fing ich an, einfach zurückzuduzen ... boah, fanden »die Erwachsenen« das dann teilweise scheiße!
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