05 Dezember 2018

Zusammengerottet

Wir standen auf dem Balkon, jeder eine Flasche »Tannenzäpfle« in der Hand. Vom dritten Stock aus hatte man einen guten Blick über die Straße und die Häuser der Umgebung.

»Gar nicht schlecht, deine neue Bude«, meinte Pleite, der mich zum ersten Mal besuchte. »So langsam wohnt ihr alle in der Südweststadt.«

Ich nickte und zeigte in verschiedene Richtungen, wer wo in welchen Häusern lebte, den ich kannte. Pleite ergänzte durch zwei, drei weitere Leute. Ich war wenige Tage zuvor in die neue Wohnung in der Hirschstraße gezogen und erhielt von vielen Freunden wertvolle Unterstützung; allein wäre ich im Chaos untergegangen.

»Ihr rottet euch jetzt also in der Südweststadt zusammen«, spottete er. »Dann fällt's den Bullen leichter, wenn sie euch mal ausräuchern wollen.«

»Wieso ausräuchern? Wir sind doch allesamt brave Bürger, die ihre Steuer zahlen.«

Er zeigte mit dem Daumen nach hinten, wo meine Jacke auf dem Sofa lag. »Disco-Punx Karlsruhe. Ein Ruf wie ein Donnerhall.« Er lachte. »Ich seh' schon die Schlagzeile vor mir. ›Polizei hebt gefährliches Netzwerk aus‹ oder so.«

Ich lachte auch. »Na ja, da werden sie nicht viel finden.«

»Sicher?« Er wies auf meine Wand mit Schallplatten. »Aus dem gesammelten Deutschpunk und den entsprechenden Texten kann die Bullerei doch gleich eine komplette Verhaftung ableiten.« Er fing an zu singen. »Polizei SA SS ...«

»Hör auf!«, rief ich und legte ihm die Hand auf den Mund. »Bist du wahnsinnig?«

Er lachte erneut. »Klare Ansage: Wenn das die Nachbarn hören ...« Er hob die Flasche an, als wollte er mit ihr der gesamten Nachbarschaft zuprosten. »So wird das auf jeden Fall nichts mit der Revolution.«

»Vor allem nicht mit Bier aus der Staatsbrauerei«, konterte ich und wies auf das Etikett.

Wir grinsten uns an, dann stießen wir die Flaschen zusammen. Punk war 1998 zu einer Angelegenheit geworden, die uns immer mehr mit den Widersprüchen unseres Lebens konfrontierte. Und eine vernünftige Antwort auf die Widersprüche hatte keiner von uns.

Da war es besser, auf einem Balkon zu stehen, Bier zu trinken und stumm auf die Stadt zu schauen ...

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