Freitag, 5. November 2010: Fünf Männer und zwei Frauen, allesamt zwischen Mitte dreißig und exakt fünfzig Jahre alt, sitzen in der Straßenbahn von Karlsruhe nach Heidelberg. »Wie in alten Zeiten«: Wir trinken Bier, labern dummes Zeugs und fahren gemeinsam auf ein Punk-Konzert. Ein 80er-Jahre-Revival der besonderen Art - die klassische Deutschpunk-Band Slime aus Hamburg, ein echter Klassiker, den wir alle mögen, spielt im Karlstorbahnhof.
Der Karlstorbahnhof entpuppt sich als ehemaliger Kinosaal, der Andrang ist groß, und selbstverständlich kenne ich haufenweise Leute. Grauhaarige Punkrocker sind da, aber auch haufenweise junge Leute, eine gute Mischung. Ich verlabere mich völlig vor der Tür und gehe spät rein.
So verpasse ich leider den größten Teil der Vorgruppe. Das sind die sauguten Chefdenker aus Köln. Das T-Shirt der Band hängt praktischerweise vor dem Bühnen-Logo von Slime, mitten im Stern des Logos - geschicktes Marketing gewissermaßen. Der Auftritt ist aber auch so gut, sofern ich das beurteilen kann.
Slime lassen sich dann ein wenig Zeit mit dem Auftritt. Bevor die Band auf die Bühne kommt, werden weiße Handtücher an die vier Herren und die eine Dame verteilt - das finde ich lustig.
Nach den ersten vier Stücken bin ich kurz davor, weinend den Saal zu verlassen. Klassiker aus den frühen 80er Jahren werden zu einer Hardrock-Soße vermischt, bei der mir ganz anders wird. Auch wenn ich die Augen schließe, klappt das nicht mit meiner Erinnerung an früher.
Jede Band hat das Recht, sich fortzuentwickeln. Slime machten das anfangs der 90er Jahre mit »Schweineherbst« und anderen Stücken; als die Band diese nun spielt, passt der Auftritt von damals mit dem Auftritt dieses Freitags zusammen. Ich bin einigermaßen versöhnt und beginne, den Abend zu genießen.
Andere Leute haben das Problem nicht. Begeistert wird überall mitgesungen, vor der Bühne entwickelt sich ein fröhlicher Pogo-Mog, die Stimmung kocht langsam hoch. Bis in die letzten Reihen herrscht Bewegung.
Als ich vom Bierholen zurückkomme und mich zu meinen Begleitern stelle, stößt mir mein Nebenmann mehrfach den Ellbogen in die Seite. »Hey, du stehst auf meinem Platz«, schnauzt er mich an.
Ich glaube an einen Irrtum und lache. »Ich will die Band sehen«, mosert er weiter. »Ich hab dich durchgelassen, jetzt geh weiter. Du stehst auf meinem Platz.«
Ich glaub's immer noch nicht und lache weiter, erzähle die Geschichte dann Ün, der neben mir steht. Der guckt sich den Typen an, lacht ebenfalls. »Der hat sogar ein T-Shirt der ›Alten Hackerei‹ an«, sagt er lauthals. »Ob's da jetzt auch Platzkarten gibt?«
Irgendwie passt mein neuer Freund, der mir noch eine Viertelstunde länger den Ellbogen in die Seite haut, zum ganzen Auftritt. Punk im Jahr 2010 scheint eine Mischung aus Oldie-Rock-Show und großem Rock-Konzert zu sein. Wer da hingeht, erwartet korrekte Bedienung, einen sauberen Blick zur Bühne und die Chance, die alten Lieder mitzusingen.
Ich gönne Slime das Geld, das sie mit der Tour hoffentlich verdienen. Das Konzert beurteile ich als »ganz gut«, und wenn man die Gitarren-Soli und das Hardrock-Gedöns ignoriert, macht es sogar Spaß. (Und über die drei Stunden dauernde Heimfahrt mit Bussen und Straßenbahnen decken wir den Mantel des Schweigens.)
2 Kommentare:
Gitarren-Soli und Hardrock-Gedöns? Dann hätte es mir ja glatt gefallen können. :-)
Ansonsten erinnere ich mich an Slime, weil mein jüngerer Bruder die so um 1980 rum gehört hat. Und damals konnte ich schon nix damit anfangen.
Hierz noch ein Nachtrag vom Pogoradio
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