05 Juli 2006

Karlsruhe kochte ab Mitternacht

Nach dem Abpfiff trank ich mein Bier aus und trielte ein wenig vor mich hin. Langsam trat ich hinaus in die kühle Nacht, einige Menschen rollten eben ihre Deutschlandfahnen ein. Das Spiel gegen Italien war 0:2 ausgegangen, das Halbfinale für die deutsche Nationalmannschaft verloren.

In sentimentaler Stimmung radelte ich aus der Nordstadt zurück in Richtung Stadtzentrum. Ein frischer Wind ging, der an der kurzen Hose und an dem »Chaostage«-T-Shirt zupfte.

Ab und zu fuhr ein hupendes Auto vorüber, eine italienische Flagge wehte aus dem Seitenfenster. Die deutschen Fans waren meist still, sie schlichen geradezu über die Straße.

Spontan fuhr ich in Richtung Innenstadt. Am Kaiserplatz tobte das Volk. Ein Hupkonzert ohnegleichen, italienische Fahnen und »Italia«-Rufe, gelegentlich aber auch fröhliche deutsche Fans. Eine aufgebrachte junge Frau schrie »Scheiß-Italiener«, das war alles, einige besoffene Jugendliche, die türkisch oder arabisch aussahen, grölten »Wir scheißen auf Berlin«.

Die Polizei versuchte den Verkehr zu regulieren, was ihr einigermaßen gelang. Nur nicht am Europaplatz. Dort hatte es schwer gerappelt, wie mir ein türkischer Fan erzählte, mit dem ich ins Gespräch kam. Bierflaschen, Stühle und Tische auf die jeweiligen Dumpfbacken der anderen Seite. Es wimmelte von Polizei und Krankenwagen, in denen liegende Jungmänner abtransportiert wurde.

Fünfhundert Meter weiter, direkt vor dem »La Strada« tobte die Italia-Party. Hunderte, nein, tausende von italienischen Fans feierten frenetisch, hupten und schrien durcheinander. Überall waren lachende Gesichter unterwegs.

Wir schoben unsere Räder durch die fröhliche Menge, immer auf der Hut vor Glasscherben. So kamen wir gut behütet nach Hause – das Hupkonzert dauerte mindestens bis drei Uhr nachts an.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hi Klaus, mich hat es gestern gegen Mitternacht noch 'raus gezogen, um die Stimmung in Konstanz auszuloten, die da unter den deutschen Fussballfans nach der verpatzten Siegesfeier herrschte.

"Scheiss Italiener" und "Ich geh nie wieder Pizza essen", "Chianti schmeckt scheisse" und "Inzest-Itaker" waren noch das Harmloseste, was ich vor allem von Maedchen und Frauen zu hoeren bekam, waehrend die Maenner mit gesenktem Kopf schweigend folgten. Nicht alle schwiegen, jemand wollte unbedingt "eine Bombe" unter ein vorbeifahrendes hupendes Auto schmeissen. Als ich ihn (zugegeben etwas dumm-doof) "Warum?" fragte, bekam ich folgende Antwort: "Die sollen in ihrem Land feiern und nicht hier."

WM-Schmerz hin, Deutschland-Jubel her: Deutsche Patrioten sind nicht nur schlechte Gastgeber, sondern auch schlechte Verlierer (und das nicht nur im WM-Zeiten).

Ironie des Abends: Jetzt war ich ploetzlich in der Rolle, den anderen auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: "Reg' Dich nicht auf, es ist ja nur Fussball." Mit einem schon ziemlich angetrunkenen Penner habe ich dann noch ein Bierchen auf'm Nachhauseweg gezischt und der arme Kerl konnte es nicht fassen, das Deutschland raus ist und fing an ueber die schlechte Mannschaft zu schimpfen. Sein Gelaber hatte schon fast die Qualitaet von Bela Rethi, der in der 116 Minute die Deutsche Mannschaft noch in den Himmel hob, um sie zwei Minuten spaeter dann fallen zu lassen. Ja,ja schlechte Verlierer allerorten, und wie ich meine, typisch deutsch: alles oder nichts.

Nochmehr Ironie: Ueber die die paar verbleibenden deutschen Faehnchen- Schwenker, Autohuper und "Deutschland"-Schreier habe ich mich dann sogar noch gefreut. Wenigstens konnten die sich, im Gegensatz zum muerrischen, heimwaertsziehenden Mob, noch freuen, dass die deutsche Mannschaft erstklassigen Fussball gespielt hat (jedenfalls um Klassen besseren Fussball als das Spiel Frankreich-Protugal gerade eben), und darum geht es doch eigentlich, oder? Wehe, wenn nicht.

Gruss, Curry

Enpunkt hat gesagt…

Deutsche Verlierer sind meist schlechte Verlierer. Das stimmt. Heute im Zug las ich in der BILD-Zeitung, die einer liegen gelassen hat. Tenor eines Textes: War es eine Intrige, daß Frings nicht spielen durfte? Anders gesagt: Die Italiener brauchten also eine Intrige, um die deutsche Mannschaft zu besiegen.

Im Karlsruher Lokalfernsehen zeigten sie gestern junge deutsche Fans, die ähnlichen Mist von sich gaben wie der, den Du zitierst. Aber auch so einen strunzdoofen Italien-Fan, der in der Kamera blökte, wie toll es sei, Italiener zu sein und die Deutschen geschlagen zu haben. Dummheit gibt es echt überall.

Halten wir fest: Das Spiel war spannend, und die bessere Mannschaft hat gewonnen. Hinterher traurig sein ist okay, sich hinterher über Italiener zu ärgern und ernsthaft einen Essens- und Kulturboykott in die Luft zu krakeelen ist von erschütternder Dummheit.

Kongo-Otto hat gesagt…

Jüngste Stilblüte unserer dollen Landsmänner und -frauen:

www.pizza-boykott.com

Deutschland einig Schauder-Pack

"Bin ich jetzt ein Verräter, wenn ich Pizza oder Spaghetti esse" lautete eine große Überschrift auf S. 2 + 3 in der gestrigen "B.Z." (... die ich beim Pizza-Mann an der Ecke las...)