Einer der deutschsprachigen Autoren, dessen Romane ich sehr schätze, war Jakob Arjouni. Der Schriftsteller, der vor allem durch seine in Frankfurt spielenden Krimis bekannt wurde, starb im Januar 2013; es machte mich damals echt betroffen. Dieser Tage las ich von ihm den Roman »Hausaufgaben«, der schon einige Jahre auf dem Buckel hat, meilenweit entfernt von einem Krimi ist und sich dennoch als spannend erwies.
Hauptperson des Romans ist ein Lehrer. Das klingt vielleicht langweilig, wird aber ruckzuck unterhaltsam: Joachim Linde ist Gymnasiallehrer, einer von der Sorte, wie ich sie während meiner Schulzeit unter anderem kennenlernte. Er weiß alles besser, er ist immer auf der »richtigen Seite«, er hat stets die passenden Argumente und diskutiert die anderen kaputt.
Dabei hat er massive Probleme mit seiner Familie: Seine Frau leidet unter Depressionen und liegt in einer Klinik. Seine Tochter, die sich vom Vater sexuell belästigt fühlt, hat einen Selbstmordversuch hinter sich und ist ins Ausland entfleucht. Sein Sohn ist ein politisch korrekter Langweiler, dem der Vater beizubringen versucht, auch so ein cooler Aufreißer zu werden, wie er glaubt, in seiner Jugend gewesen zu sein.
Es geht in diesem Roman um Familie – aber ebenso um Politik. Die Familie arbeitet sich unter Anleitung des Vaters am Palästina-Konflikt ab, kritisiert Israel und thematisiert die Schuld der Deutschen: da wird verdammt viel gutgemenschelt und geheuchelt. So viel, dass es einem Leser fast schlecht wird ...
Das Schlimme ist: In jemandem wie Linde erkenne ich mich ein Stück weit wieder. Jeder richtet sich in seiner eigenen Sicht auf sein eigenes Leben ein, jeder versucht, sich selbst gut darzustellen, und jeder möchte, wenn er in den Spiegel guckt, mit sich einigermaßen zufrieden zu sein. Linde ist ein totaler Durchschnittsmensch – in seinen Schwächen vor allem – und wird damit zum Spiegelbild des Lesers. Das fand ich eindrücklich.
Wobei der Autor durch seinen einprägsamen Sprachstil viel dazu beiträgt, dass die Handlung spannend ist. Wenn ich mir vorstelle, was ein labernder Autor im Stil von Martin Walser daraus machen würde: eine öde Ansammlung grausiger Prosa, ideal für den Deutschunterricht, dazu geeignet, jungen Leuten den Spaß an Büchern zu verderben.
Ganz anders Jakob Arjouni: Sein Joachim Linde ist ein echtes Arschloch – aber der Autor schildert diese Figur so glaubhaft und nachvollziehbar, dass man unweigerlich mit ihm mitfühlt. Als Leser ekelt man sich vor Linde und glaubt ihm zugleich. Arjouni bleibt so dicht an seiner grässlichen Hauptfigur dran, dass man ihr mit Faszination und Spannung bis zum Ende bleibt.
Das ist ganz großes Kino: In dem Roman passiert viel, auch wenn die einzelnen Szenen eigentlich nur in der Schule und im Wohnhaus spielen – das ist eine meisterhafte Arbeit. Mit nicht einmal 200 Seiten ist der bei Diogenes erschienene Roman schmal an Umfang, aber dicht an Inhalt; meine Empfehlung!
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