Aus der Serie »Dorfgeschichten«
Streuner war eine getigerte Katze, die uns eines Tages zugelaufen war. Sie war nicht besonders hübsch und wirkte immer ein wenig zersaust, aber wir Kinder liebten sie. Streuner war nicht sehr häuslich, trieb sich die meiste Zeit im Freien herum und wollte auch nicht die Nacht im Haus verbringen. Sie ließ sich aber gern streicheln und genoss das Essen, das sie bei uns bekam.
In jenem Frühsommer wurde ihr Bauch dicker und dicker. »Du wirst es sehen«, kündigte meine Mutter an. »Die wirft hier eine Bande von kleinen Katzen, und wenn die groß genug sind, lässt sie uns die Bande zurück und zieht weiter.« Sie sollte recht behalten, aber zuvor sollte Streuner zwei Würfe bei uns lassen.
Meist hielt sich Streuner in diesen Tagen im vorderen Hof auf. Vor dem Holzgatter lag sie oft auf den feinen Steinen und genoss die Sonne, die auf ihr getigertes Fell herunterbrannte. Gelegentlich spazierte sie zu einem dicken Holzpfosten, sprang mehr oder weniger elegant hoch und setzte sich so auf den Pfosten, dass sie den Weg in beide Richtungen überblicken konnte.
Ich saß auf der Treppe aus alten Sandsteinen, die zum »Vorhäusle« unseres Hauses führte, und bastelte mit Fischer-Technik. Seit die Firma Fischer neben Dübeln auch noch technische Elemente anbot, schenkten mir die Verwandten ständig neues Spielzeug von Fischer-Technik. Damit baute ich Fahrzeuge und Häuser, ich war völlig fasziniert.
Auf einmal rannte Streuner an mir vorbei, in völliger Panik, schlüpfte zwischen den Stangen des Holzgatters hindurch und hinunter in den Garten, versteckte sich dort hinter irgendwelchen Sträuchern. Ein Hund, lauthals kläffend, stand in unserem Hof. Er war nicht groß, ging mir – obwohl ich ein kleiner Junge war – höchstens bis an die Knie.
Ich sprang auf und schrie ihn an. Der Hund kläffte verwundert, dann drehte er um und flitzte los. Ich eilte ihm hinterher, er rannte den Weg hoch. Einer unserer Nachbarn, den wir alle nur als den »jungen Mattes« kannten, nahm ihn in Empfang.
»Was machsch du mit meim Hond?«, schrie er mich an. (»Was machst du mit meinem Hund?«)
Er habe meine Katze gejagt, und deshalb hätte ich ihn aus dem Hof gescheucht, gab ich zornig zurück. Der junge Mattes war ein großer blonder Mann mit Vollbart, sicher schon um die dreißig Jahre alt, und ich war nur ein Grundschüler, aber in diesem Augenblick war ich so zornig, dass mir der Unterschied nicht einmal bewusst wurde.
Drohend hob er seine Faust. »Wenn du meim Hond ebbis duasch, du jonger Soacher, schlag i dir's G'nick aa!«, brüllte er so laut, dass man es in den umliegenden Häusern sicher durch Türen und Wände hindurch hören konnte. (»Wenn du meinem Hund etwas tust, du junger Pisser, schlag ich dir das Genick durch!«)
Streuner und der Köter des Nachbarn wurden nie Freunde. Der junge Mattes und ich auch nicht.
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