»Wie sehen Sie denn aus?« Die Überraschung stand dem Marktleiter ins Gesicht geschrieben. »So erkenne ich Sie kaum wieder.«
»Wieso?«, gab ich zurück. Zu mehr Spontaneität reichte es in diesem Augenblick nicht.
Ich ärgerte mich über mich selbst. Da kam ich an meinem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub in den Supermarkt zurück, spazierte über den Personaleingang in den Aufenthaltsraum und packte dort einige Dinge in meinen Spind, und dann lief mir ausgerechnet als erste Person der Marktleiter über den Weg. Sein Büro hatte er in nur wenigen Metern Entfernung zu dem Bereich, wo sich die Angestellten und Arbeiter des Supermarkts zu ihrer Pause trafen. Von dieser Stelle aus hatte er einen prachtvollen Blick über den Parkplatz und den Eingangsbereich.
Er zeigte auf mich. »Was haben Sie denn mit Ihren Haaren gemacht?«
»Abschneiden lassen.« Die Antwort war nicht korrekt, meine Haare wurden abrasiert und hatten danach eine Länge von wenigen Millimetern gehabt. Mittlerweile waren sie ein wenig nachgewachsen.
»Das sehe ich selbst. Aber warum?«
»Ich war im Urlaub, in Marokko, und weil es dort sehr heiß ist, wollte nicht so schwitzen, und …«
»Verstehe.« Er betrachtete mich zweifelnd. »In Marokko. So so. Ist das nicht gefährlich?«
»Nein.« Ich winkte ab. »Mich hat man in Ruhe gelassen.«
Einen Teil der Wahrheit verschwieg ich ihm aus gutem Grund. Die meisten Deutschen, die ich in diesem Sommer in Marokko angetroffen hatte, waren mit langen Haaren unterwegs, letzte Ausläufer der Hippie-Bewegung. Mit meinem raspelkurzen Haupthaar war ich geradezu aufgefallen. Und während die langhaarigen Reisenden alle drei Meter angesprochen wurden, ob sie nicht Haschisch oder Marihuana kaufen wollte, hatte man mich völlig in Ruhe gelassen oder gar einen Bogen um mich gemacht. Ich passte offenbar nicht ins Raster.
»Klingt gut«, sagte der Marktleiter. Er wies auf meinen Kopf. »Mit dem Haarschnitt hätten sie auch zur Bundeswehr gehen können.«
Ich grinste humorlos. »Das steht mir wohl im nächsten Jahr bevor.«
»Und dann?«
»Keine Ahnung.« Ich hob die Schultern. »Hauptberuflicher Weltreisender. Das würde mir ja schon gefallen.«
Er lachte. »Das glaube ich gern.« Der Marktleiter nickte mir zu. »Sie wissen ja, wir suchen immer fähige Leute – und Sie könnten bei uns echt Karriere machen, nicht nur hier im Haus.«
»Ich werde es beherzigen«, log ich und blickte auf meine Uhr. »Aber jetzt muss ich los, Frau Petermann wartet auf mich.«
Wir verabschiedeten uns voneinander, und ich eilte durch den Gang zur Treppe, die hinunter zur Information und in den Markt führte. In Gedanken fuhr ich mir durch die Haare; es knisterte ein wenig, wenn ich mit den Fingern über die Stoppeln fuhr. Ein gutes Gefühl, vielleicht sollte ich das so lassen.
Aber was ich im kommenden Jahr machen wollte, wusste ich nicht. In diesem Sommer 1983 erwartete ich mir nicht viel von der Zukunft. Aber das wollte ich weder dem Marktleiter noch meinen Kollegen auf die Nase binden.
Ich ging die Treppe hinunter und erreichte die Information. Irene bereitete gerade die neuen Preislisten für die Kassiererinnen vor, die diese auswendig lernen mussten.
Als sie mich sah, starrte sie mich an. »Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«, stammelte sie grußlos.
Ich nickte nur kurz. Dieser Tag würde anstrengend werden, das war damit klar.
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