27 Januar 2019

Noch einmal Transmetropolitan gelesen

Die 90er-Jahre waren ein seltsames Jahrzehnt, nicht nur für mich. Die Popkultur veränderte sich in rasender Geschwindigkeit, mal in die eine, dann in die andere Richtung. Musikalische Stilrichtungen tauchten auf, wurden groß und versackten wieder. Der Ostblock verschwand, der weltweite Zynismus wuchs, und mit dem Internet keimte etwas herauf, dessen Auswirkungen man Ende der 90er-Jahre noch lange nicht zu Ende denken konnte.

Was auch hervorkam, war eine neue Comic-Serie. Mit »Transmetropolitan« kotzten der Autor Warren Ellis und der Zeichner Darick Robertson eine Serie in die Comic-Welt, die wie die Faust aufs Auge eines Jahrzehnts passte. Als die ersten Bände 1999 im deutschen Sprachraum erschienen, war ich baff und las sie mit wachsender Begeisterung.

Dieser Tage fing ich wieder mit der Lektüre an. Klar, viele der Sprüche und Aussagen von damals sind ein wenig überholt, vieles ist effekthascherisch und manchmal auch albern. Mit Spider Jerusalem schufen die beiden damals allerdings einen Comic-Helden, wie man ihn zuvor nicht kannte – ein Spiegelbild für eine zynische Zeit.

Ich bin mir nicht sicher, welche Wirkung der Comic auf heutige Leser hat oder haben könnte. In das ausklingende Jahrhundert/Jahrtausend passte er auf jeden Fall. »Transmetropolitan« hat einen Journalisten und Schreiberling als Hauptfigur, moderne Geräte wie Notebooks spielen ständig eine Rolle (in dieser Zukunftsvision gibt es aber keine Smartphones; wie so oft haben auch diese Comic-Künstler nicht an eine solche Entwicklung gedacht).

Politiker sind korrupt, die Polizei ist brutal, Journalisten erweisen sich als zynische Menschen, die buchstäblich über Leichen gehen: Warren Ellis hat einen Blick auf die Welt, der nicht eingängig ist, den nicht jeder mögen wird. Und 1999 war dieser gehässige Blick auf alles, was um einen herum abläuft, noch nicht so berechenbar wie heute. In den 90er-Jahren war er als Autor noch frisch, da passte das womöglich alles mit seinem Leben zusammen. Schriebe er heute die gleichen Szenarien, hätte es meiner Ansicht nach ein »G'schmäckle«.

Künstlerisch ist das Ganze eine Mixtur aus modernem Superhelden-Comic und bewusst schrammeligem Underground-Stil. Ein Polizeistiefel auf dem Kopf eines Demonstranten, nackte Menschen mit verzerrt wirkenden Körperteilen, krasse Darstellungen von Gesichtern und Massenszenen – das ist nicht unbedingt ein »schöner« Comic, sondern einer, der einen packt und mitreißt, vielleicht auch abstößt.

Sicher ist: »Transmetropolitan« hat mich 1999 ziemlich umgehauen und begeistert. Wenn ich ihn heute wieder lese, kann ich das gut nachvollziehen. (Ich lese natürlich die deutsche Ausgabe, die damals bei Speed Comics veröffentlicht wurde. Es gibt eine neue Ausgabe, die bei Panini erschienen ist.) Wer diese Serie noch nicht kennt und einen drastischen Blick in eine gehässige Science-Fiction-Welt werfen mag, sollte sie mal antesten.

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