09 Juli 2020

Las Vegas und ein Gedicht

Den Text »Offener Himmel in Klein-Paris« schrieb ich am 19. Juni 2006, gut ein halbes Jahr, nachdem ich in Las Vegas gewesen war. Die Bilder der Stadt wirkten in mir nach; ich war immer noch fasziniert und gleichzeitig angeekelt von dem Trubel, den ich in Las Vegas gesehen und verspürt hatte. Die Stadt hatte mich gereizt und abgestoßen zugleich. Doch lest selbst ...

Offener Himmel in Klein-Paris 

Strahlend blau spannt sich der Himmel über Paris,
kleine Wolken sehen aus wie zweidimensionaler Puderzucker,
attraktive Häuser in französischer Optik mit Stuck und Schick,
der Bahnhof Montmartre ein Gesamtkunstwerk en miniature,
und die Stützen des Eiffelturms stehen mitten im Raum.

Rings im riesigen Saal fiepen die grellen Automaten,
stieren Spieler und Spielerinnen mit roten Augen auf
rotierende Scheiben, blinkende Lichter und ihr Spiegelbild,
warten auf ein Glück, das sie im Casino »Paris« verzweifelt suchen,
in einer Kunstwelt, ausgedacht von Architekten voller Hohn.

Sanft haucht die schwarze Sängerin ihr Lied ins Mikro,
eine Band mit dezentem Mix aus Funk und Jazz im Hintergrund,
zwischen Spielautomaten und Bar und gelangweilten Männern,
die ihre Wänste in die Stühle an der Theke zwängen,
das Bier vor und die Angst vor dem Pech in sich.

Es fiept und rasselt, die Maschinen schreien ihre Verheißung,
und die Männer stieren ins Leere, mit Gedanken ans Geld,
immerhin mit freiem Blick auf die kaum verhüllten Brüste der Sängerin,
die sich nach vorne beugt und tänzelt, mit knallrotem Mund
das Mikrofon umschmeichelt und Klassiker schmachtet.

Sex und Stuck und alte Häuser, blauer Himmel und Wolken,
dezente Musik und tuntig wirkende Barmänner – alles gemacht
für Hunderte von Touristen, seit Stunden und Tagen im Casino,
abgeschnitten von der Außenwelt der Spielerstadt,
weg von der Wüstenhitze des Tages und der Kälte der Nacht.

Las Vegas frisst, und man kann es sehen, ja spüren,
im Innern des kleinen Paris, unter dem blauen Himmel
der nachgebauten Stadt, mit ihren reizenden Cafés und Bars,
mit der Sängerin und ihren endlos langen Beinen,
mit runzligen Spielern und gierig blitzenden Augen.

Und wer die Augen schließt, fliegt weg,
hört nur noch die Musik, so dezent und klassisch,
so heftig bekämpft von den Spielautomaten,
unglaublich ignoriert von den meisten Spielern,
das einzige Lebenszeichen in der Halle der lebenden Leichen.

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