28 Oktober 2012

Schmaler Roman über eine hässliche Geschichte


Ich schätze die Romane von Georges Simenon, die der unglaublich fleißige Schriftsteller in den dreißiger Jahren verfasste. Bekannt wurde er mit seiner Reihe um den Kommissar Maigret, die ich sehr gern lese – aber eigenständige Romane verfasste er ebenfalls dutzendweise. Einer davon ist »Das Haus am Kanal«: kein Krimi, auch wenn es Tote gibt, stattdessen ein fieses Sozialdrama, das einen nach der Lektüre nicht so einfach loslassen wird.

Hauptfigur ist ein 16 Jahre altes Mädchen, das nach dem Tod seiner Eltern aufs Land kommt: raus aus der Großstadt Brüssel, in ein kleines Dorf zwischen Deich und Ackerland. Dort hat das Mädchen nicht nur sprachliche Probleme zwischen Flamen und Wallonen zu bewältigen, sondern stellt auch schnell fest, dass es seine Probleme mit den wortkargen Menschen auf dem Dorf hat. Es fängt an, sein attraktives Äußeres einzusetzen, um Ziele zu erreichen, die es sich selbst noch gar nicht richtig vorstellen kann.

Der Roman endet selbstverständlich ohne jegliches Happy-End. Auf dem Weg dahin gibt es auch wenig zu lachen: Ständig regnet es, pfeift ein kalter Wind über das Land, sind die Menschen stumm und hässlich, geht man sich gegenseitig auf die Nerven oder schweigt sich tagelang an. Die Menschen begegnen sich fremder als viele Außerirdische in irgendwelchen Science-Fiction-Romanen – das schildert Simenon eindrucksvoll und fesselnd.

»Das Haus am Kanal« ist kein Spannungskracher, aber ein Roman, der einen packt und in das Geschehen hineinzieht. Der Roman kommt ohne Sympathieträger aus, sogar die Hauptfigur wird einem herzlich unsympathisch. Durchgehend ist die Stimmung des Werks düster und kritisch, von Verfall und Niedergang bestimmt.

Dazu kommen die eindrucksvollen Bilder, die Simenon beschwört: eisige Kanäle im Nebel, ein altes Bauernhaus am Rand der Zivilisation, ein totes Kind in einem Graben, stumme Zwiesprache an einem Kaminfeuer. Es ist ein Buch, das man so schnell nicht vergisst und dessen Bilder noch einige Zeit nachwirken.

Toll. Wieder einmal.

2 Kommentare:

Frank Böhmert hat gesagt…

Das Motiv "lebenslustiges Mädchen auf dem Lande" hat er auch in einem Maigret-Roman verwendet. Kennst du MAIGRET UND DAS VERBRECHEN IN HOLLAND?

http://frankboehmert.blogspot.de/2011/11/gelesen-georges-simenon-maigret-und-das.html

Andreas Eschbach hat gesagt…

Eins meiner Lieblingsbücher; kann ich immer wieder lesen – auch wenn ich immer noch nicht verstehe, wieso eigentlich ... ;-)